Director’s Statement
Henrika Kull über ihren Film Glück/Bliss

Henrika Kull
© Robin Kirchner

Sehnsucht und Körperlichkeit, aber auch Orte sozialer Grenzerfahrung und Stigmatisierung sind Themen, die mich schon immer faszinieren. Eine Recherche führte mich 2010 erstmals in ein Bordell. Ich wollte erfahren, wie dieser Ort funktioniert: Wie würden die Frauen dort mit ihrer Weiblichkeit, wie würden sie miteinander, aber auch mit ihren Kunden umgehen?

Ich setzte meine Recherche über die Jahre in unterschiedlichen Bordellen fort, arbeitete in einigen hinter der Bar oder assistierte den Hausdamen. Dabei führte ich Gespräche mit den Sexarbeiterinnen aber auch mit deren Gästen. So sehr sich die Orte, an die ich kam, unterschieden, nahm ich die Frauen doch meist sehr selbstbestimmt in ihrer Berufsausübung wahr. Ich stellte fest, dass sie ihren Job vor allem als Möglichkeit sahen, besser an Geld zu kommen als in anderen Berufen oder Lebensoptionen. Da sie sich Mechanismen angeeignet hatten, Übergriffe zu antizipieren und bewusst mit diesen umzugehen bzw. sie erst gar nicht zuzulassen, erlebte ich sie immer als Akteurinnen, die ihre Grenzen selbst definierten.

In meinem zweiten Spielfilm wollte ich eine fiktive Liebesgeschichte erzählen, die an einem solchen Ort spielt, an dem Liebe ganz körperlich zur Ware wird. Dabei wollte ich nicht nur meine Erfahrungen möglichst „echt“ in die Geschichte integrieren, sondern vor allem auch während des Drehs offen sein für neue Erkenntnisse. Deshalb suchte ich nach einem Bordell, in dem die Sexarbeiterinnen Lust darauf hatten, sich auf das gemeinsame Experiment einzulassen, mit und bei ihnen einen Film zu drehen.

Ich kehrte in ein Bordell zurück, das ich schon aus meinen Recherchen kannte, hier hatte ich der Hausdame assistiert und kannte viele der Frauen, die dort arbeiteten. Die große Herausforderung an meiner Idee war, dass die Frauen sich zwar in ihrem gewohnten Umfeld selbst spielen sollten, ich aber die von Schauspieler*innen verkörperten Hauptfiguren in ihre Welt integrieren wollte. Wir verbrachten viel Zeit vor Ort, mit und ohne Kamera, was nicht immer unproblematisch war, da wir natürlich durch unsere Anwesenheit die Abläufe störten und nicht alle Frauen im Film vorkommen wollten. Dennoch bewegten sich die Schauspieler*innen durch diese Vorgehensweise immer natürlicher vor Ort, und die Sexarbeiterinnen nahmen uns bald nicht mehr als Fremdkörper wahr.

Da der Beruf der Sexarbeiterin stark stigmatisiert ist und viele der Frauen ein Doppelleben führen, war es mir besonders wichtig, bereits während des Drehs zu vermitteln, dass unser Film den Frauen auf Augenhöhe begegnen und sie weder abwerten noch vorführen will, sondern den Arbeitsplatz Bordell in seiner alltäglichen Normalität zeigen will. Mir war es wichtig, Sexarbeit als Arbeit darzustellen, als Service, als Performance, als eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Dabei stellte ich mir immer wieder die Frage, ob denn selbstbestimmte Sexarbeit möglich ist.* Noch spannender finde ich aber die Frage, ob selbstbestimmte Arbeit im Kapitalismus überhaupt möglich ist.

Glück/Bliss © © Flare Film Glück/Bliss © Flare Film
Im Laufe meiner Recherchen und während der Dreharbeiten bekam ich immer mehr das Gefühl, dass die Sexarbeiterinnen sich durch ihre Tätigkeit die Deutungshoheit über ihre Körper zurückerobern und ihn zu einer Ware machen, aus der sie selbst Kapital schöpfen, statt die Ausbeutung dem Patriarchat zu überlassen. Nachdem die systematische Einhegung des weiblichen Körpers Jahrhunderte lang als Methode der Unterdrückung vom Patriarchat missbraucht wurde, erhält Sexarbeit so für mich eine subversive Konnotation. Sich in der Welt, in der wir leben, für eine sexuelle Performance bezahlen zu lassen, kommt mir als Reaktion konsequent und ehrlich vor.

„Glück/Bliss“ soll aber vor allem ein Liebesfilm über zwei Frauen sein, die nicht – oder nicht mehr – an die Liebe glauben. Mich interessiert, wie sich Machtasymmetrien – gerade im Kapitalismus – auf Beziehungen auswirken können. Sascha hat gelernt, sich selbst zu beschützen, sie verletzt sich lieber, als verletzbar zu sein. Sie glaubt nicht, dass sie Talent hat, glücklich zu sein. Maria versucht fast zwanghaft, ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Das Ringen um die Chance auf tiefe Verbundenheit macht für mich den Kern der Erzählung aus.

Anmerkung
* Prostitution als selbständige Dienstleistung ist die deutlich häufigere Form von Sexarbeit und ist im Folgenden klar abzugrenzen von Zwangsprostitution und Menschenhandel.

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