Presse für Migranten
Massenmedien als Instrument der Integration

Presse für Migranten
© Anna Tereschkina

In St. Petersburg fand im Rahmen der Ausstellung des Goethe-Instituts „Die Grenze“ eine Diskussion zum Thema „Massenmedien über Migranten, Massenmedien für Migranten“ statt. Die Journalistin Jelena Barkowskaja beschäftigte sich damit, welche Massenmedien es für Migranten gibt, wie wichtig sie für Neuankömmlinge sind und ob die Presse ein Instrument der Integration sein kann.

Zeitung als Kunst

Ausgangspunkt für die Diskussion war die Zeitung für Migranten Nasreddin w Rossii [„Nasreddin in Russland“], von der drei Ausgaben auf der Ausstellung „Die Grenze“ gezeigt werden. Dabei handelt es sich nicht um ein Massenmedium im eigentlichen Sinne, sondern um das Ergebnis des Kunstprojekts „Der Nasreddin-Witze-Wettbewerb“. Im Rahmen dieses Projekts sollte eine Gruppe von Gastarbeitern für eine schwierige Situation in ihrem Leben eine kluge Lösung im Sinne des schlauen und schlagfertigen Nasreddin finden. Die Künstler haben sich vier Monate lang jeden Sonntag mit ihren Helden getroffen. Dabei wurden nicht nur Witze erzählt, sondern auch ernste Gespräche geführt, man redete miteinander über Probleme und stellte dabei fest, dass diese sich oftmals gar nicht so sehr voneinander unterschieden.
 
Bislang wurden insgesamt drei Ausgaben der Zeitung herausgebracht; inzwischen sind die Mittel für die vierte Ausgabe gesichert. Verbreitet wird die Zeitung vor allem auf Kunstausstellungen, aber sie wurde auch in usbekischen und tadschikischen Kantinen ausgelegt.
 
„Der erste Versuch, den ich im Jahr 2010 unternommen habe, um eine Zeitung mit Beteiligung von Migranten zu machen, ist schiefgegangen“, sagt Olga Jitlina, Künstlerin und Initiatorin des Projekts „Der Nasreddin-Witze-Wettbewerb“. „Ich habe einen ganzen Monat lang in Moskau in der Nähe einer Moschee verbracht, mich mit Migranten unterhalten und ihre Aussagen gesammelt. Die Antworten liefen auf Folgendes hinaus: „Liebe Bürger Russlands, habt Dank für eure Gastfreundschaft, dafür, dass ihr uns hier arbeiten lasst. Uns geht es gut, wir arbeiten. Liebe Brüder aus Tadschikistan, Usbekistan, Kirgisistan, kommt am besten nicht hierher, sondern bleibt lieber in eurer Heimat und arbeitet dort.“ Mir wurde klar, dass das Problem in der direkten Ansprache durch den Journalisten bestand. Die Menschen sagen einfach das, was der andere ihrer Meinung nach hören will. Da bin ich auf die Idee gekommen, ihnen eine schützende Maske aufzusetzen und sie aus einer Position heraus erzählen zu lassen, bei der es nicht um Dokumentarisches geht. Und als Maske haben wir eben Nasreddin ausgewählt. Nasreddin ist dem sowjetischen Leser sehr vertraut und in allen muslemischen ehemaligen Sowjetrepubliken eine volkstümliche Figur.“
 
Die Zeitung ist dann eigentlich ein Zufallsprodukt gewesen. Nach einigen Monaten der Arbeit hat das Künstlerteam überlegt, was man mit dem gesammelten Material anfangen könnte. Zunächst hatte man die Idee, ein Buch herauszugeben, aber davon ist man dann zugunsten der Zeitung wieder abgekommen. „Dies ist ein Modell dafür, wie Migranten und Künstler zusammenwirken und welche Themen erörtert werden könnten. Es sind vielleicht die ersten zaghaften Versuche, eine Sprache zu finden, in der wir uns verständigen können“, erklärte Olga Jitlina.

Vielfalt der Varianten

In Russland gibt es zahlreiche Publikationen für Migranten, sowohl in gedruckter als auch elektronischer Form. Das lässt sich leicht erklären – das Publikum dafür ist da, und noch dazu ist es sogar recht groß. Andrej Jakimow, ein Menschenrechtler und Fachmann für die Arbeit mit ethnischen Minderheiten, hebt einige Typen von Massenmedien hervor, die in Russland für Migranten arbeiten.
 
Da wären zum einen die Massenmedien, die von den Migranten der ersten Welle gegründet worden sind, sich auf die Menschenrechte berufen bzw. „pro Migranten“ sind. Jakimow führt ein Beispiel an: „Während des Zerfalls der Sowjetunion gab es eine Umsiedlungsbewegung und das „Forum für Umsiedlerorganisationen“ ist entstanden. Diese Organisationen beschäftigen sich mit Projekten, in denen es um den Schutz der Zugereisten geht. Hauptsächlich handelt es sich um russischsprachige Menschen, Migranten der ersten Welle.“
 
Ein zweiter Typ sind Informationsprojekte, die eine etwas kommerziellere Ausrichtung haben (mit einem Angebot an Jobs und Dienstleistungen) und ebenfalls von Migranten für Migranten geschaffen worden sind. „In regelmäßigen Abständen tauchen neue ‚erste‘ Informations- und Werbezeitungen für Migranten auf“, meint der Menschenrechtler. „Jede solche Zeitung positioniert sich als die erste, einzige, wesentliche. Sie (die Macher der Zeitungen – Anm. des Autors) wissen, dass der Zugang zu Informationen für die Gastarbeiter von essentieller Bedeutung ist; deshalb versuchen sie immer wieder, ein Zeitungsformat anzubieten und neue Initiativen anzustoßen. Den einen gelingt das besser, den anderen schlechter. Ein Beispiel für eine solche Zeitung, die sehr lange existiert hat, ist die Zeitung „Turan“, die von 2011 bis 2016 in Sankt Petersburg herausgegeben wurde.
 
