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Johannes Ebert am 12. Juli 2020
„Kultur bedient Ebene jenseits der Tagespolitik“

Interview mit dem Geschäftsführer der Goethe-Institute Johannes Ebert zu den Herausforderungen des Kultursektors in der EU

Mit 157 Instituten in 98 Ländern ist das Goethe-Institut das Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland. Geschäftsführer Johannes Ebert erklärt im Interview mit Anna Mertens von der Katholischen Nachrichten-Agentur in Berlin, warum die Institute als Freiräume so wichtig sind. Auch zu den Herausforderungen für die Kultur in der EU äußert er sich – vor allem vor dem Hintergrund, dass Abgeordnete des Europaparlaments dieser Tage angesichts der Pandemie mehr finanzielle Unterstützung für den Kultursektor forderten.

Herr Ebert, welche Erwartungen haben Sie an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft?

Die Covid-19-Situation ist eine große Herausforderung für die deutsche Ratspräsidentschaft. Wir beobachten, dass die Krisenbewältigung überwiegend national gestaltet ist und die Krise zu einem Ungleichgewicht zwischen den Ländern führt. Daher müssen wir zeigen, dass die europäische Solidarität und Integration wirklich wichtig sind, um Herausforderungen der Zukunft wie die Corona-Krise zu bewältigen. Kultur kann dabei einen gesellschaftlichen Raum für die Aushandlung eines gemeinsamen europäischen Verständnisses eröffnen. Das brauchen wir, um die gesellschaftspolitischen Herausforderungen der Zeit gemeinsam anzugehen. Wir wollen in unseren Kulturprojekten zur deutschen Ratspräsidentschaft außerdem wichtige Themen europäisch vorantreiben, wie Klima, Nachhaltigkeit, digitale Mündigkeit oder natürlich, wie wir mit wachsendem Nationalismus innerhalb der EUStaaten umgehen.

Welche Rolle spielen die Kultur und der Kulturaustausch in der EU und darüber hinaus?

Bei unseren Projekten im Rahmen und anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft stehen die Länder der EU im Mittelpunkt und wir sind hier sehr aktiv. Die Frage, wie die EU und Europa als kultureller Akteur international auftreten, ist ein riesiges Thema, das uns seit Jahren beschäftigt. Wir sind unter anderem Gründungsmitglied von EUNIC, der Vereinigung der nationalen europäischen Kulturinstitute. Wir treiben in diesem Rahmen, aber auch in vielen anderen projektbezogenen europäischen Konsortien den internationalen Dialog und Austausch in vielen Projekten voran.

Mit dem Brexit wird ein großer Partner wegfallen.

Im Moment ist Großbritannien noch dabei und wir arbeiten eng mit Großbritannien zusammen und wollen die Zusammenarbeit auch nach dem Brexit weiter fortführen und darüber hinaus intensivieren.

Haben Sie die Sorge, dass aufgrund der Covid-19-Pandemie Ihre Themen weniger Gehör finden?

Ich glaube, dass Kultur und ihre geistig und wirtschaftlich produktive Kraft sehr wichtig sind in der Krise und auch für die Zeit danach. Kultur kann eine menschliche Ebene bedienen jenseits der Tagespolitik. Sie macht Europa als unseren gemeinsamen Raum fühlbar und erfahrbar. Kulturaustausch muss daher eine wichtige Rolle spielen und dafür setzen wir uns auch in der Krise ein. Allerdings besteht unserer Erfahrung nach immer die Gefahr, dass bei einer Rezession erst einmal im Kulturbereich gekürzt wird. Das wäre für Europa ein riesiger Fehler, denn die gemeinsame und gleichzeitig vielfältige Kultur schafft Zusammenhalt und einen innovativen Zugang zu vielen Themen. Man darf zudem nicht vergessen, dass in der EU über acht Millionen Menschen in der Kreativwirtschaft tätig sind.

