Serie: Deutsche Filmemacher in Indien (2)
Ein Aufbewahrungsort für Errettungen
In unserer Film-Serie stellen wir Arbeiten deutscher Filmemacher vor, die in Indien entstanden sind. Die ausgewählten Filme werden als gelungene Beispiele für „Gäste-Filme“ betrachtet. Der zweite Beitrag betrachtet Franz Ostens Klassiker Shiraz.
In Franz Ostens Klassiker von 1928 – dem zweiten Teil einer Trilogie mythischer Epen, die dieser in den Neunzehnzwanziger Jahren in Zusammenarbeit mit Himansu Rai produzierte – kommt etwas Einmaliges zusammen: Er zeigt die Legende um die Errichtung des Taj Mahals auf eine rein empiristisch-ingenieurshafte Art und in rein chronologischer Weise. Die historisch unbelegte Geschichte wird auf ganz wissenschaftliche und abgedroschene Weise wiedergegeben, was den merkwürdigen Effekt hat, dass die in ihr verborgene Liebesgeschichte dadurch umso stärker hervortritt.
Die Restaurierung selbst – insbesondere in heutiger Zeit und im gegenwärtigen Kontext – verbindet sich geistig eng mit einer anderen Handlung: der Errichtung eines Denkmals. So wie viele in der Errichtung eines Denkmals einen Akt sehen, der das Eigentliche einer Erinnerung verkalken lässt – sie ewig werden lässt –, so kann die Restaurierung eines filmischen Gegenstands die ihm innewohnende Energie nutzbar machen und den Film in eine unendliche Zukunft tragen. „Dies sind meine Erinnerungen in Stein gegossen,” erklärt Shiraz dem Herrscher Khurram, als er diesem ein Model des Taj Mahal überreicht (und ganz ähnlich sprach Tagore davon, wie es nur ein großer Dichter vermag, das großartige Denkmal sei doch nur „… eine Träne auf der Wange der Zeit“). Die Analogien zur Filmrestauration sind offensichtlich. Während die Restaurierung dem Geist des Filmes einen neuen Körper verschafft, so ergibt sich die eigentliche Séance – jene Kraft, die zu einem wirklich neuen Bewusstsein führt – aus der musikalischen Begleitung. In vielen der Diskussionen, die sich im Feld der Restaurierungskunde um Stummfilme und deren Aufführungen drehen, geht es um das Thema der musikalischen Begleitung: und ihre ethischen Konsequenzen, ihre Position in der künstlerischen Hierarchie und ihre noch ausstehende Anerkennung als eigenständige Kunstform.
Das hat Gründe. Zum einen ist der Regisseur – oder der Drehbuchautor – in den meisten Fällen bereits gestorben. Der Komponist der musikalischen Begleitung muss sich selbst als ein Medium begreifen – auch wenn er gerade nicht für die Verstorbenen spricht, so doch zumindest eben nicht an ihrer Stelle. Der angenommene Status des Komponisten als Medium führt natürlicherweise zu so etwas wie einer Selbstaufgabe: vom Medium wird meist erwartet, dass es willentlich ihr eigenes Sein, ihre Identität, ihrer Gestalt aufgibt – zugunsten einer Einverleibung im Sinne des Auftraggebers, dem Empfänger ihrer Dienstleistung. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass die Organisatoren (das British Film Institute) die Musiker bei der Vorführung von Shiraz in New Delhi vor der Leinwand und direkt im Rampenlicht platzierten. Ob sich dies nun durch die Raumarchitektur so ergab oder wegen der Prominenz der Komponistin eigens so eingerichtet wurde, muss Spekulation bleiben. Der Erfolg dieser Strategie jedenfalls war nicht zu leugnen – wenn so nämlich ein eigentümlicher, entscheidender Verfremdungseffekt erzeugt wurde, es zu einer beinahe selbstreflexiven Aufdeckung jener Konstruktion hinter der Aufführung eines Stummfilms für ein lokales Publikum kam, das Aufführungen wie diese sonst nicht kennt. In der Anordnung der Leinwand gegenüber einer Gruppe von Musikern offenbarte sich noch etwas Weiteres: Die Musiker behaupten sich, so könnte man sagen, als wirkliche Avantgarde im wörtlichen Sinn – wie Wagenlenker mit Zügeln in den Händen führten sie den Film hin zu einem erwartungsfrohen und gespannten Publikum. Durch ihre Begleitung – oder vielleicht auch: durch ihre Führung – wurde eine letzte Errettung in dieser Nacht möglich gemacht: die des Films selbst.
Dazu trägt auch der beziehungsreiche Titel des Films selbst bei, der ungeachtet aller weiteren poetischen Allusionen auf die im Film verarbeiteten Themen Glaube, Harmonie, Liebe und schließlich Huldigung und Wiederauferstehung anspielt, denn Shiraz stellt – ganz so wie Ostens Meisterwerk A Throw of Dice von 1929 – eine an Fritz Lang erinnernden Gewohnheit aus: diejenige, das Reich der antiken Mythen mit Hilfe modernster Technik entstehen zu lassen (Fakt am Rande: Lang und Osten arbeiteten beide mit dem Kameramann Josef Wirsching zusammen). Für sein Meisterwerk A Throw of Dice von 1929 entschied sich Osten dafür, das zentrale, mikrokosmische Ereignis des Mahabharata, den Glückspielwettbewerb, als etwas darzustellen, dessen Ausgang nicht durch den Zufall oder das Schicksal bestimmt werden, sondern durch ein wissenschaftliches, durch und durch ingenieurhaftes Unterfangen (der hinterhältige Bösewicht gibt dem entscheidenden Würfel eine unnatürliche Neigung, indem er ihn manipuliert).
In der Filmgeschichte gibt es eine lange Tradition, in der Filmemacher in ein ihnen fremdes Land reisen – ins Ausland oder in ihnen unbekannte Landschaften –, um dort vor Ort die lokale „Wirklichkeit“ aufzunehmen. Über die Jahre aber ist diese Tradition einer immer kritischeren Betrachtung ausgesetzt worden – da Kommentatoren in ihr Züge entdeckten, in denen sich ein Imperialismus, Exotismus, Primitivismus und auch reinste Phantasie abbildeten. Wie, fragten diese Kritiker, kann denn jemandem, der sich in dem Land gar nicht auskennt, überhaupt die Aufgabe übertragen werden, dessen grundlegende Wahrheiten zu vermitteln?
In der aktuellen Serie mit dem Titel ‘A Procession of Masks’ stellen Autoren von Lightcube, einem Filmkollektiv in New Delhi, Arbeiten deutscher Filmemacher vor, die in Indien entstanden. In der Reihe werden die ausgewählten Filme als gelungene Beispiele für „Gäste-Filme“ betrachtet, in denen sich den Gegenständen ihres Interesses mit Würde, Einfühlungsvermögen und Neugierde genähert wird. Die vier Beiträge in dieser Reihe untersuchen die unterschiedlichen Mechanismen, mit deren Hilfe man Wert und Bedeutung dieser von „Außenstehenden“ produzierten Filme bestimmen kann – und sie suchen auch neue Wege, über diese zu sprechen. In der Serie finden sich drei herausragende Beispiele: Werner Herzogs Jag Mandir (1991), Franz Ostens Shiraz (1928) und die Filme von Paul Zils.