Feminismus und Sprache
Gendern oder nicht gendern? Das ist hier die Frage!

Illustration mit protestierenden Personen
Feminismus in der Sprache | Illustration: © Marlen Hacker

Die deutsche Sprache gilt, genau wie das Französische, als männlich dominiert. In den letzten Jahren gab es daher zahlreiche Versuche, der Sprache auf beiden Seiten des Rheins an den Kragen zu gehen und das Problem zu beheben. Und so tobt auch hier seit einiger Zeit der Geschlechterkampf.
 

Von Stefanie Eisenreich

Ein paar Jahre ist es jetzt her, da kam ein kleiner Mensch auf die Welt und erhielt den Namen Eike. Natürlich fragten viele: Ist es ein Junge? Ist es ein Mädchen? Die Eltern aber wollten partout das Geschlecht des Kindes nicht preisgeben. Es sollte fern geschlechterspezifischer Klischees heranwachsen und sich selbst für ein Geschlecht entscheiden dürfen. Eike gehört zu jenen Kindern, die mit der aktuellen Geschlechterdebatte aufwachsen und deren Eltern, voller Ideale, den neuen kleinen Menschen nicht in ein Geschlechterkorsett pressen wollen. Seit November 2017 gibt es in Deutschland sogar die Möglichkeit, bei der Geburt eines Kindes ein drittes Geschlecht im Personenregister anzugeben, so hat es das Karlsruher Verfassungsgericht entschieden. Ziel ist es, Menschen, bei denen die Geschlechterzugehörigkeit nicht klar ist, nicht länger zu benachteiligen und Ungleichheiten zu minimieren. Funktioniert das auch mit Sprache?

„Sprache produziert einen bestimmten Blick auf die Welt“

Das Sein bestimmt laut Karl Marx das Bewusstsein. Ähnlich verhält es sich mit Sprache. Sie beeinflusst unser Denken. „Die Sprache“, sagt Véronique Perry, „ist ein symbolischer Wegweiser und produziert einen bestimmten Blick auf die Welt.“ Perry ist Sprachwissenschaftlerin an der Universität Toulouse III und forscht seit über 20 Jahren zur Genderfrage im Englischen und Französischen. Das Englische, so sagt sie, sei wesentlich weniger sexistisch als die französische Sprache mit all ihren grammatikalischen Beschränkungen. Im Englischen könne man zum Beispiel problemlos nach den für beide Geschlechter geltenden Begriffen 'doctor' oder 'cook' die Pronomen 'she' oder 'he' folgen lassen und somit die Frage nach dem Geschlecht sofort beantworten. Im Französischen wie im Deutschen ist dies kaum möglich: Auf 'der Arzt', würde man nicht 'sie' folgen lassen – das wäre grammatikalisch falsch. Hier bedarf es wiederum der Anpassung des Substantivs – die Ärztin – wobei sowohl im Deutschen als auch Französischen die männliche Bezeichnung die Norm darstellt. Im Französischen kommt ein weiteres Problem hinzu: Während es auch im Deutschen immer die weibliche Entsprechung gibt, die Kollegin des Arztes also die Ärztin ist, so gibt es im Französischen großen Nachholbedarf. Denn hier bleibt ein docteur ein docteur, egal ob weiblich oder männlich. Formen wie auteure und docteure werden zum Zeichen des Protests von AktivistInnen eingesetzt, die Académie française erkennt sie jedoch nicht offiziell an. Gleiches gilt für die Orientierung an männlichen Substantiven. Sobald zum Beispiel ein Mann in einem Orchester sitzt, werden alle Musiker und Musikerinnen des Orchesters männlich. So sagt man beispielsweise: les musiciens de la Philharmonie de Paris étaient très forts ce soir, auch wenn das Orchester aus 12 Damen und einem Herrn besteht. Dass dies problematisch sein kann, wird bei folgendem, im Bereich der Genderstudies sehr bekannten, Gedankenexperiment deutlich: Stellen Sie sich vor, ein Sohn ist mit seinem Vater unterwegs. Sie haben einen Unfall, bei dem der Vater stirbt und der Sohn ins Krankenhaus eingeliefert wird. Dort muss er operiert werden. Als sich die Dienst habenden Chirurgen über den Jungen beugen, sagt jemand aus dem Team: „Ich kann nicht operieren – das ist mein Sohn!“ Na, in welchem Verhältnis stehen hier das Unfallopfer und die Person, die operieren soll, zueinander? Die meisten fangen an zu spekulieren, über Adoption, uneheliche Kinder, Patchworkfamilien. Es steht die Frage im Raum: „Moment mal, der Vater ist doch tot. Wer ist dann der Mann dort am OP-Tisch?“ Die einfache Antwort aber lautet: Es gibt mindestens eine Chirurgin im Team, die Mutter des Jungen. Wie absurd das Ganze werden kann, zeigte vor einigen Jahren auch eine Tamponwerbung, in der es hieß: „Jeder erlebt seine Tage anders.“ Merken Sie was?

