Neuer animierter Comic von HeeHoos
„Ich denke russisch, und ich mache russische Witze“

Heehoos
HeeHoos | Foto: © 7x7

Heute gibt es auf goethe.de/Russland eine Premiere. Und zwar den „Tag des Fisches“, einen neuen animierten Comic von HeeHoos – Künstler, Koryphäe und wichtigster Ideologe des Genres in Russland. Erstellt wurde der Film für RESPEKT 2.0, ein gemeinsames Projekt des Goethe-Instituts Moskau, der Jungen Bewegung für Menschenrechte und „KomMissia“, eines Moskauer internationalen Comic-Festivals, das von der Europäischen Union gefördert wird. Ziel des Comic-Projekts RESPEKT 2.0 ist es, die Toleranz gegenüber Menschen mit anderen Kulturen, Ansichten, Nationalitäten und Angehörigen verschiedener sozialer Gruppen zu fördern. Schaut euch also den „Tag des Fisches“ gleich an – und lest das Interview mit HeeHoos.

In deinem neuen Comic geht es um Toleranz. Hast du während der Arbeit daran eher an Russland oder an die Welt im Allgemeinen gedacht?

Na ja, jedenfalls nicht an Toleranz. Eigentlich hatten wir uns nämlich ein Projekt zum Thema Migration ausgedacht. Und zwar weltweit. Die Comic-Autoren sollten sich also künstlerisch damit auseinandersetzen, Situationen zu entwerfen, in denen unterschiedliche Kulturen aufeinanderprallen. Und das Ergebnis hatte nicht unbedingt viel mit dem Thema Toleranz gemein. Denn Toleranz – abgeleitet von dem Wort tolerate – ruft dazu auf, ein andersdenkendes Gegenüber zu akzeptieren. Wir fanden, dass das eine ziemlich schwache Position ist. Wir sollten doch schließlich lernen, einander wirklich wertzuschätzen, denn ansonsten bringen wir es nicht weit. Respekt ist kurz, klar und es erreicht die Jugend. Das Problem der Migration ist eines der aktuellsten in der Welt. Es hat schon lange vor dem Zeitpunkt bestanden, an dem die Welt begann, sich mit den Flüchtlingen aus Syrien zu beschäftigen. Die Durchmischung von Kulturen ist ja ein unbestreitbarer Fakt. Dieses Gewirr ist schon längst nicht mehr rückgängig zu machen, und wie viele der Flüchtlinge werden schon wieder zurück nach Hause fahren wollen. Wenn wir nicht versuchen, all das anzuerkennen, dann wird die Lage langfristig zu Terror und zur Einrichtung von Ghettos führen.

Glaubst du, dass der Comic helfen kann, sich das alles bewusst zu machen?

Comics sind ziemlich leistungsstarke Vermittler von Informationen. Bild + Text. Man kann eine Anleitung entwerfen, wie man eine Barrikade oder eine Maschinenpistole zusammenbaut, und man kann eine sehr klare Hilfestellung leisten, wie man sich in einer ungewohnten Umgebung verhalten sollte. Ich denke ja, wenn man leicht verständliche Comics mit Basis-Informationen an Migranten austeilen würde, zum Beispiel „Wie man in Moskau klarkommt“, würde es viel weniger Konflikte geben. Und das ist nicht nur meine persönliche Phantasie, sondern im Westen hat man das bereits ausprobiert, und es funktioniert einwandfrei. Aber in Russland hat einfach keiner Lust, sich mit einem Problem zu befassen, bevor es nicht bereits total eskaliert ist.

Aber das betrifft dich ja schließlich auch persönlich - dieses Aufeinanderprallen von Kulturen und die Suche nach sich selbst in einer noch ungewohnten Umgebung.

