Teil 3
Gefährtin

Rohingya-Frau mit Kindern
Rohingya Frauen in Flüchtlingslagern teilen Geschichten über Verlust und Hoffnung. | © UN Women/Allison Joyce

Als Bilkis Jaan, 60, im Juni 2013 aus ihrem Dorf Bohmu Para im Distrikt Maungdaw floh, weinte sich ihre braunschwarz gescheckte Hündin Ghona zu Tode.

Zwölf Jahre lang war Ghona ihre ständige Gefährtin gewesen. Sie war erst ein paar Monate alt, als Bilkis sie zu sich nahm. Rehmat Ali, Bilkis Mann, war mit 45 Jahren gerade gestorben. Er war ein geschickter Bootsmann und fuhr Menschen über den Kaladan Fluss. Es ist der fünftgrößte Fluss der Welt ohne Staudämme. Im Laufe der Jahre wurde das Wasser infolge des „Kaladan Multi-Modal Transit Transport”-Projekts verschmutzt, mit dem Indien und Myanmar ihre Seehäfen verbinden wollten. Rehmat Ali bekam schwere Infektionen durch das verseuchte Wasser. Ihm wurden beide Beine amputiert, und innerhalb weniger Monate war er tot.

Um ihre beiden Töchter Safiyah und Shagufta zu ernähren, arbeitete Bilkis auf einem Bauernhof. Dort hatte sie Ghona gefunden. „Die Besitzer bauten Erbsen und Chilies an, viel besser als die, die man in Jammu bekommt. Ghona wich mir nicht mehr von der Seite, als wäre sie Teil meines Körpers.” Der Hund buddelte, wenn sie pflügte und half ihr so, die Gruben mit Schlamm zu füllen.

Ein Jahr später untersuchte das indische Unternehmen Essar Oil die Erdgasvorkommen in der Gegend um Sittwe und Maungdaw. Das Gebiet liegt im sogenannten „L-Block”, in dem Essar Oil im Rahmen eines 2005 unterzeichneten Abkommens gemeinsam mit dem staatlichen Unternehmen Myanmar Oil and Gas Enterprise Ölbohrungen durchführen sollte. Über 800.000 Hektar Land, das Minoritäten gehörte, wurden in Burma für solche indischen oder chinesischen Projekte beschlagnahmt, darunter auch die Farm, auf der Bilkis beschäftigt war.

Sie nahm eine Stelle in einer Metzgerei an, wo sie jeden Abend ein paar Stücke Fleisch und am Monatsende etwas Geld bekam. Ghona kam mit ihr.

„Anders als Inder können wir uns nicht nur von Gemüse ernähren, wir brauchen jeden Tag Fleisch. Denn der Fisch, den man in Indien bekommt, taugt nichts. Früher haben wir im Teich oder im Fluss Fische gefangen und sie dann gekocht, die haben so viel besser geschmeckt. Ghona saß beim Angeln immer ruhig neben mir, sie wusste, sie bekommt am Ende auch einen frischen Fisch.” Fünf Jahre lang arbeitete sie in dem Laden.

2011 wurde die Metzgerei von Kaman-Muslimen – einer der sieben offiziell anerkannten ethnischen Gruppen im Rakhaing-Staat, die auch über burmesische Ausweise verfügen – in Brand gesteckt, weil sie angeblich das im Islam verbotene Schweinefleisch angeboten hatte. Als nach Angriffen auf Rohingya auch einige Kaman von Buddhisten attackiert worden waren, nahmen die Konflikte und Verunsicherungen zu. „Es entstand ein Wettbewerb, wer die besseren Muslime seien”, erinnert sich Bilkis.

Um über die Runden zu kommen, nahm sie verschiedene Gelegenheitsjobs an, bis ihr Dorf 2012 von einem buddhistischen Mob und dem burmesischen Militär angegriffen wurde. Die Männer betraten das Haus und griffen sich ihre Tochter Safiyah, die damals 15 war. „Sie machten mit ihr das, was sie mit einigen ihrer Rohingya-Schwestern auch gemacht haben. Ich war dabei, als es passierte. Ich bat sie, sich nicht zu wehren, als sich zwei Männer nacheinander auf sie stürzten. Sie starrte mich an und weinte. Meiner anderen Tochter hätten sie dasselbe angetan, hätte ich versucht, Safiyah zu retten. Ghonu war in einer Ecke des Zimmers angeleint und bellte. Die Typen sagten mir immer wieder, ich solle dafür sorgen, dass der Hund still ist, sonst würden sie ihn erschießen”, erzählt Bilkis mit trockener Stimme. Rohingya haben in Myanmar so gut wie keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, Safiyah behandeln zu lassen, war unmöglich. Sie blutete heftig und erlag drei Tage später ihren Verletzungen.

Am nächsten Tag kamen Mitarbeiter einer Hilfsorganisation ins Dorf und brachten alle Rohingya in ein Lager. „Sie ließen meinen Hund nicht in den Lastwagen. Ghona sah uns nach, als wir einstiegen. Sie bellte und bellte und rannte uns eine ganze Stunde lang hinterher, bis ich sah, wie sie im Schlamm immer langsamer wurde und der Wagen davonraste. Zwölf Jahre lang war sie Teil meines Körpers gewesen, jetzt war sie weg”, sagt Bilkis mit Tränen in den Augen.
 
Drei Monate später erreichten Bilkis und Shagufta Jammu, wo sie bei Verwandten wohnten und wo die 17-jährige Shagufta mit ihrem Cousin Saif verheiratet wurde.

Im September 2017 wurde eine tote Kuh neben ihrer Hütte gefunden. Zwölf Personen, darunter Saif, wurden festgenommen. Mitglieder der hinduistisch-nationalistischen Partei BJP warfen ihnen vor, Rindfleisch zu essen. Die Partei hat eine landesweite Kampagne zum Schutz von Kühen gestartet, die von Hindu-Sekten als heilig verehrt werden. Man hört immer wieder auch von Fällen von Lynchjustiz auf Seiten der BJP, von Auspeitschungen von Muslimen und Dalit, einer diskriminierten Gruppe, die in der hinduistischen Kastenhierarchie ganz unten steht. „Was bringt es den Leuten, sich um Fleisch zu streiten? Schweinefleisch in Myanmar, Rindfleisch in Indien, wenn Millionen allein wegen ihrer Religion umgebracht wurden”, sagt Bilkis.
Sie arbeitet jetzt in einer Metzgerei unweit des Lagers, die die vier nahegelegenen Rohingya-Siedlungen mit frischem Fisch, Garnelen und Hammelfleisch versorgt. Ihre neue Gefährtin ist Jhontu, eine gelbbraune Katze, die Fisch liebt.

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