Anna Patton

2006, während Deutschland die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft feierte, begann für Anna Patton ihre erste unabhängige Reiseerfahrung. Wir haben sie getroffen und mit ihr über Flaggen, Verantwortlichkeiten und die Vorteile gesprochen, die sich ergeben, wenn man seine persönlichen Grenzen erweitert.

Anna Patton - Alumni Portraits - German American Partnership Programm © Goethe Institut New York

Erzählen Sie uns ein wenig über sich selbst.
Ich bin in Arvada, Colorado, aufgewachsen, einem Vorort von Denver. An meiner Highschool habe ich Deutschkurse belegt und hatte außerdem das Glück, 2006 über die Stanley Lake High School, an der meine Mutter unterrichtete, am GAPP-Programm teilnehmen zu können. Danach besuchte ich die Universität Puget Sound in Tacoma, Washington, und war später über zwei Jahre im Friedenskorps in Kirgisistan. Derzeit wohne und arbeite ich im Raum Washington, D.C., wo ich mich auf internationale Austauschprogramme für Highschool-Schüler konzentriere.

Hatten Sie Erwartungen an Deutschland, und wurden diese erfüllt?
Mein Großvater väterlicherseits war in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre bei der US-Air Force und zusammen mit seiner Familie in Wiesbaden stationiert. Ich erinnere mich noch an die Geschichten meines Vaters vom Leben auf der Basis und den Kontakten zu den Anwohnern. Obwohl ich davon ausgegangen war, dass das Leben mit einer Gastfamilie Anfang des 21. Jahrhunderts wahrscheinlich ganz anders sein würde, war das Gemeinschaftsgefühl, das mein Vater beschrieben hatte, doch noch sehr stark vorhanden.

In welcher Stadt waren Sie?
Die Schule, die an dem Austausch teilnahm, war das Comenius-Gymnasium in Deggendorf, nahe der Grenze zu Tschechien und Österreich. Bayern und überhaupt Süddeutschland verkörpern noch am ehesten die typische traditionelle Kultur, die die Amerikaner vor Augen haben, wenn sie an Deutschland denken. Allerdings war 2006 eine einzigartige und spannende Erfahrung, da Deutschland Gastgeber der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft war. Die Amerikaner haben Flaggen in jedem Viertel, und in gewisser Weise ist tief in ihrer Kultur eine ganze Menge Nationalstolz verwurzelt. Man sagte mir, dies würde in Deutschland nicht so sein, aber 2006 gab es überall Flaggen, alle Gesichter waren geschminkt, und die Stadt kam für dieses Ereignis zusammen. Wenn ich über diese Erfahrung nachdenke, war es einer der denkwürdigsten Momente meines jungen Erwachsenenlebens, und er begleitet mich weiter, im Laufe der Jahre.
 
Sie haben an einem kurzen Austausch teilgenommen?
Ja! Aber weil meine Mutter an der Schule unterrichtete, an der sie das Programm anboten, hatte ich die Möglichkeit, sogar zweimal für drei Wochen nach Deggendorf zu gehen. Wir haben auch selbst für etwa einen Monat drei Schüler bei uns aufgenommen. Als wir nach Deutschland reisten, war das ungefähr um die Zeit der Abiturprüfungen, also verbrachten wir einige Tage in Prag oder in der näheren Umgebung, während unsere Austauschpartner ihre Prüfung schrieben oder dafür lernten.

Wie haben Sie die Schule in Deutschland wahrgenommen? War der Unterrichtsstil anders, als Sie es von zuhause gewohnt waren, oder sehr ähnlich?
Das erste, was mir auffiel, war, dass das Schulgelände im Herzen der Stadt lag und die Schule mit angeschlossenem Internat in einem wunderschönen Vorkriegsgebäude untergebracht war. Da ich aus einem Vorort Colorados komme, ist an unseren Schulgebäuden aus Betonziegeln nichts Besonderes. Der Unterricht selbst wirkte etwas formeller und hatte Vorlesungscharakter, aber das mochte an den Kursen liegen, die wir gewählt hatten. Der auffälligste Unterschied war jedoch das Maß an Unabhängigkeit und Verantwortung, das deutsche Schüler haben – zu lernen und zur Schule zu kommen. Es gab weniger Aufsicht, und die Verantwortung wurde auf den Schüler übertragen. Vielleicht werden die Jugendlichen dadurch besser auf die Uni vorbereitet.

