Carte Blanche Middle East
Expertinnen: Jordanierinnen sind gebildet, trotzdem bleiben sie oft zuhause

Expertinnen
Expertinnen: Jordanierinnen sind gebildet, trotzdem bleiben sie oft zuhause | Foto: Archiv GIZ

Obwohl die jordanischen Frauen die Mehrheit der Hochschulabsolventen stellen, ist ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt sehr gering. Warum ist das so und wie verändert sich die Stellung der Frau in Jordanien? Dazu genauer im folgenden Gespräch mit Nour Moghrabi und Safaa Daradkeh vom Programm EconoWin, das sich auf die Unterstützung für Frauen bei der Teilhabe an der Wirtschaft in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas konzentriert. Das Programm stellt die deutsche Entwicklungsagentur GIZ, die in Jordanien aktiv ist.

WELCHE AKTIVITÄTEN VERFOLGEN SIE?

Nour: Durch unsere Aktivitäten versuchen wir Frauen in die Wirtschaft einzubinden, und dies vor allem durch die Schaffung einer geeigneten Arbeitsumgebung. Wir bemühen uns um Aufklärung unter jungen Leuten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, zum Beispiel durch die Produktion und Projektion von Filmen, die sich dem Thema arbeitender Frauen widmen. Die Filme sind so ein Instrument zur Herbeiführung eines gesellschaftlichen Dialogs. Wenn ich ehrlich sein soll, in Jordanien treffen wir in Zusammenhang mit der Beschäftigung von Frauen auf eine Reihe von Herausforderungen.
 
WAS FÜR HERAUSFORDERUNGEN SIND DAS?

N: Die Frage ob Frauen arbeiten betrifft oft nicht nur die Lage auf dem Arbeitsmarkt oder die Qualifikation, sondern oftmals geht es auch um die Einstellung, Bereitschaft und die Art und Weise etwas zu überdenken. Es ist wirklich eine Herausforderung, denn wir sprechen hier von einer patriarchalen Kultur, die von Männern dominiert wird. Und das an jedem Ort und auf jedem Niveau – also in der Familie, Schule, Moschee, religiösen Institutionen, Hochschulen, in der Regierung, in der Zivilgesellschaft. Wir wollen dieses Thema auf eine geeignete und nicht zu kontroverse Art und Weise an die Oberfläche holen. In Jordanien und im Nahen Osten allgemein fehlen Plattformen für eine offene Diskussion. Die Menschen reden zwar viel, aber sich auf geeignete Weise auszudrücken, Meinungen Anderer ohne Verletzungen und das Gefühl anzunehmen, dass sie sofort ruhig gestellt werden müssten, ist auch etwas, woran es in unserer Kultur mangelt. Und das im Grunde auf allen Ebenen. In den Schulen gibt es wenig Gruppenarbeit, es fehlen Debattierkreise, Theater oder Konzerte gibt es in eingeschränkter Zahl. Und in den Familien haben das letzte Wort die Männer – der Vater oder Bruder.

Safaa: Eine der größten jordanischen Herausforderungen ist die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt. Es nehmen etwa 13 % am Arbeitsleben teil, was sehr wenig ist. Dennoch haben wir unter den Frauen viele Hochschulabsolventinnen, für die wir nur schwer eine Beschäftigung finden. Aktivitäten haben wir viele, aber gerade im Rahmen der erwähnten Kampagne Ana Hunna produzieren wir Filme über arbeitende Frauen, die für andere Vorbild sein können und Mentorinnen auf dem Arbeitsmarkt.
 
WARUM TRETEN FRAUEN NUR IN GERINGER ZAHL IN DEN ARBEITSMARKT EIN?

