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Welchen Zweck hat das moderne Museum?

Klara Brochhagen und Jessica Twitchell sind Kuratorinnen des Kölner unabhängigen Kunstraums „Simultanhalle“, der im Dezember 2017 auf Einladung des Goethe-Instituts Moskau das mit dem Moskauer Museum für Moderne Kunst (MMOMA) gemeinsame Projekt „Raum für Kunst“ eröffnet hat. Marina Antsiperova von Strelka Magazine sprach mit ihnen und fasste für die Rubrik „Manifest“, in dem Experten die Grundprinzipien moderner Kultur formulieren und erläutern, die wichtigsten Erkenntnisse der Kölner Kuratorinnen zusammen.

Von Marina Antsiperova

Begegnungsort für Besucher

Das Museum muss näher an die Menschen heranrücken, wie ein Kino oder eine Bar. Jeder Familie soll bewusst sein, dass ein Museumsbesuch einfach eine von mehreren Möglichkeiten ist, den Abend zu verbringen. Alle sollen wissen, dass das Museum ein offener Raum ist.

Für viele Museen – und vielleicht trifft dies gerade auch auf Moskau zu – liegt der Schwerpunkt eher im (Auf)Bewahren von Kunst und Kultur. Doch ist es nicht weniger wichtig, dass wir alle, wenn wir ins Museum gehen, einander dort begegnen. In Deutschland gibt es viele staatlichen Museen, deren Priorität in ihrer Funktion als urbanes Kultur- und Freizeitzentrum liegt.

Neben dem Bewahren alter Exponate müssen Gedanken über die Gegenwart angeregt werden

Die Funktion des Bewahrens ist wichtig, nicht nur für historische Museen, sondern auch für moderne. Das Bewahren von zeitgenössischer Kunst und dessen, was im Englischen gemeinhin als „modern art“ bezeichnet wird, ist gar nicht so einfach; es ist eine ganz eigene Aufgabe und ein weites Feld für Diskussionen. Zudem ist es überaus wichtig, dass Museen heute nicht nur Vergangenem Raum bieten, sondern auch Fragen aufwerfen über moderne Kultur, das Heute sichtbar machen.

Das Publikum braucht Raum zum Nachdenken

Es versteht sich von selbst, dass Museen eine klare Struktur haben, und doch wäre es wünschenswert, dass sich diese mit jeder Ausstellung ein wenig verändert. Eben darin besteht die Arbeit eines Kurators: an der Hochschule haben wir gelernt, dass dem Publikum nicht alles vorgekaut werden muss, dass es sogar gut ist, wenn eine Geschichte nicht ganz zu Ende geschrieben ist, wenn darin nicht alles erklärt wird, sondern Platz bleibt für Unausgesprochenes. Dann können die Zuschauer selbst entscheiden, ob alles so seine Richtigkeit hatte oder nicht, bzw. – vereinfacht gesagt – was da an der Wand zu sehen war. Es ist interessanter, Dinge nicht bis ins kleinste Detail zu zeigen, dann füllen die Zuschauer die Lücken für sich selbst und setzen sich so mit Kunst auseinander.

Eine Stadt braucht viele verschiedene Orte für Kunst, die unterschiedlich frei sind

Ein Museum ist etwas anderes als ein Gemeinde-Zentrum. Es scheint kälter und geschlossener. Wir möchten, dass sich das ändert, und vielleicht ist das genau der Weg, den wir gerade gehen.

Denn es gibt auch andere Räume, in denen Kunst erlebt werden kann. In sogenannten unabhängigen Räumen steckt spürbar viel Energie. Die Behörden überwachen sie nicht so aufmerksam, und dort werden echte Experimente gewagt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass angehende Künstler ihre ersten Werke genau dort ausstellen, bevor ihnen Einlass in Museen und Galerien gewährt wird.

In Deutschland haben wir Glück: viele Museen werden vom Staat finanziert, darunter sind einige durchaus unabhängig; das variiert von Stadt zu Stadt. Außerdem haben wir Art Clubs und Kunsthallen, die von der Stadt gefördert werden. Ohne das könnte es uns ergehen wie in den USA, wo viele Museen von privaten Sammlern abhängig sind, denen vor allem daran gelegen ist, Künstler aus ihren eigenen Sammlungen zu präsentieren.

