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Heimat der Sámi
Eine bedrohte Ressource

Eine Schneelandschaft von oben, zwei Menschen waten durch den Schnee
Die weite Landschaft im Norden wird für Windparks immer interessanter – zum Leidwesen der dortigen Indigenen Bevölkerung.  | Foto (Detail): © Ville-Riiko Fofonoff

Die globale Pandemie zwingt alle zum Lockdown. Doch der sogenannte Fortschritt macht nicht Halt. Diese Tagebucheinträge von Pirita Näkkäläjärvi handeln von innovativen Wegen, auf denen die Sámi sich Gehör verschaffen. 

Von Pirita Näkkäläjärvi

Dieses Tagebuch bietet einen kleinen Einblick in die zahlreichen Probleme, mit denen die Sámi-Gemeinschaft gleichzeitig konfrontiert ist. Die globale COVID-19- Pandemie zwingt uns zum Lockdown, aber die Bedrohungen durch den sogenannten Fortschritt ruhen nicht. Neue Eingriffe in unsere Territorien stellen eine Gefahr für unsere traditionelle Lebensgrundlage dar und zwingen uns dazu, innovative Wege zu gehen, um gehört zu werden. Wir selbst genießen den langen, sonnigen Frühling mit Schnee bis Ende Mai, aber unsere Rentiere leiden unter dem langen, harten Winter. Außerdem machen die unberechenbaren Wetterbedingungen es unwahrscheinlich hart für die samische Kultur, sich dem Klimawandel anzupassen. Das Tagebuch beschreibt auch das innere Ringen der modernen, gut gebildeten Sámi: Wie kombiniert man eine erfolgreiche Karriere im westlichen System, mit dem Engagement für die Indigene Gemeinschaft, getrieben von der Verpflichtung, der eigenen Kultur etwas zurückzugeben, und das Überleben einer jahrhundertealten Indigenen Kultur zu sichern? 

März: Beginn des Corona Frühlings

15. März 2020

Die globale COVID-19-Pandemie hat Finnland erreicht und die Regierung gibt Maßnahmen bekannt, um die Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Auch mein Arbeitgeber kündigt ein Konzept an und plötzlich arbeiten wir alle von zu Hause aus. Ich arbeite zwar in Helsinki, bin aber immer noch als Bürgerin meiner Heimatgemeinde Inari registriert, also fahren wir vor dem Corona-Lockdown schnell nach Hause. Ich arbeite als Investmentprofi in einem brandneuen Bereich mit Anlagenberatung für Unternehmen und kann meine Arbeit mit strategischen und finanziellen Analysen von überall auf der Welt aus erledigen. Als die jüngere Generation haben wir uns angepasst und können im Homeoffice arbeiten, doch unser Hauptanliegen hier im Norden sind unsere Älteren. Sie sind die Träger unserer Kultur und unserer Sprache und wir können es uns nicht leisten, auch nur einen von ihnen durch Corona zu verlieren. Zu viel althergebrachtes Wissen über unsere traditionellen Lebensbedingen würde mit ihnen verloren gehen. 

Mai: „Thinktank“

14. Mai 2020

Das erste Treffen einer EU-Sápmi-Denkfabrik des Sámi-Rats. Auf Grund der Corona-Einschränkungen musste die Veranstaltung online stattfinden, statt nach Tromsø auf die norwegische Seite zu einem persönlichen Treffen zu reisen. Es ist seltsam, so kreative Gespräche über die Möglichkeiten einer verbesserten EU- Sápmi Kooperation zu führen, aber das ist die neue Realität, an die wir uns zurzeit gewöhnen müssen. 

Ungewöhnlich langer Frühling

25. Mai 2020

Wir haben einen ungewöhnlich langen Frühling erlebt. Als ich mein tägliches Foto aus dem Wohnzimmerfenster in Inari Richtung Wald mache, liegen noch immer rund 20 Zentimeter Schnee rund um das Haus, und es ist der 25. Mai! Das erinnert mich an meine Kindheit, als wir in der letzten Schulwoche Ende Mai gern auf den matschigen Straßen Rad fuhren. Aber im Lauf der Jahre sind die Winter kürzer und kürzer geworden; der Schnee war Mitte Mai geschmolzen, manchmal sogar schon um den 1. Mai herum, den Tag der Arbeit. Diesen Winter hingegen gab es in manchen Gebieten mehr Schnee als in den letzten hundert Jahren. Einer dieser Orte war die Nachbargemeinde Sodankylä, wo laut Finnischem Rundfunk die Schneehöhe 74 Zentimeter betrug, statt üblicherweise 40 Zentimetern. 