N: Es geht um den kulturellen Kontext. Wie Safaa schon sagte, haben wir in Jordanien viele gebildete Frauen, die aber nicht arbeiten. Oftmals wollen sie selbst nicht und es wird auch nicht von ihnen verlangt. Dies hat etwas mit dem Gender-Aspekt zu tun. Die Männer sind die, die den Lebensunterhalt verdienen, und die Frauen kümmern sich um den Haushalt. Die Frau ist damit eine Haushaltsangehörige, die sich um die Kinder und um ältere Familienmitglieder kümmert. Und wenn Frauen schon in den Arbeitsmarkt eintreten, arbeiten sie oft nur solange, bis sie heiraten. Das ist das Hauptproblem. Es ist nicht so, dass die jungen Frauen ungebildet sind und zuhause sitzen. Sie suchen oftmals tatsächlich nach Möglichkeiten zu arbeiten. Dies unterliegt aber Bedingungen und Regeln.
 
AN WELCHE REGELN DENKEN SIE?


N: Eine Frau kann sich nicht irgendeine Arbeit suchen, wie es ihr gefällt. Sie muss vorher von der Familie genehmigt werden. Sie kann zum Beispiel nicht im Hotel arbeiten, auch wenn es eine weltweit aktive Kette mit fünf Sternen wäre. Sie kann nicht als Stewardess arbeiten, weil sie nicht zuhause schlafen oder erst spät nach Hause kommen würde. Gewöhnlich wird dies als Schutz der jeweiligen Frau gesehen: Wir vertrauen der Gesellschaft nicht. Warum sollten wir unsere Töchter oder Schwestern in einem solchen Dschungel leiden lassen? Wir schützen sie, das heißt nicht, dass wir sie nicht gern haben.
 
WIE SIEHT IN DER REGELN DAS ERGEBNIS DESSEN AUS?

N: Letztlich ist es in gewissem Maße die Entscheidung der Frau selbst. Und wir sollten ihr die Möglichkeit geben, zu entscheiden. Manchmal nehmen wir an, dass sie nicht arbeiten will, in Wirklichkeit wird ihr aber gar nicht die Möglichkeit gegeben, diese Entscheidung überhaupt zu treffen. Wenn die Frau selbst entscheidet, zuhause zu sitzen und nichts zu tun, oder im Gegenteil ein Kunstmuseum zu eröffnen, als Freiwillige zu arbeiten oder gegen Bezahlung, dann ist das in Ordnung. Wir bemühen uns durch unsere Kampagne, in den Frauen das Gefühl zu erwecken, dass sie wichtig sind, was immer sie auch tun. Eine Frau sollte hinter dem stehen, was sie denkt und was sie glaubt. Und niemandem erlauben, ihr etwas zu befehlen. Nicht zu erlauben, dass sie wer auch immer zu etwas zwingt, aus dem sie mit 50 aufwacht und feststellt, dass sie eigentlich nicht viel erreicht hat – abgesehen davon, dass sie von ihrem Ehemann geschlagen und von ihren Söhnen oder Brüdern schikaniert wurde. Dass sie nirgendwohin gegangen ist, weil sie anfangs nie jemand darauf aufmerksam gemacht hat, an sich zu denken und daran, was sie selbst will. Und das ist der Ausgangspunkt. Über alles Andere lässt sich diskutieren.
 
WAS SAGT DAS GESETZ ZUR GLEICHSTELLUNG VON MANN UND FRAU?

N: In unserer Verfassung sind Männer und Frauen gleichgestellt, in unserem Gesetz zu Persönlichkeitsrechten (Personal Status Law) sind Frauen das Gefolge von Männern. Sie sind an sie gebunden und werden sogar bestraft, wenn sie sich nicht gut um ihren Mann kümmern. Werden sie Opfer, werden in der Regel sie selbst dafür bestraft. Wird beispielsweise eine Frau sexuell belästigt, gibt es hier kein Gesetz, das sie schützen würde. Es ist äußerst schwierig mit einer Anzeige wegen sexueller Belästigung Erfolg zu haben. Das ist auch etwas, was sie im Beruf einschränken kann, weil sie sich nicht schützen können, würde so etwas am Arbeitsplatz passieren. In unserem Film über eine jordanische Stewardess sagt die Protagonistin: „Wenn jemand versucht mich anzugreifen oder mir im Flugzeug zu nahe kommt, bin ich nach internationalem Recht sehr gut geschützt.“ In Jordanien funktioniert das so aber leider nicht. Wenn wir über einen Kulturwandel sprechen, müssen wir auch an die Kultur derjenigen denken, die die Politik machen. Denn die Denkweise ändern müssen auch sie selbst.
 

