Deutsche Filmlocations
Wenn Hollywood nach Görlitz kommt
Die sächsische Kleinstadt Görlitz nennt sich „Görliwood“, weil hier wie in anderen deutschen Städten und Regionen regelmäßig Hollywood-Teams drehen. Wo filmt die Traumfabrik in Deutschland – und warum eigentlich?
Wenn Hollywood in Deutschland dreht, bleibt der Medienrummel nicht aus. Bekannt wurde im November 2014 ein Foto, das Bundeskanzlerin Angela Merkel neben Regisseur Steven Spielberg und Hauptdarsteller Tom Hanks auf der Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam zeigt. Bridge of Spies (USA/D/Indien 2015) ist nur einer von etlichen Hollywoodfilmen, die in den letzten Jahren teilweise oder komplett in der Bundesrepublik entstanden sind. Weil Spielbergs Film von einem Agentenaustausch zu DDR-Zeiten handelt, erscheint die Wahl der Drehorte in Berlin und Potsdam-Babelsberg logisch.
Häufig werden aber auch internationale Produktionen in Deutschland realisiert, die überhaupt nicht hier spielen: So „doubelte“ die bayerische Zugspitze in Big Game (Finnland/GB/D 2014) die finnischen Berge. In Oliver Stones Snowden (F/D/USA 2016) über den gleichnamigen Whistleblower wurde ein Waldstück in Bayern zum Gelände rund um die im US-amerikanischen Georgia gelegene Militärbasis Fort Benning. Und in The First Avenger: Civil War (USA 2016) prügeln sich die Marvel-Superhelden vor der Kulisse des Flughafens Leipzig/Halle. Fast 20 von insgesamt 147 Filmminuten wurden auf der Startbahn, im Parkhaus des Airports oder in der Abfertigung gedreht.
Showdown am Flughafen Leipzig/Halle in „The First Avenger: Civil War“
| Foto (Ausschnitt): © Marvel (DVD)
Mix aus kreativen und wirtschaftlichen Faktoren
Doch warum fällt die Wahl der Hollywood-Produzenten auf Locations in Deutschland? Was macht den Standort attraktiv? Eike Wolf, Leiter der Unternehmenskommunikation des Filmstudios Babelsberg, sieht den Grund in einem „Mix aus kreativen und ökonomischen Faktoren“. Deutsche Studios, Filmdienstleister und Filmhandwerker haben international einen sehr guten Ruf. Noch wichtiger seien jedoch Fördersysteme. Ein Flickenteppich aus regionalen Förderanstalten von Bund und Ländern bietet internationalen Produzenten die Möglichkeit, ihre Budgets aufzufüllen, wenn sie im Gegenzug einen Teil ihrer Filmproduktion nach Deutschland verlegen. So kamen von den 70 Millionen US-Dollar für Quentin Tarantinos in Sachsen, Berlin und Brandenburg gedrehtes Weltkriegsabenteuer Inglourious Basterds (USA/D 2009) sieben Millionen Euro aus deutschen Fördermitteln.Doch bei den Fördersystemen sieht Wolf Nachholbedarf. Der wichtige Deutsche Filmförderfonds (DFFF) sei seit seiner Einführung im Jahr 2007 nicht entscheidend weiterentwickelt worden, was die Wettbewerbsfähigkeit des Filmstandorts Deutschlands im internationalen Vergleich schwäche. In Deutschland darf ein Film maximal mit vier Millionen Euro aus den Mitteln des DFFF subventioniert werden, in Ausnahmefällen mit zehn Millionen Euro. In Großbritannien hingegen können Filmproduktion mit bis zu 40 Prozent ihres Budgets, in Frankreich mit bis zu 30 Prozent gefördert werden. „Die Kappungsgrenze ist ein Standortnachteil“, erklärt Wolf.
Hollywood in Deutschland
Aura und Patina der Originalschauplätze
Ein großer Vorteil hingen sind die atmosphärischen Originalschauplätze, mit denen Deutschland vor allem für historische Filme aufwarten kann. Hier finden internationale Produktionen Stadttypen wie eine mittelalterliche Fachwerkaltstadt oder nationalsozialistische Bauten, die andernorts aufwändig nachgebaut werden müssten. Die meisten internationalen Filme werden laut einer Studie des Wirtschaftprüfungsunternehmens Ernst & Young in Berlin und Brandenburg gedreht, wo die Filmemacher sowohl auf ungewöhnliche Locations als auch auf zahlreiche Gebäude mit historischer oder kultureller Bedeutung zurückgreifen können. So überzeugten telegene Motive wie das Berliner Messegelände und die verlassene Chemiefabrik im brandenburgischen Rüdersdorf die Produzenten von Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil 2 (Francis Lawrence, USA/D 2015) einige Drehtage in Deutschland zu veranschlagen.Der Ruf des traditionsreichen Babelsberger Filmstudios als verlässlicher Dienstleister tut das Übrige: Die dortige Qualität koste „auf dem Papier“ zwar mehr als etwa die Konkurrenz aus Prag oder Budapest, sagt Eike Wolf, doch die Referenzen der Crews und Kulissenbauer wiege letztlich mehr. Noch dazu leben in und um Berlin viele Kreative. Schauspieler wie Christoph Waltz, Daniel Brühl und August Diehl, die alle in Tarantinos Inglourious Basterds auftraten, sind inzwischen weltweit gefragt.
Zwischen NRW und Görliwood
Ein weiterer Knotenpunkt ist das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Hier existiert mit durchschnittlich 35 Millionen Euro Millionen der größte regionale Filmfördertopf der Bundesrepublik. Das veranlasste den Dänen Lars von Trier, dort sein Psychodrama Antichrist (DEN/D/F/Schweden/I/P 2009) zu drehen, obwohl der Plot in den Rocky Mountains spielt.Ein Paradebeispiel für die Anziehungskraft deutscher Drehorte ist die sächsische Kleinstadt Görlitz, deren denkmalgeschützte Altstadt den Zweiten Weltkrieg überstand. Als eine Art Freilichtmuseum bietet Görlitz eine perfekte Kulisse für historische Stoffe und Weltkriegsdramen. Wes Andersons Grand Budapest Hotel (USA/D/GB 2014) entstand zu weiten Teilen hier. Für die östlichste deutsche Stadt, die inzwischen den klingenden Beinamen „Görliwood“ trägt, bedeuten solche Dreharbeiten natürlich einen Zuwachs an Renommee und Einkünften: Per Location Placement, also der Eigenvermarktung des Standorts, können Städte mit etwas Glück den Tourismus ankurbeln. Zudem rekrutieren die Crews der Hollywoodproduktionen deutsche Filmschaffende. Der Austausch von Know-how beim Dreh mit renommierten Regisseuren kann wichtige Impulse für die heimische Filmproduktion setzen. Wenn Hollywood in Deutschland dreht, hat das also viele Vorteile – für beide Seiten.