So viel Schnee zu haben, bedeutet für Menschen etwas anderes als für Tiere. Für uns war der Frühling die pure Freude! In den Sozialen Medien wimmelte es von Fotos mit Menschen, die Ski liefen, Eisangeln gingen und mit dem Schneemobil herumfuhren. Auch die Nächte im Frühling waren außergewöhnlich. Helle Frühlingsnächte, die zu noch helleren Sommernächten führen, sind für uns im Norden ein bekanntes Phänomen, aber der Schneefall so spät im Frühling hat sie noch gewaltiger gemacht. Die Schneedecke reflektiert das Licht und verdoppelt oder vervierfacht sogar die Lichtmenge. Ich verbringe zahlreiche Abende damit, den Tanz des Sonnenlichts auf dem Schnee und seine Färbung mit blauen, roten und goldenen Schatten zu beobachten. 

Für unsere Rentiere und die Rentierzüchter*innen war der lange Frühling jedoch hart. Aufgrund der harten Winterbedingungen war es für die Rentiere extrem schwer, in ihren natürlichen Weidegebieten Futter zu finden. Der letzte Herbst war kalt und es gab wenig Pilze, die eine wichtige Futterquelle für die Rentiere darstellen. Früher als sonst fiel der erste Schnee. Verglichen mit normalen Jahren, gab es mehr Schnee als üblich. Er war fest und in vielen Lagen verharscht, was es den Rentieren erschwerte, auf dem Boden noch Nahrung zu finden. Große Teile des Bodens unter dem Schnee waren entweder gefroren oder modrig. Als die weiblichen Rentiere mit dem Kalben begannen, lag noch immer viel Schnee, was es für die neugeborenen Kälber schwer machte zu überleben. 

Der außergewöhnliche Winter mit Rekordmengen an Schnee bedeutete, dass viele Rentiere verhungerten, obwohl die meisten Rentierzüchter*innen verzweifelt versuchten, ihren Tieren zusätzliches Futter zu beschaffen. Viele Züchter*innen mussten mit ihren Schneemobilen täglich zu ihren Rentieren fahren, um sie mit zusätzlichen Nahrungsmitteln wie industriell hergestelltem Futter zu versorgen. Die schwächsten Rentiere mussten zur Überwachung und Fütterung mit nach Hause gebracht werden. All dies war sehr kostspielig für die Rentierzüchter*innen, da die Rentiere im Frühjahr normalerweise den größten Teil ihrer Nahrung selbst finden. 

Die erste Reaktion auf diesen Winter und den Frühling bestand darin, sie als extrem zu bezeichnen. Wir haben jedoch wahrscheinlich erst den Beginn der Auswirkungen des Klimawandels auf die arktische Umwelt und die traditionellen Lebensgrundlagen der Sámi gesehen. Nach jüngsten Untersuchungen des von der finnischen Regierung finanzierten SAAMI-Projekts begannen die Sámi bereits in den 1960er-Jahren mit der Anpassung an den Klimawandel. Dies führte zu tiefgreifenden Veränderungen in den Arbeitsmodellen ihrer Rentierhaltung. Es spricht für die Widerstandsfähigkeit der Kultur und die Fähigkeit, sich weitreichenden Veränderungen anzupassen. Forschungen zufolge wird die Vielfalt der Arbeitsmodelle in Zukunft zunehmen. Eine immense Herausforderung ist ebenfalls, dass die Vorhersagbarkeit der Naturbedingungen und des Wetters abgenommen haben. Instabilität und Anormalität sind die neue Normalität. 

