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Der Duft von frisch gemähtem Gras

Der Duft von frisch gemähtem Gras
© Goethe-Institut / Petra Pospěchová

Eine Gruppe von Enthusiasten trifft sich jährlich auf den Wiesen der Mährischen Walachei und mäht diese von Hand. Sie tragen dazu bei, die seltene Flora zu erhalten.
 

Ein leichter Thymiangeruch liegt über der gesamten Wiese, die Kissen aus lila Blüten spießen in diesem Jahr in weit größerer Menge als sonst. Beide Hänge des Tísňava-Tals, das sich vom tschechischen Velké Karlovice bis zur Grenze mit der Slowakei zieht, sind zu dieser Jahreszeit in ein Blütenmeer getaucht.
 
Hier trifft sich bereits im vierten Jahr eine Gruppe von Freundinnen und Freunden, um die Wiesen von Hand zu mähen. „Zuvor sind wir zum Mähen auf die Wiesen bei Valašské Klobouky gefahren. Einmal habe ich den anderen anschließend vorgeschlagen, noch mit in unser Sommerhaus nach Karlovice zu kommen. Als ich meinen Nachbarn Michal fragte, ob wir auch seine Wiese mähen dürfen, kam ich auf die Idee, die hiesigen Naturschützer um einen Zuschuss zu bitten. Die waren froh, dass sich jemand um die jahrelang vernachlässigten Wiesen kümmert“, erzählt die Organisatorin Pavlína Kramolišová. Andernfalls droht nämlich, dass der Wald sich die Wiesen „holt“.
 
Pavlína und ihre Freunde tragen durch das Handmähen dazu bei, dass wilde Orchideen und andere seltene Pflanzen erhalten bleiben. Beim Mähen mit Maschinen würden sie entwurzelt. Die finanzielle Unterstützung der Naturschützer deckt die Kosten für Verpflegung und Werkzeug für zwei Wochen Mähen ab. 20 bis 30 Leute schaffen in dieser Zeit vier Hektar Wiesen. Mit einem Traktor würde die Arbeit nur wenige Tage dauern. Doch wegen der starken Neigung vieler Wiesen ist der Einsatz von Traktoren ohnehin unmöglich.
 
GEMEINSCHAFTLICHES ERLEBNIS MIT TRADITION

In einer malerischen, an den Hang geschmiegten Blockhütte füllen die Mäherinnen und Mäher ihre Teller aus einem riesigen Topf mit Mittagessen. Es gibt Buchweizen. Die Würze liefern aromatische Kräuter von den umliegenden Hängen: süßer Oregano, gelbes Ackerkraut und natürlich Thymian.
 
Kaum ist das Essen beendet, sind vor der Hütte rhythmische Schläge auf Metall zu hören. „Eine Sense wird so 20 bis 40 Minuten geschmiedet, sie muss wirklich ganz hauchdünn sein, wie eine Rasierklinge“, erklärt Štěpán Hejzlar, der im normalen Leben im Prager Bewegungstheater Alta arbeitet. Neben erfahrenen Mähern wie Štěpán sind dieses Jahr auch Neulinge in Karlovice. „Nächstes Jahr könnte ich das Mähen unseres eigenen Gartens übernehmen – das ist eine schöne Arbeit“, findet Helena Čtyřoká, eine Prager Produzentin. Die morgendlichen Wiesen haben eine ganz eigene Poesie. Die körperliche Betätigung unter freiem Himmel zusammen mit Freunden macht das Mähen zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis.
 
Die Mittagssonne wandert langsam nach Westen, die Freiwilligen sind nach der Mittagspause ausgeruht und tauschen für den heißen Nachmittag die Sensen gegen Rechen ein. Das gemähte Gras liegt in langen Reihen, Schwaden genannt, und wird jetzt mit einem Rechen oder einer Gabel in die Breite verteilt, sodass die Sonne darauf brennt. Schließlich wird das Heu am Wiesenrand auf Haufen geschichtet. „Das Heu holt ein Nachbar aus einem Nebental ab – er hat viele Tiere, die er damit über den Winter bringt“, erklärt Pavlína Kramolišová, die Restauratorin für alte Druckerzeugnisse ist.
 
Während die Freiwilligen in einer Reihe stehend rhythmisch das Gras wenden, hallt Gesang vom unteren Teil der Wiese: „Ja, was habe ich für eine Wiese in einem tiefen Tal, auf ihr gehen Gras und Grummet nie aus, nicht ein einziges Mal.“ Auf einen Rechen gestützt steht dort Anežka Konečná, Lehrerin und Folkloristin. Die Männerstimme von František Marčík stimmt ein, eines Beamten aus dem Prager Magistrat. František trägt ein Bauernhemd, Anežka ist in Trachtenrock und Weste gekleidet.
 
Für die Mehrheit der Anwesenden ist Traditionspflege ein selbstverständlicher Teil des Lebens: Anežka lebt in Prag und veranstaltet dort regelmäßig Zymbal-Sessions, die sie Folkloreseife nennt. Für dieses Jahr hat die junge Folkloristin ein Liederbuch mit mährischen und slowakischen Volksliedern vorbereitet und an einem Abend einen Workshop für die Anderen geleitet, um ihnen einen Teil des ausgesuchten Repertoires beizubringen.
 

  • Der Duft von frisch gemähtem Gras © Goethe-Institut / Petra Pospěchová

  • Der Duft von frisch gemähtem Gras © Goethe-Institut / Petra Pospěchová

  • Der Duft von frisch gemähtem Gras © Goethe-Institut / Petra Pospěchová


MÄHEN IST ANSTECKEND

Zwei Wochen Mähen ist auch einigermaßen anstrengend. Nicht nur die Arbeit selbst. Denn das gemeinschaftliche Beisammensein in der Natur verführt dazu, abends um das Lagerfeuer zu sitzen und zu singen. Trotzdem stehen die Mäher früh auf. Wenn es sehr heiß ist, dörrt das Gras schnell aus und will sich nicht mehr recht der Sense fügen. Die ideale Zeit zum Mähen sind deshalb die Stunden kurz nach Sonnenaufgang. Wer gegen fünf Uhr aus dem Bett springt, kann den Morgendunst genießen, der den Reiz der umliegenden Landschaft ausmacht.
 
Die Organisation ist in einer größeren Gruppe leichter: Der erste mäht die Schwaden und geht am Hang entlang weiter nach unten, sodass das gemähte Gras zu seiner Linken eine Reihe bildet. Ungefähr zwei Meter rechts steht eine weitere Mäherin und setzt die Arbeit in einer parallelen Bahn fort. Stehen genügend Leute nebeneinander, dauert es nicht einmal ein paar Stunden, und die hochgewachsene Wiese von einem Hektar liegt in schicken Reihen abgemäht am Boden.
 
Das Mähen scheint ansteckend zu sein. Ganz als ob jeder, der einmal am frühen Morgen eine Sense in die Hand nimmt und duftende Häufchen von frischgemähtem Gras hinter sich lässt, zurückkehren wollte. Tatsächlich widmen die meisten Teilnehmer in Karlovice dem Mähen eine oder zwei Wochen ihres Urlaubs und reisen aus einer Entfernung von rund 300 Kilometern an.
 
Ein Teil der Gruppe aus Karlovice fährt zum Mähen auch ins Isergebirge, dieses Jahr fand zum ersten Mal eine Mähaktion in Levý Hradec statt, und bereits dreimal belebte das metallische Geräusch gewetzter Sensen den Prager Stromovka-Park.
 

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