David Polonsky im Interview
Erst nach einer Weile begriff ich, was Channa Maron für mich persönlich bedeutet

David Polonsky
Foto: Cedric Dorin/Goethe-Institut Israel

David Polonsky gehört zu den weltweit bekanntesten israelischen Illustratoren. Er kam 1981 als Kind mit seinen Eltern aus der Hauptstadt der Ukraine nach Israel. Schon als Kind hat David Polonsky angefangen zu illustrieren. Da es ihm großes Vergnügen bereitet hat und er gut darin war, beschloss er seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Sein Weg führte ihn dabei zum Studium an die renommierte „Bezalel Academy of Arts and Design“ in Jerusalem, an der er heute selbst auch unterrichtet. Polonsky illustriert für Israels führende Tageszeitungen, Magazine, Kinderbücher und auch fürs Fernsehen. Sein bisher größtes und erfolgreichstes Projekt ist der dokumentarische Trickfilm „Waltz with Bashir“, der einen Golden Globe Award gewann und als bester fremdsprachiger Film für den Oskar nominiert war. Im Jahr 2013 folgte der Film „The Congress“, eine Kombination aus Realfilm und Animation. Da vor fast drei Jahren die große israelische Schauspielerin Channa Maron starb, wurde David Polonsky zusammen mit der deutschen Comickünstlerin Barbara Yelin eingeladen das facettenreiche Leben der in Berlin geborenen, israelischen Schauspielerin Channa Maron darzustellen. 
Obwohl David Polonsky momentan an einer Graphic Novel, die auf Anne Franks Tagebüchern basiert, arbeitet, haben wir die Zeit gefunden in einem netten Café im Herzen von Tel Aviv über das vom Goethe-Institut Israel initiierte Projekt „Channa Maron: Dir selbst sei treu“ zu reden.


David, du beschreibst dich selber als Illustrator und nicht als Comiczeichner. Wieso unterscheidest du zwischen diesen Genres so bewusst?

Langsam nähere ich mich Schritt für Schritt dem Medium  „Comic“ an. Da ich  in der Sowjetunion aufgewachsen bin, sind Comics für mich  kein natürliches Terrain, um meiner Kunst  Ausdruck zu verleihen. Weder in der UdSSR noch im Israel der 80er Jahre wurden bzw. konnten Comics von Kindern gelesen werden[*].

Ich habe mich also nur langsam in Comics eingearbeitet, fühle mich  mittlerweile aber schon sehr viel vertrauter auf diesem Gebiet. Als das Goethe-Institut mich angefragt hat, wurde mir zuerst vorgeschlagen, die Geschichte über Channa Marons Leben in Form von Comics wiederzugeben. Weil dieses Medium für mich allerdings noch nicht die richtige künstlerische Ausdrucksweise ist, habe ich stattdessen narrative Poster angeboten.

Hast du Channa Maron schon vor dem Projekt gekannt?

Jeder Mensch in Israel kennt Channa Maron. Als ich hier aufgewachsen bin, war sie eine sehr berühmte Persönlichkeit. Ich wusste zum Beispiel, dass sie in einem terroristischen Anschlag verletzt wurde und Friedensaktivistin war. Zusätzlich war sie dem Publikum aus verschiedenen Rollen bekannt – in der Fernsehserie Krovim Krovim (auf deutsch „nahe Verwandte“), der größten Sitcom im israelischen Fernsehen, hat Channa durch ihre Hauptrolle einen hohen Bekanntheitsgrad im gesamten Land erlangt.

Hattest du Respekt davor, das Leben einer so vielseitigen und großen  Persönlichkeit zu illustrieren?

Anfangs habe ich mich in der Tat gefragt, wo ich beginnen soll, wie ich mich Channa Maron als Person nähern kann. Da für mich die dokumentarische Arbeit mit Illustrationen, also Arbeit, die sich mit dem realen Leben bestimmter Personen beschäftigt, sehr spannend ist, war es eine interessante Herausforderung.   
Erst nach einer Weile begriff ich, was Channa Maron für mich persönlich bedeutet – was sie für mich repräsentiert. Meines Erachtens steht sie symbolisch für die Entwicklung meines Landes, für ein Israel, das sich in den letzten 20 Jahren radikal verändert hat.
Heutzutage gibt es in der israelischen Kulturszene niemanden, der so berühmt ist, wie Channa und dabei diese Kombination aus offenem Liberalismus, Säkularismus und zentraleuropäischen, insbesondere auch deutschen Werten wie Bildung, Intellektualität und auch Aufgeklärtheit, vertritt. All das scheint nicht mehr zentral für das populäre Leben in Israel zu sein. Ich will jetzt absolut keine Wertung abgeben und ein Ideal für Israel beschreiben, dennoch fand ich es sehr interessant, diese Veränderung Israels durch das Lernen über Channas Leben zu verstehen.
Um diese Entwicklung aufzuzeigen, wollte ich die Zusammenhänge zwischen ihren schauspielerischen Rollen und dem historischen Kontext aus jedem ihrer vielen Lebensjahrzehnte verdeutlichen. Es sollte wie ein Prisma dazu dienen, dass der Betrachter Zusammenhänge aufschlüsseln kann, um zu sehen, wie sich Channa zusammen mit der Geschichte des jüdischen Staates entwickelt hat. Channa Maron war schließlich überall: sie flüchtete vor dem Holocaust, nahm am Unabhängigkeitskrieg teil, wurde in einem Terroranschlag verletzt und schließlich zu einer Ikone des israelischen Fernsehens. Zudem war sie in der Tat eine sehr gute und talentierte Schauspielerin.
Meine Idee war es, eine dokumentarische Arbeit zu erstellen, die alle diese verschiedenen Ereignisse collagenartig präsentiert.

