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Johannes Ebert am 22. Januar 2016
„Geniale Dilletanten“ - Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland

Rede von Johannes Ebert zur Eröffnung der Ausstellung „Geniale Dillentanten“ im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Liebe Frau Schulze,

Liebe Frau Weh,

Lieber Herr Conrad,

Sehr geehrte Damen und Herren,

Geht es Ihnen auch so? Wenn wir heute die Ausstellung „Geniale Dilletanten“ in Hamburg eröffnen, über einen Zeitraum zwischen dem Ende der siebziger und den beginnenden achtziger Jahren, dann stelle ich mir zunächst die Frage, was ich eigentlich in dieser Zeit gemacht habe. Wie war mein Lebensgefühl damals, in dieser Zeit? Und ich denke, dass es vielen von Ihnen ebenso geht. Ich habe mein Abitur 1982 abgelegt. Das war die Zeit der „Einstürzenden Neubauten“ und der „Freiwilligen Selbstkontrolle“. Es war die Zeit, als viele meiner Freunde nach Berlin gingen und die Offenheit der Stadt genossen. Von einem Ort zum anderen bewegten wir uns auch über große Strecken hinweg per Anhalter – das sieht man heute nur noch selten. Wir hatten wenig Geld und das erste Bett in meiner Studentenbude bestand aus Industriepaletten, auf die ich eine Matratze gelegt hatte. Es war eine Zeit der Offenheit, der Kreativität, des Gefühls, dass man mit wenig viel erreichen konnte und auch nicht alles perfekt sein musste. – Wir waren eben „geniale Dilletanten“.

Ich freue mich sehr, dass wir die Ausstellung „Geniale Dilletanten“, nach dem Haus der Kunst in München, heute in Hamburg eröffnen. Denn Hamburg war eines der Zentren dieser subkulturellen Bewegung. Das sieht man auch daran, dass die Module des Goethe-Instituts zu den Bands und den Musikern in der Ausstellung liebevoll ergänzt wurden um Designstücke, Mode und Interieurs, die im Hamburg jener Zeit entstanden und den Zeitgeist perfekt wiederspiegeln. Zu dieser Auswahl möchte ich Ihnen, Frau Schulze, und Ihnen Herr Conrad, herzlich gratulieren. Man merkt, dass die Ausstellung „Geniale Dilletanten“ heute in Hamburg auch nach Hause kommt.

„Geniale Dilletanten“ – das war zwar ein vom britischen Punk inspiriertes, sich aber rasch eigenständig entwickelndes Phänomen einer genreübergreifenden künstlerischen Bewegung in Deutschland zwischen 1979 und 1985. Im Umfeld von Kunsthochschulen entstanden Bands, wurden Filme gedreht, wurde gedichtet, gemalt, Mode entworfen, Performances durchgeführt, Magazine gedruckt, Kassettenlabels aufgebaut, Plattenläden eröffnet. Es war die kurze Phase einer sich um keine Regeln kümmernden Kreativität, oft humorvoller als Punk, spielerischer, erfinderischer und wilder.

Und es war das erste Mal, dass sich in Deutschland Deutsch als Sprache der Pop-Musik (und nicht allein des Schlagers) durchsetzte. Daraus entstanden auch zahlreiche Impulse für die deutsche Literatur jener Zeit. Und auch im Deutschunterricht – diese Bemerkung sei mir als Generalsekretär des Goethe-Instituts erlaubt – wurden manche der Texte gerne verwendet und brachten eine Abwechslung zur zeitgenössischen Popszene, die von den jungen Studenten und Studentinnen begeistert aufgenommen wurde.

Das Goethe-Institut ist der Initiator der Ausstellung, in deren Zentrum acht Bands stehen: Deutsch Amerikanische Freundschaft, Freiwillige Selbstkontrolle, Einstürzenden Neubauten, Der Plan, Palais Schaumburg – übrigens eine Hamburger Band –, Ornament und Verbrechen, Die Tödliche Doris und Mania D., später Malaria. In der Ausstellung werden neben der Musik auch Malerei, Design, Film und Mode berücksichtigt. Darin spiegelt sich auch die Bandbreite der künstlerischen Ausdrucksformen wieder, der wir uns widmen. Hamburg war neben Berlin eines der Zentren dieser subkulturellen Bewegung.

