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Kurt Remele
Gequälte Hermeline, gestreichelte Katzen und andere tierethische Widersprüche

Lamm in Buntglas
© Andrew Martin, Pixabay

Wie sieht das christliche Tierbild genau aus? Sind Tiere nach christlicher Lehre seelenlose Gebrauchsgegenstände oder Geschöpfe Gottes mit intrinsischem Wert und Recht auf Leben? Die offiziellen Stellungnahmen der christlichen Kirchen sind diesbezüglich uneinheitlich und widersprüchlich, die Interpretationsmöglichkeiten entsprechend groß.

Kurt Remele knüpft in seinem Buch „Die Würde des Tieres ist unantastbar“ an die tierfreundliche christliche Tradition an und übersetzt sie in die heutige Zeit und schafft damit den Entwurf einer zeitgemäßen christlichen Tierethik.
Der Ausschnitt wird dank freundlicher Unterstützung der Verlagsgemeinschaft topos plus abgedruckt.

Papst Benedikt XVI.: Lieber im Pelz als nackten Hauptes


Zu Beginn der Adventzeit 2005 trat Papst Benedikt XVI. mit einem Kleidungsstück auf, das seine beiden Vorgänger nicht mehr getragen hatten: die päpstliche Mozzetta, ein Schulterumhang mit kleiner Kapuze und Hermelinrand. Wenige Tage vor dem Weihnachtsfest trug Benedikt bei der Generalaudienz dann eine für obsolet gehaltene päpstliche Kopfbedeckung, die ihm das Aussehen eines Weihnachtsmanns verlieh und dadurch einen beeindruckenden Anstieg seiner Medienpräsenz bescherte: den Camauro, eine aus rotem Samt gefertigte Wintermütze, die mit einem weißem Hermelinpelz verbrämt ist [1]. Der Papst hat dabei offenbar ausgeblendet, dass Hermeline und andere Pelztiere tierquälerisch in engen Käfigen gehalten werden und dass es in einigen Ländern, darunter Kanada und Russland, immer noch legal ist, für den Fang dieser Tiere monströse Fallen aus Metall, so genannten Tellereisen, zu verwenden.

In einem Interview, das der deutsche Journalist Peter Seewald einige Jahre danach mit ihm führte, hat Papst Benedikt das Aufsetzen des Camauro heruntergespielt: „Ich habe ihn nur einmal getragen. Mich hat einfach gefroren, und ich bin am Kopf empfindlich. Und ich habe gesagt, wenn wir schon den Camauro haben, dann setzen wir ihn auch auf." [2] Das glaube ich dem Papst aufs Wort, und dennoch bleibt ein gewisses Unbehagen. „Ein Papst spricht [nämlich]", wie Seewald den Sachverhalt richtig kommentierte, „immer auch in Gesten und Gebärden, Zeichen und Symbolen." [3] Es scheint, dass der Papst die Symbolkraft des Pelztragens in der heutigen Zeit gewaltig unterschätzt hat: „Rund 100 Millionen Pelztiere werden aktuell weltweit jährlich der Mode geopfert. Ihr kurzes Leben in Farmhaltungen ist eine Qual, voller Leiden und Schmerz. Sie haben keinen Platz um elementarste, arttypische Verhaltensweisen auszuleben." [4] Zwar sind Pelztierfarmen in einigen europäischen Ländern, darunter Österreich und Großbritannien, Bulgarien und Slowenien verboten, und zahlreiche Kaufhäuser bieten nur noch alternative Webpelze an. Doch es gibt auch einen neuen Trend zu edlen Pelzen als Statussymbol: „Es scheint, als könne man den Pelz nicht so leicht aus der Modewelt verbannen. Zu dick ist sein Fell. Pelz ist ein Lebensstil." [5]


