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Johannes Ebert am 19. Juni 2018
Ohne Risiko kein gutes Programm

Interview mit Generalsekretär Johannes Ebert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Kürzlich hat das Goethe-Institut die Schwerpunkte der Programmarbeit in den kommenden Monaten verkündet. Es wird um Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit in verschiedenen Ländern gehen, mit Festivals in Brüssel und Kairo sowie einer neuen arabischsprachigen Website, die Genderfragen und Sexualität thematisiert. Auch die deutsch-französische Zusammenarbeit soll gestärkt werden. Besteht die Gefahr, dass Ihr Institut zu einer Anstalt für Weltverbesserung wird?
Nein, so sehen wir das nicht. Es sind ja die großen Themen, die uns bewegen! Unser Auftrag kommt in denkbar lapidaren Worten daher: Kulturaustausch mit der Welt. Förderung der deutschen Sprache. Information über Deutschland. Darunter lässt sich viel fassen, es ist aber definitiv mehr, als ein Orchester ins Ausland zu schicken. Den emanzipatorischen und aufklärerischen Ansatz leugnen wir nicht. Man darf sich nur nicht verzetteln.
 
Sie waren Leiter des Goethe-Instituts Kairo. Wie erinnern Sie sich daran?
Ich kam ein halbes Jahr nach den Anschlägen des 11. September 2001 und fragte mich, wie man auf so ein Ereignis überhaupt reagieren kann. Damals hieß das noch "Dialog mit der islamischen Welt", was man heute differenzierter ausdrücken müsste, denn die islamische Welt ist kein Monolith. Wir haben damals NGOs zusammengebracht, wir haben das Haus geöffnet und begehbar gemacht, um ein Netzwerk zu begründen. Dabei hat uns geholfen, dass wir ja selbst Teil der Zivilgesellschaft sind und die Leute das auch wissen.
 
Wie kann der vorgeschriebene Aufklärungsoptimismus des Goethe-Instituts die Tatsache widerspiegeln, dass viele Ihrer Partner nicht in freiheitlichen Gesellschaften leben? Einerseits beschwören Sie Gleichheit, Toleranz und Demokratie. Konkret aber findet Ihre Arbeit im Ausland oft unter Bedingungen von Zensur und Gängelung statt.
Ob in Russland, der Ukraine oder in Ägypten: überall habe ich wunderbare Menschen kennengelernt. Auf der menschlichen Ebene klappt da etwas, was offenbar keine in allen Punkten funktionierende Gesellschaft voraussetzt. Doch den Menschen, die aus einem einengenden System ausbrechen wollen, müssen wir eine Plattform bieten. Außerdem müssen wir versuchen, über die vertrauten Kunst- und Kulturzirkel hinauszukommen.
 
Wie diplomatisch muss man da sein?
Zensur ist inakzeptabel. Eine zweite Grundüberzeugung lautet: Wir befinden uns oft in Gesellschaften, die anders funktionieren als unsere und die Tabus kennen. Man muss also die Grenzen erspüren, manchmal auch übertreten. Schwierig wird es, wenn das mit Gefahren verbunden ist. In Kairo mussten wir mal überlegen, ob wir dem Publikum bei der Filmvorführung eine Nacktszene zumuten dürfen. Der Film kam sehr gut an, die Nacktszene wurde in ihrem Kontext verstanden. Wobei man ergänzen sollte, dass man in der arabischen Welt manche Szenen unscharf stellt, das sorgt für einen wohlwollenden Schleier vor dem Bild. Man darf die Menschen nicht schockieren. Schamempfinden und gesellschaftliche Tabus haben ihre eigene Macht.
 
In Ihrem neuen digitalen Angebot mit dem Titel "Jeem" ermuntern Sie junge Erwachsene in Nordafrika und Nahost, über "Liebe, Sexualität und Gesellschaft" zu sprechen. Es wird eine Website mit rein arabischem Inhalt sein, und die Moderation wird nicht nur in Berlin, sondern vor allem in Kairo und an anderen fernen Orten stattfinden. Von deutscher Sprache und Kultur ist nicht mal mehr ansatzweise die Rede.
Kein unheikles Projekt. Darüber haben wir lange gesprochen. Liebe und Sexualität sind ein großes Thema, und bei unverheirateten jungen Menschen in der arabischen Welt berühren wir damit einige Grenzen. Es gibt dafür wenig Raum zur informierten  Auseinandersetzung. Zugleich ist es in den sozialen Medien allgegenwärtig. Als die Kolleginnen vorschlugen, sich dem Thema zuzuwenden, hat der Vorstand das sofort unterstützt, aber auch um eine genaue Risikoabwägung gebeten. Man darf nicht ahnungslos in Fallen tappen.
 
