Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Johannes Ebert am 10. März 2020
Eröffnung der Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim

Impulsvortrag „Per Anhalter durch die Deutsch-Galaxis: Zur Situation der deutschen Sprache in Europa“ von Johannes Ebert zur Eröffnung der Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim  


 

„‚Der Babelfisch‘, ließ der Reiseführer Per Anhalter durch die Galaxis mit ruhiger Stimme vernehmen, ‚ist klein, gelb und blutegelartig und wahrscheinlich das Eigentümlichste, was es im ganzen Universum gibt. Er lebt von Gehirnströmen, die er nicht seinem jeweiligen Wirt, sondern seiner Umgebung entzieht… Der praktische Nutzeffekt der Sache ist, dass man mit einem Babelfisch im Ohr augenblicklich alles versteht, was einem in irgendeiner Sprache gesagt wird“ [1]
 
„Herr Spahn sagt: ‚Ich komme nach Serbien und hole Eure Krankenschwestern ab.‘ Ich habe ihm ins Gesicht gesagt, ich möchte nicht, dass du nach Serbien kommst und meine Schwestern abholst. Ich schätze dich sehr, du bist ein toller Minister. Du hast das beste Gesundheitswesen der Welt. Aber komm nicht nach Serbien.“[2] 
 
„Türkisch ist für mich die Sprache der Liebe und Melancholie. Arabisch eine mystische, spirituelle Melodie. Deutsch die Sprache des Intellekts und der Sehnsucht. Englisch die Sprache der Freiheit“[3]
 
„Alexander Gaulands Sprache ist auch hier wahrhaftig nicht die Sprache Goethes und Fontanes. Sie ist bloß der schlecht verkleidete Jargon von Gangstern.“[4]
 
Lieber Herr Lobin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich sehr und es ist mir eine Ehre, dass ich heute bei der Jahrestagung zur deutschen Sprache eingeladen wurde, den Eröffnungsvortrag zu halten. Ich habe sofort zugesagt, als mich Herr Lobin – vielen Dank dafür – vor einigen Monaten angesprochen hat, ob ich nicht einen Impuls geben möchte zur deutschen Sprache in Europa.

Bei dann folgendem längeren Nachdenken über die deutsche Sprache und Europa ist mir bewusst geworden, dass es sich doch um ein sehr großes Thema handelt. Dass man dieses Thema aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann. Historisch gesehen von Goethes europäischen Vernetzungen, über die Stellung von Deutsch als europäische Wissenschaftssprache im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Perversion der deutschen Sprache zur Lingua tertii imperii unter den Nationalsozialisten mit einer daraus folgenden entsprechenden Zurückhaltung gegenüber unserer Sprache in Europa.

Man könnte sich einen anderen Themenaspekt herausgreifen und diesen in aller Breite und Tiefe behandeln: Zum Beispiel Deutsch als Element der europäischen Mehrsprachigkeit und Faktor unserer Mehrsprachigkeitspolitik, die eben weit über Sprache hinausgeht.
 
Oder die Frage beleuchten, wie im Laufe der Zeit deutsche Begrifflichkeiten in andere europäische Sprachen Eingang gefunden haben, oder umgekehrt, wie andere europäische Sprachen das Deutsche befruchten – d.h. das hochaktuelle Thema Migration und ihren progressiven Beitrag – am Beispiel „Sprachwanderungen“ beleuchten. Man hätte dieses Thema noch verfeinern können im Hinblick auf  die Betrachtung dialektaler Aspekte des Deutschen bei der Begegnung mit anderen Sprachen. Dafür könnte ich Ihnen aus dem Schwäbischen einige sehr schöne Beispiele nennen.

Ich bin, wie Sie unschwer an der Färbung meiner Sprache erkennen können, Dialektsprecher, aber ich bin kein Germanist, Sprachwissenschaftler oder Linguist. Ich bin von Haus aus Orientalist und könnte Ihnen jetzt die arabischen Verbstämme vorsagen, die Namen der vier rechtgeleiteten Khalifen oder zur Not auch ein schönes Liebesgedicht aus der vorislamischen Zeit der Jahiliyya rezitieren. Bei den genannten Themen, die die deutsche Sprache mit Europa verbinden, befürchte ich aber, mich vor so viel hier versammelter internationaler wissenschaftlicher Fachkompetenz eher zu blamieren als zu neuen Erkenntnissen beizutragen.
 
Allerdings setze ich mich als Generalsekretär einer Organisation, die sich neben dem internationalen Kulturaustausch und der Information über Deutschland auch – und das ist unser heutiges Thema – intensiv  mit der weltweiten Förderung der deutschen Sprache auseinander. Und damit auch mit zentralen kultur- und bildungspolitischen Aspekten der Stellung der deutschen Sprache in Europa. Diese Arbeit mache ich seit mehr als acht Jahren in einer Organisation mit 157 Außenstellen in über 90 Ländern, 3700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Jahresetat von 430 Millionen Euro, davon übrigens etwa 140 Millionen aus Deutschkursen und Deutschprüfungen in Deutschland und der ganzen Welt.
 
Wie viele von uns, die beim Goethe-Institut arbeiten, habe ich nach einer intensiven DaF-Ausbildung zunächst Deutsch unterrichtet und beispielsweise in Riga Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer fortgebildet. Danach gehörte als Institutsleiter und Regionalleiter in Kiew, Kairo und Moskau auch die Spracharbeit in allen ihren Ausprägungen zu meiner Gesamtverantwortung.

