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Canvas City
„Leicht dystopisches Szenario“

Canvas City
© Canvas City

Geolokationsspiel mit Augmented Reality: „Canvas City“ soll die Spielenden in eine nahe Zukunft transportieren, wo Digitalisierung alle Lebensbereiche durchdringt. Eine Korrespondentin des Goethe-Instituts hat mit Robert Alisch, einem der Entwickler des Spiels, vor seinem Auftritt bei der „Net September“-Konferenz gesprochen.

Von Anna Laletina

Der Trailer des Spiels sieht dystopisch aus: dicke Rauchschwaden über der Stadt, eine große Fabrik, Menschen in Uniformen, die monotone Arbeit leisten, emotionsloses Voiceover.
 


„Es sieht schon ein kleines bisschen bedrohlich aus“, gibt Alisch zu. „Aber unser Ziel ist es, keine ganz positive Zukunft zu zeigen, sondern auch Herausforderungen von Digitalisierung mit ihren Aspekten wie Algorithmen, Entscheidungsfindung und elektronischen Assistenten. Alle Vorteile der Digitalisierung verstehen und nutzen Jugendliche jetzt schon. Sie machen es, ohne nachzudenken, was da dranhängt. Sie benutzen beispielsweise irgendwelche kostenfreien Services, aber eigentlich bezahlen sie doch, und zwar mit ihren Nutzungsdaten.“

„Canvas City“ ist für junge Menschen ab 14 Jahren bestimmt. Bis zu 30 Personen können zusammen spielen. Zum Spielen benötigt man ein Gerät mit Internetzugang. Da sich die Spielenden bewegen müssen, ist ein Tablet zum Spielen am besten geeignet.

Im Spiel lebt man in einer nahen, fiktiven Zukunft. Dort gibt es die künstliche Intelligenz (KI) Cortex, die mehr und mehr Aspekten des Lebens übernimmt, von der Verwaltung bis zur Arbeit im öffentlichen Personennahverkehr. Die KI zeigt sich effektiv und optimiert sich zudem ständig selbst, entwickelt also neue Technik und Codes für sich selber. Zum Start des Spiels werden die Spielenden darüber informiert, dass sie in der Fabrik arbeiten, in der die Prozesse der Optimierung der KI stattfinden. Die KI ist schon mächtig, aber ihr sind immer noch nicht alle Datenquellen zugänglich. Weil die Spielenden zu den besten Mitarbeiter*innen der Fabrik gehören, bekommen sie die Aufgabe, in der Stadt Datenquellen zu erschließen, welche die KI braucht.
Canvas City © Canvas City
Die Spielmechanik von „Canvas City“ ist der von „Pokémon Go“ ähnlich. Spielende laufen durch die reale Stadt, gleichzeitig bewegen sich ihre Avatare auf der virtuellen Karte des Spiels auf dem Bildschirm. Man sieht dort die Steuerelemente des Spiels, Spielerinformationen und Artefakte, die über das Live-Bild eingeblendet sind, aber in der Realität nicht existieren. Bei den „Artefakten“ handelt es sich um Texte, Bilder und Videos. Das sind Datenquellen, die Cortex braucht und die von den Spielenden gesammelt werden müssen.

Das Spiel setzt eine Rivalität auf verschiedenen Ebenen voraus. Man ist zu Beginn alleine, dann in Teams unterwegs, die gegeneinander agieren. Am Ende vereinigen sich die Menschen im „Idealfall“. Ob sie sich gegen etwas vereinigen? „Letztendlich geht es um eine ... Entscheidung“, wählt Alisch vorsichtig seine Worte. „Diese große KI ist zu stark und man muss was tun. Ein typisches leicht dystopisches Szenario. Ich will jetzt das Ende des Spiels nicht vorweggreifen, weil dann braucht man nicht mehr spielen, aber letztendlich geht es um eine große Entscheidung, nämlich wie es denn weitergeht, welche künstliche Intelligenz überlebt. Schaffen die Spielenden das Ganze oder schaffen sie es nicht?”, fasst er das Spiel zusammen.

