Werner Herzog
Glaube und Währung
- Produktionsjahr 1980
- Farbe / LängeFarbe / 44 Min.
- IN-Nummer IN 3582
Seit Jahren steht der TV-Prediger Dr. Gene Scott fast täglich vor der Kamera und verkündet seine Vorstellungen vom Christentum; sie konzentrieren sich auf das Eintreiben von Spendengeldern.
„Gottes Ehre steht jeden Abend auf dem Spiel“, verkündet der Mann, und für ihn hängt diese Ehre offensichtlich von der Höhe der telefonisch eingehenden Spenden ab. Was er mache, so sagt er, sei keine Show, sondern ein Fest und eine religiöse Erfahrung für den Betrachter. Dazu gehören auch fromme Lieder, die seine Predigten umrahmen; sie klingen wie Schlager-Schnulzen aus den späten fünfziger Jahren.
Mit seinen drei TV-Stationen in Los Angeles, San Francisco und Hartford (Connecticut) betreibt Scott eines von vielen frommen TV-Programmen in den USA. Er selbst besitze nichts, erklärt er; er sei von seiner Kirche gewählt, und ihr gehören alle Einnahmen; selbst seine Lebensversicherung würde eines Tages (Scott ist 25 Jahre nach Herzogs Porträt verstorben) an die Kirche ausbezahlt werden. Zu ihrem Besitz gehört auch ein Mausoleum, eine Immobilienfirma, ein Reisebüro und ein Verlag. Offensichtlich funktioniert sie als diversifiziertes Unternehmen wie ein Großkonzern.
Die Behörden, so erfährt man indirekt aus Scotts Erklärungen, sehen das anders. Auch Herzogs sehr zurückhaltende Anmerkungen deuten darauf hin. Der Prediger ist eine umstrittene Figur, hat häufig Prozesse am Hals, wegen Steuerhinterziehung, Veruntreuung, Beleidigung und Erpressung. Deshalb fühlt sich der Mann verfolgt und bedroht. Aber er schreckt nicht davor zurück, seine Gegner als mechanisch bewegte Affenpuppen darzustellen.
Herzog konzentriert sich konsequent auf Gene Scott und hält sich zurück mit eigenen Wertungen – lediglich die Montage macht Herzogs Zweifel an dem Mann deutlich: Die Ausschnitte aus den TV-Predigten kreisen notorisch um das Thema Geld. Hohe Einnahmen bedeuten für Scott „religiöse“ Siege, doch seinen Reden fehlt jegliche Transzendenz, triviale Phrasen ersetzen eine glaubwürdige Frömmigkeit. Er verspricht: „Wir werden hier sein, wenn Jesus kommt“, und wenn es ihm einmal gelingt, innerhalb von 36 Minuten rund eine Viertelmillion Dollar einzunehmen, singen seine Musiker: „Danke, Herr, dass du meine Seele gerettet hast!“ Und weil es gerade so gut läuft, verlängert er spontan die Sendezeit, denn „es könnte eine Millionennacht werden!“. Einmal, an einem weniger lukrativen Tag, als sich seine finanziellen Erwartungen nicht zu erfüllen scheinen, setzt sich Scott minutenlang, als hätte man ihn böse beleidigt, stumm und schmollend vor die Kamera, die fünf Frauen an den Spendentelefonen weinen, bis Scott wütend loszubrüllen und sein TV-Publikum zu beschimpfen beginnt.
Herzog verzichtet darauf, Scotts Gegner zu Wort kommen zu lassen. Was der Prediger selbst erzählt, reicht für den Zuschauer aus, um sich ein Bild zu machen. Neben Scott kommen als Zeugen nur dessen Eltern zu Wort, die ihren Sohn preisen wie einen Heiligen, in dem schon ein Lehrer in der Schule das künftige Genie erkannt hätte. Die Mutter, von Herzog nach etwas Bösem im Leben ihres Sohnes befragt, berichtet, der kleine Gene habe einmal mit dem Finger vom Zuckerguss eines Kuchens genascht. Scott selbst gesteht, er würde gerne einmal was Schlimmes anstellen in seinem Leben, oder irgendwo hinfahren, wo man ihn nicht kennt, er habe die ständigen Kämpfe satt und würde lieber in Australien Vorlesungen über Plato halten.