Die Tiefe und Breite, in der ich mich heute mit der deutschen Sprache beschäftige, lässt sich leicht aus dem ersten Bestandteil meiner Funktionsbezeichnung ableiten: Ich muss als „General“ so gut und intensiv Bescheid wissen, dass ich gemeinsam mit meinen Fachkolleginnen und Fachkollegen die richtigen Entscheidungen treffe, um die Weichen für die Institution und ihre Aufgaben in die richtige Richtung zu stellen. Das „General“ steht aber auch ein wenig für die Breite der Aufgaben, als Synonym für den „Generalisten“: Als Generalsekretär weiß man über sehr viele Dinge Bescheid und vielleicht auch in einer breiteren Dimension als die Fachkolleginnen und -kollegen, gleichzeitig beherrscht man aber kein Thema im Detail.
 
Langer Rede kurzer Sinn: Ich werde Ihnen in der nächsten guten halben Stunde über Trends und Themen berichten, die für  uns als Goethe-Institut im europäischen Netzwerk – EU- und Nicht-EU-Länder – inhaltlich und sprachenpolitisch bedeutsam sind. Ich werde dabei auch ein wenig zwischen den Themen springen. Insofern ist der Titel meines Vortrags Programm und gleichzeitig Erwartungsmanagement: Er lehnt sich an das Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams an. Das hat zwei Gründe: Zum einen – wie gesagt – werden meine Tiefenbohrungen sich in Grenzen halten und ich werde eher von Thema zu Thema und von Land zu Land springen. Und zweitens ist mit dem „Babelfisch“ in diesem Buch ein Phänomen und Konzept beschrieben, das für eine Institution und vielleicht auch für einen Teil von Ihnen einen „Schwarzen Schwan“ darstellt, also eine grundlegende Neubewertung der Rolle des Fremdsprachenlernens –, wenn jemand eine digitale Übersetzungshilfe erfinden sollte, die Sprachenlernen per se in Zukunft unnötig machen sollte. Auch wenn ich auf das Thema Digitalisierung  und Sprachenlernen in diesem Vortrag nur marginal am Rande eingehen werden, möchte ich dieses Damoklesschwert damit doch zumindest erwähnt haben, da es mich in meiner Arbeit unter strategischen Gesichtspunkten beschäftigt.
 
Aber ich will nicht zu pessimistisch sein. Noch hat die deutsche Sprache eine starke Stellung in den europäischen Ländern. Deutsch ist mit weit über 100 Millionen Sprecherinnen und Sprechern die größte Muttersprache in der europäischen Union und offizielle Amtssprache in sieben Ländern. Nach der jüngsten Untersuchung von 2015 lernen 6,5 Millionen Menschen in den Ländern der europäischen Union Deutsch. Wenn wir noch die europäischen Nachbarländer insbesondere im Osten der EU und auch Russland und die Türkei dazu nehmen, sind es rund 11,5 Millionen Lernerinnen und Lerner der deutschen Sprache in Europa. Weltweit lernen etwa 15,4 Millionen Menschen Deutsch.[5] Betrachtet man diese Zahlen der Erhebungen von 2015 und nimmt einige aktuelle Analysen aus den Goethe-Instituten vor Ort hinzu, ergeben sich folgende großen Trends:
 
1. Englisch ist – das kann nicht überraschen – die absolute Nummer 1 unter den Fremdsprachen in Europa. Darauf folgen – je nach Land in unterschiedlicher Reihenfolge – Deutsch, Französisch und Spanisch. Auch das Lernen von Chinesisch und anderer Sprachen weiter entfernter Kulturen nimmt zu, bleibt aber auf einem sehr niedrigen Niveau.

2. Deutsch hat in Europa in einigen Ländern als erste Fremdsprache, vor allem aber – und diese Tendenz nimmt stark zu – im Bereich der zweiten Fremdsprache eine große Bedeutung und hat dann eine große Chance, wenn die Länder Mehrsprachigkeitskonzepte fördern und Mehrsprachigkeit zum Bildungsziel erklären. Gerade hier sind auf bildungspolitischer und praktischer Ebene wichtige Ansätze um das Lernen von Fremdsprachen zu fördern, wie es das Goethe-Institut und auch die anderen Mittlerorganisationen im Rahmen der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik tun, aber auch ähnliche Partnerinstitutionen anderer Länder. Praktisch heißt das: Erstmal mit den europäischen Kolleginnen und Kollegen auf bildungspolitischem Wege dazu beitragen, dass eine zweite Fremdsprache Teil des Bildungskanons eines Landes wird, also an den nationalen Schulen verpflichtend unterrichtet wird. Wenn das erreicht ist, für die eigene Sprache entsprechend zu werben. Dieses Vorgehen kann dann dazu beitragen, dass die EU ihr ehrgeiziges Ziel erreicht, dass alle EU-Bürgerinnen und Bürger neben ihrer Muttersprache in zwei Fremdsprachen kommunizieren können[6].