Zum dritten Typ zählt der ethnische Journalismus, der mit seiner Arbeit die nationale und ethnische Identität bewahren möchte und sich den Schutz vor ethnischer Diskriminierung und den Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit auf die Fahnen geschrieben hat. Wobei natürlich nicht nur von gedruckten Presseerzeugnissen die Rede ist, da die Informationsarbeit heutzutage zunehmend im Internet und auch auf mobilen Apps stattfindet.
 
„Welche Informationen brauchen die Migranten von den Massenmedien? Migrant zu sein, bedeutet, einen bestimmten rechtlichen Status zu haben und dementsprechend bestimmte Informationen dazu und zu den jüngsten Gesetzesänderungen zu benötigen. Auch soziale Hintergründe müssen vermittelt werden: Was muss man tun, damit die Kinder in den Kindergarten bzw. die Schule gehen können? Wie bekomme ich medizinische Hilfe und Bildung? Auch aktuelle Kulturangebote, also Informationen über Museen, Festivals usw. sind von Interesse. Letztlich ist für einen Migranten praktisch dasselbe von Belang wie für jeden anderen Menschen. Wenn es eine nützliche Information ist, dann muss sie dem Migranten dabei helfen, sich in die Gesellschaft einzufügen.“
 
Andrej Jakimow ist der Meinung, dass in der Zukunft die Informationsarbeit mit den arbeitenden Migranten wahrscheinlich auf bestimmte Gruppen ausgerichtet sein wird. So gibt es schon jetzt beispielsweise ein Informationsblatt für Migrantinnen, und der Menschenrechtler geht davon aus, dass es auch Blätter für Kinder und Jugendliche mit einem Migrationshintergrund geben wird.

Spezialisierung

Wenn Jakimow über ein Informationsblatt für Frauen spricht, dann hat er die Zeitung „Gul“ im Auge (formell ist es ein Informationsbulletin), die vor kurzem in Petersburg gegründet worden ist. Sie hat sich aus der Wohltätigkeitsorganisation „Kinder von Sankt Petersburg“ entwickelt, unter deren Dach Freiwillige Kindern von Migranten Russischunterricht erteilen und versuchen, ihnen bei der Integration zu helfen. „Im Sommer letzten Jahres ist eine Freiwillige mit Migrationserfahrung zu uns gekommen und hat angefangen, auf einem der Spielplätze zu unterrichten“, erzählt Julia Alimowa, Koordinatorin bei „Kinder von Sankt Petersburg“ und Redakteurin der Zeitung „Gul“. „Von ihr kam auch die Idee, ein Extraprojekt für Migrantinnen ins Leben zu rufen.“
 
Erstmalig erschien die Zeitung im Dezember letzten Jahres mit einer Auflage von 1000 Exemplaren (die nächste hatte schon eine Auflage von 2000 Stück), jetzt wird das Layout der vierten Ausgabe vorbereitet. „Gul“ erscheint in vier Sprachen - auf Russisch, Usbekisch, Tadschikisch und Kirgisisch. Verteilt wird die Zeitung kostenlos an Orten, wo sehr viele Migranten sind, denn dem Redaktionsteam ist es sehr wichtig, dass die Zeitung ihre Zielgruppe erreicht.
 
„Das Projekt hat zwei Hauptziele“, fährt Julia Alimowa fort. Erstens soll eine Initiativgruppe von Frauen und Mädchen geschaffen werden, die Migrantinnen aus Zentralasien sind, und diese sollen die Möglichkeit bekommen, Neues auszuprobieren (z.B. Verfassen von Artikeln, Anfertigen von Übersetzungen, Umbruch – Anm. des Autors). Das zweite Ziel besteht darin, der Zielgruppe, also den Lesern und Leserinnen, mit den Mitteln der Zeitung Informationen zu vermitteln. Es ist eine politische Geste, ein Statement, dass Frauen eine Zeitung angeboten wird, die nur für sie gemacht wird. Wir versuchen, die Wichtigkeit der Stellung der Frau zu unterstreichen.“
 
Julia Alimowa ist der Meinung, dass „Gul“ und andere Publikationen für Migranten (wenn sie denn über aktuelle Themen berichten und wirklich unter den Migranten verteilt werden) die Integration ihrer Leser und Leserinnen fördert. „Erstens bemühen wir uns darum, Materialien mit aktuellen juristischen und sonstigen nützlichen Informationen zu veröffentlichen“, erzählt sie, „und zweitens gewährleistet die Übersetzung in die zentralasiatischen Sprachen, dass die Informationen auch für diejenigen zugänglich sind, die nur diese Sprachen sprechen. Und schließlich ist allein die Tatsache, dass eine solche Zeitung herausgegeben wird, eine wichtige Botschaft an die Migrantinnen und Migranten – nämlich, dass sie ein wichtiger Teil von Sankt Petersburg sind und man froh ist über ihre Anwesenheit in der Stadt. Uns scheint, dass dies ein wichtiges psychologische Moment ist, das die Integration fördert. Außerdem sind besonders jene Massenmedien für die Integration wichtig, die unter aktiver Beteiligung der Migranten selbst herausgegeben werden, geben sie doch den Teilnehmern an solchen Projekten die Möglichkeit, nachhaltig Integration zu erfahren.“