Ruth Achlama über Amos Oz
“Er war unser Gewissen”

Ruth Achlama
Foto: Cedric Dorin © Goethe-Institut Israel

Mit Amos Oz starb vor einem Jahr einer der weltweit erfolgreichsten Vertreter israelischer Literatur. Großen Anteil an seinem Erfolg im deutschsprachigen Raum hatte auch Ruth Achlama (74). Elf seiner Werke hat sie für ihn ins Deutsche übersetzt, darunter “Eine Geschichte von Liebe und Finsternis”. Im Interview erinnert sich die mehrfach ausgezeichnete Übersetzerin an einen Mann, der für sie das “Gewissen Israels” verkörperte.

Von Cedric Dorin

Wann haben Sie selbst zum ersten Mal etwas von Amos Oz gelesen?

Im Herbst 1974. Ich, damals 29 Jahre alt, war gerade aus Deutschland nach Israel eingewandert, saß morgens im Ulpan, dem hebräischen Sprachunterricht, und nachmittags allein in unserer bescheidenen Mietwohnung in Rischon LeZion. Um mein Sprachstudium zu beschleunigen, wollte ich ein hebräisches Buch lesen und griff auf Empfehlung zu Amos Oz' “Mein Michael”. Bis dahin hatte ich kaum von ihm gehört, er war auch allgemein noch nicht so bekannt. Gleich mit dem wunderbaren Anfang dieses Werks war ich gebannt und verliebt in seine Sprache. Als wir im Unterricht dann einmal über unseren Wunschberuf schreiben sollten, verkündete ich meiner Lehrerin: Ich möchte Bücher ins Deutsche übersetzen. Am liebsten Amos Oz.
 

Mit “Der perfekte Frieden” übersetzten Sie 1986 schließlich das erste Buch für ihn, zehn weitere Werke sollten folgen. Was waren die größten Herausforderungen, Amos Oz ins Deutsche zu übersetzen?

Große Literatur und herausragende Schriftsteller zeichnen sich für mich auch dadurch aus, dass man zumindest beim Übersetzen nicht viel deuten muss. Und Amos Oz war jemand, der präzise schrieb, der immer auf der Suche nach dem richtigen Wort war. Hinzu kam, dass er einen besondereren Humor hatte, der bei den deutschen Lesern gut ankam. Solch eine Kombination machte das Übersetzen für mich dann eigentlich relativ einfach.

 
Wie erklären Sie den großen Erfolg von Oz auch in Deutschland?

Viele sahen in ihm das israelische Gegenstück zu Heinrich Böll, Günther Grass und Siegfried Lenz. Mit Lenz war Oz sogar befreundet, bis zuletzt haben sie sich geschrieben. Durch Übersetzungen von Werken dieser Autoren ins Hebräische während der siebziger Jahre konnte man sie ja auch in Israel lesen.
 

Böll, Grass, Lenz – sie alle waren Schriftsteller, die sich in Deutschland immer wieder auch öffentlich politisch positionierten. 

Ja.Von daher war der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels auch wie geschaffen für Oz. Auch für mich persönlich gilt: Er war ein Leuchtturm, er war das Gewissen unseres Landes. Wenn er hier in Tel Aviv auf dem Rabin-Platz bei Demonstrationen auf der Bühne sprach, war das tröstend. Er vermittelte das Gefühl, dass mit dem Frieden doch nicht alles verloren sei, so unwahrscheinlicher dieser mit der Zeit auch wurde. Und als mein Mann und ich einmal bei ihm abends zu Besuch waren, rief plötzlich Schimon Peres an. Er sei gerade nicht allein, erklärte Oz, seine Gäste aber politisch zuverlässig. Dass er das über uns sagte, das empfanden wir als Auszeichnung. 
 

Wie war Oz' Verhältnis zu Deutschland?

In den Urlaub wäre er nicht nach Deutschland gefahren. Wenn er kam, dann für Lesungen und Vorträge. Er genoss die Landschaften, das Zusammensein mit Menschen, lebte seine Überzeugung, dass Kultur keine Schranken kennt. Aber nachts, das hat er mehrfach  gesagt, kamen gelegentlich die Dämonen. Das kann ich verstehen, dass man sich in der Ruhe der Nacht vorstellt, was zur Zeit der Nationalsozialisten an einem bestimmten Ort oder in der Nähe  vorgegangen sein mag, ob auch dort Lager errichtet waren.
 

Sie haben Oz als “Gewissen Israels” bezeichnet. Was hat ihn darüber hinaus als Person ausgezeichnet?

Auch hier in Israel verwenden wir ja das deutsche Wort “Mensch”, und das war er, im besten humanistischen Sinn. Er war ein Mann voller Empathie, in Gesprächen stets neugierig, was jemand beruflich macht, was ihn gerade bedrückt, so dass er vielleicht jemanden vermitteln oder von ihnen für andere einen Rat einholen kann. Und ihm war wichtig, dass sich bei seinen Erfolgen auch andere mit ihm freuen konnten.
 

Das haben Sie auch selbst erlebt?