3. Die zunehmende Nationalisierung in einzelnen Ländern innerhalb und außerhalb der EU kann sich bei Bildungsreformen negativ auf das Fremdsprachenlernen auswirken. Zum einen geraten an den Schulen die zweiten oder dritten Fremdsprachen – die oft Wahlfächer sind - in direkte Konkurrenz zu anderen attraktiven Fächern auch aus dem naturwissenschaftlich-mathematischen Bereich. Denn je nationaler eine Regierung denkt, desto überflüssiger erscheint – so der Eindruck - ihr die Auseinandersetzung mit fremden Sprachen und Kulturkonzepten. Zum anderen werden von nationalorientierten Regierungen in der Regel die eigenen Regional-  oder Nationalsprachen im Lehrplan bevorzugt: Russisch – um nur ein Beispiel zu nennen – wird aus politischen Gründen in der Ukraine eben immer weniger als Muttersprache unterrichtet, sondern als erste Fremdsprache. Wenn dann Englisch erst die zweite Fremdsprache ist, wird es auf den hinteren Rängen immer enger…

4. Noch stärker als früher tritt beim Deutschlernen der direkte persönliche wirtschaftliche Nutzen in den Vordergrund. Die Menschen, die Deutsch lernen, weil sie Goethe, Nietzsche oder Husserl im Original lesen wollen, oder aus einem ganz allgemeinen Interesse an der Kultur und Sprache unseres Landes, gibt es noch, aber sie werden immer weniger. Was zählt sind handfeste persönliche Zukunftsüberlegungen: Beispielsweise ein Studium an einer renommierten deutschen Universität. Die deutschen Hochschulen stehen zwar in den internationalen Rankings nicht ganz oben, aber es ist bekannt, dass man hier auf einer breiten Basis eine qualitativ hochstehende akademische Ausbildung zu geringen Kosten bekommen kann. In Deutschland studieren aktuell rund 350.000 ausländische Studentinnen und Studenten[7], eine beachtliche Zahl. 
 
Auch der deutsche Arbeitsmarkt mit zahlreichen freien Stellen sowohl im akademischen und technischen Bereich als auch im Pflege- und Dienstleistungsgewerbe lockt und motiviert, Deutsch  zu lernen. Denn auch wenn es inzwischen zahlreiche englischsprachige Studiengänge und kosmopolitisch geprägte englische Sprachinseln in deutschen Metropolen gibt, ist die deutsche Sprache weiterhin sehr wichtig, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Für Deutschland sind Menschen, die hierzulande arbeiten wollen, überlebenswichtig, wenn man das aktuelle Wohlstands- und Sozialniveau erhalten will: Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung braucht Deutschland bis 2060 – und das sind noch 40 Jahre! – jährlich etwa 260.000 zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland[8], davon die Hälfte aus den Ländern der EU, die andere Hälfte aus Nicht-EU-Ländern.
 
Auf die Programme der Deutschförderung insbesondere in den europäischen Ländern hat diese Entwicklung wichtige Auswirkungen: Wer die deutsche Sprache lernt, kombiniert das jetzt mit etwas „Nützlichem“: Deutsch wird immer öfter mit naturwissenschaftlichen Fächern zusammen gewählt.   Auch werden Angebote immer beliebter, die das Lernen einer Fremdsprache mit konkreten fachlichen Inhalten verschmelzen. Das sieht man etwa an den 2.000 Partnerschulen der Bundesrepublik Deutschlands weltweit, an denen Deutsch einen besonders hohen Stellenwert hat. Gerade in den vom Goethe-Institut betreuten PASCH-Schulen  macht diese Verschränkung von MINT und Deutsch die besondere Exzellenz aus. Auch an berufsbildenden Schulen nimmt die Bedeutung von Deutsch zu.
 
5. Trotz dieser ganz handfesten Gründe, die dafür sprechen, Deutsch zu lernen, so gibt es doch einige Dinge, warum gerade junge Europäerinnen und Europäer zurückhaltend gegenüber unserer Sprache sind: So hält sich das hartnäckige Gerücht bei vielen Schülerinnen und Schülern, dass Deutsch schwer zu erlernen sei. Manche finden unsere Sprache auch „uncool“. Und wenn Rechtsradikale auf die Straße gehen, um gegen Ausländer zu demonstrieren oder Abgeordnete im Deutschen Bundestag von „Kopftuchmädchen, alimentierten Messermännern und sonstigen Taugenichtsen sprechen“[9] , so spricht sich das in Europa schnell herum. Welcher Bulgare, welche Bulgarin hat Lust, Deutsch zu lernen, wenn beispielsweise die Zeitung 24 Tschassa, Tageszeitung und Boulevardmagazin mit der zweitgrößten Auflage in Bulgarien, anlässlich der rechtsextremen Demonstrationen in Chemnitz im August 2018 titelt: „Warum jagt man die Ausländer in Ostdeutschland?“[10]
 
Diese aufgezeigten Trends möchte ich an einigen ausgewählten europäischen Ländern illustrieren. Ich möchte die Situation in Polen, Frankreich und Russland erläutern und dann auf ein Sonderthema eingehen, das uns im Moment sehr beschäftigt und auch einen Bezug zu Europa hat: Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland. Schließlich werde ich auf ein Programm eingehen, das die Stellung der deutschen Sprache in den EU-Institutionen thematisiert.
 
Bis zur letzten Bildungsreform vor zwei Jahren befand sich die deutsche Sprache in Polen in stetigem Aufschwung, eine zweite Fremdsprache war Pflicht, wovon gerade die deutsche Sprache profitiert hat. Etwa 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler haben Deutsch gelernt und auch dass die Bevölkerungszahlen in Polen allgemein zurückgingen, wirkte sich nur gering auf das Deutschlernen aus. In keinem anderen Land der Welt lernen mehr Menschen Deutsch als in Polen. Insgesamt sind es 2,3 Mio., davon 2,1 Mio. an Schulen. Polen und Deutschland sind wirtschaftlich, zivilgesellschaftlich und kulturell eng miteinander vernetzt. Es gibt sehr viele Austauschprogramme, Stipendien, Studienmöglichkeiten und erweiterte Berufschancen in deutschen Firmen in Polen oder in Deutschland. Auch das fördert maßgeblich die Motivation, dort Deutsch zu lernen. [11]
 
