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Stephan Nobbe im Gespräch
„Ein tolles Land“

V.l.n.r.: Tadeusz Mazowiecki, Stephan Nobbe, Richard von Weizsäcker
V.l.n.r.: Tadeusz Mazowiecki, Stephan Nobbe, Richard von Weizsäcker | Foto (Zuschnitt): PAP/Maciej Belina Brzozowski

Meine ersten zwei Jahre in Polen, das war Aufbruchszeit (...). Es gab Mazowiecki, Geremek, wir hatten Geremek bei uns zuhause – das war unglaublich, erzählt Stephan Nobbe, Gründungsdirektor des Goethe-Instituts Warschau in den Jahren von 1990 bis 1994.

Stephan, Du hast eine polnische Familiengeschichte. Möchtest uns davon erzählen?

Ich bin in Polen geboren, in der Gegend von Tschenstochau. Meine Mutter war Polin, sie stammt aus Lemberg. Als 1939 die Russen einmarschierten, ist sie mit ihrer Mutter nach Lodz gegangen. Ihr Vater, der in Lemberg Schulrat war, wurde, als die Russen kamen, inhaftiert, und sollte nach Sibirien deportiert werden, hat es aber irgendwie geschafft, dem Gefängnis und dem Transport zu entfliehen. Er setzte sich dann nach Piotrków Trybunalski ab. In Lodz lernten sich meine Eltern kennen, 1942 heirateten sie und 1943 wurde dann ich geboren. Ich war immer sehr stolz auf Dworszowice, so hieß mein Geburtsort.

Du konntest also auch ein bisschen Polnisch?

Anfangs nicht wirklich. Als die Zentrale mich 1989 anrief und sagte: „Du, wir brauchen jemanden für Warschau, du kannst doch Polnisch.“ Da sagte ich „Nein, ich kann kein Polnisch!“ Aber meine Mutter war ja zeitlebens Polin geblieben. Sie war Buchhalterin und las Zahlen immer auf Polnisch. Als wir dann nach 1945 in Oberfranken lebten, hatte sie polnische Freunde. Der eine war ein alter Offizier, schon ganz gebrechlich, der hatte mit Piłsudski gekämpft, mit dem sprach sie immer Polnisch. Außerdem sprach sie mit meinem Vater Polnisch, der es aber sehr schlecht konnte – das taten sie, wenn ich etwas nicht verstehen sollte, was meine Neugier weckte und wohl auch mein Ohr schärfte.

Und dann kamst Du, um in der Zeit zu springen, im September 1990 als Gründungsdirektor des Goethe-Instituts nach Warschau. Und warst zunächst mal im ehemaligen Kulturzentrum der DDR.

Ja, in der Świętokrzyska. Es gab bestimmt schönere Unterbringungen, auch verliefen die Verhandlungen mit dem Vermieter etwas schwierig. Der hatte abenteuerliche Mietpreisvorstellungen und irgendwann sagte ich ihm „Zuletzt in San Francisco war die Miete deutlich niedriger.“ „Ja“, sagte er. „Aber hier ist Warschau!“ Ich lernte dann den Vizepräsidenten der Stadt Warschau kennen und der sagte „Mensch, wir haben so viel Platz im Pałac Kultury und das ist doch eine tolle Sache und willst du da nicht einziehen!“ Und er bot uns zu einem sehr vernünftigen Preis riesige Räume an.
 
Wir haben ein Foto, das wir jetzt auch zeigen aus Anlass unseres 30. Geburtstages, man sieht dich da zwischen Richard von Weizsäcker und Tadeusz Mazowiecki. Du hast sicher auch eine Erinnerung an diese Szene?

Das war eine Ausstellung, die wir im Kulturpalast hatten. Weizsäcker wurde durch diese Ausstellung geleitet, und ich erinnere mich an die Szene deswegen, weil ein Mitarbeiter der Botschaft der Meinung war, er müsste da führen, und sich zwischen Weizsäcker und mich drängelte, um seine Erklärungen loszubekommen. Aber Weizsäcker wollte eigentlich nur mit Mazowiecki sprechen.  

