Ein Fotoprojekt über das Leben der Nachkommen deutscher Auswanderer auf fünf Kontinenten
5x Deutschland in aller Welt

Der Hamburger Fotograf Jörg Müller erzählt uns im Interview wie er im Rahmen dieses einzigartigen Fotoprojekts – einer Kooperation mit dem Goethe-Institut – die Kultur, Identität und Lebenswelt dieser deutschen Gemeinschaften erlebt hat.
Wie entstand die Idee zu der Ausstellung?
Wie wurden die Länder und die Orte ausgewählt, die Sie dann bereisten und porträtierten?
Im Gegensatz dazu war Pomerode schon vor meiner Recherche sehr bekannt als „die deutscheste Stadt Brasiliens“. Niederlassungen großer deutscher Unternehmen und regelmäßig stattfindende deutsche Stadtfeste, die brasilienweit berühmt sind, waren so ziemlich das Gegenteil von dem was ich in dem abgelegenen Litkowka vorgefunden habe.
Wieso ist das Thema der Ausstellung im Jahre 2022 aktuell?
Das Thema ist heute hoch aktuell aufgrund der Flüchtlingswellen, die seit Jahren Europa erreichen. In meinem Fotoprojekt zeige ich die Nachfahren von Deutschen, die im 19. Jahrhundert (und auch schon in früheren Jahrhunderten) ihre Heimat aufgrund von Kriegen, Hungersnöten, extremer Armut und religiöser Verfolgung verlassen haben. Es sind die selben Gründe aus denen heute Flüchtlinge nach Europa kommen. Daher lautet der Untertitel der Ausstellung auch „Im Spiegel der Migration“.
Bei vielen Menschen ist in Vergessenheit geraten, dass Deutschland noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein armes Land war, in dem verschiedene Kriege herrschten, die Hungersnöte zur Folge hatten und Teile der deutschen Bevölkerung ihre Existenzgrundlage raubten. Dies waren die Gründe weswegen viele Auswanderer alles hinter sich gelassen haben und ihre deutsche Heimat in ihrem Leben nie wieder gesehen haben. Es waren nicht wenige Auswanderer, die die ersten Jahre im neuen Land nicht überlebt haben. In Brasilien (Pomerode) z.B. starben viele der ersten Auswanderer-Generation an Schlangenbissen, Tropenkrankheiten und durch Giftpfeile der dort ansässigen Indianer. Ärzte gab es keine.
Mein Projekt soll zeigen, wie letztendlich trotz aller Schwierigkeiten, die deutschen Gemeinschaften von ihren Gastländern gut aufgenommen wurden, sie sich integriert haben und dies für die Nachfahren der Auswanderer, aber auch für ihre Umgebung, heute soziale, politische, sprachliche und wirtschaftliche Vorteile bedeutet und gelungene Migration zudem ein wichtiger Beitrag zur Völkerverständigung ist.
Wie wird die deutsche Sprache verwendet und gepflegt an den einzelnen Orten?
Der Stand der deutschen Sprache ist in den einzelnen Orten sehr unterschiedlich. Generell geht die Tendenz dahin, dass die jüngeren Generationen immer weniger Deutsch sprechen (insbesondere in Brasilien und Russland), während die älteren Generationen fast immer noch fließend Deutsch sprechen. Oft klingt dies etwas altertümlich. Moderne Begriffe werden durch Begriffe aus der jeweiligen Landessprache ersetzt (z.B. Parabrisa - für das deutsche Wort „Windschutzscheibe“ - in Brasilien).

Beeindruckt hat mich sehr, dass in Rumänien und Südafrika sowie auch bei den progressiven Mennoniten in Mexiko schon die Jugendlichen neben Deutsch meist auch noch drei weitere Sprachen fließend sprechen.
Was waren ihre interessantesten Erlebnisse, Erfahrungen und Begegnungen?
Das lässt sich pauschal so nicht sagen. Jeder der fotografierten Orte hat etwas sehr Spezielles und Ungewöhnliches. Die überragende Freundlichkeit und Großzügigkeit der Menschen in dem fotografierten russlanddeutschen Dorf, das Herodesspiel der Zipser zu Weihnachten in Rumänien, die große Lebensfreude der Deutsch-Brasilianer, die Lebensart der Farmer in Südafrika (einem wunderschönen Land), aber auch die über Jahrhunderte erhaltenen Traditionen der Mennoniten haben mich sehr beeindruckt.

Welche Rolle spielt Deutschland noch im Leben der Menschen (der Nachfahren der Auswandere) der bereisten Orte?
Deutschland spielt nach wie vor eine große Rolle, allerdings auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Eine Klammer ist sicherlich, dass es durch die gemeinsame Herkunft einen großen Zusammenhalt in den deutschen Gemeinden gibt. Wichtige Faktoren dabei sind die deutsche Sprache, die deutschen Schulen, die deutschen Feste, die deutsche Kultur (insbesondere Musik) und das deutsche Essen.

Interessant ist, dass Deutschland in den einzelnen von mir besuchten Orten sehr unter schiedlich wahrgenommen, in Brasilien z.B. extrem positiv, in Südafrika eher kritisch.
Natürlich können enge Kontakte nach Deutschland auch direkte wirtschaftlichen Vorteile für die deutschen Orte mit sich bringen. So gibt es z.B. mit Netzsch (weltgrößter Pumpenhersteller aus Franken) und Bosch Rexroth zwei große deutsche Produktionsstandorte in Pomerode/Brasilien.