Leider verändert sich diese Situation derzeit. Das geht – so berichten meinen Kolleginnen und Kollegen – zurück auf eine Schulreform, die vor zwei Jahren in Kraft getreten ist. Sie führt dazu, dass im Unterricht an polnischen Schulen insgesamt weniger Zeit für Fremdsprachen bleibt. Die Ausrichtung auf das Nationale beeinflusst den Schulunterricht zunehmend. Das Gedenken nationaler Feiertage ist Pflicht, die historische Lesart im Geschichtsunterricht ist vorgegeben. Mehrsprachigkeit ist – anders als früher – kein Bildungsziel, die Ausarbeitung der Curricula der zweiten Fremdsprachen verläuft nach der Bildungsreform schleppend, es ist sogar geplant, die Fremdsprachenausbildung ganz auszusetzen. Die reguläre Stundenzahl von Deutsch als zweiter Fremdsprache hat sich seit der Reform drastisch verringert, so dass kaum mehr das Sprachniveau B1 erreicht werden kann. Eine Ausnahme bilden nur noch die besonderen Netzwerke wie die bereits erwähnten Schulen der Partnerschul-Initiative. Die Konsequenzen zeigen sich jetzt bereits: beispielsweise an den gesunkenen Sprachkenntnissen der Studierenden der Germanistik.  
Dies ist umso bedauerlicher angesichts der Tatsache, dass Polen und Deutsche mit polnischem Migrationshintergrund nach den türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern die größte Gruppe an Zuwanderern in Deutschland sind. Polen ist für Deutschland ein wichtiges Nachbarland und umgekehrt. Und genau hier setzen neue Programme an, um für das Lernen des Deutschen in Polen zu werben: „Lern die Sprache Deines Nachbarn“ ist der Arbeitstitel einer neuen Initiative, bei der die deutsche Botschaft, die Goethe-Institute, der DAAD und die deutschen Auslandsschulen ab Herbst mit einer landesweiten Kampagne das Image der deutschen Sprache in Polen fördern wollen. Sie richtet sich direkt an die 12 bis 15jährigen Schülerinnen und Schüler, die zunehmend autonom und altersbedingt unabhängig von möglichen beruflichen Überlegungen entscheiden. Denn die Zeiten sind vorbei in denen – so ein  erfahrener Kollege, mit dem ich lange in Russland zusammengearbeitet habe, immer sagte: – „wir die Babuschkas erreichen müssen, weil die Großmütter entscheiden, welche Fremdsprache gelernt wird“. Bei „Lern die Sprache Deines Nachbarn“ geht es darum, neben den wirtschaftlichen Vorteilen auch darzustellen, dass Deutsch witzig, unterhaltsam und sympathisch sein kann und auch leicht zu erlernen ist. In bestehende und neue Schulnetzwerke soll noch stärker investiert werden, außerdem wollen wir noch deutlicher machen, welche beruflichen Chancen die deutsche Sprache für junge Polinnen und Polen weiterhin bietet.  Wir tun also einiges, um auf die sich verschlechternden Rahmenbedingungen für eine zweite Fremdsprache in Polen zu reagieren. Ob das ausreicht, wird man sehen, wenn in Bälde die neuen Zahlen aus Polen vorliegen, da wir die Zahlen der weltweiten Deutschlerner wie gesagt nur alle fünf Jahre erfassen können.
 
Frankreich, das zweite Land, das ich hier betrachten will, ist traditionell das erste Land, auf das man schaut, wenn man sich über den Stand der deutschen Sprache in Europa informiert. Dies wurzelt in der engen deutsch-französischen Freundschaft nach dem 2. Weltkrieg und hat damit historische und politische Gründe: Ob die Zahl der Lernerinnen und Lerner des Französischen in Deutschland und des Deutschen in Frankreich gewachsen oder zurückgegangen ist, wird – ob das berechtigt ist oder nicht – immer auch als Indikator für den allgemeinen Stand der bilateralen Beziehungen gewertet. Auch der Vertrag von Aachen, der im letzten Jahr von Staatspräsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel unterzeichnet wurde, gibt dem gegenseitigen Sprachenlernen eine besondere Bedeutung. Darin heißt es: „Beide Staaten führen ihre Bildungssysteme durch die Förderung des Erwerbs der Partnersprache, durch die Entwicklung von mit ihrer verfassungsmäßigen Ordnung in Einklang stehenden Strategien zur Erhöhung der Zahl der Schülerinnen, Schüler und Studierenden, die die Partnersprache erlernen… enger zusammen“[12].

Heute wird Deutsch in Frankreich von gut 3 Prozent der Schülerinnen und Schüler ab der 6. Klasse als erste Fremdsprache und von gut 16 Prozent  als zweite Fremdsprache ab der 7. Klasse gelernt. Seit etwa drei Jahren verstärkt sich die Tendenz, Deutsch auch an französischen Grundschulen und Berufsschulen anzubieten. Deutsch hat in Frankreich nach wie vor den Ruf einer schwer zu erlernenden und elitären Sprache. Vor allem aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Deutschland und Frankreich sehen es viele Eltern jedoch als großes Plus für den Lebenslauf ihrer Kinder, wenn diese über Deutschkenntnisse verfügen. Allerdings liegt Deutsch nach Englisch, das bereits ab der Grundschule von fast allen Kindern gelernt wird, im Fremdsprachenranking erst an dritter Stelle hinter Spanisch, das in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen hat.