Das Spielen selbst dauert zwei bis vier Stunden. Dann kommen die Workshops mit Auswertung. Die Spielorganisator*innen möchten, dass es bei der Auswertung nicht nur ums Spiel selbst geht, sondern auch um die Realität, die von dem Spiel reflektiert wird. Zum Beispiel dadurch, dass die Spielenden darauf aufmerksam gemacht werden, dass die KI, wenn sie von Menschen lernt, auch den von Menschen geprägten Rassismus, Sexismus und alle dazugehörenden Vorurteile einnimmt.

Die Auswertung danach sei ein sehr wichtiger Teil des ganzen Prozesses, so Alisch. Die Workshops mit Auswertung müsse man nicht direkt nach dem Spiel durchführen, und das Spiel selbst könne man auch kürzer oder länger machen – je nachdem wer es spielt und zu welchem Zweck. Die Organisator*innen hoffen natürlich, dass die Schulen sich für ihr Spiel interessieren (es könnte zum Beispiel im Informatik- oder Ethikunterricht, aber auch außerhalb des Unterrichts gespielt werden). Aber sie möchten auch, dass Erwachsene „Canvas City“ spielen, vor allem Lehrende und Mitarbeiter*innen aus Jugendeinrichtungen.

„‚Canvas City‘ ist so gebaut, dass, wenn man es spielt, man es nicht als Lernspiel begreift. Man soll nicht denken: jetzt wird mir Wissen vermittelt. Es ist vor allem eine richtige Geschichte, die reinzieht und mitnimmt“, so Alisch. Das Bildungselement sollte nach dem Spiel das wichtigste sein. Ob das gelungen ist, ist noch ungewiss, da bisher erst wenige Menschen das Spiel gespielt haben, und wenn, dann oft nur als Test. Das Spiel sollte schon ab Sommer 2020 erhältlich sein, jedoch verschob die Corona-Pandemie die Veröffentlichung.
Canvas City © Canvas City
Das Spiel ist derzeit nur auf Deutsch verfügbar, doch eine englische Übersetzung ist nicht ausgeschlossen. Bisher kann man „Canvas City“ nicht einfach herunterladen: Derzeit muss man das Spiel über die Berliner Agentur mediale pfade, die das Spiel entwickelt hat, buchen. Mitarbeiter*innen der Agentur kommen dann zum Ort, wo gespielt werden soll, passen das Spiel an diese Umgebung an und bringen Technik und Materialien für die Workshops mit, die nach dem Spiel stattfinden.

In der Zukunft aber soll das Ganze als Open Educational Resource veröffentlicht werden – das heißt „Canvas City“ wird freies Lern- und Lehrmaterial sein.

Ob man „Canvas City“ einfach nach Russland transportieren und da spielen kann? „Es fehlt mir das Wissen, inwieweit das Thema offene Daten ein ebenso wichtiges Thema in Russland ist wie in Deutschland und welche Bedingungen es im Bereich Datensammeln in Russland gibt. Ich glaube, das Spiel wird im Prinzip überall funktionieren, aber man muss die Workshops anpassen“, sagt Alisch.

„Letztendlich möchten wir junge Bürger*innen auf den Weg bringen, die dem Datensammeln beispielsweise seitens großer Firmen kritisch gegenüberstehen und nicht nur einfach mitmachen, sondern selber anfangen zu hinterfragen, hinter die Kulisse zu gucken und vielleicht auch aktiv zu werden, um Dinge anders zu machen. Es gibt zum Beispiel Daten, die mit öffentlichen Geldern erhoben werden, aber für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Das sind alle sehr wichtige Themen, aber zu wenig Menschen, die sich damit beschäftigen. Das möchten wir ändern“, fügte Alisch hinzu.

 

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