Thibaut de Ruyter
Die Welt war nie so abgeschottet

Panorama
Foto: Alexej Kubasow

Bis zum 26. Februar 2017 können sich die Moskauer die Ausstellung „Die Grenze“ in der Galerie der Künste von Surab Zereteli ansehen; anschließend geht sie nach Sankt Petersburg, Krasnojarsk, Kiew, Tbilisi, Minsk, Dortmund und setzt im Jahr 2018 ihre Reise in Mittelasien fort. Wir haben mit einem ihrer Kuratoren gesprochen, dem Architekten Thibaut de Ruyter.

Die Ausstellung hat ein ungewöhnliches Design – es handelt sich um einfache Holzkästen, die im Saal verteilt wurden. Was ist die Idee dahinter?

Nach Moskau wird die Ausstellung nach Petersburg, in den Kaukasus, nach Kasachstan usw. reisen; sie wird zwei Jahre unterwegs sein. Wie kann ich eine Ausstellung planen, wenn ich gar nicht weiß, wo ich sie zeigen werde? Vielleicht stehen uns in Moskau großzügige Räumlichkeiten zur Verfügung und woanders nur kleine Räume; an einem Ort habe ich ausreichend Licht, woanders nicht. Transportiert werden müssen die Ausstellungsgegenstände sowieso; also werden Kisten gebraucht. Und das hat uns auf die Idee gebracht, eine ganz schlichte Transportkiste zu verwenden, die natürlich alles andere als schlicht ist. Wir haben mit jedem einzelnen Künstler gesprochen und ich habe das Prinzip entwickelt. Dieses ist zwar für alle gleich, aber doch für jeden Künstler eine neue Herausforderung.

So sieht es nach einer Ausstellung aus, die dauerhaft im Aufbau ist.

Ja. Das ist auch eine sehr gute Metapher für all diese Transporte, all diese Reisen der Ausstellung.

Warum heißt die Ausstellung „Die Grenze“?

Die Initiative für diese Ausstellung ging vom Goethe-Institut in Moskau, von Astrid Wege aus. Sie wollte etwas machen, was alle Länder Osteuropas vereinen würde. Deren Verhältnis untereinander untersuchen und sehen, wie sie zusammenarbeiten und was dort nicht funktioniert. Sie hat sich an uns gewandt, damit wir eine Forschungsreise unternehmen, auf der wir uns dieser Region inhaltlich nähern konnten.

Was hat Sie zu dieser Ausstellung bewogen?

Unsere zweite Kuratorin Inke Arns hat viel in Osteuropa gearbeitet, sie spricht Russisch. Und ich habe früher sehr oft in Kasachstan gearbeitet. Ich war auch einer der ersten Begründer einer neuen kasachischen Kunstzeitschrift.

Wie wurde die Ausstellung vorbereitet?

Die Vorbereitung einer Ausstellung dauert recht lange, in diesem Fall waren es zwei Jahre. Ein ganzes Jahr lang sind wir durch Osteuropa gereist. Wir waren in Wladiwostok, Minsk, Duschanbe, Baku. Insgesamt haben wir 12 Länder bereist und waren in jedem in zwei, drei oder mehr Städten. Auf der Reise haben wir Künstler und Kuratoren kennengelernt und in Erfahrung gebracht, wie die Kunstszene in der einen oder anderen Stadt läuft.

Wie ist die Idee von der Grenze entstanden?

An einem bestimmten Punkt unserer Forschungsreisen standen wir vor einem ernsten Problem: Was ist das Verbindende zwischen diesen Städten? Das war ein einfaches Thema – die Sowjetunion. Aber zu diesem Thema hat es schon diverse Ausstellungen gegeben. Und dann gab es da noch einen wichtigen Aspekt: Wir wollten nicht mehr in die Vergangenheit schauen, sondern in die Zukunft.

Die Schwierigkeit bestand darin, dass wir nicht verstehen konnten, was diese Länder vereint, welches Thema unsere Ausstellung haben soll. Eines Tages fuhren wir nach Jekaterinburg und mit uns fuhr eine äußerst liebenswürdige, stark sowjetisch geprägte Frau, die regelmäßig mit dem Goethe-Institut zusammenarbeitet. Irgendwann meinte sie: „Weißt du, ich wohne in Asien, aber meine Datsche ist in Europa.“ Und wir haben gedacht: ‚Jekaterinburg ist Asien?‘ Waren Sie mal in Jekaterinburg?

Ja.