Ein wichtiger Schritt, um das Deutschlernen in Frankreich zu stabilisieren, waren die mit der Bildungsreform 2002 eingeführten classes bilangues, in denen die Schüler ab der Eingangsklasse der Sekundarstufe Englisch und Deutsch gleichzeitig lernen. Im Jahr 2015 waren fast 90 Prozent der deutschlernenden Schülerinnen und Schüler in Frankreich in sogenannten classes bilangues.[13] Deshalb war der Protest groß, als eine erneute Bildungsreform ab Herbst 2016 umgesetzt wurde, eine erhebliche Reduktion der classes bilangues zur Folge hatte. Diese „Réforme du Collège“ sah vor, dass es im Ermessen der einzelnen „académies“ (Schulbehörden) liegen sollte, ob im Sekundarbereich weiterhin „classes bilangues“ angeboten würden. Davon abgesehen, gab es nur noch dort eine Bestandsgarantie, wo Deutsch bereits in der Grundschule unterrichtet wurde. Im Primarbereich steht das Deutsche allerdings gegenüber dem Englischen noch auf verlorenem Posten. Das Thema „classes bilangues“ wurde dann von Emmanuel Macron im Wahlkampf aufgenommen: Er versprach, nach einem Wahlsieg die auf vielen Seiten als überaus negativ wahrgenommenen Veränderungen bei den „classes bilangues“ zurückzunehmen. Unmittelbar nach seinem Wahlsieg im Mai 2017 wurden die „classes bilangues“ tatsächlich durch einen Erlass des neuen Bildungsministers Jean-Michel Blanquer in ihrer ursprünglichen Form wiederhergestellt.
 
Trotz der großen Willensbekundungen, Deutsch im Schulsystem zu stärken, wie sie der Aachener Vertrag darstellt, gibt es in der konkreten Sprachpolitik, die im zentralistisch organisierten Frankreich vom Bildungsministerium in Paris festgelegt wird, durchaus Tendenzen, das Erlernen von Deutsch oder anderer Fremdsprachen im staatlichen Schulsystem zu erschweren. Beispielsweise durch die Reduktion von Unterrichtszeiten im Zuge der jüngsten „réforme du lycée“. Auf die erwähnte Tendenz zu mehr Deutschangeboten im Primar- und Berufsschulbereich reagieren die Goethe-Institute in Frankreich, indem sie etwa mehr Fortbildungsangebote für Grundschullehrkräfte anbieten, neue und attraktive Online-Materialien erstellen oder „Schnupperkurse“ für Berufsschulleiter bzw. Lehrkräfte anbieten, die einen Austausch mit deutschen Berufsschulen durchführen.
 
In Russland lag die Zahl der Deutschlernerinnen und Deutschlerner bei der Untersuchung von 2015 bei gut 1,5 Millionen. Besonders auffällig war hier, dass die Zahl der Lernerinnen und Lerner an Schulen zwischen 2010 und 2015 von 1,6 auf 1,1 Millionen zurückgegangen ist, die Zahl der Schulen mit Deutsch als Fremdsprache sank von knapp 23000 auf knapp 17000[14]. Das hat zum einen mit der demographischen Entwicklung zu tun. Ein zentraler Grund für diese Entwicklung war jedoch, dass in Russland wie in vielen Schulen der GUS, Deutsch als erste Fremdsprache gelernt wurde – 2015 waren das in Russland noch 87 Prozent aller Deutschlernenden. Doch auch in Russland setzten die Schulen seit den 90ern immer stärker auf Englisch als erste Fremdsprache, was zu dem beschriebenen Rückgang des Deutschen stark beigetragen hat.

Politik des Goethe-Instituts, der deutschen Botschaft, der anderen deutschen Mittlerorganisationen und europäischen Partner war es deshalb, verstärkt dafür zu werben, dass im Schulsystem der Russischen Föderation eine zweite Fremdsprache obligatorisch gemacht wurde. Informationsinitiativen und Kampagnen wie "Utschi njemezki – lern Deutsch!" (Untertitel: Wie Deutsch Dich reich, berühmt und schön macht) oder das Jahr der deutschen Sprache in Russland 2014 / 2015 haben auch dazu beigetragen, dass dann 2015 die zweite Fremdsprache obligatorisch an allgemeinbildenden Schulen in Russland eingeführt wurde. Das Goethe-Institut hat daraufhin die Kampagne „Deutsch, die erste Zweite“ aufgelegt. Die Zahl der Schulen, die Deutsch als Pflichtfach anbieten, ist um mehr als 20 Prozent gestiegen und betrifft aktuell ca. 40% aller Schulen. Seitdem steigen die Deutschlernerzahlen an Schulen bei der zweiten Fremdsprache wieder. Für 2019 vermelden die Kolleginnen und Kollegen aus Russland deshalb eine Steigerung der Deutschlernerzahlen innerhalb von vier Jahren von gut 250.000 auf fast 1,8 Millionen. Leider brauen sich hier Wolken am Horizont zusammen: Die Bildungsstandards befinden sich seit 2019 in einer Revidierung. Ob eine Fremdsprache Pflichtfach bleibt oder ob die Entscheidung künftig bei den lokalen Bildungsbehörden liegt, bleibt abzuwarten. Noch ist nichts entschieden.