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    Nour Moghrabi (links) und Safaa Daradkeh

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    Modernisierung auf eigene Faust

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    Vernetzungsabend in einem Hotel in Amman im Rahmen eines Mentoren-projekts für Frauen

  •  Foto: Archiv GIZ

    GIZ bildete über 100 jordanische und syrische Frauen als Installateure aus.


 MODERNISIERUNG AUF EIGENE FAUST

KOMMT ES IN LETZTER ZEIT IN DIESER HINSICHT ZU POSITIVEN VERÄNDERUNGEN?


N: Wenn wir über diese Dinge sprechen, tun wir dies oftmals mit der Erwartungshaltung, dass sie sich nicht ändert. Die Kultur und Traditionen sind aber doch im Wandel. Es mag überraschend sein, aber in Jordanien ist  zum Beispiel die Scheidungsrate sehr hoch. Soziale Probleme, die ihren Ursprung gerade in der Scheidungsrate und im Zerfall der Ehe haben, haben großen Einfluss auf Regierung und Gesellschaft , weil solche Frauen dann oft nicht in der Lage sind wirtschaftlich unabhängig zu sein. Es gibt hier keine soziale Gerechtigkeit in dem Sinne, dass ihnen und ihren Kindern ein guter Lebensstandard geboten würde. Deshalb ist die einzige aller Lösungen, die wir vertreten, eine wirtschaftliche Stärkung der Frauen. Damit eine Frau gegebenenfalls die Wahl zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten hat und auf eigenen Beinen stehen kann. Ich denke, dass es zu Veränderungen kommt, je nach dem wie wir auf eine Situation reagieren. Es ist nicht so, dass wir Veränderungen erreichen wöllten und dann auf deren Folgen träfen. In Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise ist Jordanien verschiedenen Problemen ausgesetzt, die das betreffen.
 
WAS FÜR PROBLEME SIND DAS?

N: Das sind zum Beispiel die Verheiratung von Kindern oder Polygamie, deren Zahlen steigen. Zudem sind immer mehr Menschen von nur einem Ernährer abhängig. Und dies alles verändert die jordanische Gesellschaft. Viele Menschen haben auch den Arbeitsmarkt verlassen, weil sie durch syrische Arbeitskräfte ersetzt wurden, die für geringere Löhne bessere Arbeit abliefern. Jordanien ist ein kleiner Wirtschaftsraum, in dem jeder seine Rolle hat. Wenn man eine Bevölkerung nimmt, von der die Hälfte arbeitsfähig ist, aber keine Arbeit hat, beteiligt sich dieser Teil der Gesellschaft nicht einmal am BIP. Ein verhältnismäßig großer Teil dieser ersten Gruppe, was Männer sind, arbeitet gleichzeitig noch im Ausland. Sie können sich die wirtschaftliche Bedeutung unseres Landes jetzt vielleicht vorstellen? Viele Familien leben von Geld, das im Ausland verdient wird. Ich denke, es ist der richtige Zeitpunkt, wenn es nicht schon zu spät ist, die Integration von Frauen in die hiesigen wirtschaftlichen Prozesse durchzusetzen.
 
WIE IST DIE SITUATION DER FRAUEN AUF DEM LAND? UNTERSTÜTZEN SIE AUCH DIESE FRAUEN IN DIESER UMGEBUNG?