Nachrichten über ein Bergbau-Gebiet erreichen uns 

Mitte Mai 2020 

In diesem Frühling haben es die Sámi-Rentierzüchter*innen nicht leicht. Gerade als wir erleichtert aufatmen, als der Schnee schmilzt und die Rentierkälber sicher geboren werden, erreichen uns Nachrichten über ein Bergbau-Gebiet im „Arm of Finland“. Tatsächlich erfahren Rentierzüchter*innen in der Region zunächst nur gerüchteweise, dass sich ein niederländisches Rohstoffunternehmen, Akkerman Finland Oy, in Käsivarsi die Schürfrechte sicherte. Es geht um ein Gebiet von der Größe Helsinkis. 

Nach früheren Untersuchungen können Kupfer, Nickel, Gold, Chrom, Vanadium, Titan, Kobalt, Platin, Palladium, Osmium, Rhodium, Iridium und Ruthenium in dem reservierten Gebiet gefunden werden. Viele dieser Metalle sind bei Herstellern von Batterien für Elektrofahrzeuge sehr gefragt. Das führt zu einem Dilemma. Auf der einen Seite erfordert die Elektrifizierung des Verkehrs einen Wechsel von Autos mit fossilen Brennstoffen hin zu Elektrofahrzeugen, was den Abbau von Metallen wie Nickel, Kupfer, Vanadium und Kobalt erforderlich macht, um die Versorgung dafür zu sichern. Andererseits beginnt die Welt erst zu erkennen, wie wichtig das traditionelle Wissen der Indigenen Völker bei der Bekämpfung des Klimawandels ist. Aber wie kann traditionelles Wissen überleben, wenn das Land, das für die traditionellen Lebensverhältnisse existentiell notwendig ist, dem Bergbau überlassen wird? 

Wir wissen, dass es für die Rentierhaltung und den Bergbau unmöglich ist, in demselben Gebiet nebeneinander zu existieren, und es ist nicht richtig, dass Staaten bereit sind, die gesamte Indigene Kultur aufgrund der Industrialisierung in Gefahr zu bringen. Ja, unsere modernen Gesellschaften brauchen diese Mineralien, aber es kann nicht richtig sein, dass eine alte, traditionelle Lebensgrundlage eines Indigenen Volkes durch eine andere Lebensgrundlage vernichtet wird. 

Kulturelle Subventionen

28. Mai 2020 

Endlich können wir gute Nachrichten mitten in diesem harten Frühling vermelden. Das finnische Parlament subventioniert das Sámi-Parlament mit sogenanntem „Weihnachtsgeschenkegeld“ am Ende des Jahres. Wir können damit 45.000 Euro an samische Künstler*innen, Vereine und Kulturschaffende verteilen. Ich bin Vorsitzende des Kulturkomitees im Sámi-Parlament und heute haben wir die Empfänger*innen der Subventionen bekannt gegeben. Wir haben versucht, sie so gut wie möglich zwischen allen drei Sámi-Sprachen und zwischen allen Sámi-Gemeinden und Städten mit samischen Vereinigungen aufzuteilen. Es gibt immer mehr Anträge als Gelder, aber ich hoffe, dass diese Subventionen die samische Kunst und das Kulturleben wenigstens ein bisschen unterstützen. 

Juni: TV-Dokumentation ist veröffentlicht

6. Juni 2020 

Eine echt stressige Zeit ist vorbei. Der schwedischsprachige Bereich des finnischen Rundfunks hat seine Fernsehdokumention „Ich bin Sámi“ endlich fertig. Ich bin eine der darin vorgestellten Personen und meine Rolle ist es, die politische Situation der Sámi in Finnland zu erklären. Es war stressig, auf die endgültigen Ergebnisse der Dokumentation zu warten. Ich habe mir Sorgen gemacht, dass meine Aussagen falsch dargestellt oder irgendwie falsch zitiert werden, obwohl ich mich bemüht habe, sicherzustellen, dass alles, was ich sage, auf Fakten basiert und auch dann gilt, wenn es aus dem Zusammenhang gerissen wird. Die fertige Dokumentation ist gut. Ich sehe sie mir viele Male an und bewundere die Dramaturgie und die subtile Pro-Sámi-Botschaft des Regisseurs. 
Schneelandschaft mit Wäldern Der letzte Winter brachte Finnland Rekordmengen an Schnee – nicht nur ein Grund zur Freude. | Foto (Detail): © Ville-Riiko Fofonoff