Beim Kulturpalast waren die Deutschen ganz entsetzt: Wie kann man in dieses russische Haus ziehen? Die Polen fanden das witzig, dass wir im Kulturpalast waren, das war der Bruch der Tradition und des Stalinerbes. Und ich hatte einen herrlichen Blick über die Marszałkowska bis zum Ural, das habe ich immer gesagt. Es war natürlich teuer, aber die Räume waren ja auch groß und herrschaftlich.

Wenn Du jetzt an diese Zeit zurück denkst, was kommt Dir als erstes in den Sinn?

Die Menschen, diese politisch aufregende Zeit auch, aber vor allem die Begegnung mit all diesen leicht durchgeknallten, liebenswürdigen und aufregenden Leuten.

Ihr, Deine Frau und Du, hattet auch einen großen Ruf als Gastgeber.

Ja, Danièle hat das toll und gerne gemacht. Schade ist nur, dass kaum Fotos und vor allem die Gästelisten nicht mehr gibt.

Damals gab es überall im Goethe-Institut die Vorstellung, es würde auf alle Zeiten die Versöhnung zwischen den Völkern und Nationen besiegelt. War das eine Illusion?

Nein, das war es nicht. Die Menschen waren interessiert, und sie wollten nach Europa. Beeindruckend fand ich, wie sie ihr Exil einluden, beim Aufbau ihres Landes mitzuwirken. Was ich dann später in Prag erlebt habe, mit dem EU-Beitritt 2004, da war das dann schon die Normalität. Meine ersten zwei Jahre in Polen, das war Aufbruchszeit. Das war Begeisterung und zwar in allen Bereichen. Damals kamen auch die ganzen kleinen weißrussischen und ukrainischen Händler aus dem Osten, die dann auf ihren Tüchern auf den Wiesen um den Kulturpalast ihre Waren auspackten. Die polnischen Bauern hatten ihre Erzeugnisse da, verkloppten das auf dem freien Markt. Die Osteuropäer, die kamen, haben für Zloty verkauft, und die durften sie im Kantor zu einem ordentlichen Kurs in ihre Landeswährung umtauschen. Aus diesen ausgebreiteten Tüchern wurden schnell kleine Tische und dann haben sie ihre Bänke gebaut und mit Dach drüber, und dann kamen diese Markthallen.

Und politisch? Es gab Mazowiecki, Geremek, wir hatten Geremek bei uns zuhause – das war unglaublich. Alle waren einfach wild darauf, etwas Neues zu erleben, neue Wege zu gehen und die alten kommunistischen Fesseln abzuschütteln. Es war die Zeit der Freundschaften. Bestimmt habe ich einfach viel Glück gehabt mit den ersten Schritten im Mutterland. Das Polnische fiel mir nicht allzu schwer, das hatte ich seit meiner Kindheit ein bisschen im Ohr, die Aussprache war anfangs so lala… Wir besuchten einen Sprachkurs in Krakau, und als ich das erste Mal nach Hause kam, sagte meine Mutter „Sag mal ein paar Worte.“ Und das habe ich getan und sie sagte „Das ist ja wildes Vorstadtpolnisch!“ Unser Lehrer in Krakau meinte dagegen. „Also diese Nasalierung, das ist ja großbürgerlich.“
 
Wenn Du heute an Polen denkst – wenn Du es tust – was denkst Du dann?

Dass es ein wunderbares Land mit wunderbaren Menschen ist. Für mich war dieser Aufenthalt in Polen ein Geschenk. Ich habe hoffentlich einiges daraus gemacht, aber ich habe es genossen. Ich glaube, das was im Moment an Verklemmungen herrscht, das kann sich nicht halten. Die jungen Leute werden es hoffentlich richten.
 
Dann ruf uns doch bitte zum Abschluss noch ein ermunterndes Wort zu aus Anlass von 30 Jahren. Wir leben jetzt in der Ära der Ernüchterungen nach der Euphorie.

Dass euch die Freundschaften erhalten bleiben, dass sie auch mal einen kleinen Streit überdauern und dass ihr euch dessen bewusst sein solltet, dass Polen ein tolles Land ist. Die Regierungen kommen und gehen.

 

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