N: Wir arbeiten unter anderem mit Frauen, die sich in der Landwirtschaft in den ländlichen Gebieten bewegen, um sie beim Erzielen von wirtschaftlichem Wachstum zu unterstützen. Wenn wir als Beispiel die Herstellung von Milchprodukten nehmen, so haben Frauen hier eine sehr wichtige Aufgabe. Sie kümmern sich um die Kühe, zudem produzieren sie oft selbst, der Verkauf aber ist dann Männeraufgabe. Ebenso ist der Kauf von Weideflächen für das Vieh mehrheitlich eine Männerdomäne, während Frauen oft einer sehr schlecht bezahlten Arbeit nachgehen. In dem Fall, das sie bereits selbst einige ihrer Produkte verkaufen, dann tun sie das mit einem sehr geringen Gewinn. Uns ist gelungen einige dieser Frauen zu überzeugen, ihre Produkte einer Modernisierung zu unterwerfen.
 
WIE SIEHT DIESE MODERNISIERUNG AUS?

N: Nehmen wir zum Beispiel eine Frau, die schon seit Jahren Käse auf traditionelle Art herstellt. Auf eine Art, die sie wiederum von anderen Verwandten gelernt hat. Und alle lieben ihren Käse. Anfangs verschenkte sie den Käse in ihrer Umgebung, mit der Zeit aber begannen die Leute, den guten Käse von ihr zu bestellen, und sie fing an, ihn zu verkaufen. Für die weitere Entwicklung ist es wichtig, dass diese Frauen ihre Produkte testen lassen, dass sie nicht gesundheitsschädlich sind, ob sie sich nicht noch irgendwie verbessern ließen, um ein Zertifikat zu bekommen und sich als Warenanbieter zu etablieren. Viele Frauen aber waren gegen diese Idee und sagten: „Ich weiß, dass mein Käse gut ist. Warum sollte ich ihn testen lassen?“ Und wenn Sie diesen Frauen sagen, dass sie ihren Käse dann zu einem höheren Preis verkaufen könnten, antworten sie oft: „Nein, nein, ich bin zufrieden, wie es ist.“ Das Problem aber ist, dass, wenn Sie dann fragen, ob sie eine Krankenversicherung haben oder notwendige Dinge für den Haushalt anschaffen können, sie mit nein antworten. Weil sie ihr Kleingewerbe nur zum Überleben betreiben. Viele Frauen leben so in einer Blase und sind nur sehr schwer aus dieser heraus zu bekommen.
 
ES LIESSE SICH LOGISCHERWEISE ERWARTEN, DASS JUNGE FRAUEN PROGRESSIVER SIND. IST DIES ABER TATSÄCHLICH SO?

N: In dieser Hinsicht ist eine Verschlechterung wahrzunehmen – allein schon in Hinblick auf die Beteiligung der Frauen an der Wirtschaft. Das ist auch eines der Dinge, auf die wir treffen, wenn wir mit Hochschulstudentinnen arbeiten. Es ist sehr schwer sie zu motivieren. Und meine Generation, die der ihren gar nicht so weit entfernt ist, war neuen Gelegenheiten gegenüber viel aufgeschlossener und hatte manchmal auch Lust etwas zu riskieren. Heute ist ihr Denken uniformer, was Anzeichen für die Abwesenheit von Diskussion und kulturellem Dialog ist. Die Gesellschaft ist polarisiert, sodass wir sehr aufgeschlossene junge Leute finden können, auf der anderen Seite aber, und das wird die Mehrheit sein, sehr konservativ gesinnte.
 
WIE ERKLÄREN SIE SICH DIESEN UNTERSCHIED?

N: Unsere Generation war verschiedenen Einflüssen ausgesetzt, ob es sich nun um islamische oder im Gegenteil säkulare Bewegungen handelte. Der gesellschaftlichen Situation hat das sehr geholfen. Die gegenwärtige Generation ist aber meiner Meinung nach nur einem Aspekt ausgesetzt – Krieg, auch Krieg gegen den Westen. Wir haben im Gegenteil dazu in den 80er Jahren noch immer über einen Friedensprozess gesprochen. Und ich denke in dieser Richtung auch über meine Kinder nach. Ich will, dass sie wissen, dass sie eine Wahl haben. Es wird aber immer komplizierter, weil wir hier zwei Lager haben und ein Ausgleich sehr schwer ist.
 