Corona-Frisur

11. Juni 2020  

Okay, ab jetzt habe ich offiziell eine Corona-Frisur. Mein Pony ist rausgewachsen und mein langes Haar ist seit einer ganzen Weile nicht mehr geschnitten worden. Zur Rettung kommt eine Freundin vorbei: Sie ist Kunsthandwerkerin und macht mir ein Corona-Haarband mit samischer Dekoration in meinen Lieblingsfarben und den schönsten Sámi-Bändern! 

Eine bedrohte Ressource

13. Juni 2020 

Ich arbeite an einer Kolumne über die Reservierung der Bergbau-Begutachtung im „Arm of Finland“. Für uns Sámi ist es oft schwer, der westlichen Welt unsere Perspektive und unsere Denkweise zu erklären. Nicht, weil wir keine sachlichen Argumente oder nicht die Fähigkeit, unsere Blickwinkel zu erläutern, hätten, sondern weil die allgemeine Bevölkerung einfach überhaupt nichts über uns weiß. Das finnische Schulsystem wird hochgelobt und soll den gleichen Ausgangspunkt für alle bieten, lehrt aber kaum etwas über die Sámi. 

Daher versuche ich erneut, Wege zu finden, um die Weltsicht der Menschen zu erweitern. Wie erklärt man, warum in der Heimat der Sámi nicht alle industriellen Aktivitäten willkommen sind und warum die traditionellen Lebensweisen der Sámi Priorität haben müssen? 

Ich habe eine Kolumne auf einer englischsprachigen Webseite News Now Finland. Darin versuche ich, die Kolumnen so zu schreiben, dass sie langfristig aktuell bleiben. Dieses Mal habe ich beschlossen, einen Fachausdruck aus der Wirtschaft zu benutzen und habe meine Kolumne „Sámi homeland ‒ A scarce resource“ (Heimat der Sámi – Eine bedrohte Ressource) überschrieben. 

Mein Hauptargument darin ist, dass die Heimat der Sámi eine bedrohte Ressource für unsere Lebensgrundlage ist. Wenn nun neue Formen der Landnutzung versuchen, in das Gebiet der Sámi einzudringen, ist es uns nicht einmal gesetzlich möglich, unsere Rentiere in ein anderes Gebiet zu bringen – sei es in eine Rentier-Genossenschaft in der Nachbarschaft oder in ein Nachbarland. Ende des 19. Jahrhunderts wurden bereits die Staatsgrenzen für das Nomadenleben der Sámi geschlossen, und unseren Rentieren ist es nicht gestattet, die Grenzen nach Norwegen, Schweden oder Russland zu passieren.  

Die Petition startet 

Mittsommer

Es ist eine lange Geschichte, aber aufgrund des aktuellen Bergbaugesetzes in Finnland besteht die Gefahr, dass das Verwaltungsgericht die von den samischen Rentierzüchter*innen und dem Sámi-Parlament eingereichten Beschwerden über das Bergbau-Gebiet im „Arm of Finland“ nicht berücksichtigt. Nach der geltenden Gesetzgebung haben samische Rentierzüchter*innen und das Sámi-Parlament in dieser Phase eines Bergbauprojekts kein Recht, Beschwerde einzulegen. Wir können nur schwer verstehen, warum Indigene und ihre offiziellen Vertreter*innen in dieser Phase des Prozesses kein Mitspracherecht haben. Die zuständige Finnische Agentur für Sicherheit und Chemikalien ist nicht einmal verpflichtet, uns über eine Reservierung zu informieren. 

Um uns Gehör zu verschaffen, wurde kurz vor Mittsommer eine Online-Petition gegen alle Bergbauaktivitäten im „Arm of Finland“ gestartet. Ich unterzeichnete als zweite, nach Minna Näkkäläjärvi, einer Rentierzüchterin von Ergon siida, die am meisten davon betroffen wäre, wenn in dem Gebiet Bergbau betrieben würde. 

