Werner Herzog
Flucht aus Laos
- Produktionsjahr 1997
- Farbe / LängeFarbe / 80 Min.
- IN-Nummer IN 3587
Mit 18 Jahren hatte Dieter Dengler seinen Heimatort im Schwarzwald verlassen. Er war in die USA gegangen, um Pilot zu werden. Nach Umwegen über die Air Force kam er zur US-Navy, war als Kampfpilot auf einem Flugzeugträger stationiert, wurde im Vietnamkrieg eingesetzt, über Laos abgeschossen und gefangen genommen. Nach einer abenteuerlichen Flucht kam er nach Thailand und zurück zu seiner Einheit. Werner Herzog beobachtet den Mann in seinem Haus nahe San Francisco, besucht mit ihm die alte Heimat im Schwarzwald und begleitet ihn nach Fernost, wo er Dieter Dengler Stationen seiner Flucht nachspielen lässt. Ein Nachtrag berichtet von Dieter Denglers Begräbnis auf dem Soldatenfriedhof von Arlington im Jahr 2001.
Herzog stellt seinem Film eine Stelle aus der Apokalypse des Evangelisten Johannes voraus: „In jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen, aber nicht finden; sie werden sterben wollen, aber der Tod wird vor ihnen fliehen.“ Mit dem Zitat macht Herzog von vorne herein klar, dass er im Lebensweg Dieter Denglers mehr sieht als nur das Schicksal eines einzelnen Mannes, der seinen Obsessionen folgt, ohne sie zu reflektieren. Eingangs beobachtet der Filmemacher seinen Helden, wie er ein Tatoo-Studio betritt und eine Tätowierung auswählt; das Bild erinnert an Albrecht Dürers „Apokalyptische Reiter“.
Beim Besuch in seiner Heimatstadt Wildberg erzählt Dieter Dengler, wie er erstmals den Wunsch verspürte, Pilot zu werden. Da war er noch ein Junge und beobachtete, wie US-Piloten den Ort bombardierten. Am Anfang stand keine Vision von der Freiheit über den Wolken, sondern ein Bild von Tod und Zerstörung. Nicht die Sehnsucht nach einem Traumberuf, sondern eine traumatische Erfahrung hat diesen Lebensweg geprägt. „Ich wollte nicht in den Krieg“, sagt Dieter, aber es war für ihn die einzige Möglichkeit, ein Flugzeug zu fliegen. Auch wenn er kein Krieger sein wollte, so wurde er doch zum Täter. Die Schäden, die er dabei erlitt, wirken eher harmlos und kurios. Wir sehen, wie der Mann sein Haus in den Bergen bei San Francisco betritt: Mehrfach öffnet und schließt er die Tür, bevor er wirklich eintritt; als er endlich drinnen ist, kommt er gleich wieder heraus. Er braucht dieses Ritual, sagt er, nach der Erfahrung der Gefangenschaft will er über die Türen verfügen können. An den Wänden seines riesigen Wohnzimmers hängen Bilder, die offene Türen zeigen. Im Haus hortet Dieter Lebensmittel; er zeigt sogar ein Versteck unter dem Fußboden. Auf der Terrasse über dem Tal befindet sich auf einer Stange das Modell einer „Spitfire“, eines Jagdflugzeugs aus dem II. Weltkrieg; vermutlich war es auch eine Spitfire, die Dieter als Kind beobachtet hatte. Herzog fragt Dengler, was es für ihn bedeute, ein Held zu sein. Die Antwort des Ex-Soldaten: „Nur die Toten sind Helden.“ Stecken die Wurzeln dieser Überzeugung noch in der deutschen Kindheit dieses Mannes, die er in der NS-Diktatur erlebt hat? Sein Großvater, sagt er, sei einst der einzige Einwohner von Wildberg gewesen, der gegen die Nazis gestimmt hätte und sei dafür misshandelt worden; in Erinnerung an ihn, so Dieter, habe er sich in der Gefangenschaft geweigert, eine Erklärung gegen den Krieg der USA in Vietnam zu unterschreiben. Herzog lässt diese seltsame Gleichsetzung unkommentiert.