Würde ein anderes Kulturinstitut der Welt ein Projekt lancieren, in dem die eigene Sprache nicht vorkommt?
Dem British Council traue ich so etwas durchaus zu. Der kulturpolitische Ansatz der Briten ist unserem ja ähnlich: Wie bringt man die eigene Kultur in Austausch mit anderen Kulturen? Früher geschah das in Form der Präsentation; heute sind daraus fast durchweg Modelle von Kooperation und Koproduktion geworden. Wir glauben, dass sich eine Gesellschaft in Kunst, Musik und Literatur tiefer ausdrückt als anderswo, und das vermittelt sich am besten, wenn alle Beteiligten an diesem Prozess sowohl senden als auch empfangen. Nennen wir es den "dialogischen Ansatz". Das Goethe-Institut muss dabei noch nicht einmal sichtbar werden, sondern kann auch im Hintergrund agieren wie bei dem Projekt "Music in Africa". Da kooperieren wir mit der Siemens-Stiftung und sind selbst nur die Plattform, auf der die Beteiligten zusammenkommen. Das Projekt ist jetzt übrigens in die Hände einer lokalen Stiftung in Johannesburg übergegangen.
 
Wie fremd darf man sich dabei werden? Muss auch das Goethe-Institut schicke englische Projekttitel wählen, um sich seiner Sache sicher zu sein?
Nein. Die Kulturszene rät einem ständig zum Englischen, aber die deutsche Sprache ist erfinderisch. Der Titel eines neuen EU-Projekts zur Freiheit in Europa, an dem sich fast sechzig Institutionen beteiligen, lautet „Freiraum". Einen besseren Namen gibt es nicht.
 
Noch einmal zur Politik. Sollten wir, sollte das Goethe-Institut nicht lässiger und furchtloser mit dem Rechtspopulismus umgehen? Also weniger "Igitt!" rufen und mehr zur Debatte ermuntern? Würde sich das Goethe-Institut die Hände schmutzig machen, wenn auf einem Goethe-Podium rechtsnationale Argumente zu Gehör kämen?
Das sind keine leichten Fragen. Mir liegt daran, dass das Goethe-Institut bei diesen Themen eine klare Haltung zeigt. Oft verstehen wir uns nur als Moderator. Früher mussten wir das gar nicht dazusagen. Wir haben unsere Programme gebaut, fertig. An der Auswahl der Stimmen, die bei uns zu Wort kamen, erkannte man das Programm. Heute ist die Lage komplexer. Bei einem Panel in Brüssel zum Thema "European Angst" hatten wir einen konservativen Publizisten aus Polen dabei, der ungefähr so provoziert hat, wie man es erwarten durfte.
 
Hat das der Diskussion gutgetan?
Ich bin mir nicht sicher. Es wurde auf dem Podium ziemlich laut.
 
Aber nicht handgreiflich?
Nein, handgreiflich nicht. Wir müssen im Umgang mit solchen Situationen sicherlich noch dazulernen. Der Anspruch ist, auch kontroversen Stimmen Raum zu geben und Menschen zu erreichen, die vielleicht nicht zu unserer üblichen Klientel gehören. Menschen, die kaum jemand im Blick hat, etwa in europäischen Mittelstädten. Oder im nordenglischen Carlisle, wo bekanntlich der Großteil der Labour-Wähler für den Brexit votiert hat. Kritische Stimmen zu integrieren, dafür muss man üben. Doch manche Äußerungen von populistischer Seite sind so indiskutabel, dass man gleich wieder die Lust verliert.
 
Durch seine demokratischen Identitätszeichen ist das Goethe-Institut immun gegen xenophobe Phantasien. Müsste es aber nicht noch offensiver sagen, wie sehr die Begegnung mit fremden Kulturen den Horizont erweitert?
Wir bemühen uns doch darum. Kurz nachdem die Flüchtlingskrise hochgekocht war, haben die Kollegen der Goethe-Institute Kairo, Amman und Beirut für drei Goethe-Institute in Osteuropa - Prag, Krakau und Vilnius - einen Monat lang ein arabisches Kulturprogramm kuratiert. Wo bleibt da das Deutsche, könnten Sie fragen. Ist das überhaupt unsere Aufgabe? Ja, sagen wir, genau das ist unsere Aufgabe! Wir wollten mit unserem Programm "Carte blanche" in einer hochaufgeladenen europäischen Situation einen Gegenakzent setzen. Bedenken Sie, dass Osteuropa besonders wenig direkte Erfahrung mit Flüchtlingen aus der arabischen Welt hat. Wir dagegen konnten auf unmittelbare Kenntnisse aus einem großen Flüchtlingslager zurückgreifen. Meine Kollegen in Amman haben die wesentlichen  Fluchtphänomene schon ein Jahr früher wahrgenommen als andere. Dafür sind wir da: früh zu erkennen, in welche Richtung die Dinge treiben. Manchmal denkt man sich etwas aus, was in der Praxis danebengeht. So etwas passiert, und es muss passieren dürfen. Ein gutes Programm kann nicht ohne Risiko leben.
 
Das Gespräch führte Paul Ingendaay.
 
 

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