Männlichkeit in der populären Kultur
Many Masculinities

Der Begriff der toxischen Männlichkeit hat in jüngster Zeit Furore gemacht. Nun geht es dem Feminismus nicht zuletzt um die dekonstruierende Macht bestimmter Fragestellungen, also könnte man aus der Perspektive eine*r Kritiker*in des Patriarchats nachdenken: Worüber sprechen wir nicht, wenn wir über toxische Männlichkeit sprechen? Doch als Feministin und Künstlerin will ich die Frage etwas anders formulieren: Worüber würden wir sprechen, wenn wir nicht nur über toxische Männlichkeit sprächen?

Von Paromita Vohra

Um einen flexibleren Rahmen für unsere Überlegungen zu finden, und einen, der Wandel und transformative Möglichkeiten einschließt, werfen wir einen kurzen Blick auf verschiedene Darstellungen von Männlichkeit in der populären Kultur.

Der Hindi-Film spiegelte in der Zeit nach der Unabhängigkeit den Prozess der Nationwerdung wider und trug seinen Teil dazu bei, indem er half, eine indische Identität zu etablieren, in der Männlichkeit vor allem über Pflichterfüllung definiert war. Die Stars der Ära prägten eine Form der Maskulinität, die sich weniger über ihre Körperlichkeit, sondern eher über die Persönlichkeit definierte. Raj Kapoor, Dilip Kumar, Ashok Kumar und Dev Anand sind Beispiele für namhafte Schauspieler jenes Jahrzehnts, deren emotionale Anziehungskraft darin bestand, dass sie idealistische, edle oder zwiegespaltene Charaktere darstellten, die sich mit den bestehenden sozialen und nationalen Wertesystemen auseinanderzusetzen hatten. Andere, wie Sunil Dutt und Dharmendra spielten Ingenieure, Dammbauer und Ärzte, einen Archetypus, den Sanjay Srivasta den „Fünf-Jahres-Plan-Mann“ nannte.

Dieses Verständnis von Männlichkeit (in den oberen Kasten) stellte Familie, Nation und das öffentliche Leben über das persönliche und verlangte Opfer, oft in Form des eigenen Liebesglücks, für diese Institutionen zu bringen. Der Vorrang der öffentlichen Identität vor privaten Bedürfnissen und die damit verbundene emotionale Unterdrückung und Resignation waren eines der Hauptthemen in der Darstellung von Maskulinität, häufig dargebracht in Form eines Duetts, in dem der Mann die Liebe als trügerisch oder albern verhöhnte, während die Frau sie verteidigte. Die Essenz dieser Dualität verkörpert sich in der Figur des Devdas, der sich nicht zwischen den beiden Sichtweisen entscheiden kann. Seine Geschichte wird regelmäßig neu verfilmt und ist jedes Mal ein Kassenschlager, Jahrzehnt um Jahrzehnt, was auf die weitverbreitete Identifikation mit dieser Form männlicher Emotionalität hindeutet.

Doch es wäre ein Fehler, den Blick allein auf die Maskulinität der im Rampenlicht stehenden Filmhelden zu beschränken. Hindi-Filme wießen bis in die 1980er Jahre neben den Protagonisten eine Vielzahl von Nebencharakteren mit jeweils eigenen Handlungssträngen auf. Sie waren nicht im selben Maße den gängigen Männlichkeitsidealen verhaftet. In Komödien wurden sie häufig als schwächlich und unterwürfig dargestellt und oft gehörten sie verschiedenen Minderheiten an. Doch auch ihre Männlichkeit wurde durch Gesangs- und Tanzdarbietungen sowie romantische Erfolge als attraktiv und erstrebenswert präsentiert. Die Figur des Johnny Walker, dünn, lustig, häufig verliebt und ein guter Tänzer, ist ein Beispiel. Bösewichte, die eine Gefahr für die gesellschaftliche Norm darstellten, waren oft adrett, gutaussehend und, im Gegensatz zum Helden, zutiefst pragmatisch, vor allem in Bezug auf Geld und Sex. Sie stehen für eine unsentimentale Männlichkeit, die ihren Drang zur Macht und zu sinnlichen Freuden nicht zu verschleiern sucht. Ganz im Gegensatz dazu der progressive Held, dessen vom Gefühl getragene politische Ansichten oft seine soziale Identität als in Not geratener Angehöriger der oberen Kasten und Landeigner überlagern. Weitere Variationen sind in kurzen Auftritten in den häufigen Musikeinlagen zu finden. Stücke im Qawwali-Stil beispielsweise, die zum Standard gehörten, zeigen häufig Männer, die eine eher queere Maskulinität darbieten, in Hinsicht auf Kleidung sowie Körpersprache, ohne dass damit irgendeine besondere Bewertung verbunden wäre.

