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Interview
D21: Anne Krönker und Kirill Savchenkov

"swam, we know", "been there, done that"
© Anne Krönker

Mit der Ausstellung „Based on these new dependencies, we define five normal forms“ – ein weiteres Gemeinschaftsprojekt mit dem Goethe-Institut Moskau – hat der zweite Teil von „Raum für Kunst“ im Moskauer Museum für Moderne Kunst (MMOMA) am Ermolajevskij pereulok begonnen. Organisatorisch an einen Arbeiterklub erinnernd, fungiert sie gleichzeitig als öffentliche Bibliothek, Universität, Trainingsfeld und Orakelpark. 

Von Tatjana Socharewa

Mit der Ausstellung „Based on these new dependencies, we define five normal forms“ – ein weiteres Gemeinschaftsprojekt mit dem Goethe-Institut Moskau – hat der zweite Teil von „Raum für Kunst“ im Moskauer Museum für Moderne Kunst (MMOMA) am Ermolajevskij pereulok begonnen. Organisatorisch an einen Arbeiterklub erinnernd, fungiert sie gleichzeitig als öffentliche Bibliothek, Universität, Trainingsfeld und Orakelpark. Die Künstler untersuchen hier neue Wege der Interaktion zwischen institutionellen und unabhängigen Initiativen.

Anne Krönker, ständiges Mitglied des D21 Kunstraum Leipzig, und der Moskauer Künstler Kirill Savchenkov erzählten uns von ihrer Arbeit in diesem Projekt und von ihren Strategien.

Anne Krönker

Ich versuche in meiner Arbeit immer, Verbindungen zwischen Objekten, Städten und Menschen herzustellen, mit denen ich zu tun habe. Als unsere Kuratorin Lena Brüggemann mir vorschlug, an der Ausstellung in Moskau teilzunehmen, dachte ich darüber nach, wer ich bin und wohin ich gehe, und ich habe mich daran erinnert, dass meine Heimatstadt Osnabrück ihr eigenes „Moskau“ hat. Es stammt noch aus den Zeiten Napoleons: auf der Flucht seines Heers aus Russland ließen sich einige französische Soldaten in Osnabrück nieder und eröffneten ein Kaffeehaus mit dem Namen „Moskau“. 1925 wurde am selben Platz ein Schwimmbad errichtet. Ungefähr zur selben Zeit wurde in Moskau die Christi-Erlöser-Kathedrale abgerissen, um Platz für den geplanten „Palast der Sowjets“ zu schaffen. Der Palast wurde nie gebaut, und drei Jahrzehnte später entstand dort, wo einst die Kathedrale gestanden hatte, das berühmte Schwimmbad „Moskwa“. Die Einladung zur Ausstellung nahm ich zum Anlass, dieser Geschichte nachzugehen und Parallelen aufzuzeigen, die auf den ersten Blick nicht auffallen.
 
Als Nächstes dachte ich an den D21 Kunstraum. Als ich seinerzeit frisch nach Leipzig gezogen war, musste unser Raum renoviert werden: das Fundament des Gebäudes ist brüchig, und daher war der Fußboden im D21 immer schon ein großes Problem. Einmal habe ich alle Mitglieder unseres Vereins zum Essen eingeladen, allerdings mit der Bedingung, dass nur über den Ausstellungsraum gesprochen wird. Letztendlich haben wir dann fast vier Stunden lang darüber diskutiert, wie schrecklich unser Fußboden ist und wie schlimm es ist, dass er uns keinen guten Halt gibt. Bis zum heutigen Tag können wir nichts Schweres ausstellen. Und an Tanzen im Kunstraum ist gar nicht erst zu denken! Im Vorfeld meiner Reise nach Moskau ist mir dann eingefallen, dass ich immer noch Teile der Platten habe, die nach der Renovierung übrig waren, und ich dachte an die Kacheln im Moskaubad in Osnabrück, und mir wurde klar, dass genau das das Material ist, mit dem ich arbeiten muss.
 
In Moskau angekommen unternahm ich Streifzüge durch die Umgebung der Christi-Erlöser-Kathedrale und sammelte Objekte ein wie Trophäen. In der Kathedrale selbst beeindruckte mich vor allem dieses rote Neonlicht: irgendeine Schrift auf einer Leuchtleiste. Genauso einen Streifen habe ich dann in meiner Arbeit im Plan des Osnabrücker Schwimmbads untergebracht. Das Objekt darf natürlich keinen Endzustand haben, es muss sich entwickeln und neue Verknüpfungen ansetzen. Im Augenblick bin ich allerdings gezwungen, einen Schlusspunkt zu setzen, denn ich verlasse Moskau, aber insgesamt finde ich, dass man sein ganzes Leben lang an Objekten arbeiten muss, denn so werden sie komplexer und multidimensional.
 
Mich interessiert der Zustand der permanenten Baustelle und die vorübergehende Ordnung, die darin entsteht: neue Beziehungen und neue Verbindungen, die mit Vollendung des Baus ihre Existenz wieder verlieren. Ordnung zu schaffen, und sei es nur vorübergehend, ist ein Urbedürfnis des Menschen. Auf diese Art und Weise versuchen wir, unsere Umwelt zu kontrollieren. Mein Ziel ist es, solchen Materialien neues Leben zu verleihen, die wir im Alltag oft übersehen. Wir müssen sie ernstnehmen. In meinem Atelier lagert zum Beispiel ein Sandhaufen. Wenn ich mit den Händen Löcher dort hineinbohre und sie mit Gips auffülle, gebe ich die Macht über das entstehende Werk an das Material ab und verliere dabei das Gefühl der Kontrolle. Die Form entsteht von selbst. Sand und Gips sind Materialien, die sich nicht gut kombinieren lassen, deshalb entstehen die erstaunlichsten Objekte, wenn wir sie dennoch verbinden.
 

