Deutsch für Mediziner
Fehler in Patientengesprächen können ernste Folgen haben

Patientengespräch
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Wenn ausländische Ärztinnen und Ärzte eingeschränkte Deutschkenntnisse haben, kann das ernsthafte Konsequenzen haben.  Eine erste Studie zu authentischen Patientengesprächen zeigt die Probleme auf und gibt Hinweise für den Deutschunterricht.

Von Damaris Borowski

Patientengespräche als Studienobjekt

Das Interesse für eine Studie, die sich mit den sprachlichen Herausforderungen in  Patientengesprächen beschäftigte, entstand  in entsprechenden Deutschkursen für Mediziner. Dort wurde deutlich, dass Materialien und Konzepte für den berufsfachlichen Deutschunterricht erhebliche Defizite erkennen lassen, die wiederum auf eine mangelnde Forschungsbasis verweisen.
Ziel der Studie war es, durch eine Analyse von Gesprächen herauszustellen, welchen Einfluss eingeschränkte Deutschkompetenzen von Ärztinnen und Ärzten in der Praxis auf die Patientengespräche haben.
Für die Studie wurden daher im laufenden Klinikalltag 9 Aufklärungsgespräche gefilmt, die von ausländischen Anästhesistinnen und Anästhesisten geführt wurden. Als ausländisch werden diejenigen bezeichnet, die Deutsch als Zweitsprache sprechen und ihren berufsqualifizierenden Abschluss nicht in Deutschland erlangt haben. Die Teilnehmenden arbeiteten zum Zeitpunkt der Datenerhebung bereits 3 bis 5 Jahre an deutschen Krankenhäusern.
 

Ein aufschlussreiches Gesprächsbeispiel

 Es konnte gezeigt werden, dass sprachliche Einschränkungen zum Teil beträchtliche Störungen in den Gesprächen auslösen. Im folgenden Beispiel
gibt die Ärztin (A) ihrer Patientin (P) die Anweisung, nüchtern zu der ambulanten Operation zu erscheinen. Die Patientin stellt hier drei Nachfragen zu ihren Medikamenten:
 

 

A: schluck wasser trinken dürfen sie bis vier uhr morgens und das wars
P: ähm (Zeigt auf ihre Medikamentenliste.) gucken sie muss ich
A: (Spricht kurz gleichzeitig mit P.) die tabletten
 P: ein oder zwei medikamente davon nehmen oder kann ich alles weglassen
A: eigentlich ähm lassen sie bitte am obetag [Anm.: gemeint ist der Operationstag] alles weg
P: aber ähm mein asthmamittel das tu ich ja so sprühen (Deutet das Sprühen an.)
A: das spray? ähm kein broblem da können sie ganz normal einnehmen
P: und augentropfen sicher auch nehme ich an
A: es auch ja hauptsache der magen leer ist das ist ähm sehr wischtig

Transkribierte Patientengespräche, Borowki 2018
Die Patientin möchte von der Ärztin die Anweisung bekommen, welche ihrer regelmäßig einzunehmenden Medikamente sie am Operationstag anwenden darf. Dieses Anliegen zieht sich durch das gesamte Gespräch. Schon zu Beginn weist die Patientin die Ärztin auf ihre Medikamentenliste hin. Nachdem die Ärztin die anästhesierelevante Befragung beendet hat und zur Anleitung für das Verhalten am Operationstag übergegangen ist, macht die Patientin die Ärztin noch einmal auf die Medikamentenliste aufmerksam und fragt direkt nach. Die Ärztin antwortet, dass sie am Operationstag „alles weglassen“ soll. Nun stellt die Patientin zwei Nachfragen. Sie möchte wissen, ob sie ihre Augentropfen und ihr Asthmaspray tatsächlich „weglassen“ soll. Gegen Ende des Gesprächs stellt die Patientin eine weitere Nachfrage hierzu. Sie möchte wissen, ob sie ihre Thrombosespritze am Operationstag anwenden soll. Die Ärztin bejaht dies und fügt hinzu „auf jeden fall das ist sehr wischtig“.
 

Analyse von Patientengesprächen im Deutschunterricht

Im Deutschkurs kann ein Transkript-Ausschnitt wie dieser gemeinsam gelesen und reflektiert werden. Zu dem Beispiel oben könnten folgende Fragen diskutiert werden:
  1. Welches Missverständnis wird in der Antwort der Ärztin „lassen sie bitte am obetag alles weg“ deutlich?
  2. Was wäre passiert, wenn die Patientin nicht so beharrlich nachgefragt hätte?
  3. Was hätte die Ärztin besser machen können?
 
