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Gemütliches Kochen mit Russlanddeutschen in Sarepta

Gemütliches Kochen mit Russlanddeutschen in Sarepta
© Merle Klemens

Von Merle Klemens

Wir befinden uns im Jahr 1765, es ist Sommer und die ersten fünf Glaubensbrüder kommen von ihrer Reise aus Deutschland im Gebiet von Zarizyn an. Sie sind dem Aufruf Katharinas II gefolgt, aber auch einer göttlichen Weisung: „Mach dich auf und geh nach Sarepta…“ (1. Könige 17,9)*.

Sarepta Museum © Merle Klemens Die Bedingungen hier waren damals schwierig. Es war heiß und es gab kein fließendes Wasser, nur die Wolga und ihren Nebenfluss, die Sarpa. Zudem war der Boden sehr salzig und schwer zu kultivieren. Doch die gute Nachricht war, dass die Zugezogenen für 30 Jahre keine Steuern zahlen mussten. Die Neuankömmlinge legten die ersten Wasserleitungen von den Bergen und wurden bald von immer mehr ankommenden Siedlern unterstützt.

Die Siedlung der Herrnhuter Brüdergemeinde trug zur industriellen Entwicklung der Region bei — mit Baumwolle, Tabak und Wein.

Mit der Säkularisierung wurde das Leben immer schwieriger für die Herrnhutter und  im Jahr 1892 wurden sie schließlich zurückgerufen. Doch eine Gemeinde von 30.000 Russlanddeutschen blieb zurück. Heute ist der Ort vor allem unter dem Namen Freilichtmuseum Alt-Sarepta (Staraja Sarepta) bekannt. Noch bis heute wird hier Senföl hergestellt, das man in fast allen Supermärkten in Wolgograd finden kann.

Meine Besuche in Sarepta

Wenn ich heute in Sarepta umherlaufe, kann ich nur erahnen, wie es früher einmal ausgesehen hat. Erst als ich ein altes Foto sah, wurde mir das wirklich bewusst.

Sarepta liegt ganz im Süden Wolgograds am anderen Ende der Stadt. Um dorthin zu gelangen, nehme ich jedes Mal eine zweistündige Busfahrt auf mich.

Nach einigen Besuchen der Gemeinde und reichlicher Überlegung, welchen Kurs ich dort am besten unterrichten könnte, bin ich auf einen Kochkurs in deutscher Sprache gekommen — oder besser gesagt: ein gemeinschaftliches Kochen. Ich koche gerne, aber noch lieber esse ich. Also warum nicht diese Leidenschaft mit anderen teilen? In der Gemeinde gibt es vor allem ältere Menschen, die oft nicht die Möglichkeit haben, im Alltag Deutsch zu sprechen. Außerdem ist Kochen etwas, das für jeden zugänglich ist und gut mit Deutsch verbunden werden kann.

Manchmal wurde ich von Kursteilnehmern auf der Fahrt begleitet, was diese gleich viel kürzer erscheinen ließ. Wir vertrödelten dabei die Zeit vor allem mit Reden.

Einmal kam ein angetrunkener Mann auf uns zu und sagte auf Russisch: „Ihr solltet nicht Deutsch sprechen. Wisst ihr, dass mein Großvater im Krieg hier gefallen ist?“ Wir verstummten. Da ich noch nicht so gut Russisch sprechen konnte, übersetzten mir die anderen, was er gesagt hatte. In diesem Moment wurde mir klar, dass einige Wunden immer noch tief liegen. Fast jeder in dieser Stadt hat im Krieg jemanden verloren.
Kirche Sarepta © Merle Klemens Nach der langen Busfahrt bin ich nun endlich in Sarepta angekommen. Ein kleiner Weg führt zwischen den Betonhäusern zu einem quadratischen Platz und schon sind wir da. Zu unserer Linken befindet sich das Gemeindehaus und daneben die weiße Kirche, das älteste Gebäude Wolgograds (erbaut 1772), die aber renoviert wurde und sich in einem guten Zustand befindet.

Sarepta Kirche 2 Bild © Merle Klemens Wir gehen auf das Gemeindegebäude zu, die Tür ist verschlossen, wir klopfen und warten. Es ist kalt und regnerisch. Nach ein paar Minuten kommt eine braunhaarige Frau auf uns zu, Tatiana. Sie lächelt und begrüßt uns herzlich: „Kommt doch rein!“. Wir legen unsere Sachen ab und packen die Einkäufe aus, die wir vorher gemacht haben. Wir bereiten die Tische in der kleinen Küche vor und stellen die Kochutensilien bereit.

Die Ersten kommen schon, es sind nicht viele, zwei oder drei. Warum nur so wenige? Viele sagen im letzten Moment ab. Anscheinend ist die Zeit nicht unbedingt ideal. Vielleicht wäre es etwas früher am Samstag besser, wenn mehr Leute Zeit haben. Doch leider passt dies nicht so gut in meinen Zeitplan, denn dann habe ich immer meinen Projekttag in Wolgograd. Also überlegen wir weiter: Vielleicht am Sonntag nach dem Gottesdienst? Im Moment würde das jedoch andere Aktivitäten stören. Vielleicht im neuen Jahr? Vorerst bleiben wir also bei Samstag. In der Küche sprechen wir nur Deutsch. Das fällt vor allem den Russlanddeutschen schwer. Doch wenn ich einfache Fragen stelle, können sie mir schon antworten. Die Menschen sind schüchtern und trauen sich oft nicht zu sprechen. Heute ist auch der 17-jährige Dmitri gekommen, die anderen sind um einiges älter. Jeder hat während des Kochens eine Aufgabe — Gemüse schneiden, Käse reiben, den Teig verrühren. Bald zieht ein wohltuender Geruch durch die Küche. Alle werden ungeduldig und wollen endlich das Essen zu probieren. Der Tisch wird gedeckt.

Das fertig gekochte Gericht kommt auf den Tisch. Jemand hat selbstgebrauten Wein mitgebracht, da kann man natürlich nicht Nein sagen. Alle sitzen in der warmen Küche um den Tisch herum und wir genießen das Essen, während wir uns nebenbei angeregt unterhalten. Anschließend helfen alle beim Aufräumen mit. Danach gibt es noch ein paar Spiele wie Memory und dann verabschieden wir uns.
Ganz verschiedene Gerichte haben wir schon ausprobiert. Das erste war der Deutsche Klassiker: Schnitzel mit Kartoffelsalat. Auch die schwäbischen Spätzle mit Champignonsoße oder Flammkuchen standen bereits auf dem Programm. Gerade denke ich darüber nach, welche interessante Speisen wir noch zubereiten könnten und schon läuft mir das Wasser im Munde zusammen.

* Quelle: https://www.bibleserver.com/EU/1.Könige17%2C9

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