Ich möchte Russland auch erwähnen, weil hier einige Projekte gestartet wurden, die für mich im Rahmen der Deutschförderung Vorbildcharakter haben und inzwischen auf zahlreiche Länder ausgeweitet wurden. Ich nenne das immer für mich  „Deutsch – von der Wiege bis zur Bahre“. Einige Programme sollen etwa verdeutlichen, wie sich die deutsche Sprache mit dem persönlichen Nutzen und den persönlichen Interessen der Lernenden direkt verbinden lässt: Bei der Digitalen Kinderuni, einem Deutschlernerportal für 8- bis 12-Jährige, das vom Gründer der „Sendung mit der Maus“ Christoph Biemann mitentwickelt wurde, vermittelt Professor Einstein einfache naturwissenschaftliche Inhalte und nebenher die deutsche Sprache. Inzwischen tut er das in 15 Ländern und in mittlerweile acht Sprachfassungen. Ich hatte die große Ehre, die Kinderuni für die USA im Herbst letzten Jahres anlässlich des Deutschlandjahres „Wunderbar together“ im zentralen Konferenzgebäude des Massachusetts Institute for Technology in Boston zu eröffnen – vor 400 8- bis 12-Jährigen.
 
Die Studienbrücke – ein gemeinsames Projekt von Goethe-Institut, Universitätsallianz Ruhr und dem DAAD – reagiert auf die restriktiven deutschen Hochschulzugangsbedingungen für viele Nicht-EU-Länder, indem sie bereits in den letzten Schulklassen Schülerinnen und Schüler, die sich für ein Studium in Deutschland interessieren, mit zusätzlichen Deutschkursen, interkulturellen Maßnahmen und Zugangsprüfungen an die Hand nimmt. Sie wird inzwischen neben Russland auch in 20 weiteren Ländern, wie der Ukraine, Belarus und Georgien, aber auch z.B. Indonesien und Kolumbien angeboten. Die Idee der Studienbrücke wird jetzt konsequent ins Digitale übertragen: Für Studieninteressierte weltweit schaffen wir mit dem neuen Projekt „Digital Campus“ einen umfassenden Weg zur digitalen Studienvorbereitung mit einer personalisierten Bedarfsanalyse und entsprechenden Lernangeboten. Das Projekt, das in einem Konsortium von DAAD, Goethe-Institut und weiteren Partnern vorangetrieben wird, wird vom BMBF gefördert.
 
Der Wettbewerb Umwelt macht Schule, der vom Goethe-Institut Moskau entwickelt wurde,  motiviert die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur dazu, auf Deutsch über ein zentrales Interessensgebiet – Fridays for Future lässt grüßen - nachzudenken und konkrete Projekte zu entwickeln. Er brachte in den vergangenen Jahren auch Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer aus Ländern wie Russland, der Ukraine, Georgien, Armenien, und anderen Ländern zu gemeinsamer Projektarbeit zusammen. In der europäischen östlichen Nachbarschaft der EU hat unsere Sprache so auch etwas Völkerverbindendes.
 
Ich springe erneut in der Deutsch-Galaxis: In den Jahren 2012 und 2013 vermeldeten die deutschen Medien lange Warteschlangen vor den Goethe-Instituten in Barcelona und Madrid – die Wirtschaftskrise hatte Südeuropa voll getroffen. Viele machten sich auf den Weg, um in Deutschland zu arbeiten und bereiteten sich in Deutschkursen, die zum Teil mit staatlichen Programmen gefördert waren, auf ihre Arbeit in Deutschland vor. Die Kursteilnehmerzahlen an den spanischen Goethe-Instituten stiegen von 6.000 im Jahr 2009 auf über 10.000 im Jahr 2012. Inzwischen sind diese Zahlen wieder deutlich auf Vorkrisenniveau gefallen. Das stellt unsere Goethe-Institut vor größere Probleme, da zusätzlich aufgebaute Kapazitäten vor dem Hintergrund des spanischen Arbeitsrechts nicht so ganz einfach wieder zurückzubauen sind. Aber diese Entwicklung gibt natürlich auch Anlass zur Freude, ist sie doch ein Zeichen dafür, dass sich die Wirtschaft in Spanien und analog auch in anderen südeuropäischen Ländern positiv entwickelt.
 
Im Osten Europas bleibt das Fachkräftethema aber weiter virulent: Im Dezember 2018 habe ich das Goethe-Institut Skopje im Westbalkan besucht. Dort brummen die Sprachkurse. Aus einer Mitarbeiterversammlung am Goethe-Institut in Skopje bleibt mir aber auch die Frage einer Lehrerin im Gedächtnis: „Wie geht das Goethe-Institut damit um, dass es dazu beiträgt, dass viele wichtige ‚Kader‘ unser Land verlassen?“. Eine berechtigte Anmerkung.
 
Die Vorbereitung von Fachkräften, hier konkret insbesondere Pflegekräften, ist seit einigen Jahren ein sehr wichtiges Thema auch auf dem Westbalkan. Das Goethe-Institut qualifiziert diese Gruppe sprachlich und interkulturell; dies geschieht vor allem in Bosnien und Serbien. Weltweit wurden 3000 Qualifizierungen im so genannten Triple Win Programm durchgeführt, die große Mehrheit davon durch das Goethe-Institut. Hier geht es um Sprachkurse, denn gerade bei Pflegekräften ist es wichtig, dass diese gut Deutsch sprechen, aber auch um interkulturelle Sensibilisierungen. Wie es jetzt in Serbien weitergeht ist unklar. „Man wisse aber, dass ein Wechsel von Pflegekräften nach Deutschland in Serbien „inzwischen kritischer betrachtet wird als zuvor“, wird die Bundesanstalt für Arbeit von Zeit Online zitiert.[15]
 
