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Geschichte
Auf den Spuren der Hanse

Kamper Kogge
Foto: Richard Tennekes - Kampen

Die Hanse, eine große Handelsmacht, die im nördlichen Europa vor ca. 650 Jahres ihren Höhepunkt erreichte, beweist noch heute ihre Relevanz. Die Backsteinarchitektur ist dabei nur eines der verbindenden Elemente, die einen hohen Widererkennungswert in den hanseatischen Regionen markiert. Mit der Neuen Hanse soll die Geschichte international am Leben erhalten werden. 

Von Magda Roszkowska

 

Ende Juni zog eine fröhliche Schar mittelalterlich kostümierter Gestalten durch die Straßen Toruńs. Die Teilnehmer trugen Schilder mit den Namen von Städten aus 15 europäischen Ländern. Die meisten von ihnen kamen aus Deutschland und Polen. Der Umzug fand im Rahmen des Internationalen Hansetags statt und wurde von der Neuen Hanse veranstaltet, einem Zusammenschluss von Städten, die im Mittelalter der Hanse angehört oder sich unmittelbar in ihrem Einflussbereich befunden hatten. Inzwischen gehören fast 200 Städte zur Neuen Hanse! Eine von ihnen richtet jedes Jahr den Internationalen Hansetag aus, der neben einem Hansemarkt, Konzerten und Ausstellungen auch eine Mitgliederversammlung umfasst.

DIE MENSCHEN DES OSTSEERAUMS

Auf dieser Versammlung diskutieren die Mitglieder über neue Formen der Zusammenarbeit, der Öffentlichkeitsarbeit und der nachhaltigen Entwicklung. Die Neue Hanse wurde 1980 gegründet, in diesem Jahr fand in Toruń bereits der 43. Internationale Hansetag statt. Der Städtebund hat eher symbolischen Charakter als einen wirklichen Einfluss auf die europäische Politik – im Gegensatz zu der historischen Hanse, die im Mittelalter fast 200 Jahre lang uneingeschränkt den Nord- und Ostseeraum beherrschte. Die Hanse war eine wirtschaftliche, politische und militärische Macht. Dabei war sie ursprünglich nur ein Zusammenschluss von deutschen Kaufleuten, die über den gesamten Nord- und Ostseeraum verteilt waren. Doch die historische Hanse funktionierte eher wie ein moderner, turbokapitalistischer Großkonzern. Und so wie diese diente auch sie vor allem dazu, den Reichtum der Reichen zu mehren.
Heiligen-Geist-Hospital in Lübeck © LTM

AUF DEN SPUREN DER BACKSTEINGOTIK

Doch eben der finanziellen Mittel und des Einflusses jener deutschen Kaufleute ist es zu verdanken, dass die Städte der Hanse einander bis heute so sehr ähneln. In der Blütezeit der Hanse war die europäische Architektur durch die hoch aufragenden Bauten der Gotik geprägt. Da Steine jedoch in vielen Hansestädten Mangelware waren, griffen die Bauherren auf tonhaltigen Lehm zurück, der kunstvoll zu Ziegeln gebrannt wurde. Aus diesem Baumaterial entstanden gotische Kathedralen mit ihren charakteristischen Kreuzrippengewölben, prächtige Rathäuser, deren Türme denen der Kathedralen in nichts nachstanden, und Reihen von Bürgerhäusern, deren unverputzte Fassaden treppengleich dem Himmel entgegenstrebten. In vielen Fällen zogen sich die Bauarbeiten über mehrere Generationen hin. Der Bau der Marienkirche in Danzig - der größten Backsteinkirche des europäischen Mittelalters – dauerte 159 Jahre und erforderte fast eine Million Backsteine. Auch in anderen Städten wie Breslau und Krakau, die eigentlich Zugang zu Steinbrüchen hatten, wurde Backstein als Baumaterial verwendet, denn mit dem hanseatischen Handelsaustausch ging auch ein kultureller Transfer einher, und Backsteingebäude galten als architektonische Prestigeobjekte. Bis heute ist die rote Backsteinoptik ein Markenzeichen der ehemaligen Hansestädte und ihre größte touristische Attraktion. 2007 wurde der Verein Europäische Route der Backsteingotik gegründet, in dem sich zahlreiche dänische, polnische und deutsche Städte und Gemeinden zusammengeschlossen haben.