Als Gruppe unterstützen wir Minna sehr erfolgreich. Wegen Corona können wir uns nicht persönlich treffen, deshalb nutzen wir die Sozialen Medien und Video-Konferenzen, um zusammenzuarbeiten. Ich bin stolz auf diese Gruppe, die zu Sápmi und Finnland arbeitet, ihre Freizeit nutzt, ihr Fachwissen über die Rentierhaltung beiträgt und über die Sache berät. 

Die Petition erhielt innerhalb der ersten Woche über fünftausend Unterschriften. Das überraschte uns sehr, denn 5.000 ist für die Sámi-Gemeinschaft von 10.000 auf der finnischen Seite eine große Zahl. Vielleicht gibt es gerade einen Impuls für eine solche Petition. Die besondere Corona-Situation hat Menschen überall in Finnland wieder neu mit der Natur verbunden. Sie verbringen viele Stunden draußen und erkennen den Wert von Gegenden, die von der industriellen Entwicklung unberührt bleiben. 

Virtuelle Vollversammlung 

26. Juni 2020 

Die außergewöhnliche Corona-Situation führte auch im Sámi-Parlament von Finnland zu außergewöhnlichen Maßnahmen. Statt unsere Vollversammlung in der Halle des Sajos-Parlaments in Inari unter dem riesigen Kunstobjekt „Eatnu, Eadni, Eana“ (Strom, Mutter, Boden) abzuhalten, versammeln wir uns vor unseren Computern zu einer virtuellen Vollversammlung. Auf der Tagesordnung stehen hauptsächlich Punkte von administrativer Bedeutung, wie die Genehmigung des Jahresabschlusses 2019. Bei den kommenden Versammlungen im Herbst werden die geplante Änderung des Bergbaugesetzes und die Entwicklung der samischen Klimapolitik auf der Tagesordnung stehen. Das Sámi-Parlament arbeitet mit einem sehr knappen Budget, sodass die 21 Mitglieder sich nur vier- oder fünfmal im Jahr im Plenum treffen.  

Wie üblich läuft die Zeit für wichtige Diskussionen schnell ab und es scheint, als hätte man lediglich Zeit gehabt, bei vielen Tagesordnungspunkten etwas an der Oberfläche zu kratzen. 

Verbindung zum „Saimaa Anti-Bergbau-Netzwerk ” in Südost-Finnland 

Ende Juni 

Durch die geplante Änderung des Bergbaugesetzes hat die Zahl der Reservierungen in ganz Finnland zugenommen. Die derzeitige Gesetzgebung macht dies wirklich einfach – vor allem ohne die Zustimmung der örtlichen Gemeinden oder der Sámi einzuholen. Die Heimat der Sámi ist folglich nicht das einzige Gebiet, das durch die Aussicht auf künftige Minen betroffen ist. 

Helsingin Sanomat, die größte Tageszeitung Finnlands, berichtet über Reservierungen im größten finnischen Seengebiet Saimaa. Wir erfahren von Miisa Mink und einem Anti-Bergbau-Netzwerk, das sie Ende Mai gegründet hat – genauso, wie es Minna Näkkäläjärvi in Sápmi getan hat! Miisa Minks Facebook- Gruppe hat über 15.000 Mitglieder und sie teilen die gleichen Bedenken, wie wir sie haben: Warum hat der finnische Staat es für internationale Explorations- und Bergbaufirmen so leicht gemacht, nach Finnland zu kommen, Bergbauunternehmen zu etablieren, die in Finnland kaum irgendwelche Steuern zahlen, Bergbauabfälle von den finnischen Steuerzahler*innen beseitigen zu lassen und möglicherweise irreparable Schäden an der Natur zu verursachen? 

Unsere kleine Gruppe nimmt Kontakt mit Miisa Minks Netzwerk auf. Wir begrüßen die Unterstützung unserer Sache und die Möglichkeit, Informationen auszutauschen und voneinander zu lernen. Zwar ist eine Reservierung nur der Beginn des Prozesses, einen Bergbaubetrieb zu etablieren. Doch die Menschen sowohl in unserer Gegend als auch im Saimaa-Gebiet wissen, dass die Bedrohung durch zukünftige Bergbau-Aktivitäten die Zukunft für junge Rentierzüchter*innen, Landbesitzer*innen und Tourismusunternehmen unsicher macht. Wagst Du es, in einem Gebiet in die Zukunft zu investieren, in dem eine Mine bald alles wegwischen kann? 