Sind Sie mit den deutschen Corona-Hilfen zufrieden?

Ich habe den Eindruck, dass in Deutschland sowohl für die deutsche Kulturszene als auch für die deutschen Schulen im Ausland und die Goethe-Institute gute Vorsorge getroffen wurde – vor allem auch im internationalen Vergleich.

Die Pandemie hat die Arbeit des Goethe-Instituts massiv beeinträchtigt, fast alle Institute sind geschlossen. Wie ist die Lage aktuell?

Langsam öffnen unsere Institute wieder für den Publikumsverkehr und es werden erste Deutschprüfungen abgenommen. Darüber sind wir sehr froh. Grundsätzlich hat die Krise gezeigt, dass man viel digital machen kann, aber zugleich ist klar, dass ein Raum, in dem man sich treffen, gemeinsam lernen und auch kritische Themen austauschen kann, sehr wichtig ist und vermutlich noch wichtiger wird.

Das Digitale kann das Physische also nicht ersetzen?

Nein, das glaube ich auf keinen Fall. Das Digitale kann neue Möglichkeiten eröffnen, etwa bei Selbstlernprogrammen oder beim internationalen Austausch, und wir sollten auch nach Corona daran festhalten. Aber unsere Partner und wir stellen fest, dass das Bedürfnis für Mensch-zu-Mensch-Begegnungen groß ist. Ich halte es daher für enorm wichtig, dass die Institute als Räume für kritischen Austausch erhalten bleiben und das bestätigt auch jeder unserer Partner.

Könnte es in Ländern mit nicht demokratischen politischen Systemen vielleicht dazu kommen, dass infolge der Pandemie die Institute gar nicht wieder öffnen?

Ich sehe keine Gefahr, dass unsere Institute geschlossen werden. Die Länder sind an den Goethe-Instituten sehr interessiert, da wir viele Angebote machen, kulturell und sprachlich. Gleichzeitig wird akzeptiert, dass wir einen Freiraum schaffen. Wir erleben aber in manchen Ländern, dass die Meinungsfreiheit infolge der Corona-Krise beschränkt wird und dass kulturelle Projekte unter finanzielle Kürzungen leiden. Das ist die größere Herausforderung. Daher wollen wir unsere unabhängigen Partner mit einem Hilfsfonds unterstützen.

Mehr Menschen lernen weltweit Deutsch, auch in Afrika und Asien. Was erhoffen sich die Menschen?

Deutschland ist als Studienort attraktiv und sucht Fachkräfte. Die Zahl der Deutschlerner ist daher entsprechend gestiegen und vor allem ist die Zahl der Schulen gewachsen, an denen Deutsch gelehrt wird. Das hat uns sehr gefreut. Problematisch ist der Mangel an Deutschlehrern, hier müssen wir gegensteuern mit guten Programmen.

Und was heißt das für Ihren Auftrag?

Wir müssen weiter werben für die deutsche Sprache. Wir müssen darüber hinaus digitale Angebote ausbauen, um in die Fläche zu gehen. Wir glauben aber auch, dass das direkte Lernangebot gestärkt werden muss, denn der Unterricht im Klassenzimmer wird weiterhin von vielen bevorzugt. Auch hier werden wir nach der Krise eine neue Mischung physischer und digitaler Lernformate anbieten.

Zum Schluss noch, was sollte Ihres Erachtens der Kern der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sein?

Das Wichtige ist, dass wir nach der Krise und zur europäischen Ratspräsidentschaft das gemeinsame europäische Bürgerbewusstsein stärken. Wir müssen Europa als einende Solidargemeinschaft erfahrbar machen.

Orientalist

Johannes Ebert wurde 1963 in Ulm geboren. Er hat in Freiburg Islamwissenschaft und Politik studiert. Nach verschiedenen Stationen als Leiter der Goethe-Institute in Kiew, Kairo und Moskau hat der Vater dreier Kinder 2012 den Posten des Geschäftsführers übernommen.

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