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„Genau solch eine Selbst-Institutionalisierung sind wir“

Der D21 Kunstraum Leipzig hat 2018 am Gemeinschaftsprojekt des Goethe-Instituts und des Moskauer Museums für Moderne Kunst (MMOMA) „Raum für Kunst“ teilgenommen. Seine künstlerische Leiterin Lena Brüggemann sprach mit Tatiana Sochareva von „Artguide“ über ihre Erfahrungen in der Arbeit mit staatlichen Strukturen und über die Notwendigkeit eines Dialogs zwischen institutionellen und nichtinstitutionellen Initiativen.

Von Tatiana Sochareva

Tatiana Sochareva: Um über selbstorganisierte Projekte zu sprechen, müssen wir zunächst die internen Strukturen verstehen, die einen Ausstellungsraums am Leben halten: wer trifft die wichtigsten organisatorischen Entscheidungen im D21?

Lena Brüggemann: Ich leite den Kunstraum seit 2012, das heißt, das künstlerische Programm fällt hauptsächlich in meine Verantwortung. Mir ist es aber wichtig, dass auch die anderen Teilnehmer Vorschläge einbringen und Verantwortung übernehmen; immer wieder animiere ich sie dazu. Ende dieses Jahres gebe ich die Künstlerische Leitung ab, und ich nehme das zum Anlass, die Regeln für unsere Selbstorganisation ein wenig zu verändern: statt eines einzelnen Kurators, der das Programm autoritär lenkt, soll es initiative Gruppen geben, die einmal im Jahr gemeinsam das Thema der Saison auswählen und große Projekte im Team realisieren. So können sich dann auch externe Künstler bei uns anmelden. Ich glaube, eine neue Form der Organisation kann uns helfen, die Verantwortung besser aufzuteilen. Ich möchte einfach, dass möglichst viele Personen an der Organisationsarbeit beteiligt werden. Im Augenblick fungieren wir als freier, unabhängiger Raum, der Gelder vom Staat erhält. Allerdings werden uns staatliche Mittel immer nur für konkrete Projekte zugeteilt, deshalb engagieren sich die meisten von uns ehrenamtlich im Kunstraum.

T.S.: Wann immer Versuche unternommen werden, flache Strukturen in einer Organisation einzuführen, scheitern sie in der Praxis sehr oft am Problem der Hierarchie. Wie wollen Sie damit umgehen?

L.B.: Darüber können wir uns im Herbst unterhalten, wenn die neuen Regeln in Kraft treten. Im Augenblick sehe ich sie ganz klar als Chance auf mehr Offenheit in Bezug auf die Leipziger Kunstszene und auf die Stadt insgesamt. Das Jahresthema wird zwar von Aktiven vom D21 definiert, aber danach rufen wir einen offenen Wettbewerb aus und können auch Künstler in unsere Reihen aufnehmen, die nicht Teil von D21 sind. Allerdings müssten sie dann in unseren Verein eintreten…

Insgesamt habe ich nicht den Eindruck, dass staatliche Gelder unsere Arbeit negativ beeinflussen.

T.S.: In Russland ist vor allem die Finanzfrage ein heikles Thema für jede Form von Unabhängigkeit: sobald staatliche Gelder im Spiel sind, ist es mit der Freiheit ganz schnell vorbei. Nun sagten Sie, D21 wird vom Staat finanziert. Resultieren daraus irgendwelche Verpflichtungen?

L.B.: In Deutschland läuft staatliche Kulturförderung ein bisschen anders. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir keinerlei dauerhafte Unterstützung haben. Um überleben zu können, beantragen wir ständig Fördermittel beim Staat und bei Institutionen, die bereit sind, Künstler zu fördern. Und natürlich geht es immer um Projekte, die uns wichtig sind. Letztendlich bekommen wir entweder Gelder dafür oder nicht. Unsere Ideen geben wir dabei nie auf. Insgesamt habe ich nicht den Eindruck, dass staatliche Gelder unsere Arbeit negativ beeinflussen. Wenn wir unser Programm erstellen, haben wir andere Dinge im Blick.

T.S.: Würden Sie uns genauer erklären, wie das System für Fördermittel in Deutschland funktioniert?

L.B.: Einen Großteil unserer finanziellen Mittel erhalten wir von der Stadt oder vom Land Sachsen, und dann versuchen wir noch, zusätzlich Gelder für konkrete Ausstellungen zu bekommen. Dabei binden wir die Künstler mit ein: auch sie sollen Fördermittel in ihren Heimatregionen beantragen. Private Finanzierung ist in Leipzig relativ schwer zu bekommen, denn die Stadt hat noch keine vernünftige Tradition zur Unterstützung von Kunst. Es interessiert sich einfach niemand dafür. Wir haben weder private Museen noch Industrieunternehmen, die sich etwas davon versprechen würden.