Kurz gesagt: Es war eine Vielzahl von männlichen Geschlechterrollen auf der Leinwand präsent, und wenn auch die zentralen Figuren idealisiert wurden, existierten viele weitere Charaktere und Formen von Männlichkeit, die uns, dem Publikum, die Möglichkeit zur Identifizierung boten (die ich häufig ausnutzte, wenn ich mich in die Rolle von Verführern, Tänzern oder queeren Qawwali-Künstlern träumte).

Gelegentlich verbanden sich die verschiedenen Formen von Männlichkeit in einer Figur. Shammi Kapoor, in den Mittelklasse-Liebesgeschichten der 1960er, zeigte körperlichen Überschwang, Unverfrorenheit in romantischen Angelegenheiten, modische Extravaganz bis hin zur Tuntenhaftigkeit und eine unkomplizierte Einstellung zur Liebe, die es zu verfolgen und nicht zu opfern galt, vorzugsweise in einem Cabrio und  im schnittigen Outfit. Rajesh Khanna klimperte mit den Wimpern und kämpfte für seine Liebe, während er seiner Familie die Treue hielt. Diese männlichen Figuren dominierten für eine kurze Zeit, bevor sie durch eine andere, bis dahin nicht repräsentierte Form der Maskulinität abgelöst wurden.

Der Arbeiterheld Amitabh Bachchan entsprang einer verunsicherten Männlichkeit die mit der Welt haderte und rückte das Ringen der Arbeiterklasse in den Blickpunkt, anstelle der gehobenen Mittelklasse-Armut früherer urbaner Filme. Und er bereitete die Bühne für den allmählichen Abgang der Charakterdarsteller der alten Schule, während mehr und mehr Figuren seines Typus die Leinwand eroberten.

Im Indien der Globalisierung sehen wir weitere Veränderungen und Umdeutungen männlicher Geschlechterrollen. Shahrukh Khan, vom Bösewicht zum Protagonisten und Superstar avanciert, prägte ab den 1990er Jahren eine ganze Ära. In ihr verbanden sich die Qualitäten der alten Helden, die noch nicht übermäßig muskelbepackt waren, mit einzelnen Eigenschaften der klassischen Bösewichte, vor allem mit ihrer pragmatischen Offenheit in Bezug auf Geld, Erfolg und Sex. Die Bedeutung der Pflicht als alles motivierende Kraft trat zurück zugunsten von Liebe und Begehren, die jedoch eher auf eine sanfte Veränderung der Tradition drängten, als zur Rebellion gegen sie aufzurufen.

Parallel zu seinem Aufstieg kam mit Salman Khan und John Abraham eine sehr körperbetonte Form der Männlichkeit auf – muskulöse, unbehaarte, geistig unreife Männer, oft mit reinem Herzen aber einem mangelndem Gespür für zwischenmenschliche Grenzen. Filme jüngeren Datums verzichten meist auf abweichende Ausprägungen von Männlichkeit – und Weiblichkeit – und konzentrieren sich fast gänzlich auf ihre Helden und den kleinen Ausschnitt der Welt um sie.

Der Diskurs um toxische Männlichkeit spiegelt in gewisser Weise das eindimensionale Männlichkeitsbild des populären Kinos im 21. Jahrhundert wider, das von einer, anstatt einer Vielzahl männlicher Rollen ausgeht. Ihr Gegenteil wäre der idealisierte, aber allenfalls vage definierte nicht-toxische Mann.

Das Internet hat zur Diffusion all der genannten Formen von Maskulinität in verschiedene, parallele Sphären beigetragen. Das englischsprachige Internet ist häufig damit beschäftigt, toxische Männlichkeit und Rape Culture zu identifizieren und zu benennen. Die sogenannte "Bro Culture" agiert Männlichkeit aus als Kombination von Elementen, die bereits besprochen wurden: Progressiven Themen wie Save the Internet, He for She oder kommunale Gewalt werden mit machohaften, obszönen Witzen überzogen. Viele Vorstellungen von Maskulinität machen eine Diskussion von Kaste unmöglich, und verorten toxische Männlichkeit vor allem in der Unterschicht, deren Angehörige keinen Zugang progressiven Konzepten und Ideen besitzen.