Der Prediger ist eitel und stolz genug, um Herzog wirklich an sich ranzulassen, sogar in der Enge eines Autos gibt er ein Interview. Und wie viele gerissene Demagogen stellt er sich als Opfer dar, er spielt mit seinem Selbstmitleid und konstruiert Feindbilder, um mit ihnen irgendetwas wie ein Gemeinschaftsgefühl für seine Anhänger herzustellen. Scott klagt über seine Einsamkeit: „Wen könnte ich zum Freund haben? Jeder Freund ist ein potentieller Feind!“ So, als müsste er einen Judas, einen Verräter in seiner Umgebung fürchten. Was er von sich gibt, ist nie wirklich glaubwürdig; seine Reden sind nicht nur voller Widersprüche, sondern zeigen eindringlich, wie wenig Verlass ist auf Wörter und Sprache. Eher wäre wohl die Wahrheit im offenen und geheimen Handeln des Mannes zu finden. Scott dreht und wendet sich, behauptet, er müsse jede Woche einmal weinen und verweist stolz auf die schwarze Aktentasche, die sein einziger persönlicher Besitz sei und in die niemand außer ihm selbst hineinsehen dürfe – auch Werner Herzog darf es nicht.
In seiner leidenschaftlichen, häufig auch pathetischen Irrationalität erweist sich der TV-Prediger nicht nur als Wesensverwandter von Bishop Huie L. Rogers, den Herzog in HUIE’S PREDIGT (ebenfalls 1980) porträtiert hat. Scott gehört als Figur unverkennbar in Herzogs Kosmos, zu den größenwahnsinnigen, nie ganz durchschaubaren ambivalenten Helden wie Aguirre oder Fitzcarraldo. Hätte es Gene Scott nicht wirklich gegeben, so könnte man ihn ebenso gut für eine Erfindung Werner Herzogs halten. Und hätte der Filmemacher damals einen Spielfilm über Scott inszenieren wollen – Kinski wäre der ideale Darsteller gewesen.
- Produktionsland
- Deutschland (DE)
- Produktionszeitraum
- 1980
- Produktionsjahr
- 1980
- Farbe
- Farbe
- Bildformat
- 1:1,37
- Länge
- Mittellanger Film (31 bis 60 Min.)
- Gattung
- Dokumentarfilm
- Genre
- Biografie / Portrait
- Thema
- Religion, Psychologie, Filmgeschichte
- Rechteumfang
- Nichtexklusive nichtkommerzielle öffentliche Aufführung (nonexclusive, noncommercial public screening),Keine TV-Rechte (no TV rights)
- Anmerkungen zur Lizenz
- Hinweis: Vorführungen der Werner Herzog Filme außerhalb der Goethe-Institute im Ausland, z.B. in herkömmlichen Kinos, müssen im Vorfeld mit der Werner Herzog Stiftung abgesprochen werden.
- Lizenzdauer bis
- 14.12.2026
- Permanente Sperrgebiete
- Deutschland (DE), Österreich (AT), Schweiz (CH), Liechtenstein (LI), Südtirol (Alto Adige), Belgien (BE), Luxemburg (LU), Italien (IT)
- Verfügbare Medien
- DVD, DCP, Blu-ray Disc
- Originalfassung
- Deutsch (de)
DVD
- Untertitel
- Englisch (en), Spanisch (es), Französisch (fr), Italienisch (it), Portugiesisch (Bras.) (pt), Russisch (ru), Chinesisch (zh), Arabisch (ar), Deutsch (de), Türkisch (tr)
DCP
- Untertitel
- Deutsch (de), Englisch (en), Französisch (fr), Spanisch (Lateinamerika), Portugiesisch (Brasilien), Arabisch (ar), Chinesisch (zh), Russisch (ru), Italienisch (it), Türkisch (tr)
- Anmerkung zum Format
- Verschlüsseltes Herzog-Sammel-DCP
Blu-ray Disc
- Untertitel
- Deutsch (de), Englisch (en), Französisch (fr), Spanisch (Lateinamerika), Portugiesisch (Brasilien), Arabisch (ar), Chinesisch (zh), Russisch (ru), Italienisch (it), Türkisch (tr)