Deutsche elektronische Musik
Acht Labels, die Sie kennen sollten

Acht Labels, die Sie kennen sollten
© CC0 Public Domain

Deutschland hat sich bereits in den 1970er-Jahren den Ruf erarbeitet, ein Land zu sein, in dem die elektronische Musik zu Hause ist. Der Fall der Berliner Mauer, die jährliche Veranstaltung der Loveparade, illegale Clubs und die großangelegten Raves der 1990er-Jahre haben endgültig dafür gesorgt, dass den Deutschen so schnell keiner was vormacht – so gilt beispielsweise Berlin heute als Hauptstadt der unabhängigen elektronischen Musik. Aber auch die anderen Großstädte können ganz gut mithalten. In diesem Überblick geht es um die aktuellen deutschen Labels, Tonaufnahmefirmen neuen Formats oder, wenn ihr so wollt, um Autorenkollektive mit geballter schöpferischer Kraft, die ihre eigenen künstlerischen Konzepte entwickelt haben. Techno, House, Popmusik und Tonexperimente – die Elektro-Szene in Deutschland ist extrem vielfältig.

Giegling (Weimar)

Gibt man den Namen des Labels in eine Suchmaschine ein, erhält man kaum eindeutige Informationen, dafür aber Hunderte von begeisterten Rezensionen, die Journalisten aller Couleur geschrieben haben. Dazu gehört in erster Linie Traumprinz, ein schon fast mystisches Geschöpf, das sich hinter einer Kinderfotografie versteckt (wirklich seine eigene?) und fast nur zu hohen Feiertagen Interviews gibt. Dass die Weimeraner schon seit einigen Jahren hochkarätige House-Musik produzieren, ist im Übrigen alles, was man über das Label wissen muss. Wenn ihr auf kraftvolle Rhythmen steht und weiche, filigrane melodische Harmonien mögt, dann seid ihr hier eindeutig richtig. 
 
Hörempfehlung: Traumprinz und alle seine Projekte: Prince of Denmark und DJ Metatron.
Soundcloud: soundcloud.com/inverted-audio/ia-mix-93-giegling 
Youtube: www.youtube.com/watch?v=hiAkdoETqNA
Webseite: www.giegling.net

Kompakt (Köln) 

Gigant der deutschen unabhängigen Musikindustrie – und zwar in den letzten Jahren weniger als Label, sondern als eine Art Vertriebskonzern, der mehreren kleineren Labeln ein Zuhause gegeben hat. Musikalisch orientiert sich Kompakt mehr oder weniger am Massenmarkt, das heißt, sie bringen oft Pop-Musik heraus, und das vor allem in der Art, wie man Pop-Musik eigentlich erleben möchte. Natürlich kann es das Kölner Unternehmen vorläufig noch nicht mit solchen Schwergewichten wie Universal oder Columbia aufnehmen, aber es kann durchaus als gutes Beispiel dafür dienen, wie man ein eigenes (wenn auch kleines) Imperium aufbauen kann, wenn man ernsthaft das betreibt, was einem Spaß macht und man dabei nicht ängstlich nach links und rechts schaut.
 
Hörempfehlung: Für den Anfang wäre das Gus Gus.
Soundcloud: Gusgus – Airwaves (Attmoss Remix)
Youtube: Gus Gus – Full Performance (Live on KEXP)
Webseite: www.kompakt.fm

Ostgut Ton (Berlin)

Haus-Label des Kultclubs Berghain, des Herzens der Berliner (wenn nicht sogar weltweiten) Techno-Kultur. Wenn ihr noch nie etwas von diesem Club gehört habt, dann reicht vielleicht schon dieser eine Fakt: Die Schlange, in der man anstehen muss, um reinzukommen, ist fast einen Kilometer lang, und die zwei Stunden, die ihr in der Schlange verbracht habt, garantieren euch längst noch keinen Einlass. Entsprechend steht die bei Ostgut Ton produzierte Musik für den „deutschen Techno“ schlechthin – sie ist aggressiv, voll rasender Energie, und liefert rhythmische und melodische Folgen, die sich dutzende Male wiederholen und empfängliche Personen in einen Trance-Zustand versetzen. Interessant ist, dass die Platten des Labels an den Wänden im Berghain aufgehängt sind, ganz wie in einer angesagten Galerie.
 
Hörempfehlung: Shed, Kobosil, Prosumer, Answer Code Request, Ben Klock usw.
Soundcloud: soundcloud.com/ostgutton-official/dettmann-wiedemann-spiritoso-1
Youtube: Ben Klock – Ostgut Ton – Berghain
Webseite: ostgut.de/label

PAN (Berlin) 

Vielleicht das ungewöhnlichste der hier vorgestellten Labels – unter Federführung des griechischen Emigranten Bill Kouligas, dessen schöpferische Tätigkeit als Künstler und Kurator sich vor allem auf kühnste Sound-Experimente konzentriert. Rashad Becker beispielsweise, der Berliner Toningenieur mit Kultstatus, veröffentlicht hier seine Platten, und auch der Künstler James Hoff konnte sich hier verwirklichen, indem er Musik mit Computerviren infiziert und anschließend die Ergebnisse dieser technologischen Intervention herausgegeben hat. Sehr interessant ist auch das griechische Trio Mohammad, das wuchtige, dumpf und brummend tönende Musik auf selbstgebauten elektroakustischen Instrumenten erzeugt. Alles in allem ist dieses Label für jene unter euch spannend, die auch für das äußerst Ungewöhnliche offen sind. 
 
