09. Mai 2025
Rede in Straßburg zum Europatag - Ohrwürmer der Freundschaft
Eine Rede anlässlich der Unterzeichnung des Memorandum of Understanding zwischen dem Goethe-Institut und der Stadt Straßburg zur Weiterführung der Zusammenarbeit. Das Memorandum of Understanding wurde anlässlich des Europatages am 09. Mai unterzeichnet.
- Es gilt das gesprochene Wort -
Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen Sonnenschein – diese Nacht blieb dir verborgen, doch Du darfst nicht traurig sein.
Das ist in Frankreich nun der neue Ohrwurm – und zwar einer der uns in Deutschland alt bekannt ist! Viele von Ihnen erkennen die Melodie sicher sofort - „Guten Morgen Sonnenschein“ ist ein Hit von Nana Mouskouri aus den 70er-Jahren, und er erlebt seit dem Start der Netflix-Serie Cassandra ein erstaunliches Comeback: Jeden Morgen weckt die KI-Haushalshilfe Cassandra die Bewohner*innen des Hauses mit den bekannten ersten Zeilen. Seit dem Start der Serie Anfang Februar sind die Streamingzahlen in Frankreich um über 1.000 Prozent gestiegen. Zuletzt war wohl die deutsche Band Tokio Hotel so erfolgreich in Frankreich!
Ein deutscher Schlager, der heute in Frankreich über Streamingdienste ein neues Publikum erreicht – und dabei ist der Song übrigens die deutsche Version eines eigentlich französischen Hits von Nana Mouskouri, Quand tu chantes, der wiederum eine Adaption des brasilianischen Liedes von Martinho da Vila ist.
Es ist ein kleines, aber schönes Beispiel dafür, wie Popkultur Grenzen überwindet – und wie Musik eine gemeinsame Sprache werden kann. Nana Mouskouri, geboren in Athen, begann ihre Karriere in Frankreich, sang auf Französisch und Deutsch – und in vielen anderen Sprachen. Sie verband Frankreich und Deutschland als echte Europäerin miteinander, und sie ist eine der erfolgreichsten Sängerinnen der Musikgeschichte. Ihre Popmusik ist Ausdruck von Emotionen, von einem Lebensgefühl – und oft auch von Freundschaft. Und genau das brauchen wir heute mehr denn je: Freundschaft zwischen Menschen, zwischen Gesellschaften, Kulturen – und besonders zwischen Ländern.
Die deutsch-französische Freundschaft wurde durch viele Künstlerpersönlichkeiten geprägt – natürlich durch Heinrich Heine, der lange in Paris lebte und beide Kulturen liebte, - von ihm stammt das wunderbare Zitat: „Unser deutscher Sommer ist nur ein grün angestrichener Winter“ –
aber auch die Maler Anselm Kiefer, Gerhard Richter, Sigmar Polke und Andreas Gursky thematisierten Deutschland und Frankreich in ihren Werken intensiv.
Die deutsch-französische Freundschaft ist eine so besondere Beziehung, die aus der Geschichte gelernt hat – und die heute unser Europa trägt. Kultur spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie schafft Begegnung, Verständnis, Nähe – auch da, wo Sprache vielleicht noch trennt – und mindestens ein Ohrwurm dazu begleitet uns heute sicher den ganzen Tag!
Das Goethe-Institut setzt sich mit großem Engagement für diese Beziehungen und den Austausch ein. Unsere Präsenzen in Frankreich bilden weiterhin das dichteste Netzwerk von Goethe-Instituten in einem Land der Europäischen Union. Denn die deutsch-französische Freundschaft ist gerade jetzt, in Zeiten globaler Krisen, in denen auch die europäische Integration zunehmend herausgefordert wird, umso wertvoller und ein zentraler Pfeiler Europas.
Auch das historische Datum des gestrigen Tages, an dem sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal jährte, betont die Bedeutung der gewachsenen Kulturbeziehungen zwischen Frankreich und Deutschland. Die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und ihren Auswirkungen auf unsere Gegenwart bildet einen zentralen thematischen Schwerpunkt der Arbeit des Goethe-Instituts und eröffnet neue Wege der Erinnerungskultur. Und dabei geht es nicht nur um das Erinnern, sondern auch darum, wie wir gemeinsam die Werte von Demokratie, Frieden und kultureller Verständigung für kommende Generationen in Europa stärken können. Mich berühren die Gedenkfeiern und vielen Geschichten zutiefst – von der Befreiung der KZs, von den letzten Tagen des Krieges und dem Schicksal der überlebenden Juden, den Vertriebenen, dem Leben in den zerstörten Städten in ganz Europa- und der deutschen Verantwortung, die aus diesem Grauen erwächst. Wir müssen uns mit all unserer Kraft für Freiheit und Demokratie einsetzen – und für ein „Nie Wieder“.
Nur einen Tag später, heute am 9. Mai, feiern wir den Europatag. Ein Tag für unsere gemeinsame Zukunft. Für die Vision eines friedlichen, solidarischen und kulturell reichen Europas. Wir haben so viel erreicht – die europäische Idee ist stark, sie ist Realität geworden, und gerade heute, im Angesicht so vieler globaler Krisen und Angriffe auf die Demokratie, brauchen wir unser starkes Europa mehr denn je. Und auch hier passt das Motiv des Liedes wieder – diesmal aus Heinrich Heines Deutschland. Ein Wintermärchen (1844)
Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.
Die Jungfer Europa ist verlobt
it dem schönen Genusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse.
Und wo könnte man diese Idee besser verorten als in Straßburg – der Stadt, die wie keine andere für das europäische Miteinander steht? Die Grenzregion und insbesondere ihre Stadt sind wichtige Labore der Zukunft der deutsch-französischen Freundschaft. Hier, in der tief von der Geschichte – häufig auch leidvoll – geprägten Europastadt und der umliegenden Region, entstehen regelmäßig neue Formen der grenzüberschreitenden Kooperation, die als Modell für Möglichkeiten der Annäherung und des Verständnisses für den Nachbarn in ganz Europa dienen können.
Dabei spielt auch das Thema Mehrsprachigkeit eine wichtige Rolle. Mit ihrer aktiven Sprachpolitik zur Förderung insbesondere des Deutschen und Elsässischen setzt die Stadt ein starkes Zeichen für kulturelle Offenheit und die Bedeutung sprachlicher Vielfalt als gesellschaftliche und wirtschaftliche Ressource. Gleichzeitig beobachten wir als Goethe-Institut einen Rückgang der Zahl der Deutschlernenden in Frankreich. Umso wichtiger sind daher Initiativen wie das Projekt „Deutsch vernetzt“ des Goethe-Instituts, das gezielt auf die Stärkung der Sprachförderung und die Unterstützung der Lehrkräfte abzielt – insbesondere in den Grenzregionen, in denen die Partnersprache eine besondere Rolle spielt. Dieses Engagement ist ein wichtiger Beitrag zur Umsetzung der gemeinsamen Ziele des Aachener Vertrags und zur Zukunft der deutsch-französischen Bildungskooperation.
Das Goethe-Institut bleibt in Straßburg auch weiterhin ein verlässlicher Partner in einem innovativen und lebendigen Kultur- und Bildungsaustausch zwischen Deutschland und Frankreich. Wir freuen uns sehr, dass wir dieser Weiterführung nun durch ein MoU eine neue Form geben können.
Lassen Sie uns diese Zukunft gemeinsam gestalten. Mit offenen Ohren, offenen Herzen – und neuen Ohrwürmern!
Vielen Dank.