Künstlerresidenzen
Solidarität und Reflexivität

Reflections of Barcelona
Reflections of Barcelona | Foto (Ausschnitt): © Carlos ZGZ

Wie man Fähigkeiten im Bereich Kulturmanagement erwirbt und damit eigene Ideen und Strategien umsetzt, wie man an Selbstbewusstsein gewinnt und sich ehrgeizige Ziele setzt, wie man als Teil eines Netzwerks vom Wissen und Zusammenhalt der Teilnehmer profitiert – all das und noch mehr erfuhr Rashmi Dhanwani dank eines Stipendiums von ARThink South Asia. Im Folgenden beschreibt sie ihre Erfahrungen.     

Vor ein paar Wochen wies Vikram Iyengar, Mitbegründer und künstlerischer Leiter des Kunstkollektivs Rahan sowie ehemaliger Stipendiat von ARThink South Asia (ATSA), auf einen Link des Kulturministeriums hin, in dem die Öffentlichkeit aufgerufen wurde, zu dem Entwurf einer geplanten Nationalen Mission zur Bewahrung und Förderung des immateriellen Kulturerbes Indiens (National Mission on Intangible Cultural Heritage of India) Stellung zu nehmen. Es handelte sich dabei um ein wichtiges Papier, das nicht nur die Diskussionen, die darin einflossen, aufzeigte, sondern auch den Prozess, den es bis zu seiner jetzigen Form durchlaufen hatte.

Solche Vorhaben werden in der Regel nicht publik gemacht, und wenn doch, kaum wahrgenommen. Hierzulande wird der Inhalt solcher Entwürfe nur innerhalb bestimmter kultureller Netzwerke diskutiert, deren Mitglieder sich mit der Finanzierung von Kulturprojekten durch die öffentliche Hand beschäftigen, Kulturinstitutionen leiten oder die von solchen Plänen unmittelbar betroffen sind – ein kleiner Kreis, dem normalerweise keine ambitionierte Kulturmanagerin, die noch am Anfang ihrer Karriere steht, angehört.
 
Da ich auch zum Netzwerk der ATSA-Stipendiaten gehöre, las ich mir Iyengars Beitrag aufmerksam durch. Iyengar teilte diesen Link mit einer im Kulturbetrieb äußerst populären sozialen Netzwerk-Gruppe. Dadurch wurde eine große Anzahl von Leuten – von Kulturschaffenden bis und Kulturvermittlern – aufgefordert, sich zu dem Entwurf zu äußern – ein gutes Beispiel dafür, wie Informationen und Wissen von den Mitgliedern eines relativ strukturierten Netzwerks an Außenstehende weitergegeben werden. Stipendien wie die von ATSA ermöglichen es Neulingen, von informellen Netzwerken zu profitieren, und zeigen gleichzeitig, welche Bedeutung einer Struktur in Indiens fragmentiertem Kunstsektor zukommt.     
 
Vor nicht allzu langer Zeit war ich Teil eines solchen Fragments. Als Mitarbeiterin einer großen Kulturinstitution trieb mich die Frage um, wie man es schaffte, ein breiteres Publikum zu erreichen. Im Zuge meiner Überlegungen kam mir die Idee zu „Rasika (Ästhet)“, eine Initiative, die das Angebot des National Centre for the Performing Arts (NCPA) in Mumbai einem breiteren Publikum näher bringen sollte. Das Stipendium, das wir 2011 für dieses Projekt von ARThink South Asia erhielten, veränderte meine Arbeits- und Denkweise in mehrfacher Hinsicht:

Das Projekt und Professionalisierung

Der Tänzer Astaad Deboo und seine Truppe bei einer Vorstellung für Schüler, die vom NCPA organisiert wurde.
Der Tänzer Astaad Deboo und seine Truppe bei einer Vorstellung für Schüler, die vom NCPA organisiert wurde. | Foto: © Astad Deboo
Während des zweiwöchigen Residenzprogramms zu Beginn des Stipendiums nahm das Projekt Gestalt an. Als das Stipendienjahr 2012 zu Ende ging, hatten wir im NCPA die erste Abteilung aufgebaut, die sich mit Publikumsakquise beschäftigte. Ein Team, bestehend aus zwei Personen, bearbeitete Anregungen, sowohl on- als auch offline, stellte Kontakte zu Schulen und Hochschulen her, unterstützte Jugendfestivals, sammelte und analysierte Zuschauerdaten und -informationen und nutzte NCPA-Veranstaltungen, um für spezielle Angebote wie Vorführungen für Schulklassen, Einführungsvorträge und Online-Workshops zu werben [unklar]. Dieser Versuch, neue Zielgruppen zu erschließen, war recht erfolgreich, da die Aktivitäten der neuen Abteilung in bestehende Organisationsstrukturen und -prozesse integriert wurden. Auch zwei Jahre, nachdem ich NCPA verlassen hatte, ist der Einfluss unseres Projekts noch spürbar.
 
In beruflicher Hinsicht lernte ich eine Menge über Projektmanagement, Strategieplanung, Finanzplanung und -wirtschaft, gewann Einblick in wichtige rechtliche Aspekte und schärfte meinen Blick für Methoden der Strategieentwicklung - Fähigkeiten, die mir auch heute noch zugute kommen.

