Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Mehrere hundert Jahre alte, ehemals deutsche Schutzhütten in den Sudeten

Postkarte aus dem Riesengebirge (Karkonosze): Schutzhütte "Pod Łabskim Szczytem"
Postkarte aus dem Riesengebirge (Karkonosze): Schutzhütte "Pod Łabskim Szczytem" | © Public Domain / Nationalmuseum Breslau (Muzeum Narodowe we Wrocławiu)

Niederschlesien ist eine Region voller außergewöhnlicher Denkmäler der Bergkultur, die heute eine Verbindung zwischen Deutschen und Polen darstellen. Dr. Karolina Rybicka, Archivarin am Nationalmuseum Breslau und Betreiberin des Instagram-Accounts @archiwalnydolnyslask, berichtet über dieses Thema.

Von Urszula Schwarzenberg-Czerny

In Niederschlesien befinden sich die ältesten Berghütten Polens. Wie gestaltet sich ihre Geschichte?

Dr. Karolina Rybicka: In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde auf Initiative der Familie von Schaffgotsch auf der Schneekoppe die St.-Laurentius-Kapelle errichtet. Ab diesem Zeitpunkt kann von einer Intensivierung des Tourismus in den Sudeten gesprochen werden. Die frühesten Erwähnungen von touristischen Einrichtungen, die bis heute in Polen existieren, betreffen die Alte Schlesische Baude (heute: Schronisko Pod Łabskim Szczytem) und die Hampelbaude (heute: Schronisko Strzecha Akademicka).  Die Anfänge der ersten reichen bis in die 30er Jahre des 17. Jahrhunderts zurück, die zweite wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erbaut. Erwähnenswert ist, dass seit dem Jahre 1696 in der Hampelbaude Gästebücher zur Verfügung standen, in die Wanderer ihre Eintragungen vornehmen konnten. Aus diesen Büchern geht hervor, dass zu den Gästen unter anderem Johann Wolfgang von Goethe, John Quincy Adams und König Friedrich Wilhelm III. mit seiner Gemahlin Luise zählten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts tauchten die ersten zertifizierten Bergführer auf. Es wurden die ersten Nachschlagewerke rund um das Thema Bergwandern publiziert und es entstanden immer mehr Einrichtungen für Wanderer. Ein wahrhafter Tourismusboom setzte jedoch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein. Die neu gegründeten Bergvereine trugen zur Popularität von Wanderungen in den Sudeten bei. Zu den wichtigsten gehörten der Riesengebirgsverein, der Glatzer Gebirgsverein, der Eulengebirgsverein und der Waldenburger Gebirgsverein, aber auch deren Niederlassungen in kleineren Orten Niederschlesiens. Die mit ihnen verbundenen Personen initiierten die Errichtung neuer Herbergen und neuer Wanderwege.

Sie haben ein Buch über die Geschichte der Berghütten in den Sudeten geschrieben und werben in den sozialen Medien dafür, unter anderem auf ihrem Instagram-Account @archiwalnydolnyslask. Was ist für Sie daran am interessantesten?

Ich wandere gerne in den niederschlesischen Bergen und hielt es für sinnvoll, die Vorkriegsgeschichte und Ikonografie der Berghütten im Riesengebirge zu erfassen. Es gibt sie hier in großer Zahl, sie sind sehr bekannt und haben die interessantesten architektonischen Formen. Über viele Generationen hinweg blieben sie im Besitz derselben Familien, doch die ursprünglichen Holzbauten waren ständigen Veränderungen unterworfen. Sie wurden häufig erneuert – schon allein, weil sie leicht in Brand geraten sind. Dabei wurde auch immer wieder ihre Form verändert. Natürlich gibt es mittlerweile wissenschaftliche Arbeiten zu diesen Objekten in Polen, aber mir war es wichtig, den Tourist*innen und den heutigen Bewohner*innen der Region ihre Geschichte näherzubringen. Ich habe nach interessanten Informationen aus der Vergangenheit recherchiert, denn das Leben in dieser Region war schon immer vom Rhythmus der Berge geprägt. Ein Beispiel dafür ist die Ortschaft Budniki (Forstlangwasser), die vor knapp 100 Jahren an den Nordhängen des Kowarski Grzbiet (Schmiedeberger Kamm) lag. An 113 Tagen im Jahr lag der Ort im Schatten der umliegenden Berge. Dies hatte Einfluss auf den Lebensrhythmus der Einwohner:innen, die am 26. November feierlich Abschied von der Sonne nahmen und sie am 19. März wieder begrüßten. Der Ort verschwand in den 1950er Jahren von den Landkarten, kurz nachdem in dieser Region mit der Suche nach Uranlagerstätten begonnen wurde. In Niederschlesien werden derzeit zahlreiche Vorträge und Exkursionen veranstaltet, bei denen diese und andere Geschichten aus der deutschen Vergangenheit der Region erzählt werden. Und das interessiert die Polen. Auch für mich ist das äußerst interessant. Ich bin überzeugt, dass diese beiden Welten nebeneinander existieren können: das, was vor dem Krieg jahrhundertelang in dieser Region lebendig war, und das, was heute hier geschieht.