Ja, das betrifft mich ständig. Als Jugendlicher habe ich die Ausreise nach Dänemark mitgemacht. Und unserer Tradition gemäß haben wir den Dänen eben als Gastgeschenk Wodka mitgebracht. Die haben aber nur gelächelt und den Wodka in ein Schränkchen gestellt. Für uns war das ein Schock. Hatten die Dänen so gehandelt, weil sie uns nichts abgeben wollten? Nein, im Gegenteil hatten wir die falschen Codes gesendet. Damit ging´s schon los. Wir hätten einfach sagen müssen: „Das hier haben wir mitgebracht, damit wir es zusammen trinken können.“ Dann hätte es gar keine Diskussion gegeben, der Wodka wäre sofort auf den Tisch gekommen und der Abend hätte losgehen können. Kulturelle Codes haben ja etwas wahnsinnig Spannendes. Wenn wir zum Beispiel jemand aus dem Kaukasus nehmen: Zuhause ist er Ossete, Tschetschene oder Dagestaner. Vielleicht finden die einander gegenseitig auch gar nicht so super. Doch in Moskau wird jeder von ihnen zum Kaukasier, und deswegen halten alle Kaukasier zusammen und finden, dass die Moskauer beruhigende Fremde sind, die sie nicht verstehen können. Der Mensch läuft ja automatisch in die Richtung, in der es für ihn vertraute Codes gibt – Orientierungspunkte des „Eigenen“ und des „Fremden“.

Warst du auch schon einmal weniger tolerant? Und musstest dich in dieser Beziehung selbst zum Gegenteil erziehen?

Und wie. In dieser Hinsicht ist ja der erste Schritt, zuzugeben, dass es ein ganz natürlicher Instinkt ist, alles Unbekannte erst einmal zu verdammen. Das geht einfach von der fleischlichen Hülle aus, in der wir uns bewegen. Zivilisation dagegen, einander zu respektieren – das lernen wir erst mit der Erziehung. Ein Affe mag es witzig finden, Vorübergehende mit seinem nackten Hintern zu konfrontieren, ein gebildeter Mensch aber wird dem eher kritisch gegenüberstehen.

Und wie hast du deine Intoleranz überwunden?

Manchmal musste ich mir ins Gedächtnis rufen, dass die Menschheit ja nicht das Ziel hat, gerade mir besonders zu gefallen. Manchmal habe ich auch schon gedacht: wenn ich in einer fremden Kultur irgendetwas nicht verstehe, muss ich das eben ändern. Und manchmal laufe ich einfach nur so rum und sage: Hör mal zu, Kumpel, wir haben hier den gleichen Lebensraum, und wenn du weiterhin deinen Müll in meinen Hof schmeißt, dann schmeiße ich ihn dir durch dein Fenster zurück in die eigene Bude. Und weißt du was? Alle drei Methoden funktionieren auf ihre Weise.

Die dritte klingt aber irgendwie schon nach Krieg, oder?

Halt, ich habe ja gesagt, dass ich erst einmal auf ihn zugehe und ihm erkläre, dass das hier nicht so üblich ist. Dass der Müll in den Mülleimer gehört. Vielleicht – und das ist sogar sehr wahrscheinlich – weiß er das überhaupt nicht. Und wenn der Typ ok ist, dann ist der Konflikt damit auch schon beendet. Wenn er mir aber keinen Respekt entgegenbringt und absichtlich wieder den Müll hinschmeißt, dann werde ich das nicht so einfach hinnehmen. Natürlich versuche ich ihn erst einmal auf legalem Wege zu packen. Ich zahle ja schließlich Steuern, oder? Soll ihn also die Polizei belehren. Da gab´s mal so eine Geschichte: Wir haben in einem Flüchtlingslager in Dänemark ein paar arabischen Typen lang und breit erklärt, dass sie ihren Müll bitte nicht vor unsere Tür werfen sollen. Und als sie das nicht verstehen wollten, sind wir – die Flüchtlinge aus Osteuropa – durch die Gänge gegangen und haben ihnen den ganzen Müll in ihre Zimmer geschmissen. Das haben sie dann sofort kapiert. Die Dänen aber haben sich jahrelang mit diesem Problem herumgeschlagen und konnten das eben nicht so machen wie wir. Die haben da so ein Konzept von Toleranz, so eine Art „Das müssen wir eben aushalten, was soll man machen“, was sich über Jahre hinweg in die Kultur eingeebnet hat. Ich rufe ja nicht zur Gewalt auf. Aber wenn mir jemand geradeheraus signalisiert, dass er keine Sprache außer die der Gewalt versteht, dann bin ich auch bereit, auf dieses Bedürfnis einzugehen.

