Werner Herzog
Die große Ekstase des Bildschnitzers Steiner (Ski-Flugschanze Planica)
- Produktionsjahr 1974
- Farbe / LängeFarbe / 47 Min.
- IN-Nummer IN 3588
Ein ungewöhnliches Porträt des ehemaligen Weltmeisters im Skifliegen, Walter Steiner. Im Mittelpunkt steht Steiners Wettkampf bei der internationalen Skiflugwoche auf der Großschanze von Planica (Slowenien) im März 1974.
Wenn es um das Skifliegen geht, so ist DIE GROSSE EKSTASE DES BILDSCHNITZERS STEINER bereits ein historisches Dokument, denn die Sportart hat sich inzwischen rasant weiterentwickelt. Die Springer treten noch ohne Sturzhelm an, auch die Bindungen der Skier und die Stiefel würden dem heutigen Sicherheitsstandard längst nicht mehr genügen; damals mussten die Springer noch von der Seite her in die Anlaufspur hüpfen, heute stoßen sie sich gerade von einem Sitzbalken ab. Damals bedeutete eine Weite von 169 Metern Weltrekord; im Jahr 2009 stand der Weltrekord bei 239 Metern. Zu Steiners Zeiten galt noch eine parallele Skiführung als vorbildlich; heute springt man den aerodynamisch wirksameren „V-Stil“ – mit gespreizten Skiern.
Doch es geht hier nicht um Sprungtechnik, Ausrüstung oder um die Beschaffenheit der Schanzen. Es geht um eines der zentralen Motive im Werk Herzog: Um die Sehnsucht nach Schwerelosigkeit, um die sekundenschnelle Erfüllung dieser Sehnsucht, um den Wunsch, gegen physikalische Grenzen aufzubegehren und von der Erde abzuheben; und natürlich ist das alles verbunden mit der Niederlage, mit dem Absturz. Wie archaisch alt diese Motive sind, zeigt schon der griechische Mythos von Dädalus und Ikarus.
Schon zu Beginn erhöht Herzog durch die Verwendung extremer Zeitlupen-Kameras die Illusion vom schwerelosen Fliegen – die Einstellung evoziert gleichzeitig das Gefühl einer wunderbaren Harmonie. Wenig später freilich montiert der Filmemacher eine Abfolge furchtbarer Stürze, bei denen es an ein Wunder grenzt, dass die Sportler ihren Mut nicht mit dem Leben oder lebenslangen Behinderungen bezahlen mussten. Herzog mag die Verwegenen, die Hybris interessiert ihn weit mehr als die Demut. Doch hinter den physischen Kraftakten seiner Helden steht die Metaphysik, die Grenzüberschreitungen sind immer auch abstrakt zu verstehen.
DIE GROSSE EKSTASE DES BILDSCHNITZERS STEINER entstand in der TV-Reihe „Grenzstationen“ – eine Reihe, die wie für Werner Herzog geschaffen zu sein schien, weil sie Menschen in extremen Momenten beobachtete. Zu den Regeln der Reihe gehörte auch, dass der „Erzähler“ persönlich vor die Kamera trat, wie ein Augenzeuge; dies führt hier zu einer ungewöhnlich häufigen Präsenz des Filmemachers, der sich sonst meist mit Kommentaren aus dem Off einbrachte, sich hier aber vor der Kamera aufbaut und redet wie ein Reporter, um den Eindruck von Authentizität zu verstärken.
Einst hat Werner Herzog erzählt, dass er selbst gerne ein großer Skispringer geworden wäre; vielleicht ist es dieser nicht erfüllte Traum, der ihn hier so enthusiastisch auf die sportlichen Höchstleistungen des Schweizers Walter Steiner reagieren lässt – während der Film auf die andere große Begabung des Mannes kaum eingeht, auf den Holzbildhauer Steiner, der seine künstlerischen Fähigkeiten und Gedanken nur kurz und am Rande äußern darf. Herzog sucht lieber die Momente des titanischen Aufbegehrens. Wenn Steiner im zweiten Trainingssprung schwer stürzt, macht sich der Regisseur nicht nur Sorgen um seinen Helden, sondern auch um seinen Film, weil er nicht weiß, ob der Springer überhaupt noch am Wettkampf von Planica teilnehmen wird.