Kirill Savchenkov

 Ein Genre, in das die Performance „The Elsewhere Logistics“ einzuordnen wäre, könnte als Trainings-Oper bezeichnet werden – analog zur Weltraumoper (Space Opera). Man könnte es auch als performatives Essay bezeichnen oder als Trainings-Essay. Körperliche und kognitive Praktiken existieren darin in Synergie. Mir geht es darum, zu beobachten, wie sich unsere Beziehung zu unserem Körper darstellt, denn in der modernen Welt sind Körper und Körperlichkeit zu etwas geworden, auf das Aufmerksamkeit gerichtet wird und worauf diverse Kräfte einwirken. Phänomene wie dieses lassen uns Rollen neu definieren, z. B. von Technik und Politik, Körper und Geist, Gegebenem und Geschaffenem. Das originäre Moment meiner Arbeit ist die Frage nach Mediation zwischen Subjekten und Institutionen und welche Rolle das Denken beim Aufeinandertreffen von Daten und Wissen spielt. Denn hier kann Missbrauch entstehen und vorherbestimmt werden, wie Wissen verbreitet wird.
 
Die Herausforderungen der modernen Welt begünstigen oftmals die Verbreitung eines Self-Improvement-Kults. Dieser beinhaltet diverse Praktiken, auch in der Bildung, deren Ziel es ist, dass der Mensch beständig das Niveau seiner Kreativität und Effektivität steigern möge. Das ist ein wichtiges Moment, sind es doch gerade Kreativität und Effektivität, die die moderne Unternehmenskultur von uns verlangt, ebenso wie in gewissem Maße auch die institutionelle Umwelt. Die Praktiken, die ich in meiner Arbeit einsetze, stammen aus verschiedenen Bereichen. Zum einen handelt es sich um Anwendungen aus Unternehmens-Schulungen, die ich hier in einen anderen Kontext setze, zum anderen stammen sie aus Aktionen der Künstlergruppe „Kollektivnye dejstvija“ (deutsch: Kollektive Aktionen). Ich sehe  das als Transfer: verbinde ich die künstlerischen Aktionen von „Kollektivnye dejstvija“ – in vielerlei Hinsicht geprägt von der Erfahrung ihrer Existenz in der Sowjetunion mit ihren politischen Sinnverschiebungen – mit Übungen aus dem psychophysischen Bereich, generiere ich dazwischen neue Beziehungen.
 
Das Training lässt den Teilnehmern die Freiheit zu kommen oder zu gehen: jeder kann aufhören, wann immer er will, niemand muss sich für einen ganzen Kurs verpflichten. Man kann den Prozess ebenso gut von außen beobachten. Warum auch nicht? Wir haben keinen vorab festgelegten Rhythmus; ein beständiger Rhythmus ist etwas, was große Institutionen haben. Unser Rhythmus ist weder regelmäßig noch einheitlich. Die Handlung verläuft in Grauzonen, in denen zwar eine gewisse vorgegebene Ordnung existiert, die du aber transformieren oder gar zerstören kannst. Deshalb heißt die Arbeit auch „The Elsewhere Logistics“. Sie impliziert sowohl einen Ausweg aus dem System als auch eine Bewegungslogistik innerhalb des Systems. Der Begriff des „Elsewhere“, d. h. des „Außerhalbseins“, eingeführt von Alexei Yurchak, verweist auf die tagtägliche Erfahrung verschiedener Gemeinschaften der späten Sowjetunion, die darin bestand, außerhalb des Systems zu existieren, ohne es zu verlassen. Das ist nicht zu verwechseln mit Dissidententum oder Eskapismus im wörtlichen Sinne; hier wird vielmehr ein alternatives Koordinatensystem des Denkens und Glaubens ausgebildet und über die bereits existierenden sozialen und politischen Rituale gelegt.
 
Die konkrete Ausgestaltung der Performance definiert sich erst während Künstler und Mediatoren mit der Gruppe arbeiten. Denn die Mediation selbst ist in großem Maße abhängig vom Gesprächsverlauf, von den Assoziationen und Interpretationen, die die Gesprächspartner spontan einbringen – Mediatoren wie Teilnehmer. In unserem Team agieren Künstler und Mediatoren recht autonom. Sie können von mir vorgeschlagene Themen ergänzen oder die Interpretationslinie nach eigenem Dafürhalten verändern. Besonders wichtig sind die Beziehungen zwischen Handlung und Text, denn jeder Mediator wählt eine eigene Erzählrichtung und ändert sie situativ. Letztendlich ist mein Kunstwerk so etwas wie ein Algorithmus oder ein Szenario mit offener Struktur, und die Vollendung dieses Werks delegiere ich an diejenigen, die dem Ereignis beiwohnen. Komme ich selbst zum Training (was zu Beginn der Arbeit einer Gruppe vorkommt), so nur um zu sehen, zu 

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