VOM CHAOS ZUM NETZWERK

Noch Mitte des 11. Jahrhunderts lebten in den nordöstlichen Grenzgebieten der Ostseeregion und auf deren Inseln angeblich Amazonen, die hundsköpfige Kinder gebaren, Menschenfresser und sogar Greise, die ihr Land mit einem Heer von Hunden verteidigten – jedenfalls, wenn es nach dem Chronisten Adam von Bremen geht, der diese Seemannslegenden in seiner Hamburgischen Kirchengeschichte niederschrieb. Das Grauen dieser Überlieferungen ist jedoch weniger ein Ausdruck der tatsächlichen Verhältnisse, sondern vielmehr eines bestimmten Bewusstseinszustandes und der besonderen Emotionen, die in jener Zeit mit Seereisen einhergingen: Auf die Seefahrer lauerten Horden von Wikingern und Piraten aller Couleur, die sämtliche Schiffe überfielen, die ihren Weg kreuzten. Trotz dieser Gefahren wuchs die Nachfrage nach importierten Waren wie Tuch aus England, Erz aus Schweden und Fellen aus Russland.
Zwei Jahrhunderte später schlossen die Stadtoberen von Lübeck die ersten Schutzbündnisse mit so einflussreichen Handelsstädten wie Soest, Visby, Rostock, Wismar, Bremen und Hamburg, um die Sicherheit ihrer Warenlieferungen zu gewährleisten. In den folgenden Jahren stießen auch die neuen Großstädte des nördlichen Ostseeraums bis hinauf nach Reval, dem heutigen Tallinn, zu dem Bündnis hinzu. Den Lübecker Kaufleuten wurde schnell bewusst, dass neben der Sicherheit ihrer Warenlieferungen auch die Bildung einer gemeinsamen Handelsfront im Interesse aller Beteiligten lag. Also forderten sie für alle Mitglieder der Hanse dieselben Handelsprivilegien ein. Auf diese Weise errichtete die Hanse nach und nach ein Handelsmonopol über den gesamten Nord- und Ostseeraum.
In ihrer Blütezeit besaß die Hanse eine eigene Verwaltung, ein diplomatisches Korps und sogar eine Kriegsflotte, denn die Handelsschiffe waren auch mit Kanonen ausgestattet. Ihr Herrschaftsgebiet erstreckte sich vom flämischen Brügge im Westen bis zum russischen Nowgorod im Osten. Auch in Städten wie London und Bergen, die nicht zur Hanse gehörten, unterhielten die Hanse-Kaufleute eigene Kontore, mit deren Hilfe sie schon bald den lokalen Warenaustausch dominierten. Im Norden erstreckte sich der Einflussbereich der Hanse bis nach Bergen und im Süden bis nach Krakau. Sobald ein Herrscher versuchte, das Monopol der Hanse zu brechen, boykottierten die Kaufleute einfach seine Häfen und lösten so Hungersnöte unter der Bevölkerung aus – und wenn auch das nicht half, erklärten sie ihm kurzerhand den Krieg. Auch gegen größere und stärkere Flotten, wie die dänische oder die englische, wussten sich die hanseatischen Kaufleute zu helfen und bedienten sich einfach der Hilfe von Piraten!