Doch neben Pflegekräften sind auch andere Berufsgruppen im Blickfeld: Zum Beispiel Lokführer. So übernimmt das Goethe-Institut Belgrad die sprachliche Qualifizierung von Fachpersonal für das Eisenbahnwesen in Serbien und Deutschland. Die Zusammenarbeit ist zwischen der Länderbahn GmbH im deutschen Vogtland und der Technischen Eisenbahnschule Belgrad im Februar 2019 entstanden. Sie birgt einen Gewinn für beide Länder: Die Ausbildung für Triebfahrzeugführerinnen und -führer wird durch eine parallele deutsche Sprachausbildung ausgewählter Studentinnen und Studenten ergänzt. Zudem lernen die Teilnehmer bereits in Serbien einen Teil der für Deutschland notwendigen Qualifikationen. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung bietet die Länderbahn einer bestimmten Anzahl von Absolventen die weitere Ausbildung in der unternehmenseigenen Eisenbahnschule an. Anschließend vertiefen sie ihre praktischen Erfahrungen und arbeiten als Lokführer nach deutschen Lohn- und Sozialstandards in Deutschland. Schließlich kehren nach einigen Jahren gut ausgebildete und hoch qualifizierte Mitarbeiter nach Serbien zurück, bereichern die serbische Wirtschaft und können den personellen Grundstock für die eingeleitete Modernisierung der Serbischen Eisenbahn bilden. Dieses Modell ist aus unserer Perspektive beispielhaft für eine europäische Fachkräftekooperation: Sie beginnt bereits in der Berufsschule im Land, vermittelt Deutsch und interkulturelle Kenntnisse, enthält inhaltliche und technische Elemente, von der beide Seiten profitieren, und setzt von Anfang an auf zirkuläre Migration, bei der neue Kompetenzen nach einer gewissen Zeit in die Heimatländer „zurückwandern“. Überhaupt muss Fachkräftezuwanderung, ob innerhalb oder außerhalb Europas, immer im Geiste der internationalen Kooperation stattfinden, an der sich alle Seiten an einen Tisch setzen und gemeinsame Lösungen erarbeiten.
 
An diesem Beispiel wird deutlich, dass wir als Goethe-Institut keine „Anwerbeaktion“ durchführen, sondern – und dies schon seit vielen Jahren – Instrumente bereitstellen, mit denen wir jeden, der eine persönliche Entscheidung für Deutschland getroffen hat, angemessen auf unser Land vorbereiten: Seit jeher begleiten wir Migrantinnen und Migranten im Rahmen von Mobilitäts- und Migrationsprojekten während des gesamten Prozesses der Zu- und Einwanderung. Dabei berät und informiert das Goethe-Institut in konkreten Fragen zur Migration und beginnt damit bereits in den Herkunftsländern. Die Bedeutung dieser vorintegrativen Maßnahmen mit Sprachkursen und interkulturellen Angeboten wird in Zukunft wachsen. Dies ist auch Thema einer neuen Studie des Goethe-Instituts, die u.a. auf Umfragen in Albanien, Bosnien und Herzegowina, Serbien und dem Kosovo basiert. Sie wurde im Rahmen des Fachkräftegipfels am 2. März 2020 Bundeskanzlerin Angela Merkel übergeben.

Beim Thema Fachkräfte stehen wir weltweit vor großen Herausforderungen. Politisch gesehen weist auch der Entschließungsantrag des deutschen Bundestages vom Januar diesen Jahres auf die Bedeutung des Themas hin. Er fordert, dass „dem mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz Ausdruck verliehenen Bedarf an qualifizierten Fachkräften – insbesondere im Hinblick auf die sprachliche, fachbezogene und interkulturelle Qualifizierung – auch in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zu entsprechen. Dies muss sich im Arbeitsprogramm der Goethe-Institute widerspiegeln.“[16] Diese konkrete Aufforderung ist wichtig: Denn um zusätzliche Programme für deutsche Sprachangebote und andere vorintegrative Maßnahmen aufzulegen, mangelt es in vielen Ländern an Personal. Entsprechende Aus- und Fortbildungsprogramme für Lehrkräfte, neue Angebote, die beispielsweise Berufsschulen mit einbeziehen, Sprachkurse für angehende Fachkräfte – für all dies sind zusätzliche Ressourcen notwendig, die sicherlich zumindest zu einem Teil von der öffentlichen Hand bereitgestellt werden müssen, um dem eklatanten und bedrohlichen Fachkräftemangel in Deutschland entgegenzuwirken.
 
Abschließend möchte ich – dies nur kurz - die Stellung des Deutschen in den EU-Institutionen ansprechen. Deutsch ist in der EU eine von 24 Amtssprachen. Innerhalb der EU-Kommission und im Ausschuss der Ständigen Vertreter des Rats der Europäischen Union gilt ein Dreisprachenregime aus Englisch, Französisch und Deutsch. Arbeitsdokumente werden in den drei Sprachen vorgelegt. Wegen der Bedeutung des Deutschen in Europa hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, keinesfalls eine Schwächung der deutschen Sprache im Sprachenregime der EU zu zulassen. Die Rolle von Deutsch als Arbeitssprache in allen Institutionen der EU soll daher gestärkt werden.[17]
 