Das ist nicht das, was man sich vorstellt, wenn man an Asien denkt. Und als wir diese Geschichte gehört haben, haben wir uns gefragt: Was bedeutet denn diese Grenze? Es gibt den Ural, der als Grenze gilt, aber wo fängt denn Asien an und wo hört Europa auf? Und wir haben diese Linie gesehen. Man kann sie auf eine Million verschiedene Weisen zeichnen, man kann sie als Grenze wahrnehmen, als geographische, historische, politische. Sie beginnt irgendwo oben im Norden Russlands, verläuft durch Kasachstan, wobei ein Teil des Landes in Europa liegt und eine anderer Teil Kasachstans sich in Asien befindet, und sie endet in der Türkei. Und diese Linie wurde für uns zum roten Faden.

Wir begriffen, dass wir diese Länder zusammenbringen mussten. Unser Ziel bestand nicht darin, diese Linie zu ziehen, sondern Fragen zu stellen, ohne diese zu beantworten. Und was wunderbar war: Viele Kunstschaffende, mit denen wir arbeiten, haben nie gesagt, sie würden in Asien bzw. Europa arbeiten. Über die Hälfte der in der Ausstellung gezeigten Werke sind neue Arbeiten. So ist also unser Thema entstanden.

  •   © Alexey Kubasow
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Es ist ja eine sehr russische Geschichte, dass es so eine Grenze zwischen Europa und Asien gibt. Wo sie verläuft, spielt sich in Deinem Kopf ab bzw. ist im Fernsehen zu sehen oder aber auch an Deiner Kleidung zu erkennen. Ich erinnere mich daran, dass ich eine Schale zu Hause habe, aus der viele ähnliche Geschichten auftauchen, wie hier in der Ausstellung.

Die Ausstellung wird immer anders aussehen, je nachdem, wo sie gezeigt wird. Sie wird unterwegs sein, reist nach Kasachstan und wird in Almaty zu sehen sein, aber auch in Deutschland. Und was die Arbeit von Katya Isaeva betrifft: Ich bin sehr neugierig, wie ihre Schalen in Almaty wahrgenommen werden, wie man sie dort sieht. Als ich meinte, wie schwierig es in Deutschland werden wird, von dieser Ausstellung zu erzählen, hatte ich im Sinn, dass ja hier jeder weiß, wer Puschkin ist; dort aber ist das nicht der Fall. Mir scheint, das Wichtigste an diesem Projekt ist, dass man Grenzen öffnet.

Gut, du lebst beispielsweise in Russland, aber dein iPhone ist in Kalifornien entworfen und in China hergestellt worden. Das heißt, eigentlich sind doch unserer Grenzen heutzutage überall verwischt. Warum sollen wir uns heute an diese Grenzen erinnern, wo wir sie doch so sorgfältig verwischt haben?

Wir haben es heutzutage mit einem globalen Markt zu tun, die Produkte reisen durch die ganze Welt. Aber wir können uns nicht frei miteinander unterhalten, wir brauchen einen Dolmetscher. Das ist ein Problem, das ist die Grenze. Die ganze Welt ist nicht offen, sie war noch nie so abgeschottet wie jetzt. Ja, die Produkte sind in Bewegung und auch wir reisen mehr. Aber können wir ins Gespräch kommen? Das heißt, wir sprechen jetzt von der Kultur, von der Kulturrevolution. Ich kann mir jetzt Apple-Aktien kaufen und reich werden, und wahrscheinlich gibt es Menschen, die Häuser in Moskau, New York, Tallinn usw. haben. Aber wir haben immer noch Vorurteile, beispielsweise, dass Russen Wodka trinken und Deutsche Würstchen essen.

Bei der Mehrheit der Künstler, die hier auf der Ausstellung vertreten sind, handelt es sich um junge Künstler. Warum ist die Auswahl gerade so getroffen worden?

Weil das die Generation ist, die uns braucht. Weil das die Generation ist, die jetzt kämpft und versucht etwas zu machen. Weil ich Künstler nicht nur in diesen Ländern, sondern auch in Deutschland kenne, die 30 Jahre alt sind und nichts zu essen haben. Oder bin ich jetzt zu emotional? Für mich ist es wichtig, jungen Künstlern die Chance zu geben, ihre Arbeiten zu zeigen. Für viele ist diese Ausstellung die erste und vielleicht einzige Gelegenheit, ihre Werke außerhalb ihres Landes zu präsentieren. Und das ist in der ganzen Welt so: Junge Künstler haben es nicht leicht. Ja, natürlich, es gibt reifere Künstler, die schon ihre eigenen Bücher veröffentlicht haben. Mögen sich die Museen, die eine andere Sicht auf die Kunst haben, ihrer annehmen. Und ich kämpfe wirklich darum, dass mehr Frauen in der Kulturszene zu sehen sind und dass die junge Generation häufiger vertreten ist. Das heißt, wir machen hier keine Moskauer Kunstbiennale für die junge Generation. Wir versuchen nur gerecht zu sein.