Welche Geschichte zu den Schutzhütten und der damaligen Bergkultur finden Sie besonders interessant?

Ich finde eine besonders interessant, aber zugleich auch traurig. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und kurz danach wurden viele Objekte zerstört. Unmittelbar nach dem Krieg wurden die meisten Berghütten dem Verfall überlassen, darunter viele, die heute nicht mehr existieren, wie die Objekte in den Eulenbergen und im Bober-Katzbach-Gebirge. Auf dem Wilcza Góra (Wolfsberg) im Bober-Katzbach-Gebirge gab es vor 1945 zwei Schutzhütten aus Holz: die Wolfsbaude und die Wilhelmsbaude. Die Wilhelmsbaude wurde aufgrund der Aufnahme des Basaltabbaus in diesem Gebiet geschlossen. Die Wolfsbaude hingegen wurde vom deutschen Verband für Segelflugzeuge „Sturmfalke” übernommen. Der Verband verfügte auf dem Wolfsberg über eine eigene Startbahn, eine Segelflugzeughalle und die notwendige Infrastruktur, die alle während der Kämpfe im Februar 1945 in der Umgebung von Złotoryja (Goldberg) zerstört wurden. Heute gibt es keine Spuren dieser Anlagen mehr, sodass sich die Menschen heute nicht einmal vorstellen können, wie schön man dort früher seine Freizeit verbringen konnte. Die Schutzhütten, die in Polen noch heute genutzt werden, haben ihre Namen in gewisser Weise behalten. So wurde aus der Andreasbaude die Andrzejówka und aus der Schweizerei die Szwajcarka.

Einige Jahre nach dem Krieg wurden die Objekte, die mehr Glück hatten, von der Polnischen Touristik- und Landeskundegesellschaft (PTTK, Polskie Towarzystwo Turystyczno-Krajoznawcze) übernommen. Sie wurden dann renoviert und wieder in Betrieb genommen, so etwa die Szwajcarka, die Andrzejówka oder die wunderschön gelegene Samotnia (ehemals Kleine Teichbaude) am Karsee Mały Staw (Kleiner Teich) im Riesengebirge. Ich denke, man kann sie als Brücken zwischen dem deutschen Niederschlesien und dem polnischen Dolny Śląsk betrachten. Sie stehen für die polnische Fortführung deutscher touristischer Traditionen.


Die erhaltenen Berghütten begeistern durch ihre historische Architektur. Die Szwajcarka knüpft beispielsweise an die traditionelle Alpenbauweise an. Bevor sie eine Berghütte wurde...

…war sie ein Jagdhaus für die Besitzer des nahegelegenen Karpnik (Fischbach). Das Gebäude wurde 1823 erbaut und sieht heute fast genauso aus wie auf alten Holzschnitten und den ersten Fotografien. In den Sudeten gab es allerdings nicht viele Hütten im alpinen Stil. Die Bauten lassen sich in sechs verschiedene architektonische Gruppen einteilen, die Ing. Arch. Jacek Suchodolski von der Technischen Universität Wrocław herausgearbeitet hat. Am weitesten verbreitet war die einheimische Architektur, also Blockhütten und Objekte mit Skelettkonstruktion. Der Professor unterschied unter anderem Berghotels mit dominanter Form, die in der Zwischenkriegszeit entstanden, sowie PTTK-Hütten, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden. Letztere knüpften stilistisch natürlich nicht mehr an die deutschen Traditionen an.

Welche architektonischen Elemente in diesen ältesten, ehemaligen deutschen Hütten finden Sie am interessantesten?

