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#GenussKultur
Mochte Veit Stoß die Krakauer Brezeln?

Krakauer Brezel
© Goethe-Institut

Welche Düfte schwebten über dem Krakauer Marktplatz im Mittelalter? Waren die Krakauer Brezeln Konkurrenz für Brot und andere Backwaren? Magdalena Wójcik lädt zu einem Spaziergang mit Veit Stoß durch das Krakau des 15. Jahrhunderts ein.

Von seinem Haus an der Straßenecke Grodzka und Zaułek Grodzki (heute Poselska), in dem er wohnte und seine Werkstatt betrieb, hatte er nur fünf Minuten Fußweg zur Marienkirche. Aber nur in der Theorie – praktisch musste man sich zwischen den Fuhrwerken der zahlreich aus ganz Europa und dem Nahen Osten nach Krakau ziehenden Kaufleute durchzwängen, was während der dreimal jährlich stattfindenden Jahrmärkte besonders beschwerlich war. Am trichterförmigen Ende der Grodzka-Straße öffnete sich der von geschäftigem Trubel und vielsprachigem Stimmengewirr erfüllte Hauptmarkt, der über Jahrzehnte „fast vollständig mit hölzernen Bänken und Krambuden angefüllt [war], wo man vielfältige Handwerke fand, Eisen, Tand, Glas, auch Obst, Vegetabilien, Kräuter und andere Essbarkeiten.“ [1]

Zuweilen umrundete der seit zwanzig Jahren in Krakau ansässige Nürnberger Veit Stoß gemächlich den Hauptmarkt auf der Suche nach Inspiration für seine Figuren für den neuen Altar in der Marienkirche. In der Fülle der keineswegs immer nur angenehmen Gerüche folgte seine Nase dem vertrauten Aroma der Backwaren, die vor Ort in den Tuchhallen hergestellt wurden, oder dem berühmten, an den Marktständen in kreisrunden Laiben von beachtlichem Durchmesser feilgebotenen Brot aus dem Dorf Prądnik. Den verlockenden Duft der warmen Innereien und Würste kontrapunktierten die Ausdünstungen der zum Verkauf stehenden Tiere und der auf ihre Mahlzeit wartenden Handwerksgesellen.

Die in Krakau als „Faryna“ bezeichnete Garküche, ein Prototyp des heutigen Street Food und – wie Kazimierz Girtler schreibt – „die niedrigste Stufe der Gastronomie“ war über Jahrhunderte hinweg geradezu eine Visitenkarte von Krakau. Die Faryniarki bereiteten ihre Speisen auf aus Backsteinen oder Dachziegeln provisorisch zusammengemörtelten Herden zu. Würste und Innereien – etwa gebratene Leber mit Zwiebeln und Essig – oder Schweinsohren „aß man aus Tonschüsseln, ohne Messer, Gabel und Löffel, immer mit Appetit und meistens mit Schnaps.“ [2] Diese Beschreibung stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert (Władysław Krygowski, W moim Krakowie nad wczorajszą Wisłą [In meinem Krakau an der gestrigen Weichsel]), aber zweifelsohne zeigt sie treffend, wie die niederen Gesellschaftsschichten im Mittelalter speisten. Wobei allerdings einzuwenden ist, dass die Gerichte vor allem mit Dünnbier heruntergespült wurden, das für die Gesundheit weitaus unbedenklicher war als das Wasser aus den Krakauer Brunnen.

Fleisch – im Mittelalter hauptsächlich Schweinefleisch – kam allerdings nicht allzu häufig auf den Krakauer Tisch, unabhängig davon, ob dieser auf dem Burghügel stand oder in einer strohgedeckten Kate am Stadtrand. Die mittelalterliche Speisekarte befolgte nämlich strikt die von der Kirche vorgeschriebenen Fastentage, die den Appetit der Fleischesser an rund zweihundert Tagen im Jahr zügelten. 

Eine Abwechslung waren die feinen Brezeln, die aufgrund von Zunftregeln nur an einigen Fastentagen gebacken werden durften. Für den Alltag dürfte sich Veit Stoß also mit Brot aus feinem Weizenmehl begnügt haben, das in Krakau als „deutsches Brot“ bezeichnet wurde. Nicht ohne Grund: Im Mittelalter stellten die Deutschen einen beträchtlichen Teil des Krakauer Bürgertums dar. Sie entwickelten das örtliche Zunftwesen oder nahmen wichtige Ämter bei Hofe wahr. Deutscher Herkunft war etwa das bedeutende Patriziergeschlecht Wierzynek (deutsch: Wirsing oder Werzig). Mikołaj Wieryznek der Jüngere richtete 1364 ein bis heute in lebendiger Erinnerung gebliebenes reiches Festmahl aus, an dem gekrönte Häupter aus ganz Europa teilnahmen, die auf Einladung Kasimirs III. des Großen in Krakau weilten.