Für die Einen ein Graus, für die Anderen ein Muss

Doch neben den Berufsbezeichnungen, die es im Französischen in vielen Fällen nur in ihrer männlichen Form gibt, geht es beim Gendern auch um die grafischen Mittel, die anzeigen sollen, dass mit einer Personenbezeichnung sowohl Männer als auch Frauen gemeint sind. Da gibt es im Deutschen das große Binnen-I, wie bei BürgerInnen, die Trennung durch Schräg- oder Unterstrich, wie bei Student_innen, das Sternchen oder aber experimentelle Schreibweisen mit X. Denn auch hier soll allen Transsexuellen gedacht werden, die sich keinem der Geschlechter zugeordnet fühlen. Dann heißt es eben nicht Professorin oder Professor sondern ProfessX. Schwierig daran ist leider, dass so Mancher dabei eher an Asterix und Obelix als an Gleichberechtigung denkt. Eine weitere Variante sind schließlich noch die substantivierten Partizipien wie "Studierende" oder "Mitarbeitende". Doch auch hier gibt es grammatikalische Probleme, denn wenn wir das Partizip verwenden, drücken wir gleichzeitig aus, dass die Person gerade dabei ist, etwas zu tun. Studierende oder Mitarbeitende sind aber nicht permanent dabei, zu studieren oder mitzuarbeiten. Das bietet viel Diskussionsstoff. Auch im Französischen, wo sich viele dem sogenannten point médian, wie beispielsweise in député·e·s, welches männliche wie weibliche Abgeordnete einschließen soll, noch verweigern.

Viel Wind um nichts?

Auch der französische Premierminister Edouard Philippe ist nur bedingt ein Fan von sprachlicher Gleichberechtigung. Im November 2017 sprach er sich gegen die Verwendung des point médian und des accord de proximité aus. Der Académie française kann das nur recht sein. Denn auch hier ist man nicht begeistert. Das grammatikalische Genus sei nicht mit dem natürlichen Geschlecht zu verwechseln, hieß es schon in einer Erklärung aus dem Jahr 1984. Im Oktober 2017 entstand eine Polemik um die prestigereiche Institution, die offiziell für die Vereinheitlichung und Pflege der französischen Sprache zuständig ist. Denn während sich eine Vielzahl von Schriftstellern und Intellektuellen für das Gendern der französischen Sprache und die Verwendung der sogenannten écriture inclusive einsetzen, warnte die Akademie vor dem Übermaß an Anpassungen und Zeichen, um der Lesbarkeit und Eindeutigkeit der französischen Sprache nicht zu schaden. Die Orientierung am männlichen besteht also heute wir vor hundert Jahren. „Das ist doch klar“, sagt Véronique Perry dazu. „Die Académie fraçaise wurde von Cardinal de Richelieu gegründet, der auch damals schon die französische Sprache zu normieren suchte.“ Und wie im Deutschen, so markiert die männliche Form auch im Französischen die Männer als Norm, wie eben beim Chirurg in einem Chirurgenteam oder dem Mann im Orchester. Für Véronique Perry liegt die Lösung in der sogenannten règle de proximité, der Regel des am nächsten stehenden Substantivs. Im Französischen wird das Adjektiv immer an das Substantiv angepasst. Das große Haus, der große Hund oder die große Jacke - im Deutschen ändert sich die Adjektivendung nicht. Im Französischen aber wird daraus la grande maison oder le grand chien. Gibt es nun eine Reihung von Substantiven weiblichen und männlichen Genus in einem Satz, dann hat man im Französischen bisher das Adjektiv immer an das männliche Substantiv angepasst. Die weibliche Form fiel weg. Mit der règle de proximité wäre dies anders. Die weibliche Form könne damit in einem Satz durchaus dominieren, da das Adjektiv an das Substantiv angepasst wird, welches ihm am nächsten steht. Aus der Anrede chers toutes et tous – Liebe Alle - wird dann chères toutes et tous.
 
Für viele bedeutet die Gender-Debatte dabei vor allem Eines: Viel Wind um nichts. Auch in Deutschland stellen Einige sich quer. Der Verein zum Erhalt der deutschen Sprache fordert ganz ähnlich der Académie française ein „Ende des Gender-Wirrwarrs“ und sieht Frankreich als sprachpolitisches Vorbild. Erst kürzlich hat außerdem der Rat der deutschen Rechtschreibung entschieden, vorerst keine Empfehlungen für geschlechtergerechte Sprache zu geben. Der Untergang der deutschen Sprache, den einige befürchten, sei damit vorerst verschoben, schreibt Mathias Heine in einem Artikel der Welt. Bei allen Debatten dürfe man jedoch eines nicht aus den Augen verlieren,“ erklärte die 2016 verstorbene Linguistin, Feministin, Psychoanalytikerin und emeritierte Professorin der Universität Paris-Decartes, Anne-Marie Houdebine: „Sprache besitzt immer auch eine ethische Qualität, das heißt, die Fähigkeit, zu diskriminieren oder herabzusetzen, aber auch egalitär und damit nicht sexistisch oder rassistisch zu sein.“ Welchen Weg die Sprache also gehen wird, bleibt offen. Eines aber ist sicher: Wollen wir eine gleichberechtigte Gesellschaft, muss sich unser Blick auf die Welt verändern und damit auch unsere Sprache.

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