Juli: Kälte als Normalzustand

Anfang Juli

Bis jetzt war es ein heißer Sommer. Im Juni haben wir in der Hälfte des Landes die höchsten Temperaturen seit der Aufzeichnung in Finnland. Ich kann nicht sagen, dass ich die Hitze mag, wenn ich in Inari bin. Während des gesamten Corona-Frühlings hier in Inari habe ich viel über meine Kindheit nachgedacht. Irgendwie wurde mir klar, dass ich Kälte immer als Normalzustand angesehen habe. Kälte, Winter und Schnee sind das Ideal. Die Jahreszeit des guten Lebens, des Glücks. Winter war etwas, das immer wiederkommen würde, auf die mehr oder weniger gleiche Weise.  

Je mehr wir jedoch die Auswirkung des Klimawandels sehen, desto mehr befürchten wir, unsere Winter zu verlieren. Unsere Sámi-Kultur ist auf so vielfältige Art an den Winter angepasst. So auch unsere Rentiere, so lange die extremen Winter nicht ebenso zunehmen. Sie leiden unter der übermäßigen Sommerhitze. Die vergangenen Jahre sind wirklich erschreckend gewesen, weil alles so wenig vorhersagbar war. Die aktuellen Winter sind kürzer, das Wetter wechselt von einem Extrem ins andere, Schnee und Eis schmelzen früher. Es fühlt sich so an, als ob die Prämissen unserer Lebensweise bald nicht mehr aufgehen. 

Neue Vertrauensposition 

6. Juli 2020 

Der Vorstand des Sámi-Parlaments in Finnland nominiert mich für einen Ausschuss, der mit der Ausarbeitung einer Änderung des aktuellen Gesetzes über das Sámi-Parlament beginnen wird. Eine große Ehre! Mein wichtigstes persönliches Ziel ist die Änderung der Eine Schneelandschaft im Mondlicht Kälte als Normalzustand: Für Pirita Näkkäläjärvi sind Winter und Schnee das Ideal | Foto (Detail): © Ville-Riiko Fofonoff . Der UN- Menschenrechtsausschuss hat Finnland verpflichtet, die Sámi-Definition unter Berücksichtigung der Selbstbestimmung des Sámi-Volkes zu überprüfen. Die Arbeit im Ausschuss beginnt im Herbst. 

Eine Schneelandschaft im Mondlicht Kälte als Normalzustand: Für Pirita Näkkäläjärvi sind Winter und Schnee das Ideal | Foto (Detail): © Ville-Riiko Fofonoff

Windenergie

Mitte Juli 2020 

Es ist mein letzter politischer Termin bevor ich in Sommerpause gehe. Der Präsident des Sámi-Parlaments in Finnland, Tuomas Aslak Juuso, und ich sind als Gesandte des Parlaments zu Besuch bei einem Sommertreffen der „Bewegung gegen Windparks” auf der norwegischen Seite, ganz nah der finnischen Grenze. Wir sind auf dem Gebiet der Sámi-Rentierzuchtgemeinde Lágesduottar, die von einem großen Windpark mit 100‒267 Windrädern bedroht wird. Der „Davvi Windpark“ soll von den norwegischen und finnischen Firmen Vindkraft Nord AS, Ny Energi AS und St1 betrieben werden. Die Anlage wird nicht einfach irgendwo stehen: Sie ist im Gebiet des heiligen Sámi-Berges Rastigaisa geplant, auf dem sich mindestens zwei alte samische Opferstätten befinden.
 
