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Naturwissenschaft und Technik
„Dann zeige ich es Euch (jetzt) mal!“

Ranga Yogeshwar
Ranga Yogeshwar | © Ranga Yogeshwar

Klimawandel, Pandemie, Digitalisierung: Naturwissenschaft und Technik sind für die Probleme der Zeit wichtig wie nie – Köpfe aus dem Ausland werden gesucht. Doch wie sieht eine interkulturelle MINT-Karriere wie die von Biontech-Gründer Uğur Şahin aus? Wissenschaftsmoderator Ranga Yogeschwar über Fallstricke auf dem Weg zum Erfolg.

Von Sonja Esmailzadeh

Quarks, Wissen vor 8, Die Große Show der Naturwunder: Heute ist Ranga Yogeshwar bekannt wie ein bunter Hund. Damals war er ein Diplomphysiker mit Migrationshintergrund, der in die deutsche Medienlandschaft wollte. So leichtfüßig und sympathisch, wie sich der Showmaster durch Wissenssendungen bewegt hat, könnte man meinen, ihm sei das in den Schoß gefallen. Beim Telefonat mit Rangar Yogeshwar klingt das anders. Auf die Frage, ob er auf seinem Weg mit Ressentiments zu kämpfen hatte, sagt er, wie selbstverständlich: „Na klar.“

Alles beginnt in den 1980er Jahren. Der Sohn eines indischen Ingenieurs und einer luxemburgischen Künstlerin startet seine Fernsehkarriere – zunächst hinter, dann vor der Kamera. „Es gab damals noch keinen dunkelhäutigen Moderator“, erzählt er. Bei seinem ersten Auftritt im WDR-Studio Köln sollte er eine Krawatte tragen. „Ich wollte aber nicht so professoral auftreten.“ Was keiner auf dem Schirm hat, als er vor die Kameras tritt – so erzählt Yogeshwar die Geschichte weiter – die Mikros sind noch an. Da soll einer der Mitarbeiter, der mit der Krawatten-Absage nicht einverstanden war, gesagt haben: „Der sieht aus wie ein N****, dem glaubt man nicht.“ Yogeshwar lässt sich davon nicht entmutigen. „Ich habe gesagt, dann zeige ich euch jetzt mal, was der N**** kann.“ Und das hat er. Ein Vorteil der MINT-Fächer: Es gibt viel richtig und falsch. Yogeshwar hat viel richtig gemacht. Eine Krawatte hat er nie getragen.

Auch mit Namensgebungen wie „Joghurt“ und Co. kann Ranga Yogeshwar, der mit bürgerlichem Namen Ranganathan Gregoire Yogeshwar heißt, inzwischen Wände tapezieren. Er hat solche Titel in der Redaktion aufgehängt. Humor als Überlebensstrategie? Er meint schon. Immerhin hat er Menschen jahrzehntelang komplexe Phänomene unterhaltsam vermittelt und damit gezeigt, dass MINT-Fächer nicht langweilig sind. Letztlich habe sein Optimismus dazu geführt, dass andere mit Migrationshintergrund in Wissensformaten, ja überhaupt im deutschen Fernsehen, nachfolgen – man denke an das Galileo-Gesicht Aiman Abdallah. „Ich war da sozusagen der Ice-Breaker“, sagt Yogeshwar heute.

Integration ist keine Einbahnstraße 

Die Probleme von damals, die hätten Wissenschaftsjournalistinnen wie Mai Thi Nguyen-Kim vermutlich nicht. Die 34-jährige Chemikerin, deren Eltern Vietnamesen sind, war bis 2021 Quarks-Nachfolgerin, ist Mitglied im Senat der Max-Planck-Gesellschaft und Aktivistin für Science for Future. Einem breiteren Publikum wurde sie in der Coronapandemie durch das Youtube-Format „maiLab“ bekannt.
 


Yogeshwar glaubt, der globale Wandel, die sich verändernde Arbeitswelt und interkulturelle Beziehungen würden internationale Karrieren im MINT-Bereich, selbstverständlich machen. Aber: „Wir müssen uns endlich davon verabschieden, dass alle Menschen sortenrein sind.“ „Sortenrein“ soll heißen: Integration sei keine Einbahnstraße und nicht jeder müsse den Vorstellungen einer Kultur entsprechen. Interkulturalität sei eine Bereicherung, eine Chance, wenn man sie nutze. Yogeshwar nennt die Biontech-Gründer Uğur Şahin und seine Frau Özlem Türeci, die mitunter bedeutendsten Beispiele interkultureller Karrieren in der Naturwissenschaft.

Viele Millionen Menschen haben den Biontech-Impfstoff bekommen. Heute soll Şahin zu den 500 reichsten Menschen der Welt gehören. Biontech ist in aller Welt gefragt, wie aus einer automatischen E-Mail-Antwort des Unternehmens hervorgeht. Eine umgehende, kurze Antwort schreibt Sprecherin Jasmina Alatovic dann aber doch. Auf die Fragen nach rassistischen Stolperfallen heißt es: „Die beiden fokussieren sich auf die positiven Seiten des Jobs und der Forschung.“ So ähnlich haben es bereits Yogeshwar und auch Asifa Akhtar, die erste internationale Vizepräsidentin der Max-Planck-Gesellschaft, gesagt – nur mit Optimismus und Durchhaltevermögen geht es weiter. Die Antwort impliziert aber auch: Natürlich gab es Schattenseiten. Der Weg Şahins ist etwa auf der Website MyGrandStory.org dokumentiert und beginnt mit Ressentiments oder mindestens massiver Fehleinschätzung: Lehrer*innen wollten den späteren Biontech-Forscher auf die Hauptschule schicken – Talent hin oder her. Wie eine im Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn publizierte Studie von 2016 zeigt, werden Migrant*innen, etwa aus der Türkei,  – auch solche mit perfekten Deutschkenntnissen und hoher Bildung – bei Bewerbungen nach wie vor benachteiligt.