Immer wieder taucht in diesem Dokumentarfilm die Frage auf, was einfach nur erfunden und inszeniert ist. Wieso gibt Dieter sein Versteck mit Nahrung, das ihn „besser schlafen“ lässt, so einfach in einem Film bekannt? Herzog selbst hat FLUCHT AUS LAOS als „Feature Documentary“ bezeichnet, als Mischform also, die durchaus gewisse Widersprüche in sich birgt. Aber dem Regisseur geht es nie um das reine Registrieren und Abbilden, er will tiefer eindringen, auch in die Ambivalenz seines Helden. Auf den ersten Blick wirkt das, wie so oft bei Herzog, ziemlich unpolitisch; es gibt hier im gesamten Off-Kommentar des Regisseurs keine Stelle, in der er klar gegen den Vietnam-Krieg Stellung beziehen würde. Was politisch indes viel wichtiger ist: Herzog macht die Details der Mechanismen klar. Zum Beispiel mit Archivbildern, die aus einem Bomben abwerfenden Flugzeug aufgenommen wurden. Aus der Höhe sind keine Menschen erkennbar, die Explosionsfeuer am Boden entfalten sich wie Blumen, die im Zeitraffer aufblühen. Herzog macht damit auch die Ästhetik des Schreckens durchschaubar, von der viele Kriegsfilme, bis hin zu Coppolas APOCALYPSE NOW, profitieren. Das passt auch zu der Musik, die Herzog ausgewählt hat, und die mitunter irritierende Kontraste anstrebt: Tangos des Argentiniers Carlos Gardel zum Bombenabwurf, Lieder des Mongolen Kongar-ol Ondar zum Dschungel von Laos, oder Dvoraks „Aus der neuen Welt“ zu Dieters Traum von Flugzeugwracks.
Wenn Dieter Dengler von der Gefangenschaft und der Flucht erzählt, erscheint dies wie ein endloser Horrortrip, und doch bedeuten gerade diese Sequenzen als Dokument (egal ob inszeniert oder nicht) des unbedingten Überlebenswillens ein entscheidendes Gegengewicht zum Motiv der Todessehnsucht, das den Film über weite Strecken prägt. Der daraus entstehende Widerspruch bleibt ungelöst. Nach dem Abschied von der US-Navy habe Dieter, so berichtet Herzog, als Testpilot gearbeitet und vier weitere Abstürze überlebt. Warum hat er so lange weitergemacht?
Aus den 2001 gedrehten Szenen vom Arlington National Cemetary geht nicht mit letzter Sicherheit hervor, dass hier tatsächlich Dieter Dengler zu Grabe getragen wird. Die Anwesenheit seines Retters Eugene Deatrick, mit dem Dieter vor Jahren den „Thanksgiving Day“ gefeiert hat, könnte vom Regisseur veranlasst worden sein. Die US-Fahne, die von Soldaten über dem Sarg zusammengefaltet wird, als wären Roboter am Werk, wird schließlich einer asiatisch aussehenden Frau überreicht; in ihrer Begleitung ein junger Mann, der ihr Sohn sein könnte. So deutet Herzog, dem die Zwiespältigen weit näher liegen als die Eindeutigen, am Ende doch noch eine Versöhnung und eine Überwindung der Fronten an. Ob er sie eventuell nur erfunden hat, bleibt letztlich unwichtig.
- Produktionsland
- Deutschland (DE), Vereinigtes Königreich (GB)
- Produktionszeitraum
- 1997
- Produktionsjahr
- 1997
- Farbe
- Farbe
- Bildformat
- 1:1,37
- In Koproduktion mit
- Cafe Productions (London)
- Länge
- Langfilm (ab 61 Min.)
- Gattung
- Dokumentarfilm
- Genre
- Biografie / Portrait
- Thema
- Gewalt, Filmgeschichte
- Rechteumfang
- Nichtexklusive nichtkommerzielle öffentliche Aufführung (nonexclusive, noncommercial public screening),Keine TV-Rechte (no TV rights)
- Anmerkungen zur Lizenz
- Hinweis: Vorführungen der Werner Herzog Filme außerhalb der Goethe-Institute im Ausland, z.B. in herkömmlichen Kinos, müssen im Vorfeld mit der Werner Herzog Stiftung abgesprochen werden.
- Lizenzdauer bis
- 14.12.2026
- Permanente Sperrgebiete
- Deutschland (DE), Österreich (AT), Schweiz (CH), Liechtenstein (LI), Südtirol (Alto Adige), Belgien (BE), Luxemburg (LU), Italien (IT)
- Verfügbare Medien
- DVD
- Originalfassung
- Englisch (en)
DVD
- Untertitel
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