Bei dem Treffen lernen wir viel. So zum Beispiel über die Brutstätten des vom Aussterben bedrohten Polarfuchses in der Region. Wir hören von großem Stress, unter dem die gesamte Gemeinschaft der Rentierzüchter*innen aufgrund des geplanten Windparks steht. In der Öffentlichkeit wird Windkraft als eine gute Sache verstanden, aber hier sind die Windparks nicht willkommen. Für die samischen Rentierzüchter*innen sind sie weitere Eingriffe in ihr Land, die zum Verlust von Weideflächen und zur Sperrung von Zugrouten führen würden, nicht nur durch die von den Windrädern benötigte Fläche, sondern auch durch die unterstützende Energieinfrastruktur und Straßen. Es ist ziemlich beeindruckend, dass der betreffenden samischen Rentierzuchtgemeinschaft 123 Millionen Norwegische Kronen angeboten wurden, rund 12 Millionen Euro, um dem Windpark zuzustimmen, sie aber das Geld ablehnten. Die Anti-Windkraft- Bewegung hat einen ganzen Report über die negativen Auswirkungen der Windkraft auf die Rentierzucht veröffentlicht.
 
Ich arbeite in einem Energieunternehmen, das auch auf dem Gebiet der Windenergie tätig ist. Gerate ich in einen Konflikt, wenn ich einen Job im Energiesektor habe, mich hier aber für die Indigene Gemeinschaft engagiere, die gegenüber Windkraft sehr kritisch ist? Nein. Sowohl meine Arbeit als auch meine politische Haltung basieren auf denselben Werten von Nachhaltigkeit, Inklusion und Gleichberechtigung. Am Beispiel der Windenergie ist natürlich klar, dass die Energieerzeugung ohne Kohle vorangetrieben werden muss und dass die Windenergie in Zukunft eine der wichtigsten Stromquellen der Welt ist. Doch das bedeutet nicht, dass man Windkraft überall ausbauen muss. In Finnland wollen beispielsweise zahlreiche Gemeinden Windparks bauen – und dann gibt es Regionen, in denen sie nicht willkommen sind, weil sie die Indigene Kultur vollständig zerstören würden. Mit meinem Wissen aus beiden Welten habe ich eine hervorragende Gelegenheit, in vielerlei Hinsicht eine Kraft für das Gute zu sein. Meine Gemeinschaft benötigt mehr Informationen über Windenergie und die Energieindustrie braucht mehr Informationen über die Rechte der Indigenen Bevölkerung.

Ferien in Norwegen

Zweite Julihälfte 

Wie jede*r andere in Finnland, wollen auch wir unseren Sommerurlaub in Norwegen verbringen. Aufgrund der Corona-Beschränkungen ist es beispielsweise nicht möglich, in den Sommerferien nach Mitteleuropa zu reisen. Deshalb sind wir froh, nah an so wunderbaren Orten zu wohnen, die wir nun besuchen können! In der Nähe von Vardø, der östlichsten Stadt Norwegens, sehen wir sogar einen Wal vom Strand aus. Ein kostbarer Augenblick!

August: Grüner Kolonialismus

1. August 2020

Al Jazeera veröffentlicht einen Beitrag über grünen Kolonialismus in Sápmi am Beispiel des Øyfjellet-Windprojekts in Jillen Njaarke im Süden von Sápmi.

Die Petition schließt mit mehr als 37.000 Unterschriften!

29. August 2020

Es ist der letzte Tag der Petition und wir trauen unseren Augen kaum! Als wir um Mitternacht die Online-Petition schließen, liegt das Endergebnis bei 37.200 Unterschriften! Menschen aus dem ganzen Land und sogar einige aus dem Ausland haben die Petition unterzeichnet. Ich erinnere mich, wie überrascht wir waren, als wir die 5.000er-Marke erreicht hatten. Den ganzen Sommer über erfüllte uns der kontinuierliche Anstieg der Unterschriften mit Ehrfurcht.
 
Wir hatten natürlich Hilfe von Prominenten, die uns unterstützt und ihr Gesicht für unsere Sache gezeigt haben. Sie haben uns geholfen, die Aufmerksamkeit der Medien bei der finnischen Rundfunkgesellschaft zu erlangen. Dennoch sind die meisten Unterzeichner*innen keine berühmten Finn*innen. Es ist wirklich berührend, an all die Unterstützung zu denken.