VERNETZUNGSABEND IN EINEM HOTEL IN AMMAN IM RAHMEN EINES MENTOREN-PROJEKTS FÜR FRAUEN
 
SIE HABEN KRIEG ERWÄHNT. ALLGEMEIN GILT, DASS IN ZEITEN VON KRIEG EINE GROSSE UNSICHERHEIT BESTEHT UND JEDER VERSUCHT DAS SEINE ZU SCHÜTZEN. OFFEN ZU SEIN KANN VON EINER REIHE LEUTEN IN DIESER HINSICHT ALS GEFÄHRLICH ANGESEHEN WERDEN. WAS DENKEN SIE DARÜBER?

N: Leider haben Sie recht. Für die Menschen ist in solchen Momenten das wichtig, von dem sie glauben, dass sie es und seine Interpretationen kennen.
 
DER ÖFFENTLICHE RAUM IST NICHT OFFEN FÜR FRAUEN

WENN WIR UNS AMMAN ALS HAUPTSTADT UND DEN ÖFFENTLICHEN RAUM ANSCHAUEN, IST ES FÜR FRAUEN HIER SICHER?

S: Wenn wir allgemein über die Aufteilung der Häuser sprechen und nicht nur über Amman als Stadt, dann kommen wir dazu, dass der innere Raum im Grunde den Frauen gehört, der äußere den Männern und ihren Gästen.

N: Wenn Sie eine Frau sind, fällt Ihre alleinige Anwesenheit außerhalb des Hauses immer auf. Sie müssen einen guten Grund haben, gerade an diesem Ort zu sein. Auch wenn Sie den Müll rausbringen gehen. Ich bin zum Beispiel einmal eine Bekannte besuchen gefahren, die in einem sehr armen Viertel wohnt, überall liegt dort deshalb Müll. Ich habe sie gefragt, wie sie es in einer so dreckigen Umgebung aushält. Und sie sagte, dass sie immer versucht eine gemeinsame Aufräum-Aktion mit den Nachbarinnen zu initiieren. Diese aber erwidern, dass sie keine Erlaubnis dazu hätten, draußen fremden Müll wegzuräumen. Es ist aber auch im Bewusstsein der Frauen selbst, die Angst haben. Das ist auch gut am Autofahren zu sehen.
 
AM AUTOFAHREN?

N: Frauen fahren oft mit dem Auto, um die Kinder in die Schule zu bringen, einkaufen zu fahren und so weiter. E ist interessant, dass sich der Ort, wo sie einkaufen, oft davon ableitet, wo sie denken, dass sie mit dem Auto sicher dorthin kommen. So kann es leicht passieren, dass sie das ganze Jahr nicht aus ihrem Viertel herauskommen, weil sie sich fürchten, neue Möglichkeiten zu entdecken. Es gibt eine Reihe Frauen, die seit über zehn Jahren durch die Stadt fahren und tolle Autofahrerinnen sind, sobald Sie sie aber auffordern, aus der Stadt heraus zu fahren, lehnen sie ab.
 
WARUM FÜHLEN SICH DIE FRAUEN BEIM FAHREN AUSSERHALB IHRER UMGEBUNG NICHT SICHER?

S: Es gibt immer den Faktor versteckter Gefahren, die irgendwo auf uns warten, um dann unversehens auf uns einzufallen.
N: Und das betrifft zum Beispiel auch das Aussehen der Stadt. Sobald Sie aus den zentralen Teilen herauskommen, werden die Straßen schmaler, Verkehrsregeln hören auf zu gelten. Alle möglichen Ängste, die Sie haben, beeinflussen Sie. Und wie ich schon sagte – immer, wenn Sie als Frau an irgendeinem Ort sind, müssen Sie einen guten Grund dafür haben. Wenn Sie abends allein in der Rainbow Street in einer Bar sind (Anm. Hauptstraße mit Limonadenläden und Bars im Stadtzentrum), wird dies Fragen aufwerfen. Und das gilt auch für weitere Situationen. Sie können häufig einen Mann beobachten, wie er an der Straße steht und sich ein Taxi herbeiwinkt. Würde dort aber eine Frau stehen und zehn Minuten auf ein Auto warten, würde sie sich sehr schlecht fühlen. Sie wird Anschauungen und Fragen ausgesetzt: Warum ist sie hier? Warum ist sie hier allein? Was sie hier wohl macht?
 