Du wählst in deinen Illustrationen eine ganz bestimmte Ästhetik, indem du Channa Maron ganz bewusst in den Vordergrund deiner Illustrationen setzt. Welche Idee steckt dahinter?

Das ist eine Frage des visuellen Erzählens von Geschichten. Es gibt einige Regeln, denen ich mich bedient habe. Da die Poster als eine theatralische Fläche dienen und der Inhalt nicht realistisch, sondern viel mehr wie eine Collage dargestellt wird, habe ich Channa vordergründig als zentrale Figur auf dem Bild positioniert. Der historische Kontext spielt sich im Hintergrund ab und schafft dadurch einen Bezugsrahmen für das Agieren der Schauspielerin auf der zentralen Bühne im Vordergrund.

Hattest du die Chance Channa Maron persönlich zu treffen, bevor sie 2014 im Alter von 90 Jahren starb?

Nein.

Du konntest dich also nur mit Hilfe von Aufzeichnungen ihrem Leben nähern. Wie lange hat es gedauert, bist du ein dir ein Bild über ihre Person und ihr Leben angeeignet?

Für mich ist das ganze Projekt eine Serie von Bildern, deswegen musste ich für diese Serie entsprechende schauspielerische Rollen auswählen.  Zuerst habe ich also nach passenden Rollen aus jedem ihrer Lebensjahrzehnte gesucht, sodass ich am Ende zehn unterschiedliche Charaktere hatte, die ich illustrieren konnte. Danach habe ich  nach historischen Ereignissen gesucht, die sich im Hintergrund abspielen sollten. Zum Schluss habe ich natürlich noch nach Möglichkeiten gesucht, um beide Motive in einem Bild zu vereinen. Das war manchmal einfach, wie in dem Poster der Siebzigerjahre: dort spielt Channa die „Medea“ in der gleichnamigen Tragödie und dass, obwohl sie davor bei einer Zwischenlandung am Münchner Flughafen durch einen palästinensischen Terroranschlag ihr linkes Bein verloren hat.
Das Plakat für die Neunzigerjahre war dagegen schon schwieriger zu gestalten. Zu dem Zeitpunkt verbreitete sich das kommerzielle Fernsehen in Israel. Channa war selbstverständlich auch dort als Schauspielerin zu sehen. Ich sehe es als eine relativ kurze Zeitspanne, in der die Änderung von der sozialistisch geprägten Gesellschaft hin zu einer kapitalistische Konsumgesellschaft stattfand. In dem entsprechenden Poster betrachtet sich Channa selber im Spiegel, wobei im Hintergrund der Aufbau einer kitschigen Talkshow zu sehen ist. Damit will ich die Tatsache verdeutlichen, dass es vor allem für Menschen aus Channas Generation sehr schwierig war, eine Entscheidung bezüglich des richtigen Weges in dieser sich schnell verändernden Gesellschaft zu treffen.

Was war für dich die größte Herausforderung bei diesem Projekt?

Das schwierigste war der Entwurf der Bildbeschreibungen, da ich nicht so viel Erfahrung mit didaktischen Erläuterungen meiner Arbeiten habe. Ich kann meine eigenen Bilder nicht objektiv betrachten - umso schwerer fällt es mir die richtigen Wörter und einen angemessenen Sprachstil zu wählen.

Bist du dennoch mit dem Ergebnis als Gesamtwerk zufrieden?

Zum Gesamtwerk kann ich nur folgendes sagen: die Arbeit hört niemals auf, sie muss gestoppt werden. Ich habe zu einem Zeitpunkt gestoppt, an dem es für mich in Ordnung war meine Poster-Serie zu betrachten und der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Die deutsche Comic-Künstlerin Barbara Yelin hat im Projekt die Darstellung der deutschen Perspektive übernommen.  Habt ihr euch regelmäßig getroffen und über das Projekt und eure Arbeit diskutiert?