Ja, immer wieder. Als 1991 “Eine Frau erkennen” erschien, und er gerade in Deutschland bei Suhrkamp in Frankfurt zu Gast war, bekam ich einen Anruf des Lektors. Oz sitze gerade bei ihm und habe darauf bestanden, mich sofort anzurufen, damit ich erfahre, dass in einer Kritik des Buches ausdrücklich auch meine deutsche Übersetzung gelobt worden sei. In einer Werbe-Anzeige des Verlags für das Buch wurde dann später auch mein Name erwähnt. Für einen Übersetzer ist so etwas schon eine äußerst seltene Ehre. Und als Amos Oz den Friedenspreis verliehen bekam, wollte er meinen Mann und mich als seine Gäste mit in der Paulskirche in Frankfurt haben.
 

Konnte einen erfolgsverwöhnten Autoren wie ihn noch irgendetwas verletzten?

Natürlich gab es auch für ihn negative Kritiken. Wie bei allen Autoren gelingt nicht jedes Buch so gut wie das andere. Gehässige Verrisse, gerade in Israel, waren meiner Wahrnehmung nach aber sehr oft von Neid motiviert. Bei allen Preisen, die er im In- und Ausland bekommen hat, und die ihm gut taten, weil er seine Leser achtete: Vernichtende Kritiken haben ihn sehr verletzt. Erst recht, wenn man ihm sein Handwerk absprach.
 

Hat er auch die Kritik in Deutschland verfolgt? 

Ja. Eine Zeit lang habe ich nicht nur seine Texte übersetzt, sondern auch Besprechungen seiner Werke in deutschen Medien. Wenn ich den Umschlag mit den übersetzten Kritiken dann morgens in der Post abgab, damals wohnten mein Mann und ich noch in Rehovot, erhielt Oz ihn schon am selben Abend. In  der Filiale muss es wohl jemanden gegeben haben, der ihn veehrte und die Sendung persönlich zustellte, anders ist dieses Tempo nicht zu erklären.
 

Marcel Reich-Ranicki, einer der einflussreichsten und prominentesten Kritiker in Deutschland, der mit dem “Literarischen Quartett” sogar eine eigene Fernseh-Sendung hatte, war nicht auf Anhieb ein Freund von Oz' Werk.

Das würde ich allerdings als eine bizarre Ausnahme werten. Als Amos Oz 1992 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen sollte, besprach Reich-Ranicki erstmals ein Werk von ihm, den damals gerade erschienen Roman “Der dritte Zustand”. Dabei sagte er sinngemäß: “Zweifellos habe Amos Oz den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verdient, denn er arbeite unermüdlich für den Frieden in Nahost. Aber das heiße noch lange nicht, dass man seine Bücher lesen müsse.” Einige Zeit vorher hatte Reich-Ranicki allerdings ein Buch von David Grossmann besprochen und die steile These aufgestellt, das Hebräische sei halt eine so junge Sprache, dass man kaum feinere Nuancen damit ausdrücken könne. Immerhin hat er sich dann acht Jahre später für diese beiden erstaunlichen Verrisse an einer Wiedergutmachung versucht und am Beispiel von Zeruya Shalev die hebräische Literatur als “großartig” rehabiliert.
 

Was hat Sie persönlich über die Jahre hinweg an den Werken  von Oz besonders fasziniert?

Die Entwicklung seiner Frauengestalten. In den ersten Romanen wie “Ein anderer Ort”, “Der perfekte Frieden und “Black Box” sind sie rätselhaft, unstet, irgendwie nicht von dieser Welt. Sie sind wohl noch stark im Schatten von Amos' Mutter entstanden, die sich das Leben nahm, als er knapp 13 Jahre alt war. In den folgenden Romanen wie “Eine Frau erkennen” gibt es hingegen mit Netta eine halbwüchsige Protagonistin, die pfiffig ist, und im nächsten Roman “Der dritte Zustand” sind es clevere, berufstätige Frauen. 
 

Was bleibt von Amos Oz? 

Neben seiner Bedeutung als unermüdlicher Friedensaktivist hat er wie David Grossmann auch für neue Generationen an Autoren das weltweite Interesse an israelischer Literatur geschaffen. Und natürlich werden seine eigenen Werke wie der  Roman “Eine Geschichte von Liebe und Finsternis” bestehen, das seine persönliche Geschichte mit der des Landes verbindet. Es ist ein großartiges Buch. Ich kann jedem nur empfehlen: Lest Oz! Für mich galt er immer als ein Autor, dem der Nobelpreis vorenthalten geblieben ist.

 

Ruth Achlama, geboren 1945 in Mannheim, zählt zu den renommiertesten Literaturübersetzerinnen vom Hebräischen ins Deutsche. Neben Amos Oz übersetzte sie zahlreiche Bestseller, darunter Werke von Meir Shalev, Abraham B. Jehoschua, Yoram Kaniuk, David Vogel, Ayelet Gundar-Goshen, Tom Segev uvm. Ausgezeichnet und geehrt wurde sie für ihre Arbeit mit dem Hieronymus-Ring, dem Paul Celan-Preis, dem Deutsch-Hebräischen Übersetzerpreis und dem Bundesverdienstkreuz. Zuletzt war sie auf der Shortlist für den Internationalen Literaturpreis für “Monster” von Yishai Sarid. Zusammen mit ihren Mann Abraham lebt sie in Tel Aviv.
 

 
Die Bibliothek des Goethe-Instituts verfügt über zahlreiche Titel von Amos Oz. Auch in der Onleihe des Goethe-Instituts ist Amos Oz mit einem Buch über das Verhältnis von Deutschland und Israel zu finden.