Folgende Diskussionsergebnisse zu den genannten Fragen wären anzustreben:
 
  1. Das Missverständnis besteht darin, dass die Ärztin ausschließlich Medikamente meint, die als Tabletten geschluckt werden. Die Patientin meint allerdings jede Form von Medikamenten (Spray, Augentropfen, Spritze). Ärztin und Patientin verfolgen unterschiedliche Anliegen: Die Patientin möchte eine Anweisung zu ihrer Medikation bekommen. Die Ärztin hingegen möchte die Anweisung geben, am Operationstag mit leerem Magen zu erscheinen.
  2. Möglicherweise hätte die Patientin am Morgen vor der Operation keines ihrer Medikamente angewendet. Dabei hätte das Entfallen der Thrombosespritze beträchtliche Folgen haben können. Es könnte zusätzlich die Hintergrundinformation gegeben werden, dass diese Patientin früher Krankenschwester war und wahrscheinlich nur aus diesem Grund so beharrlich nachgefragt hat.
  3. Die Ärztin hätte besser auf das Anliegen der Patientin eingehen können. Die Orientierung an eingeübten Gesprächsabläufen und auswendig gelernten Texten kann zu Beginn hilfreich sein und eine gewisse Sicherheit vermitteln. Es sollte aber dennoch darauf geachtet werden, den Anliegen von Patientinnen und Patienten genügend Raum zu geben. So können Verkomplizierungen der Gespräche, wiederholte Nachfragen und Missverständnisse deutlich reduziert werden. Neben den möglichen gesundheitlichen Folgen für die Patienten können Missverständnisse dieser Art in den Patientengesprächen auch zu einer Einschränkung der sogenannten informierten Einwilligung (s. Borowski und Andere 2019) führen.
 

Sprachdidaktische Empfehlungen

 
Die in der Studie transkribierten Patientengespräche bieten einerseits authentisches Material für den Deutschunterricht an. Darüber hinaus können daraus Empfehlungen für den Aufbau, die Gestaltung und Organisation von Sprachkursen für Mediziner abgeleitet werden:
  1. Ärztinnen und Ärzte sollten sowohl allgemeine Sprachkurse (B2 bis C2) besuchen als auch speziell medizinische.
  2. Es werden sowohl berufsvorbereitende als auch -begleitende Sprachkurse benötigt.
  3. Medizinische Sprachkurse sollten auf die tatsächlichen sprachlichen Herausforderungen in der Praxis ausgerichtet sein. Dies kann durch die folgenden Punkte erreicht werden:
a. Berufsbegleitende Sprachkurse sollten am Arbeitsplatz stattfinden und sich auf den speziellen Kontext konzentrieren.
b. Berufsbegleitenden Sprachkurse sollten ein zusätzliches Sprachcoaching am Arbeitsplatz anbieten (siehe weiterführende Literatur).
c. Medizinische Sprachkurse sollten mit authentischen Materialien arbeiten. Eine Möglichkeit ist der Einbezug von transkribierten Arzt-Patienten-Gesprächen.
 
Auf diese Weise kann eine enge Verzahnung von Sprachlernangeboten mit der konkreten beruflichen Praxis erreicht werden. Nur so können die tatsächlichen sprachlichen Herausforderungen in den verschiedenen beruflichen Kommunikationssituationen der Ärztinnen und Ärzte aufgegriffen und konkret an der sprachlichen Umsetzung gearbeitet werden.
 
 

Literatur:

Borowski, Damaris (2018): Sprachliche Herausforderungen ausländischer Anästhesisten(inn)en bei Aufklärungsgesprächen. Eine gesprächsanalytische Studie zu Deutsch als Zweitsprache im Beruf. Berlin: Frank & Timme.
 
Borowski, Damaris (2014): Dokumentation und kritischen Reflexion des berufsbegleitenden Kurses "Deutsch für Ärzte/innen im Krankenhaus". IQ-Landesnetzwerk NRW.

Borowski, Damaris; Koreik, Uwe; Ohm, Udo; Rahe-Meyer, Niels; Riedmer, Claudia (2019): Informed consent at stake? Language barriers in medical interactions with immigrant anaesthetists: A conversation analytical study. BMC Health Services Research.
 
Ferber-Brull, Rosa (2018): Sprachcoaching. Hilfe zur Selbsthilfe. Hamburg: IQ-Netzwerk.
 
Passage gGmbH (2015): Praxisguide Deutsch im Krankenhaus. Die sprachliche Integration internationaler Ärztinnen und Ärzte. Eine Handreichung für Klinikleitungen, Deutschlehrkräfte und Bildungsfachleute. Hamburg: IQ-Netzwerk.
 
Weissenberg, Jens (2012): Sprachbedarfsermittlung im berufsbezogenen Unterricht Deutsch als Zweitsprache. Ein Leitfaden für die Praxis. Hamburg: IQ-Netzwerk.
 

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