Wir haben uns nur einmal in Israel getroffen, aber zu dem Zeitpunkt gab es noch keine konkreten Pläne. Deswegen haben wir zunächst nur über die grobe Richtung, in die das Projekt gehen soll, gesprochen. Wir haben relativ früh verstanden, dass wir beide komplett unterschiedliche Wege einschlagen werden und dafür auch unterschiedliche Medien nutzen. Barbara Yelin ist eine großartige Comickünstlerin. Da ich allerdings ein komplett anderes Medium gewählt habe, waren wir gespannt, welche Wirkung unsere Arbeiten in Kombination haben würden.

Du hast ihre Arbeit also zum ersten Mal bei der Ausstellungseröffnung gesehen. Was war das für ein Gefühl, das Zusammenspiel eurer Werke zu erleben?

Es war großartig! Obwohl ich den deutschen Text nicht lesen konnte, konnte ich dennoch viel verstehen, da mir die Stationen aus Channas Leben gut bekannt sind. Barbaras und meine Arbeit passen  gut zusammen: Wir behandeln ähnliche Schwerpunkte aus Channas Leben, aber die Art und Weise wie wir sie behandeln, ist sehr unterschiedlich. Barbara behandelt Channas Leben auf eine sehr viel persönlichere Art und Weise als ich. Meine Arbeiten, die die Fiktion der Bühne mit historischen Ereignissen kombiniert, steht in Kontrast zu den privaten Geschichten in Barbaras Werken.

Gibt es eine konkrete Dramaturgie hinter den Postern dieser Serie?

Nein, die einzige dramaturgische Linie ist das Leben von einer bestimmten Person – in diesem Fall von Channa Maron. Sobald das Leben eines Menschen zu Ende ist, entsteht aus dem Leben eine Geschichte mit einem Anfang und einem Ende. Wenn der Mensch noch lebt, weiß man nicht, wie das Leben enden wird und in welchem Punkt sich die Person in ihrer jeweiligen Dramaturgischen Linie des Lebens befindet. Nach dem Tod steht die Dramaturgie fest.

Die Ausstellung soll vorrangig in Schulen gezeigt werden. Warum ist Channa Maron deiner Meinung nach auch heute noch für junge Menschen wichtig?

Channa präsentiert bestimmte israelische Wert - und Lebenseinstellungen, die heutzutage nicht mehr so präsent sind. Ich will auf keinen Fall beurteilen und entscheiden, ob das gut oder schlecht ist, aber ich will Informationen über ihre Person und ihr Art zu leben vorstellen und damit zeigen, dass es definitiv eine Alternative zu den Wert-und Lebensvorstellungen von heute gibt. Es ist also ein deduktives Projekt, aber gleichzeitig hoffe ich, dass die Poster einen Unterhaltungscharakter besitzen.

Mit deinen Illustrationen erzählst du oftmals die Geschichten von Menschen und  erinnerst an bestimmte Ereignisse. Kannst du erklären, wieso gerade dieses Medium so gut für deine Absichten ist?

Für mich sind Illustrationen ein dokumentarisches Medium, das sehr viel mehr Sinnlichkeit als Fotografie erlaubt. Fotografien zeigen immer eine Illusion von Authentizität auf, weil Fotos Momentaufnahmen unserer Realität sind. Obwohl die Manipulation durch Fotografen relativ transparent ist, ist die Wirkung dieser Manipulationen relativ groß. Wenn du jemanden aus einem kleinen Winkel fotografierst, erscheint dir die Person groß und einschüchternd, aus einem großen Winkel wirkt sie eher klein und wehrlos. Diese Unterschiede in der Fotografie verändern eine Person sehr stark in ihrer Wahrnehmung seitens des Betrachters. Wir sehen immer wieder wie viel Verwirrungen durch diesen scheinbaren Realitätsanspruch von Fotos entstehen. Dementsprechend stellt das Fotografieren eine bestimmte Erzählweise für mich dar.
Beim Zeichnen gibt es diesen Authentizitätsanspruch nicht. Es ist von vorherein offensichtlich, dass eine Illustration keine reale Gegebenheit darstellen soll. Der Erzähler macht mit Hilfe einer Illustration deutlich: das ist meine Sichtweise und das ist die Geschichte, die ich auf meine Art erzählen will. Dies erlaubt viele verschiedene neue Möglichkeiten.
Zum Beispiel ist es sehr viel einfacher, bestimmte Informationen auszuwählen und zu kommunizieren, da ich als Zeichner selber entscheide, wie ich den Rahmen gestalte und welchen Inhalt ich hierfür in diesem Rahmen verwende.

Und welche Nachteile hat deiner Meinung dein Medium der Illustration?

David Polonsky überlegt einen Moment….Nachteile gibt es nicht.
 

[*] Anmerkung der Redaktion: In der Sowjetunion waren westliche, insbesondere amerikanische Comics nur begrenzt auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Da über ein Fünftel der israelischen Bevölkerung von Oleh (jüdische Einwanderer) aus der ehemaligen Sowjetunion gebildet wird, bedingte das Nichtvorhandensein von Comics in der Sowjetunion eine erst relativ späte Popularität dieses Mediums in Israel.