Buchcover "Die Würde des Tieres ist unantastbar" © Verlag Butzon & Bercker In seinem 1989 erschienen Buch Caro uomo (Liebe Menschen) versetzt sich der italienischen Franziskanermönchs Nazareno Fabbretti in die Lage verschiedener Tiere und lässt sie zu uns Menschen sprechen. Neben einem Löwen und einem Affen, einem Hund und einer Katze, einer Hyäne und einer Biene meldet sich in Fabbrettis Buch auch ein Hermelin zu Wort. Das Tier beschwert sich darüber, dass Gewalt, Ehrgeiz und Selbstsucht der Menschen dazu geführt hätten, Hermeline brutal zu fangen, zu züchten und zu töten. „Unsere Schönheit ist unser Todesurteil", hält das Hermelin den Menschen vor. „Ihr beraubt uns unserer Schönheit, um einen Markt für Luxusartikel zu schaffen, ... [für] Pelzmäntel, die Monarchen, Prinzen, Päpsten gehören und den Frauen einiger der reichsten Männer dieser Erde. " [6]
Die Tiervergessenheit des Christentums konkretisiert sich hier in der Hermelinvergessenheit Papst Benedikt XVI. Beides entspricht der christlichen Tradition. Im 1957 erschienen Dizionario di Teologia morale wird festgehalten: „Die Tierliebhaber verlieren allzu sehr den Sinn aus den Augen, wozu Tiere, die einsichtslose Kreaturen sind, von Gott geschaffen wurden, nämlich zum Dienst und Gebrauch des Menschen" [7]. Im Lexikon der christlichen Moral aus dem Jahre 1976 ist zu lesen: „Der Daseinssinn des Tieres ist also der Dienst am Menschen." [8] In seinen 2002 veröffentlichten Überlegungen zum fünften Gebot bemängelt der Moraltheologe Joseph Spindelböck an Albert Schweitzers Lebensethik, dass ihr die Klarheit der Unterscheidung zwischen dem Leben des Menschen und dem der Tiere und Pflanzen fehle. Spindelböck, der seinerseits keinen Unterschied zwischen Pflanzen, die nach heutigem wissenschaftlichen Stand nicht schmerzfähig sind, und Leid und Schmerz empfindenden Tieren macht, rückt den theologischen Sachverhalt zurecht: „Die höchste Achtung gebührt nicht einfach dem Leben an sich, sondern dem Leben des Menschen." [9] Dies zeige sich u. a. darin, dass sowohl Tiere als auch Pflanzen dem Menschen als Nahrung zu dienen haben. Allein der Mensch sei nach dem Abbild Gottes geschaffen, besitze eine geistige, unsterbliche Seele und sei mit einer unvergleichlichen Würde ausgestattet. Ähnlich argumentiert der evangelische Theologe Martin Honecker in seinem 1995 erschienenen Werk Grundriß der Sozialethik: Da Tiere keine potentiellen Menschen seien und zwischen Mensch und Tier eine „ontologische Differenz" bestehe, sei „in der Ethik . .. eine gewisse Anthropozentrik unausweichlich" [10], stellt Honecker fest. Daraus folgert er, dass die Durchführung von – allerdings auf das unumgängliche Maß einzuschränkenden – Tierversuchen sittlich erlaubt sei.
Ich komme zurück auf Papst Benedikt XVI. Zu seiner teilweisen tierethischen Ehrenrettung kann man auf seine Liebe zu Katzen verweisen, in denen er nicht wie manche seiner Vorgänger Hexentiere erblickte, sondern der Hilfe und Zuneigung bedürftige Mitgeschöpfe. [11] Es wurde wiederholt berichtet, dass Joseph Ratzinger sich als Kardinal um herumstreunende und verletzte Katzen kümmerte und ihnen regelmäßig Futter gab. Es wurde zudem kolportiert, dass Ratzinger sich seine Zuneigung zu Katzen auch nach seiner Wahl zum Papst nicht nehmen ließ: Fünf Katzen sollen mit Benedikt XVI. in den Papstgemächern gelebt haben.

Papst Franziskus: PETAs Person des Jahres 2015


Vom Vorgänger Benedikts zu seinem Nachfolger: Papst Franziskus hat Papst Benedikt in der Wertschätzung der Tierrechtsorganisation PETA sogar noch übertroffen. Er wurde von PETA zur Person of the Year 2015 gewählt. Das Urteil wurde damit begründet, dass dieser Papst schon mit der Wahl seines Namens an den heiligen Franz von Assisi, den Schutzpatron der Tiere, erinnert habe und dass er in seiner im Jahr 2015 veröffentlichten Enzyklika Laudato Si deutlich zum Ausdruck brachte, wie wichtig Umwelt- und Tierschutz seien. Elisa Allen, Atheistin und stellvertretende Direktorin von PETA im Vereinigten Königreich, erklärte: „Seine Heiligkeit wurde von PETA zur Person des Jahres gewählt, weil er sich für einen mitfühlenden Umgang mit allen Lebewesen einsetzt - unabhängig von Religion oder Spezies." [12]
In der Tat: Noch kein Papst hat so deutlich sowohl den Eigenwert jedes einzelnen Geschöpfes als auch die Verbundenheit aller Geschöpfe miteinander betont wie dieser: ,Jedes Geschöpf - besonders die Lebewesen - hat einen Eigenwert, einen Wert des Daseins, des Lebens." [13] Noch kein Papst hat Menschen- und Tierliebe so eng aufeinander bezogen: „Das Herz ist nur eines, und die gleiche Erbärmlichkeit, die dazu führt, ein Tier zu misshandeln, zeigt sich unverzüglich auch in der Beziehung zu anderen Menschen. Jegliche Grausamkeit gegenüber irgendeinem Geschöpf ,widerspricht der Würde des Menschen'." (Laudato Si Nr. 92) Dem „despotischen Anthropozentrismus" (Nr. 68), der die Kirchengeschichte jahrhundertelang dominierte, setzt Franziskus die Überzeugung entgegen, ·dass Gottes lebenspendender Geist in allen Geschöpfen wohne (Nr. 88), dass der letzte Zweck der anderen Geschöpfe nicht die Menschen seien, sondern Gott „in einer transzendenten Fülle, wo der auferstandene Christus alles umgreift und erleuchtet" (Nr. 83) und dass die nichtmenschlichen Geschöpfe durch „einen Vorrang des Seins vor dem Nützlichsein" (Nr. 69) charakterisiert seien. Der Papst stellt klar: „Heute sagt die Kirche nicht einfach, dass die anderen Geschöpfe dem Wohl des Menschen völlig untergeordnet sind, als besäßen sie in sich selbst keinen Wert und wir könnten willkürlich über sie verfügen." (Nr. 69) Laudato Si hat übrigens nicht nur PETA beeindruckt, sondern auch Peter Singer. [14]
(…)
Papst Franziskus hat klargestellt, dass alle Lebewesen, also auch die Tiere, vor Gott einen Eigenwert besitzen. Das schließt für den Papst nicht aus, dass wir sie „in verantwortlicher Weise gebrauchen dürfen." (Nr. 69, meine Hervorhebung). Wie aber schaut ein verantwortlicher Gebrauch der Tiere im Einzelnen aus? Konkret sagt der Papst dazu nichts. (…) Anzunehmen ist, dass der Gebrauch artgerecht zu sein hat, sich also an den natürlichen Bedürfnissen und Verhaltensweisen der Tiere orientiert. Wie aber kann man Tiere artgerecht gebrauchen? Oder ist, wie viele Tierrechtler meinen, nur die Freiheit wirklich artgerecht?