September: Wir erreichen rund eine Million Finn*innen über die Medien

2. September 2020 

Heute ist der Tag, an dem die Petition an die Ministerin für Umwelt und Klimawandel, Krista Mikkonen, übergeben wird. Ausgedruckt ergeben die 37.200 Unterschriften einen zehn Zentimeter dicken Stapel Papier! Ziemlich eindrucksvoll. Unsere Delegation ist für ein paar Tage in Helsinki gewesen. Ich bin noch immer in Inari, koordiniere die Medien und die Social-Media-Aktivitäten von hier. Ich war im August für eine Woche zu einigen Meetings für meinen Job in Helsinki, bevor unser Unternehmen wieder Homeoffice einführte und ich nach Inari zurückgefahren bin. Während der letzten Tage haben wir rund eine Million Finn*innen durch die regionale Tageszeitung Lapin Kansa (Titelseite!), die Radio- und Fernsehsender des Finnischen Rundfunks, den größten kommerziellen TV-Kanal MTV und natürlich durch Fotos und Videos in den Sozialen Medien erreicht. Ich bin sehr zufrieden mit der Reichweite, aber was mich noch stolzer macht, sind die Interviews, die Minna zur besten Sendezeit gibt. Sie ist so professionell, wortgewandt und dabei so authentisch und ganz sie selbst!
 
Lasst uns das euphorische Gefühl jetzt genießen, denn die Arbeit hört mit der Übergabe der Petition nicht auf. Der nächste Schritt besteht darin, zu versuchen, die geplante Änderung des Bergbaugesetzes zu beeinflussen, die im Herbst abgeschlossen werden soll.

Rettung

4. September 2020 

Der Barents Observer schreibt, dass der nordnorwegische Sommer von finnischen Tourist*innen gerettet worden sei.

Rede vor dem Außenministerium

10. September 2020 

Ich halte eine Rede bei einer Videokonferenz in einer Anhörung für den Regierungsbericht über die Menschenrechtspolitik. Mein Thema ist der Änderungsbedarf des Gesetzes über das Sámi-Parlament, insbesondere angesichts der Aufgabe des UN-Menschenrechtsausschusses von 2019 zur Überprüfung. Die Anhörung fällt mit dem alle zwei Jahre stattfindenden Tag des Sámi-Kleides zusammen, deshalb ziehe ich mein neuestes Sámi-Kleid an.

Ein weiterer Thinktank

11. September 2020 

Heute ist das erste Treffen eines Thinktanks für das Sámi-Kulturfeld, das vom Saami-Rat initiiert wurde. Unsere Aufgaben beinhalten, die sofortigen Herausforderungen der COVID-19-Pandemie anzugehen und auch das gemeinsame Sámi-Kulturleben über zehn Jahre zu betrachten. Dieser Thinktank ist noch größer als der EU-Sápmi-Thinktank, insbesondere, weil wir auch Mitglieder von der russischen Seite von Sápmi dabeihaben. Es ist wirklich wichtig, etwas über ihre Realität zu erfahren, da die Grenze und die Sprachbarriere uns trennt und wir nicht genug Möglichkeiten für gemeinsame Aktionen haben. Wir hören, dass auch das kulturelle Miteinander anderer Sámi von der COVID-19-Pandemie stark in Mitleidenschaft gezogen wird.

Vorbereiten einer Rede im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit

14. September 2020 

Es ist der letzte Tag für mein Tagebuch. Ich bleibe lange wach, um meine Rede für morgen fertig zu machen. Unsere Petitionsgruppe erhielt heute Morgen einen Anruf, dass vier von uns die Möglichkeit erhalten, bei einer Anhörung zur geplanten Änderung des Bergbaugesetzes sprechen.
 
Jede von uns hat nur drei Minuten, deshalb teilen wir die Themen ein. Ich werde über die Rechte der Indigenen Sámi und das Recht auf frühzeitige Information und freie Zustimmung sprechen, die ordnungsgemäß in das geänderte Gesetz aufgenommen werden sollten. Für diese Veranstaltung sind 900 Personen registriert. Wir hatten nicht damit gerechnet, die „Rede-Lotterie“ – so fühlt es sich für uns an – zu gewinnen, sodass die Vorbereitung in letzter Minute geschieht! Aber so ist das Leben für eine Sámi-Politikerin.

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