T.S.: In Russland sind Basis-Initiativen recht verwundbar, und so überlebt kaum eine Selbstorganisation länger als zwei oder drei Jahre. Welche Probleme werden akut, wenn die Frage des Überlebens bereits geklärt ist?

L.B.: Tatsächlich geht es uns auch nicht anders: auch wir müssen immer wieder versuchen zu überleben. Man kann wirklich nicht sagen, dass wir auf diesem Gebiet besonders weit fortgeschritten wären. Der Raum, der uns zur Verfügung steht, ist zum Beispiel in einem ziemlich erbärmlichen Zustand und bedarf ständiger Investitionen; ganz zu schweigen davon, dass wir natürlich auch die Miete selbst zahlen. Wenn uns mehrmals nacheinander die Finanzierung unserer Projekte verwehrt wurde und wir die beantragten Zuschüsse nicht bekommen, dann hat das sehr spürbare Auswirkungen auf unsere Arbeit. D21 ist als Verein organisiert, das heißt, die ständigen Mitglieder zahlen einen kleinen Jahresbeitrag. Dieser Umstand gibt uns die Gewissheit, dass wir überleben werden, doch macht er uns leider nicht vollkommen unabhängig von externen Faktoren. In Leipzig gibt es im Prinzip nicht besonders viele solcher Vereine, deshalb arbeitet ein Großteil der Künstler ehrenamtlich. Nach einer Weile stehen sie unweigerlich vor dem Problem des Ausbrennens oder finden einfach eine besser bezahlte Arbeit und verlassen uns.

T.S.: Viele selbstorganisierte Projekte wandeln sich mit der Zeit um in vollwertige Institutionen mit klar strukturierter Hierarchie und bürokratischer Organisation. Sehen Sie darin ein Problem?

L.B.: Wir vom D21 sind im Prinzip ja genau solch ein Fall von Selbst-Institutionalisierung. Wir haben uns immer von anderen selbstorganisierten Räumen in Leipzig unterschieden, weil wir anders miteinander arbeiten. Die Gründer des D21 waren nicht einfach ein paar Freunde oder Weggefährten. Sie hatten lediglich den Wunsch, einen nichtkommerziellen Raum zu eröffnen und dabei von niemandem abhängig zu sein. Man kann nicht einmal sagen, sie hätten gezielt Künstler mit ähnlichen Interessen gesucht. So waren wir bei jeder organisatorischen Frage immer gezwungen, einen Kompromiss auszuhandeln. Ich glaube, genau deshalb haben wir heute diesen institutionsartigen Status. Im Laufe der Zeit hat der Kunstraum nun schon mehrere Künstlerische Leiter gehabt und konnte einen Grundstock aktiver Mitglieder aufbauen, die uns dauerhaft unterstützen.

T.S.: Gab es noch mehr Berührungspunkte, außer dem Wunsch, einen unabhängigen Raum zu gründen? Gab es Diskussionen über das künstlerische Programm?

L.B.: Der Kunstraum wurde im Jahr 2006 gegründet, als es in Leipzig außer der sogenannten Neuen Leipziger Schule keine sichtbare Kunst gab. Die Idee, der Schule ein Gegengewicht in Form eines unabhängigen Raumes entgegenzusetzen, stammte vom norwegischen Kurator Leif Magne Tangen, der damals gerade in Leipzig lebte. Er hängte in der Stadt Anzeigen aus, auf denen stand, dass er einen Ausstellungsraum gründen wolle. Dann wartete er darauf, dass sich Künstler bei ihm melden. Seine Grundidee war, keine Malerei zu zeigen. Quasi ein Anti-Painting-Raum. Außerdem beschlossen wir von Anfang an, dass wir keinen unserer Freunde ausstellen werden. In unserem Fokus waren neue Medien, Fotografie und Performance, also mehr oder weniger experimentelle Kunst. Sehr wichtig war für uns auch der internationale Aspekt unserer Arbeit: wir lernten ständig internationale Künstler kennen und knüpften neue Verbindungen.

T.S.: Im Zusammenhang mit der Ausstellung im MMOMA ist immer wieder die Rede vom Verschwimmen der Grenzen zwischen institutionellen und nicht-institutionellen Initiativen. Wenn Basis-Initiativen ins Museum kommen, entsteht da nicht ein Interessenskonflikt?