Netzwerke

Astad Deboo und seine Gruppe mit Schulkindern
Astad Deboo und seine Gruppe mit Schulkindern | Foto: © Astad Deboo
Kulturmanagement ist eine relativ neue Disziplin. Eine der ersten wissenschaftlichen Konferenzen zu diesem Thema fand 1991 statt (International Conference on Arts and Cultural Management). Leider gibt es in Indien so gut wie keine qualifizierten Ausbildungsmöglichkeiten auf diesem Gebiet. Diejenigen, die in diesem Bereich tätig sind, haben entweder einen Abschluss in Kulturmanagement an einer ausländischen Universität erworben oder besitzen überhaupt keine formelle Ausbildung. Insofern sind die existierenden Netzwerke eher informeller als institutioneller Natur und auch nicht interdisziplinär. Jeder Bereich, ob bildende Kunst, Theater, Tanz oder Musik, hat sein eigenes Netzwerk, über das der interne Informationsaustausch erfolgt.
 
Diese Netzwerke spielen eine wichtige Rolle bei der Professionalisierung des Kunstsektors. Wie Eleanor Shaw [1] anmerkte, besteht die Funktion eines Netzwerks darin, Informationen auszutauschen, Ratschläge zu erteilen und wirtschaftliche Transaktionen durchzuführen. Vor allem wirtschaftliche Transaktionen wie Akquise, Auftragserteilung oder -vermittlung werden durch persönliche, auf gegenseitigem Vertrauen basierende Beziehungen erleichtert. In einem Bereich, wo es primär darum geht, Projekte zu realisieren, Aufführungen oder Festivals zu organisieren, sind Zuverlässigkeit und persönliche Empfehlungen unabdingbar.
 
Ohne interdisziplinäre Interaktion und die Unterstützung durch eine Ehemaligenvereinigung ist es vor allem für junge Kulturmanager schwierig, Einblick in die Dynamiken des Sektors zu nehmen oder auch nur Zugang zu relevanten Informationen zu bekommen. Insofern kommt einem Programm wie dem von ATSA eine bedeutende Rolle zu, denn es trägt dazu bei, in einem Land wie Indien, dessen Kulturszene äußerst vielseitig, aber fragmentiert ist, eine gewisse professionelle Solidarität zwischen den einzelnen Akteuren herzustellen. Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder von den Informationen, Ratschlägen und der Unterstützung meiner Mitstipendiaten profitiert. Ihr Know-how, ihre Managementstrategien und ihre Erfahrungen hatten großen Einfluss auf meine eigene, nicht nur berufliche, Entwicklung. Erst letzten Monat half mir ein Kollege dabei, ein Konzept für ein Kunstprojekt für eine internationale Wohltätigkeitsorganisation zu entwickeln.
 
Wenn man einem Netzwerk angehört, ist man Teil einer Diskussionsgruppe,  man kann sich bei Entscheidungen formeller Art absichern, man hat Zugang zu Informationsquellen, die Datentriangulation ermöglichen, man erfährt von geplanten Projekten, und nicht zuletzt erleichtert der Austausch untereinander die eigene Entscheidungsfindung.

Reflexivität

Power Lines
Power Lines | Foto: © Devansh Jhaveri
Das ATSA-Stipendium gab mir auch Gelegenheit, über meine bisherige Arbeitsweise nachzudenken. Die Kombination von Kulturmanagement und Selbstreflexion ist nicht neu. Im Gegenteil, dieser Ansatz hatte großen Einfluss auf den Diskurs über effizientes Management. Wie Peter Senge [2] in seinem Standardwerk darlegt, waren bereits Anfang der 1980er Jahre selbstreflexive Praktiken – sprich eigene Annahmen, die eigene Identität und eigene Werte zu hinterfragen – ein wesentlicher Bestandteil von effizientem Management.
 
In Bezug auf Rasika ermöglichte mir das Stipendium, mich eingehend mit der Thematik der Publikumsakquise und ihrer Bedeutung für eine Institution und den Kulturbetrieb allgemein zu beschäftigen. „Keine Kultur kann ohne Publikum überleben, geschweige denn sich weiterentwickeln“, schreibt der Kolumnist Aakar Patel und spricht damit ein wichtiges Thema an. Als Kulturmanager sollte man sich nicht nur kritisch mit dem Sektor als solchem auseinandersetzen, sondern auch mit seiner eigenen Rolle. Ich nutzte den Freiraum, den mir das Stipendium bot, um mir Gedanken darüber zu machen, wie ich mich sinnvoll in die Institution und den Kulturbetrieb insgesamt einbringen könnte. Für die Akademikerin Hilary Glow [3] ist eine der zukünftigen Herausforderungen des Kulturmanagements eine kritische Haltung zu konventionellen Diskursen über Kulturmarketing, denn ihr zufolge kommt es vor allem darauf an, neue Publikumsschichten zu erreichen. Ihre Überlegungen flossen in unser Projekt ein und bestärkten mich gleichzeitig in meinen eigenen Vorstellungen.
 
Regelmäßige Selbstreflexion hat mir im Lauf der Jahre auch geholfen, meine Projektpläne mit mehr Leidenschaft und Dynamik zu verfolgen. Meine Herangehensweise an ein Problem ist jetzt fundierter und komplexer, da ich mich intensiv mit einer Thematik auseinandersetze, Annahmen hinterfrage, Überzeugungen überprüfe, Ziele formuliere und Varianten durchspiele – Gewissheit geht immer Hand in Hand mit kritischen Fragen. Das Stipendium von ATSA hat nicht nur dazu beigetragen, dass ich einen ganzheitlichen Ansatz im Bereich Kulturmanagement entwickelte, sondern mir auch zu mehr Professionalität als Kulturvermittlerin verholfen.
 

[1] Shaw, Eleanor, „Small Firm Networking – An Insight into Contents and Motivating Factors.” International Small Business Journal 21.1 (2006): S. 5-29.
[2] Senge, Peter M, The Fifth Discipline: The Art and Practice of the Learning Organization. New York: Currency Doubleday (1990).
[3] Glow, Hilary, „Taking a Critical Approach to Arts Management.” Asia Pacific Journal of Arts & Cultural Management 7.2 (2010): S. 585-594.

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