Hörempfehlung: Absolut alles, wenn ihr darüber im Bilde sein wollt, was gegenwärtig von der Avantgarde der Elektronikmusik kommt.
Soundcloud: NTS x PAN w/ Bill Kouligas & SKY H1 – 20th June 2016
Youtube: Rashad Becker – Dances I
Webseite: p-a-n.org

Perlon (Frankfurt)

Wenn von Perlon die Rede ist, dann meint man Minimal-Techno. Genau das beschreibt die Tätigkeit des Frankfurter Labels am besten. Im Übrigen sind sie inzwischen nach Berlin umgezogen und haben sich im eigentlichen Herzen der dortigen Techno-Kultur bereits etabliert. Gemeint sind die regelmäßigen Abende Get Perlonized im Berghain (siehe oben). Der Star hier ist natürlich Ricardo Villalobos, aber auch die anderen stehen ihm kaum nach.
 
Hörempfehlung: Vielleicht etwas eher Unkonventionelles, wie beispielsweise die rituellen Tänze des Briten Sam Shackleton.
Soundcloud: Ricardo Villalobos – Defixia
Youtube: www.youtube.com/watch?v=7-iyRJefbUQ
Webseite: www.perlon.net

Raster-Noton (Chemnitz) 

Dieses experimentelle Label aus der kleinen Stadt im Osten Deutschlands bewegt sich an der Schnittstelle zwischen innovativer Musik und zeitgenössischer Kunst und ist vor allem für seine audiovisuellen Praktiken bekannt – diese kommen nicht nur in der Videobegleitung von Konzerten der Künstler des Labels zum Ausdruck, sondern auch in den großen Medieninstallationen, die ihren Platz in den führenden Museen der Welt finden. Was die künstlerische Philosophie des Labels betrifft, so hat man sich hier digitale Technologien und Minimalismus auf die Fahnen geschrieben: schrille und abgehackte Töne, ein asketisches, vornehmlich schwarz-weißes Layout der Platten und anderes in der Art, was dem erklärten Konzept entspricht. In diesem Jahr begeht Raster-Noton sein zwanzigjähriges Jubiläum und ein Ende ist allem Anschein nach nicht in Sicht. 
 
Hörempfehlung: In erster Linie die Gründer des Labels – Alva Noto, Frank Bretschneider und Byetone.
Soundcloud: alva noto. xerrox isola. taken from alva noto. xerrox vol. 3
Youtube: www.youtube.com/watch?v=iTrUPTq1I68
Webseite: www.raster-noton.net

Smallville (Hamburg)

Smallville ist nicht nur ein Label, sondern auch ein im Norden Deutschlands recht bekannter Plattenladen, und musikalisch bewegen sich die Macher im gleichen Raum wie ihre Kollegen von Giegling – House, Melodien, Tänze und Ähnliches in der Richtung. Berühmt ist Smallville nicht nur wegen der erstklassigen Musik, sondern auch wegen des eigenwilligen Herangehens an das Layout der Platten, wofür der deutsche Künstler Stefan Marx verantwortlich ist, sein Markenzeichen sind putzige Grafiken, die irgendwie an Kinderzeichnungen erinnern. Die gesamte Musik des Labels kann man allerdings nicht als putzig bezeichnen, hier haben nicht nur Experimente mit Techno ihren Platz, sondern auch besinnliche Klangkollagen.
 
Hörempfehlung: Man kann mit Moomin und Christopher Rau anfangen.
Soundcloud: Smallville48 – Smallpeople – A1 Snippet
Youtube: moomin – Aquarama
Webseite: smallville-records.com

Stroboscopic Artefacts (Berlin)  

Düsterer und heftiger Techno mit einer ungeheuren Vielzahl von Details und einem sorgsamen und akribischen Herangehen an den Klang – so lässt sich das musikalische Konzept des Labels zusammenfassen, das ebenfalls aus der Hauptstadt kommt. Geleitet wird es von dem italienischen Emigranten Luca Mortellaro und hervorzuheben wäre, dass es hauptsächlich Ausländer unter seine Fittiche nimmt, sowohl Landsleute aus Italien als auch Engländer und sogar den Produzenten Xhin aus Singapur. Das hört sich danach an, als wäre alles bunt zusammengewürfelt, steht aber in dieser Form absolut im Einklang mit der Corporate Identity von Mortellaro. 
 
Hörempfehlung: Donato Dozzy, Dadub und alle oben Genannten.
Soundcloud: Label of the Month: Stroboscopic Artefacts (Mix by Lucy)
Youtube: Lucy Stroboscopic Boiler Room Berlin
Webseite: www.stroboscopicartefacts.com