Sprechstunde – die Sprachkolumne
Andere musikalische Tiere

Illustration: Eine Maske mit Sprechblase in der Musik-Noten enthalten sind
Wovon handelt die Musik anderer Tiere? | © Goethe-Institut e. V./Illustration: Tobias Schrank

Was ist die Sprache der Musik? – Eine Frage, die schon bezogen auf Menschen nicht einfach zu beantworten ist. Manon Hopf fragt: Wovon handelt die Musik anderer Tiere?

Von Manon Hopf

Poesie wohnt ein Zauber inne, eine Form der Magie. In ihr kommt eine Sprache zu den Dingen und Lebewesen, die wir im Alltag vielleicht eher als stumm erleben. Was nicht heißen soll, dass sie es sind! Poesie kommt von ποιεῖν – machen, schaffen, dichten. Das Wort Lyrik wiederum von λυρική – zum Spiel der Lyra gehörende Dichtung. Lyrik und Poesie sind eng verknüpft mit dem Feld der Musik, mit Metrik, Klang und Rhythmus.

Das bislang älteste Musikinstrument wurde auf der Schwäbischen Alb entdeckt und ist eine 40.000 Jahre alte Flöte aus Vogelknochen, der Speiche eines Singschwans – eine ganz eigene Bedeutung des Schwanengesangs. Nicht nur Instrumente wurden aus verschiedenen Produkten anderer Tiere gefertigt – Blasinstrumente aus Hörnern, Trommeln aus Kuh- oder Ziegenfell, Dudelsäcke aus Schweinsblasen, Seehundmägen und Hundefell, Saiten aus Schafdärmen, Bögen aus Pferdehaar. Knochenleim, Schellack, Elfenbein – die Liste ist lang. Neben Pflanzen- und anderen Naturmaterialien wurden auch Werkzeuge, die die Menschen zum Schreiben nutzten, von und aus anderen Tieren gewonnen: Knochen zum Schreiben und Ritzen, Leder und Pergament, auf dem geschrieben wurde, Federn, Tinte. Musik ebenso wie Dichtung handeln in ihren Ursprüngen mit und damit auch von Körpern anderer Tiere – oder behandeln sie und transzendieren sie zu einem Medium zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre. Wovon aber handelt die Musik anderer Tiere?

werde nie mit walen
schwimmen aber träume
dass ihr lied keine abrechnung ist

Es gibt unterschiedliche Ansätze, den Ursprung der menschlichen Sprache zu erklären. Die Naturlauttheorie geht beispielsweise davon aus, dass Menschen Laute aus ihrer Umwelt, wie beispielsweise Laute anderer Tiere, nachahmten. Linguisten wie Otto Jespersen vermuteten, dass es sich bei der frühen menschlichen Sprache um Gesänge handelte, um rhythmisch nachgeahmte Naturlaute, die im Laufe der Zeit Bedeutungskomponenten erhielten, die immer spezifischer und abstrakter wurden. Ähnlich den Pant Hoots der Schimpansen – ein wiederkehrendes, rhythmisches Schreien oder Singen, das starke Emotionen und Signale wie Freude oder Furcht transportieren kann, aber von einzelnen Individuen auch zum Schlichten eingesetzt wird, zur Beruhigung. Ein wichtiges Forschungsfeld zur Entstehung von Sprachen ist also die Zoosemiotik, die sich damit beschäftigt, wie andere Tiere Zeichen bilden, und die Vergleiche zwischen Menschen- und anderen Tiersprachen und damit Rückschlüsse auf die Entstehung menschlicher Sprachen erlaubt. Die Bioakustik ist dabei nur ein Teilgebiet möglicher Zeichen.

Stumm wie ein Fisch?

Denn auch andere Tiere nutzen Laute, um ihre Stimmung kundzutun – je sozialer sie leben, desto häufiger und vielfältiger sind diese. Die Bedeutungen haben ein breites Spektrum und werden beispielsweise zum Anlocken und Begrüßen, zum Besänftigen oder Warnen gebraucht. Die Grünen Meerkatzen, eine Primatengattung, nutzen verschiedene Warnlaute für Gefahr – während ein Gurgeln eine Gefahr auf dem Boden bezeichnet, steht ein schrilles Zwitschern für eine Gefahr aus der Luft. Auch Amseln haben für Gefahren von oben oder unten verschiedene Warnrufe. Und auch Fische, die wir im Deutschen sprichwörtlich als stumm bezeichnen, nutzen Töne und Laute zur Partnersuche, zur Revierverteidigung und zur Orientierung – allerdings so leise, dass es für uns Menschen kaum hörbar ist. Es kann sich für uns Menschen also sehr lohnen, über die eigenen Wahrnehmungsgrenzen hinauszudenken und sich für die Wahrnehmung und Perspektiven anderer Tiere und Lebewesen zu öffnen, alle Sinne zu spitzen für das unaufhörliche Plappern der Natur.

Ozeanwellen, Überseezungen

Bei anderen Tieren werden angeborene Lautäußerungen wie Bellen, Miauen oder Quaken von selbst gestalteten Lauten unterschieden, so etwa bei Buckelwalen. Sie können neue Klänge erlernen und sogar selbst erfinden. Sie sind auch bekannt für ihre Lieder, die sich als richtige Hits erweisen und durch die Meere wandern können. Diese Songs können bis zu 30 Minuten lang sein und bestehen aus mehreren Songparts oder Themes, die wiederum aus mehreren Phrasen bestehen. Die Phrasen bestehen aus auf- und absteigenden Schreien, aus Ächzen, Quieken, Schnurren und Stöhnen. Buckelwale können den Song anderer Buckelwale aufgreifen, singen und wieder weitergeben, sodass sich bestimmte Songs im ganzen Ozean verbreiten. Der ganze Südpazifik ist in einer Walkultur unterschiedlicher Populationen verbunden, die sich untereinander akustisch und kulturell austauschen – und das heißt auch: wenn einer Population etwas zustößt, hat das Auswirkungen auf die übrigen Populationen.

Die Laute der Buckelwale haben eine Reichweite von mehreren 100 km und können die Lautstärke eines startenden Space Shuttles erreichen. Tiefe Frequenzen werden im Wasser sehr weit getragen und es wird vermutet, dass sich die Wale sogar über tausende Kilometer hinweg verständigen können – wenn nicht der menschengemachte Lärm die Meere überfluten würde. Die Wale stehen unter Stress – mit zunehmendem Schiffsverkehr haben sie ihre Frequenzen verändert und die Lautstärke erhöht, um ihre Signale noch zu hören. Und es wurde beobachtet, dass Buckelwale in der Nähe von Schiffen weniger singen oder vorübergehend sogar verstummen – und erst wieder zu singen beginnen, ist das Schiff aus ihrem Gebiet verschwunden.

Welchen Zweck die Lieder der Buckelwale haben, ist noch nicht vollends bekannt. Vermutet wird, dass sie neben der Echoortung auch der Revierabgrenzung, dem Gruppenzusammenhalt und zur Paarung dienen, entweder als Anwerbung oder in einer Art Wettstreit, da sie immer wieder und hauptsächlich von männlichen Buckelwalen, den Kopf Richtung Grund gerichtet, gesungen werden. Wer singt lauter, besser oder genauer –vielleicht schöner? Haben Buckelwale einen Sinn für Schönheit, eine eigene, wenn nicht sogar individuelle Ästhetik?


das kitzeln eines vogels
auf dem rücken eines riesen
mitten im ozean

und wie er im sturzflug
auf den meeresboden
kracht

das wasser kippt
in eine stille
welt

von oben ist alles
bereits
zerbrochen

 

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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