Die Aufgabe des Goethe-Instituts ist es, deutsche Kunst und Kultur im Ausland vorzustellen und so in einen internationalen Kulturdialog zu treten. Dass wir die Ausstellung „Geniale Dilletanten“ auch in München und Hamburg zeigen, ist eher ungewöhnlich. Zum einen liegt das daran, dass das Thema uns so frisch und spannend erschien und wir auch entsprechend positive Signale von unseren Partnern und den Medien in Deutschland erhalten haben. Zum anderen wurde mit Hilfe des Bundestags und des Auswärtigen Amts 2015 das Budget des Goethe-Instituts angesichts der großen Herausforderungen weltweit deutlich aufgestockt, so dass wir auch finanziell in der Lage waren, hier eine Verbindung herzustellen. Die Tournee-Ausstellung „Geniale Dilletanten“ ist international seit April 2015 im Einsatz und der Funke springt auch an Orten über, von denen man es zunächst nicht erwarten würde:

Erste Station war Minsk in Belarus. Es traf sich gut, dass dort zeitgleich eine große Kunst-Ausstellung zum Thema „Belarussischer Nonkonformismus der achtziger Jahre“ stattfand. Diese Gleichzeitigkeit hat beim Minsker Publikum zu einem besseren Verständnis der Gesamtschau geführt; die eine Ausstellung war gewissermaßen das Vehikel für die andere, auch wenn hier die Musik und dort die Bildende Kunst im Vordergrund stand. Die Grundidee der Abkehr vom als verkrustet empfundenen Establishment in Kunst und Musik ist dieselbe gewesen, interessanterweise über Länder- und ideologische Grenzen hinweg. Damals wusste man in Minsk so gut wie nichts über das, was gerade in Berlin und Hamburg passierte, und umgekehrt genauso. Man war vielleicht isoliert, aber gar nicht so alleine, wie man damals dachte.

Danach ging die Ausstellung nach Nowosibirsk. Hierzulande ist wenig bekannt, dass Sibirien in der russischen Peripherie ein Zentrum des Punks und der elektronischen Musik in Russland war und ist. Die Ästhetik der Ausstellung traf das derzeitige Post-Punk Revival. Bei der älteren Generation, also den Zeitgenossen der Dilletanten, weckt die Schau Erinnerungen an ihre eigene Jugend und Phasen des Aufbruchs und Nicht-Einverstandenseins mit dem Establishment.

Großen Erfolg hatte die Ausstellung auch in Los Angeles während des dortigen deutschen Filmfestivals. Momentan ist sie in Melbourne, wo in Diskussionspanels und Konzerten auch australische Künstler und Künstlerinnen präsentiert werden, die in der Tradition der „Genialen Dilletanten“ arbeiten.

Wir sind heute glücklich und stolz auf die Zusammenarbeit mit dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, das zuletzt mit der „Tattoo“-Schau und „Fast Fashion“ – zwei ebenso anspruchsvolle wie populäre Ausstellungen – Besucherrekorde aufgestellt hat.

Idee und Konzept der Ausstellung stammen von Mathilde Weh und Leonhard Emmerling. Mathilde Weh ist die Kuratorin der Ausstellung. Die Hamburger Station wurde kuratiert von Dennis Conrad vom Museum für Kunst und Gewerbe. Begleitend wurden auch ein Interviewfilm, ein Katalog, eine Broschüre und eine CD Compilation produziert.

Mein Dank geht an: Sabine Schulze, Dennis Conrad, das Team des Museum für Kunst und Gewerbe, Mathilde Weh und Leonhard Emmerling sowie an alle beteiligten Kolleginnen und Kollegen des Goethe-Instituts.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eine kleine persönliche Geschichte erzählen: Auf den Bildern im Katalog habe ich bei der Band „Tödliche Doris“ ein Musikinstrument entdeckt, einen kleinen Kasten mit Tastatur, schwarzen Drehknöpfen und einem Steckfeld, wo man mit kurzen schwarzen Kabeln Steckverbindungen herstellen konnte. Das war der Korg MS 10, gemeinsam mit seinem großen Bruder MS 20 der populärste (und preiswerteste) Synthesizer jener Zeit. Er war monofon, das heißt, man konnte immer nur einen Ton gleichzeitig spielen, aber er gab den Musikerinnen und Musikern ganz neue Sounds an die Hand: weißes und rosa Rauschen, tiefe synthetische Bässe und hochfrequente Alarmsignale. Ich hatte in den siebziger und achtziger Jahren selbst eine Band, in der ich Keyboard spielte. Und ich hatte einen Korg MS 10. Das Bild im Katalog hat mich sehr berührt und in die eigene Vergangenheit von stickigen Proberäumen und improvisierten Auftritten zurückgeführt. Vor einigen Wochen war ich bei einer elektronischen Musik-Veranstaltung in Berlin. Und da sah ich, dass einer der jungen Musiker eine Korg MS 20 spielte, dass das Instrument von damals eine Renaissance erlebt, dass es auch eine neue Generation der „Genialen Dilletanten“ gibt und dass die Ausstellung, die wir heute zeigen, immer noch jung und gegenwärtig ist und die jüngste Vergangenheit mit dem Heutigen verbindet.

In diesem Sinne wünsche ich der Ausstellung „Geniale Dilletanten“ großen Erfolg und Ihnen beim Besuch der Ausstellung viel Spaß und neue Erkenntnisse.

(es gilt das gesprochene Wort)

Gehalten am 22. Januar 2016 in Hamburg

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