 
MACHT SICH DAS AUCH IN ANDEREN BEREICHEN BEMERKBAR?

N: Zum Beispiel in den sozialen Medien. Wir haben eine populäre Bloggerin, die immer noch sehr kontrovers diskutiert wird. Sie macht so kurze und blöde Videos auf Snapchat. Und die Leute fragen nicht in erster Linie, warum sie so primitive Videos macht und über so banale Sachen spricht, sondern sie fragen: Wo ist ihr Vater? Wie kann ihr Bruder ihr das erlauben? Macht es ihren Eltern nichts aus, wie sie sich anzieht? Warum schützt sie niemand davor, sich öffentlich zur Schau zu stellen? (lacht)
 
GIBT ES IN JORDANIEN AUCH MÄNNER, DIE FÜR DIE RECHTE VON FRAUEN KÄMPFEN, ODER IST DAS EINE REINE FRAUENDOMÄNE?

S: Unser König ist im Grunde einer der größten und lautesten Feministen im Land. Männer in den Diskurs über Frauenrechte einzubinden ist im Allgemeinen aber sehr wichtig. Wir bemühen uns darum deshalb auch bei unsere Filmprojektionen und Diskussionen. Insgesamt aber haben wir relativ viele Feministen aus den Reihen der Schriftsteller, Politiker und weiterer Kreise.
 
WIE REAGIEREN DIE MÄNNER AUF DIE BEMÜHUNGEN UM EINE GLEICHSTELLUNG DER FRAU?

N: Wir nehmen wahr, dass immer weniger Männer öffentlich gegen die Gleichstellung der Frau kämpfen. Die, die laut sind, sind vor allem die Extremisten, oder Islamisten, wenn Sie so wollen. Sogar Leute aus den Stammesgemeinschaften sind dafür. Das zeigt sich schon darin, dass sie Frauen für das Parlament nominieren – wenn auch auf Grundlage zugeteilter Quoten. Und die Menschen beginnen zu begreifen, dass es nicht von Vorteil ist, die Frauen in einer schwachen Position zu halten. Die Islamisten sind selbstverständlich etwas anderes. Und hier würde ich nur gerne sagen, dass das mit dem Islam selbst nichts zu tun hat. Es kommt hier zu einer großen Desinterpretation. Diese Männer nämlich nehmen die Religion als Geisel zur Rechtfertigung ihrer eigenen Vorstellungen von dem, wie die Dinge sein sollten und warum alles abgelehnt werden sollte, was den Menschen verändern will, auch wenn es Sinn macht. Und diese Gruppen sind zum Glück nicht mehr diejenigen, denen Männer zuhören, Männer im mittleren Alter. Die beginnen im Gegenteil oft zu der Meinung zu gelangen, dass es wichtig ist, die Frauen ernst zu nehmen. Anders ist das bei einigen jungen Männern und auf die sollten wir uns in erster Linie konzentrieren. Dass sie nicht von diesen Ideologien beeinflusst werden, die ihnen verschiedene unsinnige Vorstellungen oder Legenden einreden und künstliche Konstrukte auf Grundlage der Geschichte entwerfen. Und das ist nicht realistisch.
 
Am Gespräch beteiligten sich auch der Sozialanthropologe Pavel Borecký und die Schriftstellerin Petra Hůlová, die bei der Aufnahme zugegen waren und ihre Fragen zum Gespräch beigetragen haben. Das Gespräch entstand im Rahmen des Projekts Carte Blanche Middle East der Goethe-Institute in Prag und Amman.

 

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