L.B.: Nein, ich denke nicht. D21 wurde von Anfang an als kleine Institution gegründet. Ich finde, wer sich selbst Institution nennt, muss deshalb nicht unbedingt die Regeln übernehmen, die in anderen Institutionen gelten – du kannst jederzeit deine eigenen Regeln aufstellen. Der institutionelle Status bringt uns recht viele Vorteile. Wir können zum Beispiel, wie schon gesagt, staatliche Finanzierung beantragen. Außerdem stelle ich fest, dass die Menschen mir anders begegnen, wenn ich sage: „ich bin Künstlerische Leiterin eines Kunstraums in Leipzig“. Es schwingt einfach ein gewisses Statement mit.

T.S.: In Russland ist die steigende Zahl selbstorganisierter Projekte in vielerlei Hinsicht politisch begründet: viele Künstler sind einfach nicht bereit, sich in den Kontext einzureihen, den die staatlichen Institutionen vorgeben. Wie weit ist Ihre Arbeit von der Politik entfernt?

L.B.: Mir fällt tatsächlich kein einziges Beispiel ein, in dem die Kunst so eng mit dem Staat interagiert, wie das in Russland der Fall ist. Bei uns ist der Staat sehr viel milder. Bei der Arbeit an der Ausstellung im MMOMA war es mir wichtig, einen Raum zu schaffen, in dessen Rahmen ein alternativer Diskurs entsteht. Ich wollte die Menschen zum Dialog bewegen. Ich hoffe, das ist uns gelungen.

T.S.: Für uns sind die Erfahrungen von nichtoffiziellen Künstlern aus der Sowjetzeit von großer Bedeutung. Bis heute reproduzieren viele selbstorganisierte Projekte wissentlich oder unwissentlich die Struktur von damals üblichen „Ausstellungen in Privatwohnungen“ und sprechen vom Phänomen des Außen-Seins. Gibt es in Deutschland ähnlich prägende Erfahrungen?

L.B.: Ich habe den Eindruck, bei uns ist eine deutliche Kluft zwischen den Generationen entstanden. Zu DDR-Zeiten gab es in Leipzig eine recht starke Tradition von Untergrund-Kunst, die genauso in Privatwohnungen ausgestellt wurde, aber heute weiß man kaum noch etwas darüber. Viele dieser Künstler sind einfach vom Radar verschwunden. Vielleicht ist es aber auch so, dass nur ich nichts darüber weiß. Die moderne Tradition entwickelte sich zu Beginn der Nullerjahre. 2006 war Leipzig öde und leer, es galt als sterbende Stadt mit leerstehenden Häusern in jeder Straße. Diese Häuser wurden dann oft besetzt, und experimentelle Ausstellungen fanden darin statt.

T.S.: Erfahrungen mit Selbstorganisation sind besonders wichtig für Regionen, in denen eine wie auch immer geartete Infrastruktur fehlt sowie das Verständnis, was moderne Kunst eigentlich ist und wofür man sie braucht. Hat die Problematik von Zentrum und Peripherie für Deutschland aktuelle Bedeutung?

L.B.: Ja, da gibt es ganz klare Unterschiede. Vor zehn Jahren wäre es weitaus schwieriger gewesen, genau solch einen unabhängigen Kunstraum in Berlin zu gründen. Viele Künstler, die hier die Akademie absolviert hatten, sind damals nach Berlin gegangen, denn in Leipzig hatten sie keine Chance zu überleben. Heute beginnt die Situation sich zu wandeln, denn Berlin hat einen Punkt erreicht, an dem Künstler es sich nicht mehr leisten können, dort zu leben. Viele kommen nun zurück nach Leipzig und stellen sich praktisch neu auf. Alles ändert sich jetzt in der Stadt. Ich hoffe, diese Tendenz kehrt sich nicht wieder um.

T.S.: Was haben selbstorganisierte Initiativen anzubieten außer einer kritischen Position gegenüber dem herrschenden System?

L.B.: Wir versuchen, den Künstlern genau die Bedingungen zu geben, die institutionalisierte Kunsträume ihnen nicht bieten können. Zum Beispiel bemühen wir uns, allen, die an unseren Ausstellungen beteiligt sind, ein Honorar zu zahlen, damit diese Praxis zur Norm wird, und nicht eine Ausnahme ist. Ich sehe uns heute als experimentelles Modell, auf dessen Erfahrungen wir uns berufen können, wenn wir über professionelle Beziehungen im Kunstbereich diskutieren. So versuchen wir, auf die Stadt Einfluss zu nehmen und die allgemeine Einstellung zu Kunst zu verändern.

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