Danzig © Visit Gdansk

ALLMÄCHTIGE MITTELSMÄNNER

Johann Klingenberg, einer der reichsten Lübecker Kaufleute, hinterließ detaillierte Aufzeichnungen über eine seiner Handelsreisen und die Transaktionen, die in den einzelnen Häfen getätigt wurden. In Nowgorod kaufte sein Kapitän fünf Bündel Biber-, Wiesel- und Marderfelle, die er erst mehrere Wochen später im fernen Brügge wieder verkaufte. Auf dem Weg hielt er in Reval, wo er Flachs, Honig und Wachs erwarb. In Riga kaufte er weitere Felle und Mastenholz und segelte anschließend weiter nach Gotland. In Visby verkaufte er einen Teil des Honigs, kaufte Pferde und reservierte bei einem Stockholmer Kaufmann eine Ladung Eisenerz. Anschließend segelte er weiter nach Lübeck, wo er einen Teil des Flachses und die das Mastenholz verkaufte und stattdessen Weizen einlud. Mit dieser Ladung segelte er weiter nach Westen, wo er den Rest seiner Waren verkaufte. Auf dem Rückweg transportierte er eine Ladung Salz, die er zum Teil bereits auf der Reise verbrauchte, um eine Ladung Heringe einzusalzen, die er in Schonen gekauft hatte. Aus Klingenbergs Aufzeichnungen geht hervor, dass er nur in geringem Maße mit in Lübeck produzierten Waren, wie Weizen, Bier, Hopfen und Heringen, handelte - die letzteren kaufte er zum Beispiel lieber im fernen Schonen ein! Dies ist jedoch kaum verwunderlich, denn für die Mitglieder der Hanse zählte vor allem der erzielte Gewinn und nicht die Unterstützung der heimischen Wirtschaft. Klingenberg war, ebenso wie die anderen hanseatischen Kaufleute, in erster Linie ein Mittelsmann: Er versorgte die Länder des Nord- und Ostseeraums mit den von ihnen benötigten Waren – wo er etwas kaufte und anschließend verkaufte, hing ausschließlich von dem zu erwartenden Gewinn ab. Norwegen benötigte Weizen und bot Fisch. Die Schweden wünschten sich Tuch und Werkzeuge zur Erzgewinnung. Die Polen produzierten Weizen, Holz, Wachs und Honig, und die Danziger Teer, Pottasche und Holzkohle. Die Macht der Hanse beruhte darauf, dass sie sich auf die Rolle eines Mittelsmannes zwischen den einzelnen Gliedern der Handelskette beschränkte. Die heimischen Produzenten und die Abnehmer ihrer Waren hätten gerne auf diese Form des Zwischenhandels verzichtet, um Kosten zu sparen. Doch die hanseatischen Kaufleute kamen ihnen immer wieder zuvor, indem sie Adligen, Handwerkern und kleineren Händlern Kredite gewährten, die diese unmöglich abzahlen konnten. Auf diese Weise machten sie diese dauerhaft von sich abhängig. Auch den europäischen Königen boten sie lukrative Kredite an und forderten im Gegenzug den Schutz ihres Handelsmonopols. Das so geschaffene Netz von Abhängigkeiten sorgte dafür, dass die Hanse sich nicht nur im ständigen Krieg mit Dänemark, England, den Niederlanden und Norwegen befand, sondern auch immer wieder Aufstände unzufriedener Bürger in den von ihnen kontrollierten Städten niederschlagen musste.


DIE EMANZIPATION DER SCHWÄCHEREN

Schließlich zerfiel die Hanse jedoch von innen. Ihr stärkstes Glied war seit jeher die Stadt Lübeck gewesen, in der der Handelsbund einst gegründet worden war. Die Lübecker Kaufleute hatten das Modell des hansischen Zwischenhandels ins Leben gerufen, das die Macht der Hanse jahrzehntelang gesichert hatte. Doch im 15. und 16. Jahrhundert wollten Städte wie Danzig, Hamburg und Riga nicht mehr nur Stationen auf dem Weg zu anderen Häfen sein. Die an Macht gewinnenden Königreiche Niederlande und England entsandten eigene Schiffe in diese Häfen, um konkrete Produkte zu importieren. Aus diesem Grund war es für die Danziger Kaufleute lukrativer, nicht mehr nur eine Handelsstation zu sein, sondern selbst als ein Tor zu den polnischen Kornspeichern zu fungieren. Also wurden sie zu Zwischenhändlern zwischen den polnischen Gutshöfen und den größten Feinden der Hanse: den Holländern und den Engländern.
Den Todesstoß versetzte der Hanse schließlich das Schwedische Königreich, das sich im Dänisch-Hanseatischen Krieg auf die Seite der Dänen stellte. Die Kaufleute der Hanse verloren nach und nach ihre Handelsprivilegien in Schweden, Dänemark und Flandern. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts ließ schließlich auch die englische Königin Elisabeth I. das Londoner Kontor der Hanse schließen. Von nun an durften nur noch die Danziger Kaufleute Kontore im englischen Königreich unterhalten.
Der 44. Internationale Hansetag wird 2024 in Danzig stattfinden.

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