Julia Amberger
„Mehr Fokus auf soziale Aspekte“

Julia Amberger
© Julia Amberger

Soziale Aspekte und Folgen von Covid-19, insbesondere für die Armen, kommen in den Massenmedien nicht vor.

Von Chaitanya Marpakwar

Die Afrika- und Europa-Journalistin Julia Amberger erläutert, wie sich die Covid-19-Berichterstattung auf den beiden Kontinenten unterscheidet. Laut Amberger seien die Ergebnisse des Daten- und Gesundheitsjournalismus zu Covid-19 zwar gut gewesen, doch die Medien hätten die sozialen Aspekte und Folgen der Corona-Krise vernachlässigt. Sie plädiert dafür, dass Journalist*innen mehr Fokus auf Berichte über die sozialen Aspekte von Covid-19 legen, die für unsere Gesellschaften mit viel umfassenderen und langfristigeren Folgen verbunden sein.

Wie hat sich die Covid-19-Pandemie auf Ihre Arbeit als Journalistin ausgewirkt?
 

Ich bin im Januar 2020 kurz vor Ausbruch der Pandemie nach Berlin gekommen. Damals konnte ich nur innerhalb von Europa und nicht nach Afrika reisen, wo ich 2020 einige Reportagen geplant hatte. Die Pandemie hat sich spürbar auf meine Arbeit ausgewirkt. Eigentlich sollte ich nach Tansania reisen. Ich hatte einige sehr große Aufträge für ein Magazin und ein Buch, für das ich auch einen Besuch in der Zentralafrikanischen Republik plante. Ich hatte also deutlich weniger zu tun. Diese Zeit nutzte ich, um mich auf meine langfristige Strategie zu konzentrieren. Wohin wollte ich, was wollte ich tun? Also trug ich Ideen zusammen und entwickelte ein Langzeitprojekt.
 
Waren Sie der Meinung, dass einige wesentliche Aspekte nicht in der Medienberichterstattung über die Covid-19-Pandemie behandelt wurden?
 

Als Journalistin, die Reportagen und ausführliche Artikel schreibt, fehlten meiner Meinung nach die sozialen Aspekte der Pandemie in der medialen Berichterstattung. Sogar in afrikanischen Länder gab es Daten und eine gute datengestützte Berichterstattung. Doch die sozialen Aspekte wurden meiner Meinung nach in der Berichterstattung vernachlässigt. Beispielsweise gab es einen Ausbruch in den Flüchtlingscamps auf der griechischen Insel Lesbos, und es wurde über die Zahl der infizierten Geflüchteten berichtet. Ich persönlich möchte aber davon erzählen, welche Folgen dieser Vorfall für die Geflüchteten in den Camps und die Bewohner*innen der Insel hat. Dieser Aspekt, der menschliche Aspekt, ist mir also wichtig. In der Anfangsphase mied man in Afrika sogar Asiat*innen und schickte viele Menschen in ihre Heimat zurück. Man ging davon aus, dass sie etwas Schlechtes in sich trugen. Über die soziale Seite und das mit dem Virus verbundene Stigma wurde also nicht berichtet.
 
Welche Aspekte des Journalismus haben Ihrer Meinung nach inzwischen an Bedeutung gewonnen?
 

Investigativnetzwerke haben heute einen höheren Stellenwert. Für mich ist Zusammenarbeit ein wichtiger Aspekt. Ich kann nur aus Afrika berichten, weil ich über ein Netzwerk von Journalist*innen und persönliche Kontakte verfüge. Ich weiß, welchen Menschen ich vertrauen kann. Mit ihnen tausche ich Informationen aus. Für die Zusammenarbeit ist demnach Vertrauen ein entscheidender Punkt. Die Zusammenarbeit muss echt sein, sie muss auf partnerschaftlicher Ebene stattfinden und darf sich nicht nur auf bezahlte Informant*innen beschränken.
 
Wie hat sich Ihr Einsatz von Technologien während der Pandemie verändert?
 

Anfangs arbeitete ich für das französische Fernsehen. Weil die französischen Korrespondent*innen nach Frankreich zurückkehrten und ich Französisch sprach, berichtete ich für das französische Fernsehen über das Coronavirus an deutschen Schulen. Meines Erachtens hat die Technologie nun für alle Zeiten im Journalismus Einzug gehalten. Die damit verbundenen Kompetenzen sind wichtig, um für die Zukunft gerüstet zu sein.
 
Wie sieht es mit dem Vertrauen in die Medien aus? Denken Sie, dass noch immer viele Menschen kein Vertrauen in die Medien haben?
 

Ja, viele Menschen trauen den Medien nach wie vor nicht über den Weg. Zum Beispiel in Deutschland. Die Menschen bezeichneten die Medien als „Lügenpresse“. Sie lasen lieber private Blogs und informierten sich in alternativen Medien. Da ist also definitiv ein Misstrauen vorhanden. Doch meines Erachtens haben die traditionellen politischen Parteien auch einen Vertrauensvorschuss erhalten. Man ging davon aus, dass sie über die nötigen Erfahrung verfügen, um die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. In der Öffentlichkeit gab es also eine Gruppe, die Vertrauen in die Regierung hatte, und eine andere, die ihr das Vertrauen vollkommen entzog.
 
Wie ließe sich das Vertrauen in die Medien verbessern?
 

Um das Vertrauen zu stärken, müssen mehr Geschichten mit sozialem und menschlichen Bezug erzählt werden. Der soziale Aspekt ist ausgesprochen wichtig. In einigen Fällen müssen Berichte schnell fertig werden, insbesondere für das Fernsehen. Dann muss man wissen, wer welche Rolle spielt, wer was sagt. Doch meines Erachtens sollten wir uns öffnen und an der Realität orientieren, anstatt im Vorfeld zu entscheiden, worum es in einer Geschichte gehen soll. Journalist*innen sollten auch mehr Werbung für ihre Geschichten machen und sie nicht nur für Publikationen schreiben, sondern auch auf YouTube und in anderen Medien verbreiten. Es geht darum, die Geschichten hinter den Geschichten zu erzählen. Wir müssen den Menschen erklären, warum wir zwei oder drei Wochen für eine Reportage benötigt haben. Dafür braucht es mehr als nur einige Telefonate.
 
Kann Journalismus vollkommen neutral sein?
 

Wir sollten einsehen, dass niemand neutral sein kann. Auch Journalist*innen tragen ihr eigenes persönliches Päckchen mit sich herum. Das müssen wir akzeptieren und anerkennen. Es gibt keine Neutralität. Nehmen Sie mich als Beispiel. Ich bin in Bayern geboren, ich bin eine Frau und wurde katholisch erzogen. Entsprechend habe ich meinen eigenen Blick auf die Welt. Wir müssen mehr Bewusstsein für unsere eigene kulturelle Prägung entwickeln.

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