Andres Veiel
Black Box BRD
- Produktionsjahr 2001
- Farbe / LängeFarbe + s/w / 102 Min.
- IN-Nummer IN 1688
Eine Recherche nach zwei konträren, aber gleichermaßen radikalen und gewaltsam beendeten Lebensläufen: Alfred Herrhausen, Chef der Deutschen Bank, starb 1989 bei einem vermutlich von der RAF verübten Bomben-Anschlag. Vier Jahre später sollte der mutmaßliche RAF-Terrorist Wolfgang Grams auf dem Bahnhof von Bad Kleinen verhaftet werden; er kam nach einem Schusswechsel unter nie endgültig geklärten Umständen ums Leben.
Am 30. November 1989 fiel Alfred Herrhausen, Vorstand der Deutschen Bank, einem Attentat zum Opfer. Die Verantwortung für den Anschlag wird der RAF (Rote Armee Fraktion) zugeschrieben. Vier Jahre später stirbt Wolfgang Grams, mutmaßliches Mitglied der RAF, bei einem Schußwechsel mit der Polizei auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. BLACK BOX BRD unternimmt eine - nicht kriminalistisch zu verstehende - Spurensuche und setzt die exemplarischen Biographien der beiden Toten miteinander in Beziehung
Es geht dabei auch um die Geschichte zweier feindlicher Lager in einer polarisierten Gesellschaft. Alfred Herrhausen, geboren 1930, als Kind noch Schüler einer NS-Eliteschule, machte im Land des Wirtschaftswunders eine Bilderbuch-Karriere, gelangte in den achtziger Jahren an die Spitze der Deutschen Bank und wurde einer der mächtigsten Männer der Bundesrepublik. Wie sehr er Politik und Geschäft zu verknüpfen verstand, läßt hier ein Statement des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl erahnen, der den Banker zu seinen verläßlichen Freunden zählte. Herrhausen war maßgeblich beteiligt an der Fusion von Daimler-Benz mit MBB und kam so auch mit der deutschen Rüstungsindustrie in Berührung. Wie unorthodox der nicht unumstrittene Banker agieren konnte, war bei seiner Rückkehr von einer Geschäftsreise nach Mexiko zu beobachten, nach der er für die Entschuldung der Dritten Welt eintrat; mit diesen Vorstellungen konnte er sich in seinem Haus ebenso wenig durchsetzen wie mit seinen Vorschlägen für eine durchgreifende Reform innerhalb der Deutschen Bank.
Wolfgang Grams, geboren 1953, rebellierte wie viele seiner Generation gegen das Elternhaus und das staatliche System. In Wiesbaden kam er in Kontakt mit der militanten Linken und tauchte 1984 in den Untergrund ab. Das Bundeskriminalamt rechnet ihn zur Kommando-Ebene der RAF und macht ihn mitverantwortlich für Attentate auf Manager und hohe Staatsbeamte. Bis heute ist umstritten, wie er an jenem 27. Juni 1993 ums Leben kam; immer wieder werden Zweifel an der offiziellen Erklärung geäußert, er habe Selbstmord begangen. Todesursache war ein "aufgesetzter" Schuß in den Hinterkopf.
Andres Veiel gelingt es, die beiden Lebensläufe und die Aussagen von Angehörigen und zahlreicher anderer direkt oder indirekt Betroffener ineinander zu verflechten, ohne dabei irgendeine Art von "Tatzusammenhang" zu suggerieren: Wie weit Wolfgang Grams für die Ermordung Herrhausens verantwortlich war - und ob überhaupt - diese Frage bleibt völlig offen. Der entscheidende Kontext besteht vielmehr in der Geschichte der Bundesrepublik, in der die beiden Toten als prominente Vertreter konträrer Ideologien agierten, die sich noch in den achtziger Jahren unversöhnlich gegenüberstanden. Es war ein Krieg der Ideologien, aus dem die Waffen nicht herausgehalten werden konnten.