Auf der anderen Seite wird feministische Männlichkeit durch die erklärte Beschäftigung mit Frauenthemen zum Ausdruck gebracht, durch Solidaritätsbekundungen, die Betonung der eigenen Emotionalität und andere öffentliche Äußerungen. Letztlich bietet das Internet, genau wie das Kino, eine Bühne für das Bekenntnis zu bestimmten Ideologien und für die Schaffung eines symbolischen Selbstbildes entlang der Umrisse einer schemenhaften Normativität.

Doch in bestimmten Bereichen des Internets, zum Beispiel auf YouTube, findet man Ausprägungen von Männlichkeit, die mit Recht als toxisch zu bezeichnen sind. Sie äußern sich durch Drohungen mit Vergewaltigung, Aufrufe zu Gewalt gegen Minderheiten und Hass aufgrund von Kastenzugehörigkeit; nicht nur in Texten auf Twitter, sondern in Form von realen Videos oder Sketchen, meist von politisch rechts orientierten Nutzern. In anderen Online-Räumen existieren noch die verblassten männlichen Geschlechterrollen vergangener Tage, queerer, fröhlicher, fließender - beispielsweise auf dem in Indien inzwischen gesperrten Portal TikTok, wo unzählige Nutzer:innen städtischen wie ländlichen Hintergrundes ihre transsexuelle Identität zelebrieren. Die Umkehrung von Geschlechterrollen, Drag, Rollenspiele und sexuelle Inhalte werden freudig - und in Massen - geteilt. Eine etwas züchtigere Version findet sich in den Tanzvideos und anderen Clips auf Instagram, wo viele populäre Influencer eine im weiten Spektrum der Maskulinität eher feminine Männlichkeit ausleben, während sie sich selbst als heterosexuell identifizieren.

Ein detaillierterer Blick darauf, wie Männlichkeit auf dem Bildschirm oder der Leinwand präsentiert wird, könnte uns helfen zu verstehen, wie Geschlechterrollen aufgeweicht, lebendiger und flexibler gemacht werden können, wie der intersektionale Diskurs zu Vorstellungen von Männlichkeit angeregt werden kann und wie wir Feminismus nicht alleine als Reaktion auf eine allgegenwärtige Bedrohung oder Bevormundung denken können, sondern als eigenständigen Ausdruck einer Spannbreite von Konzepten, Überzeugungen, Handlungsweisen und Zielen. Er könnte uns befreien von einem zu wörtlichen Verständnis toxischer Männlichkeit und uns zur aktiven Auseinandersetzung damit führen, wer wir als Menschen sein wollen und wie wir in einer freieren sozialen und privaten Welt leben können.

Paromita Vohra © Paromita Vohra
© Paromita Vohra
Paromita Vohra ist eine Filmemacherin und Autorin, deren Arbeiten Feminismus, Liebe und Begehren, urbanes Leben und Populärkultur thematisieren. Ihre Werke wurden im Fernsehen ausgestrahlt, international unterrichtet und ausgestellt, unter anderem in der National Gallery of Modern Art, der Tate Modern und dem Wellcome Trust. Sie ist Gründerin und Kreativdirektorin von Agents of Ishq, der populärsten indischen Webseite zu Sex, Liebe und Begehren. Die fröhlichen und verspielten Videos, die dort zu finden sind, befassen sich mit Einvernehmen, Masturbation, psychischer und sexueller Gesundheit, Kunst und Intimität. Sie haben dazu beigetragen, in Indien eine neue Sprache für Sexualität und Begehren zu finden, sexpositiv und intersektional, die sich Bezügen zu Popkultur und Kunst bedient, um gängigen Narrativen entgegenzuwirken, die Sexualität grundsätzlich in einen Kontext von Gewalt und Gefahr stellen.
 
Unter ihren Werken finden sich unter anderem die Dokumentationen Unlimited Girls, Q2P, Morality Tv Aur Loving Jehad: Ek Manohar Kahani, Partners In Crime, Where’s Sandra? und Cosmopolis: Two Tales Of A City. Sie ist die Autorin des Drehbuchs zum Film Khamosh Pani (Silent Waters), des Comics Priya’s Mirror, des Theaterstücks Ishqiya, Dharavi Ishtyle sowie zahlreicherer weiterer Dokumentationen, Essays und Kurzgeschichten. Sie verfasste vormals die Kolumne How to Find Indian Love für den Mumbai Mirror und derzeit wöchentlich PARONORMAL ACTIVITY für die Sunday Midday. Sie hat außerdem zwei Kunstinstallationen geschaffen, So Near Yet so Far (NGMA) über Telefone und Begehren, sowie A Love Latika (Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan New Delhi), „einen elektronischen Wald aus erotischer Poesie“.

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