Gab es außer der WM 2006 noch andere Momente, die Sie von dieser Reise in guter Erinnerung haben?
Wir waren im Sommer da, also fand ein ‚Volksfest’ statt. Nicht nur in Deggendorf, sondern alle Nachbarstädte veranstalteten ihre eigenen kleinen Sommerfeste. Es war genau so, wie viele Amerikaner sich die Quintessenz der ‚deutschen’ Erfahrung vorstellen – alle kommen zusammen, essen, trinken und singen. Ich fand es wirklich schön, die Volkslieder, Traditionen und Trachten kennenzulernen. Ich erinnere mich noch, dass meine Gastgroßmutter (scherzhaft) entsetzt war, dass ich am Volksfest teilnehmen sollte und kein traditionelles ‚Dirndl’ besaß. Sie haben mir netterweise sogar eins gekauft, damit ich es zu dem Anlass tragen konnte. Ehrlich gesagt, ich wünschte mir, es würde mir immer noch passen; es ist so schön. Dass sie diese authentische Erfahrung wirklich mit mir teilen wollten, wusste ich sehr zu schätzen.

Was hat Ihnen an der deutschen Lebensart oder Kultur gefallen?
Mir gefielen die gute Erreichbarkeit und die Unabhängigkeit, die Schülern ermöglicht wurde. Meine beiden Gastfamilien wohnten zu weit entfernt, um zu Fuß zur Schule zu gelangen, aber es gab einen Linienbus, sogar auf sehr ländlichen Straßen. Wir mussten uns fürs Hinkommen nicht auf die Schule oder einen Elternteil verlassen. Und die Anlage der Stadt war so übersichtlich, dass wir uns in ihr leicht zurechtfinden konnten, was unsere Unabhängigkeit noch weiter förderte.

Wie hat diese Erfahrung Ihrer Meinung nach Ihren beruflichen und persönlichen Weg geprägt?
Dies war das erste Mal, dass ich unabhängig gereist bin. Auch wenn wir mit einer Schulgruppe dort waren, waren wir doch allein bei unseren Gastfamilien, gingen allein zur Schule und lernten, allein zurechtzukommen. Wir waren keine Touristen. Wir waren sehr in unsere Gastfamilien und die Schule integriert, wie man es im Urlaub nicht wäre. Auf diese Weise etwas über andere Kulturen zu erfahren, hat meine Entscheidung beeinflusst, dem Friedenskorps beizutreten, nachdem ich das College beendet hatte. Und jetzt beeinflusst es weiterhin mein Interesse, internationale Bildungs- und Austauschprogramme zu unterstützen. Ich arbeite immer noch mit Studenten auf der ganzen Welt zusammen. Junge Erwachsene sind jetzt in einem viel jüngeren Alter offener für Reisen ins Ausland, weil die Welt zugänglicher erscheint. Ich freue mich zu sehen, dass sie daran interessiert sind, diese Erfahrung zu machen.

Welchen Rat würden Sie Schüler*innen geben, die kurz vor einem GAPP-Austausch stehen?
Seid flexibel und stellt euch darauf ein, euch ein wenig unbehaglich zu fühlen – nur so lernt ihr. Nur weil ihr im Unterricht etwas über die Sprache, die Geschichte oder Politik erfahren habt, solltet ihr nicht mit vorgefassten Ansichten in das Programm gehen. Manchmal lassen wir uns zu der Vorstellung verleiten, die Deutschen seien verschlossener und ernster, aber ich habe festgestellt, dass sie alle ziemlich freundlich waren – auf meine Fragen haben sie gern geantwortet und selbst viele gestellt. Seid offen und genießt alles, was ihr erfahrt – das hat mir bei all meinen zukünftigen Reisen geholfen. Ihr könnt davon ausgehen, dass es Augenblicke geben wird, in denen ihr möglicherweise nicht wisst, wie ihr mit einer bestimmten Situation in einer neuen Umgebung umgehen sollt. Wie soll ich mich in diesem Bussystem zurechtfinden? Selbst wenn ihr eure Gastfamilie oder einen anderen Einheimischen in möglicherweise unvollkommenem Deutsch fragt, hilft euch das zu lernen – nicht nur authentischeres Deutsch, sondern auch, eure persönlichen Grenzen dessen zu erweitern, was alles möglich ist.

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