Der vieldeutige Titel des Films ist auch als Programm und Konzept zu verstehen. "Der Ausdruck Black Box hat für mich mehrere Bedeutungsebenen. Das ist im wörtlichen Sinn der schwarze Kasten, in den kein Licht kommt und die Geschehnisse aufhellen kann. Zum Beispiel bei Wolfgang Grams: Was ist wirklich in Bad Kleinen passiert? Wie ist er zu Tode gekommen? Wer weiß, vielleicht beichtet ja eines Tages ein GSG-9 Beamter auf dem Sterbebett. Black Box ist aber auch der schwarze Kasten im Sinn der Projektionsbox, in den wir alles hinein projizieren können, was wir kennen und glauben. Den Tod von Alfred Herrhausen könnte man zum Beispiel deuten, indem man sich vorstellt, die RAF war von Geheimdiensten unterwandert. Es gibt ja Thesen, dass Stasi (der Staatssicherheitsdienst der DDR) oder CIA beteiligt waren. Ich mache nur Angebote in meinem Film, und die Projektionsfläche in diesem Kasten ist groß genug für verschiedene Vorstellungen. Black Box nennt man ja auch den Flugschreiber, der aufzeichnet, was während der Katastrophe passiert ist. Der ist bis heute nicht gefunden worden. Aber die Verstrickungen der Hinterbliebenen und Zeitgenossen, die Wunden, die die Verluste gerissen haben, die sind ja nach wie vor da." (Andres Veiel)
Mit den Statements einer langen Reihe von Befragten werden die überaus konträren Persönlichkeiten von Grams und Herrhausen zwar plausibel, doch die Irritation über die den beiden eigene Radikalität des Denkens und auch des Lebenswegs bleibt: "Es geht um die Menschen Grams und Herrhausen, ein Gegenkonzept zum Schubladendenken der Revolte in den siebziger Jahren. Warum ging der eine 1984 noch in den Untergrund? Wen hat die RAF damals getötet? Die Gemeinsamkeiten, die Veiel entdeckt, dürften für viele Zuschauer die große Provokation dieses Films sein: dass Veiel die Parallelen zuläßt zwischen dem kühnen Manager und dem gewissenlosen Mörder - oder, von der anderen Seite betrachtet -, zwischen dem eiskalten Vertreter des Kapitals und dem vom Staat ermordeten Rebellen." (Martina Knoben, epd Film)
Veiels filmische Recherche, stets zwischen Nähe und Abstand schwankend, aber nie auf Distanzierung bedacht, glättet keine Widersprüche und maßt sich auch keine Antworten an. Der Film hat sie dank der Fülle von Statements - sie alle zu bekommen muß einer enormen Überzeugungsarbeit bedurft haben - auch in keinem Moment nötig. Informationsreich ist BLACK BOX BRD nicht nur in den verbalen Aussagen von Herrhausens Witwe oder Grams' Eltern; als Zuschauer sollte man die Aufmerksamkeit auch auf die Schauplätze richten, auf die Wohnung der Familie Grams, auf das Haus der Herrhausens und auf die Idylle der Gartenlauben, in die sich ehemals militante Linke zurückgezogen habe, und natürlich auf Frankfurt, die deutsche Geldmetropole, in der mehr Hochhäuser stehen als irgendwo sonst in Deutschland. Wenn sich die Kamera im Helikopter dem Bankenviertel, "Mainhattan", nähert, so provoziert die Totale unweigerlich eine Reihe von Assoziationen: Sie reichen vom Turm Fredersens, des Herren von METROPOLIS, bis zu den Twin Towers des World Trade Center.
Hans Günther Pflaum
- Produktionsland
- Deutschland (DE)
- Produktionszeitraum
- 2000/2001
- Produktionsjahr
- 2001
- Farbe
- Farbe + s/w
- Bildformat
- 1:1,66
- In Koproduktion mit
- Hessischer Rundfunk (HR) (Frankfurt am Main) || Südwestrundfunk (SWR) (Stuttgart) || Arte G.E.I.E. (Straßburg)
- Länge
- Langfilm (ab 61 Min.)
- Gattung
- Dokumentarfilm
- Genre
- Biografie / Portrait
- Thema
- Gewalt, Kapitalismus, Sozialismus / Kommunismus, Extremismus / Terrorismus
- Rechteumfang
- Nichtexklusive nichtkommerzielle öffentliche Aufführung (nonexclusive, noncommercial public screening),Keine TV-Rechte (no TV rights)
- Lizenzdauer bis
- 31.12.2028
- Permanente Sperrgebiete
- Deutschland (DE), Österreich (AT), Schweiz (CH), Liechtenstein (LI), Südtirol (Alto Adige), Luxemburg (LU)
- Verfügbare Medien
- DCP, DVD
- Originalfassung
- Deutsch (de)
DCP
- Untertitel
- Deutsch Voll UT, Englisch (en), Französisch (fr), Spanisch (Lateinamerika), Portugiesisch (Brasilien), Russisch (ru)
DVD
- Untertitel
- Deutsch Voll UT, Englisch (en), Französisch (fr), Spanisch (Lateinamerika), Portugiesisch (Brasilien), Russisch (ru)