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Kulturphänomene
Über die Kartoffel

Kartoffeln
Quelle: pixabay.com; Foto: RitaE

Am 19. August feierten Kartoffelbegeisterte in ganz Deutschland den Tag der Kartoffel. Über die Unabdingbarkeit der nahrhaften Knolle in der deutschen und polnischen Küche, über die Kartoffelbefehle Friedrich des Großen und über die Kartoffelbegeisterung der Romantiker schreibt Karolina Kuszyk.

 

Unbestrittene Königin der mitteleuropäischen Küche

Die Kartoffel passt sich gut an verschiedene Klimate und Bodenbedingungen an, kann problemlos Nässe vertragen und ist vielseitig verwendbar: als sättigende Nahrung für Menschen und Nutztiere, für Stärke und Alkoholherstellung in der Industrie. Man stelle sich mal vor, was passieren würde, wenn von heute auf morgen die Kartoffel aus dem mitteleuropäischen Menü verschwinden würde. Schwierig wäre es nicht nur für diejenigen, die sich ohne die geliebte Kombination „Schnitzel mit Pommes” kein richtiges Sonntagessen vorstellen können. Ohne Kartoffel würden auch Vegetarier und Veganer nur schwer auskommen. Die Kartoffel lässt sich weder aus der deutschen noch aus der polnischen Küche wegdenken. Die Anzahl von Kartoffelspeisen, seien sie simpel oder raffiniert, ist schier unüberschaubar: Kartoffeln mit Quark, Kartoffelmuss, Kartoffelpuffer, Pommes Frites, gefüllte Ofenkartoffel, Bratkartoffel, Kartoffelsuppe, Kartoffelsalat, Kartoffelgratin, Kartoffelnocken, Kartoffelkuchen, Rösti…  Als unbestrittene Königin der deutschen und polnischen Tafel lässt die Kartoffel jede Diskussion darüber, auf welchen Tischen sie häufiger erscheint, völlig nutzlos erscheinen. Der durchschnittliche Pole isst zwar jährlich über hundert Kilogramm Kartoffel, und der durchschnittliche Deutsche „lediglich“ sechzig Kilo, dafür aber gibt es nur in Deutschland Restaurants, die sich voll und ganz auf Speisen aus und mit Kartoffeln spezialisieren – die sogenannten Kartoffelstuben. Und nur in Deutschland pflegt man das Gemüse auf ein königliches Grab zu legen, aus Dankbarkeit für das Engagement des Monarchen, die Knolle unter das Volk gebracht zu haben. Das Grab, das von dankbaren Besuchern mit Kartoffeln garniert wird, ist das des Preußenkönigs Friedrich des Zweiten. Touristen aus aller Welt bestaunen am Potsdamer Schloss Sanssouci die dort auf der bescheidenen königlichen Steinplatte liegenden Knollen und legen mitunter noch selbst eine dazu.

Friedrichs Kartoffelbefehle

Bevor Friedrich der Große seine berühmten Kartoffelbefehle erließ, wurde die Kartoffel seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als sie von spanischen Konquistadoren nach Europa gebracht wurde, lediglich in den Gärten der Hofbotaniker als „Lustgartenpflanze“ angebaut. Sie wurde vor allem wegen ihrer schönen Blüten hoch geschätzt und bewundert. Die allerersten Europäer, die mit dem Kartoffelanbau begannen, waren die Iren. In Preußen ließ die Entdeckung der Nahrhaftigkeit der Knolle noch eine ganze Weile auf sich warten. Als sich zwei Jahrhunderte später Friedrich der Zweite für sie als effizientes Nahrungsmittel begeisterte, verfasste er eine Reihe von Anordnungen, Verordnungen und Rundschreiben für die Beamten seiner preußischen Provinzen, die das Volk zum Kartoffelanbau animieren sollten. Diese Anordnungen gingen als Kartoffelbefehle in die Geschichte ein. Der erste Kartoffelbefehl wurde 1746 während der Hungersnot in Pommern erlassen. Friedrich legte die Kartoffelsache auch evangelischen Pastoren ans Herz. Diese sollten in ihren Predigten die vielen Vorteile des Gemüses preisen und das Volk zu dessen Anbau ermutigen. Geistliche, die die Kartoffel lobten, wurden Knollenprediger genannt. Doch das Volk blieb zunächst eher skeptisch, da viele glaubten, Kartoffeln roh verzehren zu können und von ihrem Geschmack angewidert waren. Es war daher noch einiges an Volksaufklärung bezüglich der Zubereitung nötig. Zudem griff der König (laut einer Anekdote) zu einer geschickten Manipulation und befahl, den Kartoffelanbau auf königlichen Ackern durch die Grenadiere beschützen zu lassen. Was bewacht wird, muss auch kostbar sein, würde sich der Bauer nach Friedrichs Kalkül denken und beginnen, königliche Kartoffel zu stehlen. Durch diese List gelang es dem Preußenkönig, die Massen vom Wert der Kartoffel zu überzeugen. Leider erlebte Friedrich der Große den Triumph der Kartoffel auf preußischen Feldern nicht mehr. Der Kartoffelanbau etablierte sich in Preußen erst zwanzig Jahre nach dem Tod des Königs. 