In sogenannten unabhängigen Räumen steckt spürbar viel Energie.

Das Museum als Ort für Theater und Choreographie

In Köln gibt es viel Performance Art, viele Sammler arbeiten mit Tanz, und auch Bildhauer zeigen reges Interesse dafür. Künstler gehen auch oft ins Theater, um dort ihre Werke zu präsentieren. Vor gar nicht langer Zeit hatten wir die Idee, quasi Bühnen zu tauschen: wir könnten unseren Raum ins Theater verlegen, und sie könnten im Gegenzug bei uns Quartier nehmen. Solche Kombinationen sind möglich, und wir glauben, dass all diese verschiedenen Kunstrichtungen – Design, Theater und das, was früher als Bildende Kunst bezeichnet wurde – gar nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern perfekt miteinander harmonieren müsste.

Worin liegt eigentlich der grundlegende Unterschied zwischen Theater und Museum? Im Theater geht es um Rezeption und in gewissem Sinne um Konsumieren: ich gehe zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort, konsumiere die eine oder andere Aufführung und habe beim Hinausgehen den Kopf voller wichtiger Dinge. Im Museum dagegen ist das Erlebnis nicht mehr einmalig: in einer Ausstellung kann eine Performance wiederholt oder auf Video dokumentiert werden.

In jeder neuen Stadt müssen Künstler ihre Kunst neu erschaffen

Einige Künstler*innen, die wir hier in Moskau zeigen, kreieren neue Werke extra für diesen Ort. Nach der Ausstellung werden die Exponate zerstört – um an einem anderen Ort in anderer Form wieder zu entstehen. Einerseits ist das tragisch, doch andererseits zwingt es uns, uns damit auseinanderzusetzen, wie wir an jedem Ort etwas Neues für uns entdecken. Die Welt hat sich verändert, und wir alle sind Reisende. Viele Künstler erschaffen eigens Kunst, die ihnen an verschiedene Orte der Welt folgen kann.

Wie aber kann ein und dasselbe Kunstwerk gleichermaßen in Moskau und in Rom ausgestellt werden? Das ist ein kolonialistischer Ansatz. Es ist nicht richtig, ein und dasselbe Objekt an verschiedenen Orten zu präsentieren, ohne darüber nachzudenken, wie sich der Sinn verändert. Nadine Städler nimmt für ihre Installationen immer Steine aus der Umgebung des Ausstellungsorts, so sind ihre Werke niemals gleich.

Das Museum muss auf die Strasse gehen

In einer idealen Welt muss die Stadt erkennen, wie sehr die Kunst sie bereichert. Dafür muss das Museum auf die Straße gehen. Seine Kunst an Orten zeigen, an denen sie am wenigsten erwartet wird. Zum Beispiel Werbebanner nutzen.

Werbung preist uns etwas an, was uns glücklich machen soll – warum also hier nicht Kunst zeigen, die die Menschen tatsächlich glücklich macht?

Natürlich würde das Museum an sich sehr viel offener werden, wenn es in jedem ein Café gäbe oder ein Rave veranstaltet würde, doch das muss gar nicht sein. Warum soll sich das Museum auf den Raum innerhalb seiner Außenmauern beschränken? In Köln gab es mal eine interessante Ausstellung, bei der ganz unterschiedliche Kunstveranstaltungen in verschiedenen Privathäusern und -wohnungen stattfanden – vom Studentenwohnheim bis zur sanierten Villa eines Kölner Architekten war alles dabei. Du konntest also einfach an einer fremden Tür klingeln, und drinnen gab es dann eine Performance.

Die Veranstaltungsorte lagen alle weit voneinander entfernt, das Publikum war also gezwungen, die Stadt neu zu erfahren. So wurde nicht nur Kunst präsentiert, sondern auch der eigene Lebensraum. Der Mensch ist es gewöhnt, jeden Tag bekannte Wege zu gehen, und diese Wege sollen dann möglichst kurz und effektiv sein – zur Arbeit, zum Kindergarten oder in den Supermarkt. Doch dieser Ansatz veränderte wenigstens das Bild der Umgebung. Und genau dafür brauchen wir Kunst.

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