Das Comic-Projekt „RESPEKT“ hast du 2011 ins Leben gerufen. Inwiefern bist du am aktuellen „RESPEKT 2.0“ beteiligt?

Ich habe das Projekt sogar noch viel früher entworfen. 2011 haben wir aber eine Förderung von der Europäischen Union bekommen und gleich mit der Arbeit angefangen. Das erste „RESPEKT“ war sehr eindrucksvoll, schillernd und effektiv. Aber es war eben ein freies Kunstprojekt – also eine künstlerische Annäherung an das Problem. „RESPEKT 2.0“ sehe ich schon ganz anders. Hier habe ich mit eingeplant, dass die Comic-Kunst ganz konkrete Antworten auf konkrete Fragen geben kann. Zum Beispiel im Rahmen des Comic-Trainings „Zwei Diasporas in einer Schule. Wie man Konflikte vermeidet“. Na ja, und die Leute, die „RESPEKT 2.0“ machen, haben eben auch so ihre eigenen Vorstellungen davon, was daraus werden soll. Ich habe das Projekt ja nur auf den Weg gebracht. Geleitet wird es in der Position des Art Directors aber von einem anderen, sehr coolen Comic-Künstler, Aleksej Jorsch.

Du bist aus Russland weggegangen. Offensichtlich für immer?

In mir wuchs einfach die feste Überzeugung, dass man an unserem Leben in diesem Land schon nichts mehr zum Besseren wenden kann. Und dass die Bevölkerung das auch gar nicht will. Deswegen habe ich meine ganzen sozialen Projekte in Russland aufgegeben – die Ferienlager, das Unterrichten, das Vorantreiben der Kunst und meine soziale Tätigkeit. Ich mache jetzt noch die Sachen zu Ende, die aus früheren Verpflichtungen übrig geblieben sind, werde dann aber nicht weiter in Russland arbeiten.

Und warum hast du dich ausgerechnet in Kambodscha niedergelassen?

Hier ist es warm. Und billig. Die Leute sind angenehm und nett. Naja, und wir werden hier eben gebraucht – das Land entwickelt sich. Außerdem ist es schön weit weg von Russland. Wir haben ein Haus gemietet, in dem sich die kleine Kunst-Community „ArtTraibe4D“ formiert hat. Das ist keine Community von Typen, die so rumchillen und dabei Erleuchtungen haben. Alle sind wirklich mit ihren kreativen Projekten beschäftigt. Es kommen dann immer auch mal Leute mit ihren Projekten für einen oder zwei Monate her, das ist echt ganz interessant.

Ich habe auf deiner Wall Fotos von einem Fest gesehen, das ihr für die Dorfkinder ausgerichtet habt. Das heißt, dass dir soziale Projekte immer noch am Herzen liegen?

Na ja, unsere Generation hat eben so einen progressiven Komplex – so hat man uns erzogen. Wir haben uns ein Dorf ausgesucht, in dem die Kinder noch nicht einmal den Ausdruck „Zeichentrickfilm“ kannten, weil sie noch nie einen gesehen hatten. Also haben wir ein „Animationsfest“ für sie veranstaltet. Wir haben uns für Zeichentrickfilme entschieden, die ohne Worte auskommen – so für das erste Mal. Aldaschin hat ihnen sehr gefallen, und „Kumi-Kumi“ (Michail Aldaschin ist ein russischer Animationskünstler und Regisseur, und „Kumi-Kumi“ eine Zeichentrickserie des Regisseurs Wladimir Ponomarjow, Anm. d. Red.). Die Kinder und auch wir hatten super viel Spaß, besonders, als wir ihnen erklärt haben, was das weiße Zeug da sein soll, das im Zeichentrickfilm „Fäustling“ im Winter vom Himmel fällt. Hier wird ja Eis nur im Laden verkauft, und die Kinder konnten einfach nicht glauben, dass es so etwas auch kostenlos, weiß und in flockiger Form gibt. Ich denke, man sollte die Kultur seines Landes auf diese Weise promoten, und nicht allen mit „Kalinka-Malinka“ auf den Sender gehen.

Du warst ja schon einmal im Ausland – Ende der 80er Jahre. Aber dann bist du doch zurückgekommen.

