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Johannes Ebert am 27.11.2024 in Berlin
Eröffnung des Festivals für Film und Diskurs „Destination: Tashkent“

Grußwort von Johannes Ebert zur Eröffnung des Festivals „Destination: Tashkent“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin

Wissen Sie, was „Drushba Narodov“ heißt? „Drushba Narodov“ bedeutet „Freundschaft der Völker“. Von 2007 bis 2012, als es noch keinen völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine gab, lebte ich im Südwesten Moskaus, ganz in der Nähe der Universität Drushba Narodov. Wenn man dort spazieren ging war klar: Hier studieren Menschen aus der ganzen Welt, aus afrikanischen Ländern, aus Lateinamerika, aus Asien. Seit Mitte der 50erJahre positionierte sich die Sowjetunion mit einer kulturdiplomatischen Kampagne bei den neuen unabhängigen Staaten Afrikas, später auch Lateinamerikas. Es ging im Kalten Krieg darum, deren in der Folge der Dekolonialisierung antiwestliche Haltung auszunutzen und zu festigen. Die Universität Drushba Narodov wurde 1960 gegründet. Und es ist – wenn mir diese Nebenbemerkung erlaubt sein darf – interessant zu sehen, dass Russland heute bei der Festigung seiner Position gegen die Ukraine in afrikanischen Ländern auch mit kultureller Diplomatie und Softpower-Strategien an diesen Nimbus des Antikolonialismus und Antiimperialismus anknüpft. Das Tashkent-Festival für asiatisches, afrikanisches und lateinamerikanisches Kino wurde 1968 in der Hauptstadt der Sowjetrepublik Usbekistan gegründet. Kann man es auch im Kontext der damaligen Softpower-Politik der Sowjetunion sehen? Dabei darf man nicht vergessen, dass das damalige Taschkent und die Sowjetrepublik Usbekistan selbst Kinder von Imperialismus und Kolonialismus des Zarenreiches und der Sowjetunion waren.

In den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts schrieb Egon Erwin Kisch in seiner Reportage „Asien gründlich verändert“: „Als kaiserliche Generale das Land vor sechzig Jahren eroberten, hatten die Sieger in Taschkent, so wie sie es in Warschau oder Tiflis getan, zunächst eine mächtige russische Kathedrale erbaut. Hier haben sie auf ihren Giebel, zum höhnischen Zeichen des Triumphes, das Kreuz über den Halbmond gestellt. 1918 war dem Kreuz nur ein Stückchen wegzunehmen, auf dass es ein Hammer werde, und dieses Stück dem Halbmond beizufügen, auf dass er eine Sichel werde; die Sergius-Kathedrale ist jetzt ein Klub. […] Taschkent ist der Sitz des Mittelasiatischen Parteibüros für die Sowjetrepubliken Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan, die Autonomen Republiken Kirgisistan und Kasakstan und das Autonome Gebiet der Kara-Kalpaken, also für alle Länder, in die das General-Gouvernement Turkestan, das Reich des Emirs von Buchara und das des Chans von Chiwa geteilt worden sind.“

Von 1968 bis 1988 war Taschkent eine bedeutende Destination für den Austausch und die Solidarität von Filmschaffenden aus dem globalen Süden. Das Festival bot Raum für Dialog und kreative Synergien – fernab von Moskau, aber vielleicht auch als politische Soft Power im oben beschriebenen Sinne.

Destination: Tashkent heute ist ein Festival für Film und Diskurs, das in Berlin und Taschkent stattfindet. Ein gemeinsames Projekt des Hauses der Kulturen der Welt und des Goethe-Instituts. Das Festival erforscht die Geschichte des legendären Tashkent-Festivals für asiatisches, afrikanisches und lateinamerikanisches Kino und bietet gleichzeitig eine Plattform für den heutigen cineastischen Internationalismus. Mit dem ersten Teil des Festivals in Taschkent unter Federführung des Goethe-Instituts Usbekistan haben wir im September den Spirit und die Atmosphäre des historischen Festivals wiedererweckt. — Durch Screenings historischer Filme aus unter anderem Japan, dem Senegal, Indien, Usbekistan und Kirgisistan, die teilweise auch den Weg nach Berlin gefunden haben, sowie durch zeitgenössische Produktionen aus Zentralasien und einer Archivausstellung mit Originalmaterialien. Es fanden Paneldiskussionen mit Wissenschaftlerinnen und Vertretern der Filmbranche Zentralasiens statt, die das Erbe des Festivals kritisch reflektierten und aus dekolonialer Perspektive die Herausforderungen thematisierten, denen die Branche heute in Zentralasien, insbesondere in Usbekistan, gegenübersteht.

Mit Destination: Tashkent in Berlin möchten wir nun weiter erkunden, wie wir den Internationalismus und die Solidaritätsgedanken von Taschkent in gegenwärtige und zukünftige filmische Praktiken integrieren können. Ziel ist es, nicht nur historische Einblicke in Taschkent damals zu gewinnen, sondern auch Räume für transnationale Kooperationen zu schaffen und die Debatten über Dekolonialismus zu öffnen — gerade in dieser Zeit. Daher schaffen wir in Berlin unter anderem Platz für neue Festivals aus Zentralasien, wie z. B. Cinemalove aus Usbekistan und Qyzqaras aus Kasachstan, und fördern den Dialog von Filmschaffenden und Festivalmacher*innen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Praxis der Live-Übersetzung, die im ursprünglichen Tashkent-Festival von großer Bedeutung war. Sie zeigt, wie Film als universelles Medium fungieren kann, das kulturelle und sprachliche Barrieren überwindet und Menschen aus verschiedenen Hintergründen zusammenbringt. Ein weiteres Highlight ist die Buchpräsentation Destination: Tashkent im Rahmen des Festivals mit Stimmen aus Taschkent (Valeriya Kim, Elyor Nemat im Gespräch mit Eric Otieno Sumba).

Abschließen möchte ich allen Beteiligten danken, die dieses Projekt ermöglicht haben. Ich danke dem Haus der Kulturen der Welt und seinem Team für die Organisation des Festivals hier in Berlin. Ein herzliches Dankeschön an Prof. Dr. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Intendant und Chefkurator des HKW; an Can Sungu, Kurator für Filmpraxis am HKW; und Eric Otieno Sumba, Redakteur für Publikationspraktiken. Auch danke ich Maren Niemeyer, Leiterin des Goethe-Instituts in Taschkent, und ihrem Team, sowie den Kooperationspartnern aus Taschkent, die ebenfalls in Berlin mitwirken. Dies sind Valeriya Kim, Gründerin des Cinemalove Festivals Zentralasien, und Elyor Neymat, der in Taschkent die Archivausstellung kuratiert hat. Ohne die Unterstützung und das Engagement all dieser Personen wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen.

Vielen Dank!
 

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