Kartoffel und die Kunst

„Da wo der König die Kartoffel pellt, da wo die Kehrwoche ausfällt, wo man sich besser nicht so anstellt“, singt in seiner Hymne auf die deutsche Hauptstadt Sommer in Berlin der Singer-Songwriter Tobias Panwitz. Obwohl es nicht erwiesen ist, dass der König eigenhändig Kartoffeln pellte, passt diese Vorstellung großartig zum Bild des aufgeklärten Herrschers, der den Kartoffelanbau zu einer staatlichen Angelegenheit machte und sogar selbst Hand anlegte.

Der Illustrator und Autor Christoph Niemann schrieb 2015 ein Kinderbuch mit dem Titel Der Kartoffelkönig und illustrierte es mit Kartoffelstempeln im Retrolook. Über die Kartoffel schrieb auch kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe, der in seinem Tagebuch vom August 1814 dem Gemüse das Gedicht Die Kartoffel widmete. Es war seinerseits eigentlich nicht zur Veröffentlichung gedacht, doch wir kennen es dank der Arbeit emsiger Philologen:

Morgens rund,
mittags gestampft,
abends in Scheiben,
 dabei soll´s bleiben.
Es ist gesund.

Goethe kümmerte sich anscheinend herzlich wenig darum, dass so eine gewaltige Menge an Kohlenhydraten – 3 Kartoffelmahlzeiten am Tag – für den menschlichen Körper eher problematisch sein könnte. Die Vorzüge der amerikanischen Knolle pries auch der polnische Romantiker Adam Mickiewicz in seinem Poem Kartofla. Das Poem, das nie zu Ende geschrieben wurde und dessen Teile erst 1949 veröffentlicht wurden, beschrieb die Ankunft der Kartoffel auf den europäischen Kontinent im Rahmen einer göttlichen Kosmografie. Bei Mickiewicz hieß das Gemüse vorerst bulb und ziemlanka. Namen, an die sich heute kaum noch jemand erinnert. In Polen sprechen wir heutzutage über ziemniak oder kartofel. Die einzige regionale Ausnahme ist pyra, wie die Kartoffel in der Posener Gegend genannt wird. In Deutschland essen wir Kartoffeln, in Süddeutschland und in Österreich Erdäpfel oder sogar Erdbirnen, und in der deutschsprachigen Schweiz Erdöpfel oder Härdöpfel.

Du Kartoffel!

In der beliebten deutschen Netflix-Serie Dogs of Berlin werden Deutsche von ihren Kollegen mit türkischer Herkunft mal beleidigend, mal humorvoll-liebevoll als Kartoffel bezeichnet. Die abwertende Verwertung des Wortes Kartoffel in Bezug auf Menschen ist allerdings keine Erscheinung des 21. Jahrhunderts: bereits in den 60er-Jahren wurden Deutsche von italienischen Gastarbeitern als „Kartoffelfresser“ bezeichnet, etwa als Vergeltung für „Spaghettifresser“. Interessanterweise wird in Polen die Kartoffel nie als Schimpfwort verwendet. Dazu eignet sich aus der polnischen Perspektive ein anderes Gemüse viel besser: nämlich burak, die rote Beete.
 

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Bild „Deutschland“ „MPD01605“ via flick.com. Lizenz: Creative Commons 2.0 Lesen Sie mehr über Politisches und Privates, über das Klima, Technologien und neue Phänomene – Kolumnen- und Reportagenreihen über die spannendsten Trends in der deutschen Gesellschaft.

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