Steiners Statements klingen immer ein wenig so, als hätte Herzog sie für ihn geschrieben. „Ich komme mir vor wie in einer Arena, und 50.000 Zuschauer warten darauf, dass ich zerschelle!“ Der reale Hintergrund seiner Befürchtungen liegt in seiner Überlegenheit. Steiner fühlt sich von den Veranstaltern unter Druck gesetzt, denn er fliegt auch dann noch weiter als die Konkurrenten, wenn er sich für einen kürzeren Anlauf entscheidet, um dann mit geringerer Geschwindigkeit vom Schanzentisch abzuheben. In seinem vorletzten Sprung steht Steiner die Weite von 166 Metern und bekommt von den Punktrichtern mehrfach die Traumnote 20. Herzog schwärmt dabei vom „vollendetsten Sprung aller Zeiten“. Der Skiflieger aus der Schweiz gewinnt den Wettbewerb, obwohl er sich selbst und aus freien Stücken für ein Handicap gegenüber der Konkurrenz entschieden hat.
Hinterher erzählt Steiner von einem jungen Raben, den er aufgezogen habe; manchmal habe ihn der Vogel sogar von der Schule abgeholt. Dann aber habe das Tier, vielleicht wegen falscher Fütterung, seine Federn verloren und sei von den Artgenossen so gequält worden, dass Steiner keine andere Wahl blieb, als den Raben zu erschießen. Die Anekdote, in der es um Fliegen, Flugunfähigkeit und Absturz geht, könnte auch von Herzog erfunden worden sein, ebenso wie der irritierend egozentrische und gewollt titanische Schlusstext, den der Filmemacher am Ende einblendet: „Ich sollte eigentlich ganz allein auf der Welt sein, ich, Steiner, und sonst kein anderes Lebewesen. Keine Sonne, keine Kultur, ich nackt auf einem hohen Fels, kein Sturm, kein Schnee, keine Straßen, keine Banken, kein Geld, keine Zeit und kein Atem. Ich würde dann jedenfalls keine Angst mehr haben.“
PS: Walter Steiner hat inzwischen geheiratet, lebt im schwedischen Falun und geht mit der Flugangel einem weniger gefährlichen Hobby nach. Für Herzog wäre das kein Thema mehr.
- Produktionsland
- Deutschland (DE)
- Produktionszeitraum
- 1973/1974
- Produktionsjahr
- 1974
- Farbe
- Farbe
- Bildformat
- 1:1,37
- Länge
- Mittellanger Film (31 bis 60 Min.)
- Gattung
- Dokumentarfilm
- Genre
- Biografie / Portrait
- Thema
- Sport, Filmgeschichte
- Rechteumfang
- Nichtexklusive nichtkommerzielle öffentliche Aufführung (nonexclusive, noncommercial public screening),Keine TV-Rechte (no TV rights)
- Anmerkungen zur Lizenz
- Hinweis: Vorführungen der Werner Herzog Filme außerhalb der Goethe-Institute im Ausland, z.B. in herkömmlichen Kinos, müssen im Vorfeld mit der Werner Herzog Stiftung abgesprochen werden.
- Lizenzdauer bis
- 14.12.2026
- Permanente Sperrgebiete
- Deutschland (DE), Österreich (AT), Schweiz (CH), Liechtenstein (LI), Südtirol (Alto Adige), Belgien (BE), Luxemburg (LU), Italien (IT)
- Verfügbare Medien
- DVD, DCP, Blu-ray Disc
- Originalfassung
- Deutsch (de)
DVD
- Untertitel
- Englisch (en), Spanisch (es), Französisch (fr), Italienisch (it), Portugiesisch (Bras.) (pt), Russisch (ru), Chinesisch (zh), Arabisch (ar), Deutsch (de), Türkisch (tr)
DCP
- Untertitel
- Deutsch (de), Deutsch Teil UT, Englisch (en), Französisch (fr), Spanisch (Lateinamerika), Portugiesisch (Brasilien), Arabisch (ar), Chinesisch (zh), Russisch (ru), Italienisch (it), Türkisch (tr)
- Anmerkung zum Format
- Verschlüsselte DCP
Blu-ray Disc
- Untertitel
- Deutsch (de), Deutsch Teil UT, Englisch (en), Französisch (fr), Spanisch (Lateinamerika), Portugiesisch (Brasilien), Arabisch (ar), Chinesisch (zh), Russisch (ru), Italienisch (it), Türkisch (tr)