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Berlinale-Blogger 2020
„Persian Lessons“: Paradoxes Beispiel eines Autorenfilms über den Holocaust

© Hype Film
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Auf der Berlinale 2020 wurde ein Streifen gezeigt, der den Versuch macht, zwei konträren Herangehensweisen einer Erzählung der Geschichte des Holocaust aus der Zuschauer- bzw. der Autorenperspektive miteinander in Einklang zu bringen.

Von Egor Moskvitin

Der Holocaust ist ein in der Kinematographie bei weitem nicht tabuisiertes Thema (keine andere Zeitperiode der Vergangenheit wurde von Regisseur*innen häufiger behandelt als der Zweite Weltkrieg), aber es ist eben auch nicht reglementiert: es gibt weder ästhetische noch ethische Standards, die Geschichte eines Genozids zu erzählen. Wenn man davon ausgeht, dass die Aufgabe solcher Filme in erster Linie eine „prophylaktische“ ist (der Erinnerung dienen, informieren, warnen), dann kann man diese nur erfüllen, wenn man sich an ein maximal breites Publikum wendet und universelle künstlerische Herangehensweisen wählt. Doch das stellt Regisseur*innen und Spezialist*innen gleich vor das nächste Problem: einer unausbleiblichen Vereinfachung der Filmsprache und des Sinns; der Herauslösung des Autor-„Ichs“ aus fremden Tragödien.
 
Steven Spielberg hat beim Dreh von „Schindlers Liste“ (einem kommerziell erfolgreichen Projekt, das allein in Deutschland sechs Millionen Menschen gesehen haben) auf ein Honorar verzichtet, da er das Geld, das der Film einspielte, für blutbefleckt hielt. Der italienische Regisseur und Schauspieler Roberto Benigni wagte es, diese Tragödie im Drama „Das Leben ist schön“ in eine Farce umzuwandeln: sein Streifen wirkt bisweilen wie eine intrigante Tragödie. Der ungarische Regisseur László Nemeth und der russische Klassik-Verfechter Andrei Konchalovsky haben mit „Son of Saul“ und „Paradies“ ihr Auditorium im Gegenteil maximal eng gefasst, indem sie auf der Ebene der Filmsprache keinerlei Kompromisse eingingen.  

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Umso wichtiger ist es, hier festzuhalten: auf der Berlinale 2020 wurde ein Streifen gezeigt, der den Versuch macht, diese zwei konträren Herangehensweisen einer Erzählung der Geschichte des Holocaust aus der Zuschauer- bzw. der Autorenperspektive miteinander in Einklang zu bringen. Und zwar „Persian Lessons“ von Vadim Perelman, einem kanadischen Regisseur mit ukrainischen Wurzeln, der in den USA bereits den speziellen Film „Haus aus Sand und Nebel“ und in Russland die beliebte Serie „Ismeny“ („Untreue“) gedreht hat. In „Persian Lessons“ kommen beide Talente Perelmans zur Entfaltung: einerseits ist sein Film, was die Filmsprache angeht, maximal verständlich, emotional und universell geworden. Visuell gesehen unterscheidet er sich nur wenig von anderen Holocaust-Dramen mit großem Budget – und er hat fraglos eine große Wirkung auf die Emotionen des Publikums.
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Andererseits gibt es in dieser Geschichte über einen Juden, der sich als Perser ausgibt und zur persönlichen Geisel eines Kochs wird (da dieser davon träumt, nach dem Krieg ein Restaurant in Teheran zu eröffnen und daher von ihm verlangt, ihm Persisch beizubringen) eine wirkliche Innovation – und zwar die Bedienung des Schelmenromans. Das Konzentrationslager wird hier im Prinzip zur Bühne einer bänkelhaften Inszenierung des im mediävalen Deutschland sehr beliebten Märchens von Reineke Fuchs, welcher durch Trickreichtum seine Haut rettet und so immer wieder dem bösen Wolf entrinnt. Indem er die Tragödie des 20. Jahrhunderts mit der Sprache der antiken Fabel erzählt (denn Reineke Fuchs lässt sich bis zu seinem Stammvater, dem Griechen Äsop, zurückverfolgen), löst der Streifen die Hauptaufgabe aller Filme über den Holocaust mit Bravour. Die Aufgabe, auf die blinde Kreisläufigkeit der menschlichen Geschichte hinzuweisen und uns vor ihren grausamen Gewohnheiten zu warnen. Hegel hat einmal gesagt, dass sich alle großen Ereignisse immer zweimal abspielen: „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“. Im Film Perelmans haben wir Tragödie und Farsi – eine Sprache, die wie gemacht ist für Ironie und Allegorie. In gewisser Weise gelingt es dem Film, somit die geforderte Ethik zu bewahren, genauso wie die Ästhetik – und das ist für einen Festivalfilm ein großes Privileg und ein Erfolg.
 

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