Ich liebe Aussichtsveranden. Wenn ich an sie denke, nehme ich nicht einmal den weiteren Teil des Gebäudes wahr, sondern sehe vor meinem inneren Auge nur die Veranda und mich selbst, wie ich mit einer Tasse Kaffee dort sitze und nach einer anstrengenden Wanderung die schöne Aussicht genieße. Die Veranden sind meist verglast, haben schöne Holzverkleidungen und sind mit massiven, antiken Möbeln ausgestattet. Historische Veranden dieser Art gibt es in den Herbergen Na Stogu Izerskim (Heufuderbaude), Strzecha Akademicka (Hampelbaude) und Schronisko na Śnieżniku (Schweizerei am Schneeberg).

Auch Aussichtstürme sind ein interessantes Element der deutschen Bergkultur. Sie sind in Niederschlesien erhalten geblieben und werden von Touristen auch heute noch gerne genutzt.

Sie entstanden im 18. Jahrhundert, was im gesellschaftlichen Kontext sehr interessant ist, zunächst völlig unabhängig von den Berghütten. Sie wurden im Auftrag des Adels in englischen Schlossparks errichtet. Der erste Aussichtsturm entstand vermutlich im Jahr 1790 in Ciszyca bei Kowary (Schmiedeberg), der zweite im Jahr 1801 auf dem Grodziszcze (Ruinenberg) bei Bożków (Eckersdorf). Weitere Türme wurden in der Umgebung von Kurorten errichtet, etwa der Anna-Turm in Szczawno-Zdrój (Bad Salzbrunn). Sie bereicherten das Stadtbild und ermutigten die Kurgäste, die Umgebung der Kurorte zu erkunden. Erst durch die Tourismusvereine Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Türme für Touristen aus verschiedenen sozialen Schichten zugänglich. Zu dieser Zeit begann man, sie parallel zu den Berghütten zu errichten. Obwohl diese Projekte weiterhin von den Vermögenden finanziell unterstützt wurden, waren die Türme selbst kostenlos und für alle zugänglich. Ich denke, dass sie sogar zu einer Touristenattraktion wurden und paradoxerweise gerade deswegen nicht an den höchsten Stellen in Niederschlesiens gebaut wurden. Sie entstanden eher an leicht zugänglichen Orten mit schönem Ausblick, da sie damals, also im 19. Jahrhundert, für Menschen gebaut wurden, die nicht unbedingt an mühsamen Wanderungen interessiert waren, sondern auch nach einem kurzen Spaziergang einen schönen Ausblick auf die Berge genießen konnten. Einige dieser Türme waren aus Holz gebaut und haben daher nicht bis heute überdauert. Die teureren, gemauerten Bauwerke hingegen kann man noch heute bewundern. Besonders sehenswert ist beispielsweise der Aussichtsturm auf der Wielka Sowa (Hohen Eule). Leider wurden auch diese Türme nach dem Krieg stark vernachlässigt. Ein Beispiel ist der Kaiser-Wilhelm-Turm, dessen Ruine auf dem Śnieżnik (Glatzer Schneeberg) für unbenutzbar erklärt wurde und in den 1970er Jahren sogar gesprengt wurde. Ich denke jedoch, dass die Türme heute wieder eine Verbindung zwischen der deutschen und der polnischen Bergtradition herstellen. In den letzten Jahren wurden nämlich in Niederschlesien neue Türme errichtet. Ein Beispiel hierfür ist der Holzturm in Gozdno (Herrmannswaldau), der an die Vorkriegstürme erinnert. Andere Bauwerke dieser Art sind modern, viel höher und wurden nach einem ganz anderen Konzept auf höheren Erhebungen errichtet. Ich kann hier etwa den Aussichtsturm auf dem Młynica (Mellendorf), auf dem Borówkowa Góra (Heidelkoppe) und auf dem Trójgarb (Sattelwald) sowie den höchsten Turm in Niederschlesien, den Sky Walk in Świeradów Zdrój (Bad Flinsberg), erwähnen. Mit Ausnahme des letzten sind alle für Touristen weiterhin kostenlos zugänglich.

Dr. Karolina Rybicka (geb. 1992) ist Historikerin und Archivarin und arbeitet im Nationalmuseum in Wrocław. Sie ist Autorin mehrerer Bücher, darunter „Dolny Śląsk. Zarys historii schronisk górskich w Karkonoszach do 1945 roku (Niederschlesien. Ein Überblick über die Geschichte der Berghütten im Riesengebirge bis 1945). In ihrer Freizeit berichtet sie auf ihrem Instagram-Account @archiwalnydolnyslask über die deutsche Vergangenheit der Region und besucht Orte in Niederschlesien, die von der Welt vergessen wurden.
 

Top