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Literatur und Sprache
„Im Deutschen sind die Verhältnisse klarer“

Sprache und Literatur
Sprache und Literatur | Foto (Ausschnitt): © Adobe

Mit ihrem Debütroman „Die grüne Grenze“ war Isabel Fargo Cole 2018 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Die US-Amerikanerin verfasste den Roman auf Deutsch. Ein Gespräch über das Schreiben in einer fremden Sprache.

Von Judith Reker

Ein junges Ehepaar, das 1973 in den Harz zieht, ins Sperrgebiet der DDR; deren Kind, das in einer Welt aufwächst, in der vieles nicht gesagt werden darf: Isabel Fargo Cole landete mit ihrem Debütroman Die grüne Grenze 2018 auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse. Die 1973 geborene US-Amerikanerin wuchs in New York City auf, ihren Roman schrieb sie auf Deutsch und über Deutschland. Ein Gespräch über die Herausforderung, nicht in der eigenen Muttersprache zu schreiben. 


Frau Cole, Ihr kürzlich erschienener Roman über die letzten Jahre der DDR hat viel Lob erhalten. Ausdrücklich hervorgehoben wurde dabei häufig die eindringliche Sprache. Sie schreiben auf Deutsch, aber Ihre Muttersprache ist Englisch. Das ist relativ ungewöhnlich. 

So ungewöhnlich ist das gar nicht. Es gibt immer mehr Autoren mit Deutsch als Zweitsprache, die auf Deutsch schreiben. Deutschland ist nun einmal ein Einwanderungsland. Und wenn man die Hälfte seines Lebens oder noch länger in einer Umgebung lebt, ist es auch relativ normal, dass man in dieser Sprache zuhause ist und sich ausdrückt.

Sie selbst leben seit 1995 in Deutschland. Sie kamen ursprünglich zum Studium nach Berlin – Ihre Fächer waren neuere deutsche Literatur und Russisch ...

... aber womit ich mich damals wirklich beschäftigt habe, war die Entdeckung Ostberlins. Ich habe all diese Geschichten aus meinem ostdeutschen Freundeskreis aufgesogen und mich sehr intensiv mit der Kultur beschäftigt. So habe ich auch viele ostdeutsche Autoren entdeckt und begonnen, sie zu übersetzen. 

Isabel Fargo Cole Isabel Fargo Cole | Foto: © picture alliance/Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa Vom Übersetzen ins Englische zum Schreiben eigener Werke auf Deutsch – wie verlief diese Entwicklung? 

Ich muss dazu sagen, ich schreibe seit meiner Kindheit. Als Teenager in New York war ich in der Fantasy-Szene unterwegs, habe auch ein paar Erzählungen veröffentlicht. In Berlin habe ich jahrelang weiter auf Englisch geschrieben, aber es war schwierig, weil ich ziemlich abgeschnitten von jeglicher Literaturszene war. Ich hatte das Gefühl, im luftleeren Raum zu arbeiten. Dann begann ich, mich für ostdeutsche Themen und die Wende zu interessieren – für das, was da um mich herum passierte. Das waren alles Dinge, bei denen ich das Gefühl hatte: Wenn ich darüber auf Englisch schreibe, ist es wie Übersetzen und ich muss für ein englischsprachiges Publikum zu vieles erklären. Da war es naheliegender, auf Deutsch zu schreiben.

Der literarische Ausdruck ist die Königsdisziplin der Sprache. Hat man in einer Sprache, die nicht die Muttersprache ist, nicht ungleich weniger Ausdrucksmittel zur Verfügung? 

Es stimmt, dass die Mittel beschränkter sind. Aber in mancher Hinsicht hat mir das beim Schreiben sogar geholfen. Beispielsweise, dass ich nicht so viele Vokabeln zur Verfügung hatte. Vor allem zu Beginn war es eigentlich ganz gut für mein Schreiben. Das Englische hat ein unheimlich reiches Vokabular, wesentlich größer als das Deutsche. Bei den vielen Synonymen kann man sehr leicht auf schöne, seltene Wörter ausweichen und als Teenager habe ich immer mit einem Synonymwörterbuch gearbeitet. Der Wechsel ins Deutsche hat mir in dieser Hinsicht geholfen, mehr an die Substanz zu gehen und weniger dekorativ zu schreiben. 

Hat das Übersetzen aus dem Deutschen Ihr Schreiben auf Deutsch befruchtet?

Ja, beim Übersetzen horcht man richtig darauf, welche sprachlichen Mittel das Deutsche hat. Und dann stellt man immer wieder fest, dass sich vieles im Englischen gar nicht machen lässt. Zum Beispiel die indirekte Rede oder bestimmte Strukturen oder Wortbildungen. Man fasst schon allein dadurch die Dinge anders auf, dass Deutsch eine gebeugte Sprache ist. Man kann immer zwischen Objekt und Subjekt unterscheiden, die Adjektiv-Endungen sind eindeutig, sodass man eigentlich immer weiß, wer wem was antut. Die Verhältnisse sind klarer. 

Sie sagten, bestimmte Strukturen im Deutschen lassen sich schwer ins Englische übertragen. Können Sie ein Beispielgeben?

Im Deutschen ist die Syntax flexibler, deshalb kann man Betonungen rein durch die Syntax setzen. Es gibt deutschsprachige Autoren, die sehr karge Sätze schreiben, sehr minimalistisch, die mit ganz feinen Syntaxunterschieden arbeiten. Der erste Autor, den ich übersetzt habe, war so einer: Hermann Ungar, ein mährisch-jüdischer Schriftsteller, ein Zeitgenosse Kafkas. Seine Sprache ist sehr reduziert, sehr klar, gleichzeitig setzt er ganz subtil Betonungen, sodass es nie monoton klingt. Dies ins Englische zu übersetzen ist das Schwierigste, was es gibt, weil Sätze im Englischen immer – mehr oder weniger – dieselbe Reihenfolge haben müssen. Dann klingt es schnell hölzern. Erst durch Ungar habe ich ein Bewusstsein für diese Mittel bekommen. Irgendwann kam mir die Lust, sie auch für mein eigenes Schreiben zu nutzen. Tatsächlich habe ich dann auch während der Übersetzung Ungars meinen ersten deutschen Text geschrieben. 

Manche Autorinnen und Autoren, die in einer Zweitsprache schreiben, machen ihre sprachliche Herkunft zu einem Stilmittel. Wie halten Sie es damit? 

Vielleicht drücke ich mich zuweilen auf ungewohnte Weise aus, ich spiele auch gern einmal mit der Syntax, aber ich möchte eher nicht, dass es ausdrücklich englisch klingt. Niemand möchte gern in eine Schublade gesteckt werden und die Anglizismen-Schublade ist im Deutschen ja auch schon sehr voll. Natürlich kann man gerade damit spielen – es gibt eine schöne und witzige Tradition des Denglisch– aber ich möchte eher auf etwas anderes hinaus.

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