Ich hatte Mitte der 90er Jahre die dumme Hoffnung, dass mein Land mich zu sich zurück gerufen hatte, um darin eine neue, freie Gesellschaft aufzubauen. Ich bin also zurück und habe mich zwanzig Jahre lang wie ein Irrer ins Zeug gelegt, ein Projekt nach dem nächsten initiiert, anstelle das Land auszunehmen und mir alles in die eigene Tasche zu stecken, wie das damals die Mehrheit der Leute machte. Aber dann gab man mir auf sehr eindeutige Weise zu verstehen, dass es aus war mit der Freiheit. Der Präsident erinnerte sich daran, dass er mal Mitarbeiter des KGB gewesen war, und Russland verwandelte sich wieder in die UdSSR. Da habe ich mir gesagt, dass zweimal Sowjetunion einfach zu viel für mich ist. Soll doch Orwell spielen, wer will, aber ich hatte von diesem Spiel bereits in den 80er Jahren die Schnauze voll.

Und wer wird dann jetzt den Comic als Kunstform weiter promoten?

Mir kommt es irgendwie so vor, als habe es die Russische Föderation heute viel eher nötig, Stacheldraht herzustellen und Führerportraits zu zeichnen, als Comics zu entwerfen. Enthusiastische Verfechter gezeichneter Geschichten gab es immer, und es wird sie immer geben – die kommen auch ohne mich ganz gut zurecht. Ich habe Respekt vor ihnen und wünsche ihnen viel Erfolg.

Und bei „KomMissia“ engagierst du dich auch nicht mehr so stark?

Meine persönliche Meinung ist, dass das Festival seinen Zweck erfüllt hat und mit der Jahrtausendwende überflüssig geworden ist. Was ich mir damals mit Natascha Monastyrewa ausgedacht habe, hat alles funktioniert. Das Zeichnen von Geschichten wurde als Kunstform anerkannt, und damit war eine erste Plattform für Dutzende junger Künstler geschaffen. Am Ende ist das alles ganz effizient aufgegangen: offiziell wurde das Festival „Free KomMissia“ durch eine Gerichtsentscheidung beendet. Dabei ging es gar nicht um Politik, sondern ganz einfach nur um Bürokratie, aber es geschah eben ganz im Dienste des Zeitgeistes. Die alte „KomMissia“ gibt es also schon gar nicht mehr, und was aus der neuen wird, werden wir sehen. Tscherdik und Alim Welitow haben da irgendetwas vor, und ich hoffe, dass etwas Gutes dabei herauskommt (Der Künstler Aleksandr Tscherdik soll das Festival weiterführen, Anm. d. Red.).

Welche russischen Comic-Autoren findest du gerade spannend?

Puh, das ist eine schwierige Frage – und in etwa so, als würde man einen Lyriker dazu auffordern, die Kunst seiner Zeitgenossen öffentlich zu bewerten. Aktuell habe ich den Eindruck, dass sich Lena Uschinowa gerade auf ein neues Niveau hochgearbeitet hat – nämlich, noch zu Lebzeiten ein Klassiker zu werden. Und die Graphic Novel von Aljona Kamyschewskaja mit der epischen Bezeichnung „Mein Sex“ hat mich wirklich beeindruckt. Das ist so eine Art Tagebuch über das Erwachsenwerden eines sowjetischen Mädchens – klare Empfehlung.

Ist dir als Künstler das Publikum in Russland überhaupt wichtig?

Das ist eine lustige Frage. Ich denke ja russisch, und ich mache russische Witze. Natürlich ist das russische Publikum wichtig für mich. Aber wenn das Internet in Russland nicht irgendwann einmal komplett verboten wird, bleibt mir die ja erhalten.

Und was wirst du außerhalb von Russland weiter machen?

Es ist nicht so, dass wir etwas Konkretes planen. Wenn es eine Nachfrage gibt, gehen wir darauf ein, und wenn nicht, dann halten wir uns eben zurück. Ich habe keine ernsthafte Bindung an Kambodscha. Wir könnten auch morgen wieder woanders hinziehen. Erst gestern haben wir überlegt, ob wir nicht für ein Jährchen nach Argentinien oder Portugal gehen sollten. Wir lernen dann einfach mal Spanisch, und los geht´s. Dann stoßen wir auf ganz neue Aspekte des Aufeinanderprallens von Kulturen – in seiner praktischsten Form.