Der heute 56 Jahre alte Şahin ist in İskenderun in der Türkei geboren. Er kommt als Vierjähriger mit seiner Mutter nach Köln, spricht kein Wort Deutsch. Sein Vater arbeitet beim Autohersteller Ford am Band. Sein deutscher Nachbar kann durchsetzen, dass er aufs Gymnasium kommt. Als erstes türkisches Gastarbeiterkind besteht er sein Abitur am Kölner Erich-Kästner-Gymnasium – als Jahrgangsbester. Er schreibt eine mit summa cum laude bewertete Dissertation zur Immuntherapie bei Krebszellen sowie seine Habilitation. Der Rest ist Geschichte.

Die Zukunft des MINT-Bereichs 

In den Medien, in Gesprächen mit MINT-Institutionen, im Alltag – oft ist die Rede vom Mainzer Unternehmen oder deutschen Wissenschaftler*innen als führende Hersteller eines mRNA-basierten Corona-Impfstoffs. Sind Migrant*innen, wenn sie erfolgreich in der Wissenschaft sind, plötzlich Deutsche? Müssen sie mehr tun, um zu beweisen, dass sie sich das verdient haben? Yogeshwar beobachtet dieses fast postkolonial anmutende Phänomen schon länger. Dabei seien die westlichen Länder nicht mehr führend, keine Weltmeister mehr, China, Israel, Indien – in vielem weiter, sagt Yogeshwar. MINT-Fachkräfte aus dem Ausland werden gesucht. Ob Forschung, Pandemie, Digitalisierung. Auch der Pisaschock ist nicht überwunden.  
 
Das bestätigt Stefanie Kowitz-Harms, Leiterin von MINTvernetzt, dem seit Mai 2021 bestehenden Dach für die außerschulische MINT-Bildung in Deutschland – gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Da gebe es politische Versäumnisse. Die Coronapandemie habe die Probleme bei Kindern noch einmal verschärft – viele könnten nicht mehr rechnen.

Dabei sollten die Kleinen doch lernen, dass Mathe oder Physik nicht uncool oder nur etwas für Nerds sei: „Damit kann die Welt von morgen gestaltet werden“, sagt Kowitz-Harms. Gerade im MINT-Bereich gebe es brennende Zukunftsfragen wie Klimawandel, Pandemie, Energiewende oder Digitalisierung. Doch selbst wenn die aktuelle Klimabewegung ein wachsendes Interesse an Naturwissenschaften signalisiert und es MINT-Initiativen wie Sand am Meer gibt – wieso geht dann so wenig voran? Wenig politische Unterstützung, dazu fingen „die Probleme oft schon im Elternhaus an, bei Klischees oder stereotypen Rollen und geringem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten“, sagt Kowitz-Harms.

In Deutschland arbeiten rund 15 Prozent der Frauen in MINT-Berufen, wie eine Erhebung der Bundesagentur für Arbeit von 2019 ergibt. Beispiele wie die im Video vorgestellte Karriere von Asifa Akhtar sind noch seltener. Einen Ansprechpartner für Interkulturalität gibt es in der MINT-Vernetzungsstelle aktuell leider nicht.

Kowitz-Harms findet, dass sich Frauen im Allgemeinen im MINT-Bereich emanzipieren und damit den Gender-Pay-Gap ausgleichen könnten. Doch es gehe nicht darum, um jeden Preis MINT zu machen, beschwichtigt sie. Es brauche auch Geisteswissenschaftlerinnen. „Bildung muss generell neu gedacht werden“, meint sie. Vorbild Skandinavien: „Lernen auf der Blumenwiese, im Wasserwerk oder Motorenwerk.“ Weg vom muffigen Klassenzimmer. Später fächerübergreifend: „Das Denken in Phänomenen und Anwendungen.“ Kowitz-Harms ist promovierte Geschichtswissenschaftlerin und mit einem Ingenieur verheiratet. Sie hatte genug von prekären Jobs und kam als Quereinsteigerin in den MINT-Bereich. Als Historikerin blickt sie in die Vergangenheit: auf die Ingenieurskunst Deutschlands, die auf MINT-Berufe zurückgeht. Sie hofft, dass es aufwärts geht. 

Hinzu kommt die Rolle der Medien. Dass Wissensformate im öffentlich-rechtlichen Fernsehen inzwischen mit Knalleffekt und Klamauk – und auch ohne Krawatte weniger seriös – daherkommen, hat Ranga Yogeshwar schon öfters kritisiert. Letztlich hat er sich dabei nicht ausverkauft. „Ich hatte nie Angst vor Bedeutungsverlust.“ Dennoch war er immer gefragt, setzt inzwischen auf Youtube. Vor einer Woche hat er sich noch mit dem schwedischen Botschafter um die Verteilung der Nobelpreise gekümmert. Gerade ist er in der Schweiz. Yogeshwar wirkt beim Telefonat am Abend, Mitte Dezember 2021, gelassen. Schlussendlich hat er sich seinen inneren Frieden erhalten und ist vom Diplomphysiker mit Migrationshintergrund zum buntesten Hund in der Welt der Wissenschaft avanciert. Yogeshwar schaut aus seinem Fenster und seufzt: „Die Welt ruht.“

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