Leider wissen wir nicht, was den Schmausenden damals gereicht wurde, auch kennen wir keine mittelalterlichen Originalrezepte, und was auf der königlichen Tafel landete, können wir in erster Linie nur aus den Rechnungen des Hofes herauslesen. Sicherlich erfreuten sich schon seit dem Mittelalter Suppen großer Beliebtheit. Es gab schwarze oder gelbe, mit Safran gefärbte, Tunke oder Rinder- und Hühnerbrühe (manchmal mit Zusatz von Eiern und Butter). Auch Barszcz aus gesäuerter Roter Bete und Żur, eine Sauermehlsuppe, wurden gern verzehrt. An Tagen, an denen der Fleischgenuss gestattet war, gab es Braten (im Spätmittelalter begann Rindfleisch an die Stelle des Schweinefleischs zu treten). Auch Geflügel kam häufig auf den Tisch: Hühner, Kapaune, Enten, Birkhühner, Wacholderdrosseln, Tauben, Wachteln und bei Festschmausen Schwäne und Pfaue. Aus Danzig wurde Salzhering und Dorsch bezogen. Dazu kamen natürlich Brotwaren, Gemüse und Graupen. Am Hofe Kasimirs III. des Großen schätzte man angeblich Buchweizengrütze auf königliche Art, also mit dem Eiweiß von Hühnereiern vermengt.

Die aus dem Nahen Osten kommenden Kaufleute brachten Gewürze nach Krakau, die bald ihren Platz auf den Tafeln der begüterten Patrizier fanden. Sie galten als Statussymbol und halfen gleichzeitig bei der Verdauung der schweren Speisen. Gewürze waren so wertvoll, dass sie zu den Zeiten von Ladislaus Jagiello und Kasimir dem Jagiellonen zusammen mit den Kleinodien in Schatztruhen verwahrt wurden. Hohe Gäste wurden mit Gewürzen beschenkt. Im späten 14. und 15. Jahrhundert fanden in den Küchen auf der Königsburg, dem Wawel, vor allem Pfeffer, Safran und Ingwer Verwendung. Weniger raffinierte Gerichte schmeckte man auch mit weniger kostspieligen Mitteln ab: mit Senfkörnern, Meerrettich, Wermut, Salbei, Kümmel und Majoran.

Getrocknete Pflaumen und andere Früchte wurden in großen Mengen verspeist. Oft wurde ganz einfach eine große Schüssel Dörrobst auf den Tisch gestellt und alle konnten zugreifen. Das wichtigste Fett in der mittelalterlichen Küche war Speck, den man an den Fastentagen durch pflanzliche Öle ersetzen musste.

Wonach – außer nach deutschem Bier – mag sich der aus Nürnberg stammende Veit Stoß gesehnt haben? Sicherlich nach den heimischen Oblatenlebkuchen. Im mittelalterlichen Krakau galt das nach teuren Gewürzen duftende Honiggebäck geradezu als Arznei und wurde neben Kräutern in Apotheken verkauft. Möglicherweise griff der Meister zuweilen auch nach Konfekt, Karamellen aus Zucker, und Gewürzen wie Muskatblüten, Zimt, Kubebenpfeffer, Paradieskörnern und Anis. Diese dienten am Hofe der Jagiellonen zur Verbesserung der Verdauung und Erfrischung des Atems. Es wäre interessant zu wissen, ob sie in den Apotheken zuweilen auch mit Blattgold überzogen wurden, wie bei Hofe üblich? Mit demselben Gold, das Veit Stoß kiloweise bei der Anfertigung des Marienaltars verwendete.

[1] Beschreibung der Stadt von Giovanni Paolo Mucante, der sich im Juni 1596 in Krakau aufhielt, nach: Cudzoziemcy o Polsce. Relacje i opinie [Ausländer über Polen. Berichte und Meinungen], Bearb. J. Gintel, Bd. 1, Krakau 1971, S. 187.

[2] Władysław Krygowski, W moim Krakowie nad wczorajszą Wisłą [In meinem Krakau an der gestrigen Weichsel], Krakau 1980, S. 263.
 

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