S. 113-126 gekürzt aus:
Kurt Remele, Die Würde des Tieres ist unantastbar. Eine zeitgemäße christliche Tierethik, topos-Taschenbuch 0060, Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer © 2019 Butzon & Bercker GmbH, Kevelaer, www.bube.de

Kurt Remele - geb. 1956, Dr. theol. Prof. für Ethik und christliche Gesellschaftslehre an der katholischen Fakultät der Universität Graz, mehrere Gastprofessuren in den USA und in England, Fellow des Oxford Centre for Animal Ethics.
 

[1] Vgl. Remele, Kurt, Alter Hut, alte Moral. Zur Wirkung des vorweihnachtlichen Auftritts Benedikt XVI. aus der Perspektive eines Hermelins, in: Der Standard Nr. 5158, 24.12.2005, 46.
[2] Benedikt XVI., Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Freiburg i.Br. 2010, 110.
[3] Ebd., 109
[4] Fakten zur Pelzproduktion. ProTier – Stiftung für Tierschutz und Ethik. http://www.protier.ch/site/index.cfm?id_art=97250&act-MenuItemID=45057&vsprache=de (03.10.2018)
[5] Tier-Haut-Couture: Pelze zwischen Mode und Moral, in: Die Welt, 09.01.2013. http://www.welt.de/newsticker/leute/stars/article112636901/Tier-Haut-Couture-Pelze-zwischen-Mode-und-Moral .html (03.10.2018)
[6] Fabretti, Nazareno, Animals write… Dear humans, Middlegreen 1990, 45
[7] Bender, Ludovico, Animali, in: Roberti, Francesco (Hg.), Dizionario di teologia morale, Rom 1957, 67 (Übersetzung durch die Italienischlehrerinnen Susanne Kaiser und Elisabeth Pleßnigg).
[8] Hörmann, Karl Tier, in: Ders. (Hg.), Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck u.a. 1976, 1576-1579, 1578
[9] Spindelböck, Josef, Das Evangelium des Lebens. Moraltheologische Überlegungen zum 5. Gebot Gottes – eine katechetische Darlegung anhand des „Katechismus der katholischen Kirche“. 5-teilige Radioserie im Juli 2022 (Radio Österreich, Radio Horeb), 4. https://stjosef.at/artikel/evangelium_des_lebens_radioserie.htm (03.10.2018)
[10] Honecker, Martin, Grundriß der Sozialethik, Berlin 1995, 276
[11] Gabbe, Bettina, Die Katzen des Papstes, in: Kleine Zeitung, 09.03.2010, 14.
[12] Entscheidend war der Aufruf seiner Heiligkeit, Tiere als Geschöpfe Gottes zu sehen, die unseren Schutz und Respekt verdienen. http://www.peta.de/papst-franziskus-ist-petas-person-of-the-year-2015#.VnR2RybSncu (03.10.2018).
[13] Transcript: Read the Speech Pope Francis Gave to the United Nations. http://time.com/4049905/pope-francis-us-visit-united-nations-speech-transcript (02.10.2018).
[14] Vgl. Singer, Peter, Reconsidering Man´s Dominion. Project Syndicate, 14.07.2015. http://www.project-syndicate.org/commentary/pope-francis-encyclical-animal-welfare-by-peter-singer-2015-07 (03.10.2018).
 

 
 

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