Seinsweisen

Eine Jagdszene; eine Reihe von Handabdrücken; Bilder eines Lebens, das vor Jahrtausenden gelebt wurde. Ähnliche Malereien finden sich in zahllosen Höhlen in aller Welt. Als sie entdeckt wurden, fragten sich Archäologen und Historiker nicht nur wer ihre Schöpfer waren, sondern auch, weshalb sie gerade diese Motive gewählt hatten, um sie für die Ewigkeit festzuhalten. Was wollten sie mitteilen? An welchem Punkt in der Evolution des Menschen kam er auf die Idee, sein Leben aufzuzeichnen oder, in anderen Fällen, Geschichten zu erzählen?
 

Seinsweisen © © Sijya Gupta Seinsweisen
Es gibt viele Theorien; die vielleicht naheliegendste geht davon aus, dass der Frühmensch sein Selbstverständnis und seine Beziehung zum Anderen ausdrücken wollte, um sich so in der Welt zu verorten.

Manche Historiker nehmen an, dass die wohlbekannten Darstellungen der Jagd die symbiotische Beziehung des Menschen zu den Kreaturen der Welt zeigen: Beide teilen die Erfahrung, sowohl Jäger als auch Beute zu sein. Die Handabdrücke wurden gedeutet als Bezeugung:„Wir waren hier“, wohingegen die Szenen in den Höhlen von Ajanta und Ellora aus einer fortgeschritteneren Zeit stammen, als Völker wie das der alten Ägypter komplexe Kulturen geschaffen hatten, in denen Menschen, Tiere und Götter dieselbe Welt bewohnten. Und mit jedem Schritt wurden die Konzepte des Selbst und des Anderen weiter verfeinert und ausgeformt.

Als unsere Expert*innen der Erzählkunst die Frage beantworteten, was sie durch ihr Sein und Wirken in dieser Welt zu erreichen hofften, wurde schnell ein Muster deutlich: Sie wollen positiv darauf einwirken, wie die Menschen um sie miteinander umgehen, indem sie Ressourcen oder Möglichkeiten anbieten, ihren Raum und ihre Werkzeuge teilen. So zeigen sie ihre Einsicht in die tiefe Wahrheit, dass es kein Selbst gibt ohne das Andere.

Doch wie können wir lernen, einander zu verstehen, im Jahr 2022, in dem technologische Innovationen die Menschen immer näher zusammenführen, nur um ihnen vor Augen zu halten, wie weit sie in ihrem Denken und Handeln auseinanderliegen? Wie können wir einander verstehen im Zeitalter der Desinformation?

Die einfache Übung, Nachrichten aus aller Welt zu lesen, war erhellend. In jedem Artikel steckt mehr als eine Geschichte, mehr als ein Blickwinkel. Sobald uns die Gefahr einer einseitigen Darstellung bewusst ist, die Macht, die sie besitzt, wie können wir ihre Autorität dekonstruieren? Was, wenn wir versuchten, mit der Stimme der anderen zu sprechen?

Wieder stellten wir unseren Expert*innen der Erzählkunst eine Aufgabe: Sie sollten die Geschichte einer anderen Person erzählen, ihre Träume mit der Gruppe teilen. So übten sie sich in aktiver Zuwendung. Was ist mit Zuwendung gemeint? Das achtsame gegenseitige Zuhören, dass zu einem tieferen Verständnis führt. Dieses Verständnis bewirkt ein Gefühl der Verantwortung, wenn es darum geht, die Geschichte einer anderen Person mitzuteilen oder ihre Träume.

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