Auf ein sehr erfolgreiches Programm, das das Goethe-Institut durchführt, um die deutsche Sprache als Arbeits- und Verfahrenssprache in den EU-Institutionen zu stärken, möchte ich jedoch in diesem Zusammenhang hinweisen. Denn ich habe seine Erfolge schon an mehreren Stellen erleben dürfen: Mit dem „Europanetzwerk Deutsch“ finden seit 1994 intensive Sprachkurse in Deutschland für EU-Bedienstete und Ministerialbeamtinnen und -beamte statt, die sowohl aus den EU-Mitgliedsstaaten kommen als auch aus Beitrittskandidatenländern. Neben Deutschkenntnissen, wird hier auch ein aktuelles Deutschlandbild vermittelt, außerdem können die Teilnehmer im Rahmen der Kurse auch Vertreterinnen und Vertreter aus deutschen Ministerien und Institutionen kennenlernen. So fördert das Programm die Netzwerkbildung zwischen relevanten Akteuren aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft in Europa. Das Netzwerk feierte im Oktober 2019 sein 25jähriges Bestehen. Und ich war sehr beeindruckt, über wie viele aktive Alumni es verfügt. Botschafter, EU-Kommissare, wie der ehemalige lettische Kommissar, Andris Piebalgs gehören ebenso dazu wie Jaroslav Pietras aus Polen, Generaldirektor im Ratssekretariat der Union, oder Iliana Ivanova, aus Bulgarien, Mitglied des Europäischen Rechnungshofes und viele mehr…
 
Meine sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das waren jetzt doch sehr viele Sprünge durch die Deutsch-Galaxis und ich hoffe, dass ich Ihnen damit einen kurzen Überblick geben konnte, was uns auf „Generalsebene“ gerade bzgl. der deutschen Sprache in Europa umtreibt. Ich hoffe auch, ich konnte Ihnen vermitteln, dass wir nicht nur mit Sprachkursen und Lehrerfortbildungsmaßnahmen aktiv sind, sondern in vielen Ländern auch sprachpolitisch wirken. Gerne biete ich dem IDS an, diese sprachpolitischen Diskussionen weiterzuführen. In Deutschland sind diese natürlich mit konkreten politischen Forderungen verbunden. Beispielsweise zusätzliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um in Ländern Europas, wo sich ein Rückgang des Deutschen an Schulen und Universitäten abzeichnet, für unsere Sprache zu werben, oder im Bereich der Fachkräftewanderung die Lehrerausbildung zu stärken und neue Maßnahmen im Bereich der Berufsschulen finanziell zu unterfüttern. Auch müssen wir – und das hat nicht nur mit Europa zu tun - unsere Sprachangebote digital modernisieren.
 
Ich würde mich freuen, wenn Sie mich bei unseren Anliegen unterstützen würden. Denn ich glaube, wir alle sind von einem mehrsprachigen und vielfältigen Europa in jeder Hinsicht überzeugt, weil Europa seine Kraft gerade aus dieser Vielfalt bezieht. Und wir als Goethe-Institut sind – gemeinsam mit Ihnen - in diesem großen Haus nun einmal für die deutsche Sprache verantwortlich.
 
Ich habe zum Abschluss meines Vortrags nach einem passenden Abschlusszitat gesucht, das den Bogen ganz zum Anfang schlägt. Ich habe zunächst nichts Vernünftiges gefunden, mit dem ich Sie beeindrucken kann. Es gibt jedoch ein Zitat,  von Douglas Adams, das mir immer einfällt, wenn ich an den Brexit denke, den ich jetzt in diesem Vortrag gar nicht aufgenommen habe, weil mir die neue Situation noch zu unklar und nebulös erscheint. Und so streife ich – elegant ein letztes Ziel in unserer Galaxis berührend und Ihnen gleichzeitig auf Wiedersehen sagend – doch dieses heikle Thema, dass sich ein Mitglied der EU verabschiedet, was in Zukunft neben vielen anderen auch neue sprachpolitische Fragen aufwerfen wird.  Das Zitat zum Abschied Großbritanniens ist der Titel des vierten Bandes der „Per-Anhalter durch die Galaxis“ Trilogie und lautet: „So long, and thanks for all the fish. / Macht´s gut, und danke für den Fisch.“ Vielen Dank.
 
[1] Adams, Douglas: Per Anhalter durch die Galaxis. Zürich, Berlin (Kein und Aber Pocket) 2017, S. 71/72
[2] Ministerpräsident Alexander Vucic, zitiert nach Britta Beeger und Andreas Mihm in FAZ,19.2.2020
[3] Gümüsay Kübra: Sprache und Sein. Berlin (Hanser) 2020, S. 30
[4] Detering, Wilfried: Was heißt hier „wir“? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten. Ditzingen (Reclam) 2019, S. 49. Detering bezieht sich hierbei auf die Aussage Alexander Gaulands, die Abgeordnete Aydan Özoğuz „in Anatolien entsorgen (zu) können“.
[5] Alle Zahlen aus: Auswärtiges Amt: Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2015. In wenigen Monaten wird eine neue Erhebung für 2020 erscheinen. Die Ergebnisse liegen allerdings noch nicht vor.999
[6] https://europa.eu/european-union/about-eu/eu-languages_de
[7] http://www.internationale-studierende.de/fragen_zur_vorbereitung/studieren_in_deutschland/
[8] Vgl. https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/arbeitsmarkt-zuwanderung-bertelsmann-studie-1.4326451
[9] Detering, Wilfried: ebd, S.11 zitiert Weidel
[10] Nach „Bild“, 2.9.2020
[11] Auswärtiges Amt: ebd. S.19
[12] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1570126/fe6f6dd0ab3f06740e9c693849b72077/2019-01-19-vertrag-von-aachen-data.pdf?download=1
[13] Auswärtiges Amt: ebd., S.21
[14] Auswärtiges Amt: ebd. S. 23
[15] Zeit Online, ebd.
[16] Deutscher Bundestag:  Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik im Wandel – Neue Bedingungen und Herausforderungen für zeitgemäßes Handeln. Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Drucksache 19/16834, 28.1.2020, S. 6
[17] Bundesregierung, Service, Sprachenregelungen in den EU-Organen, S. 1-3 ; https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/sprachenregelung-in-eu-organen-616372

Es gilt das gesprochene Wort.
 

Top