Geniale Dilletanten
Ornament & Verbrechen – eine Band als Phantom

Ronald Lippok, Charlotta Jansen, Robert Lippok; Jugendclub Gerard Phillipe, Berlin 1988
Ronald Lippok, Charlotta Jansen, Robert Lippok; Jugendclub Gerard Phillipe, Berlin 1988 | Foto: Hartmut Beil

Ornament & Verbrechen war die bekannteste unbekannte Band der DDR. Das Instrumentarium, mit dem die Brüder Ronald und Robert Lippok 1983 anfingen, als Ornament & Verbrechen Musik zu machen, war überschaubar: ein kleines Casio-Keyboard und ein Plastikkanister gefüllt mit Legosteinen.

„Die Percussion-Instrumente haben wir uns damals selbst gebaut“, erklärt Ronald Lippok. So diente den Brüdern etwa auch eine mit Fell bespannte Schublade als Instrument – anderes Material für die experimentelle Klangerzeugung, wie etwa ein Korg MS-20 Analogsynthesizer, wurde für Konzerte oder Aufnahmesessions kurzfristig im Bekanntenkreis geliehen.

Die Freude am Experiment sei nicht nur aus dem Mangel an Material geboren, sagt Ronald Lippok, sondern auch eine bewusste Entscheidung gegen die bestehende Rockästhetik gewesen. „Wir waren damals inspiriert von Einstürzende Neubauten, Tödliche Doris, Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Throbbing Gristle oder Cabaret Voltaire.“ Bei Ornament & Verbrechen – die ihren Namen beim umstrittenen Architekten Adolf Loos entliehen – mischten sich Industrial- und Post-Punk-Anleihen mit No-Wave-Sensibilität, die gelegentlich ins Psychodelische driftete. Weil die Besetzung der Gruppe ständig wechselte und man auch unter verschiedenen Pseudonymen agierte, wurde paradoxerweise die Ungreifbarkeit der Gruppe zum Markenzeichen. So wurde Ornament & Verbrechen die bekannteste unbekannte DDR-Band.

Müller schmuggelte Merve

Über das Treiben der Genialen Dilletanten auf der anderen Seite der Mauer wusste man Bescheid. Wolfgang Müller, der Westberliner Herausgeber der programmatischen Dilletanten-Schrift, beschrieb in seinen 2013 erschienenen Westberlin-Memoiren Subkultur Westberlin 1979–1989, wie der inoffizielle Kulturaustausch in den 1980er-Jahren funktionierte: „Im Herbst 1982 erscheint Geniale Dilletanten bei Merve, kurz darauf Heiner Müllers Rotwelsch. Mit einer Müller-Ost- und Müller-West-Party wollen die Verleger die Bücher in ihrer Fabriketage präsentieren. (…) Nach der Party packt Heiner Müller zwanzig Exemplare des Buchs Geniale Dilletanten in sein Diplomatengepäck und reist zurück nach Ostberlin. Er verteilt sie in der Szene um den Prenzlauer Berg.“ Über Müller kam der Dichter Bert Papenfuss in den Besitz des Merve-Bändchens, von dort wanderte es zu den Lippoks.

Kassetten im Untergrund

Eine andere Möglichkeit des Informationsaustauschs über die Mauer hinweg waren Radio und Fernsehen. So kannte man im Ostteil die Einstürzenden Neubauten über ein im Sender Freies Berlin (SFB) ausgestrahltes Musikvideo, hinzu kamen Beiträge des Senders RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor). Zum absoluten Pflichtprogramm zählte die wöchentliche Radioshow von John Peel für das britische Soldatenradio British Forces Broadcasting Service (BFBS). Weil es fast unmöglich war, an entsprechendes Vinyl heranzukommen, wurden die Peel-Sessions auf Tapes mitgeschnitten. Kassetten waren auch das Medium, mit dem die eigene Musikproduktion zirkulierte: Inoffizielle Musikproduktionen und Konzertmitschnitte wurden unter abenteuerlichen Bedingungen aufgenommen, in kleinen Auflagen vervielfältigt und weitergegeben. Oft gingen die Untergrund-Tapes auch zusammen mit selbstverlegten Zeitschriften oder Künstlereditionen von Hand zu Hand: Für die Covergestaltung fanden vilefach originalgrafische Techniken wie Zeichnungen, Siebdrucke oder fototechnische Reproduktionen Anwendung. Das Lippok-Kassetten-Label hieß Assorted Nuts. Nicht nur in Ostberlin existierte eine Untergrundszene, die sich so über ihre Experimente austauschte, auch in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), Dresden, Erfurt, Leipzig und Halle gab es ähnliche Aktivitäten.

Klänge statt Karriere

Der Zirkel, der sich bei Auftritten in privaten Wohnungen oder Kirchenräumen und bei unabhängigen Kunstveranstaltungen oder Dichterlesungen traf, war überschaubar. „Wir hatten Anfang der 1980er-Jahre keine Chance, ins Radio zu kommen, ein Plattenlabel zu finden oder offiziell Konzerte zu geben“, sagt Ronald Lippok. Bis zum Ende der DDR lehnten die Brüder es ab, eine sogenannte Einstufung zu absolvieren, welche in der DDR die Voraussetzung zum Erlangen einer Konzerterlaubnis darstellte. Mit ihrem Namen und dem Sound hätten Ornament & Verbrechen es ohnehin vermutlich schwer gehabt, eine offizielle Spielerlaubnis zu bekommen. „Uns ging es darum, Klänge und Musik zu entwickeln. Wir haben uns treiben lassen. Es ging nicht um Karriere.“ Der Erfolg kam nach 1990, in Gruppen wie Tarwater oder to rococo rot. Doch Ornament & Verbrechen wurde nie totgesagt. Sie geistern weiterhin wie ein Phantom durch die Gegenwart.
 
Die Ausstellung Geniale Dilletanten präsentiert ab 23. April 2015 in Minsk (Belarus) und im Anschluss auf Welt-Tournee den bisher umfangreichsten Überblick über die deutsche Subkultur der 1980er-Jahre. Von Juni bis Oktober 2015 wird sie im Münchener Haus der Kunst zu sehen sein. Geniale Dilletanten ist eine Tourneeausstellung des Goethe-Instituts.