Leben ohne Bitterkeit

Philomena Franz
Philomena Franz | © Ute Glaser

Manche Bücher sind es wert, übersetzt und veröffentlicht zu werden, auch wenn seit ihrer Erstveröffentlichung schon mehrere Jahrzehnte vergangen sind. Das ist der Fall, wenn ihr Inhalt besonders zeitlos ist oder mit ihrer Veröffentlichung eine gewisse soziale Verantwortung wahrgenommen wird. 

Von Karolína Ryvolová

Beides trifft auf die Autobiografie Zwischen Liebe und Hass: Ein Zigeunerleben, der Sintiza Philomena Franz zu, die sechsunddreißig Jahre nach ihrer deutschen Erstveröffentlichung nun auf Tschechisch erschienen ist. Dieser bedeutende Bericht über den Überlebenskampf in der Hölle der nationalsozialistischen Konzentrationslager war bei seiner Veröffentlichung 1985 eines der ersten Zeugnisse von Überlebenden des damals noch ignorierten Völkermordes an den Sinti und Roma.

Unter dem Titel Leben ohne Bitterkeit: Die Geschichte einer deutschen Sinti, die den Holocaust überlebte (Žít bez hořkosti: Příběh německé Sintky, která přežila holokaust) wurde es kürzlich vom Verlag für Romani-Literatur Kher erstmals in tschechischer Sprache veröffentlicht. 

Die Vorkriegsidylle  

Die heute 99-jährige Autorin wurde 1943 als eines der letzten Mitglieder einer großen Familie von Sinti-Musikern und Schauspielern interniert; die meisten ihrer Verwandten waren zu diesem Zeitpunkt bereits deportiert worden, und einige lebten schon nicht mehr. Niemand hatte sie auf den schnellen Wandel von gesellschaftlicher Akzeptanz und relativem Wohlstand in den 1920er- und 1930er-Jahre hin zu Diskriminierung und Verfolgung nach der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze vorbereitet.

Dia Wandertruppe von Philomenas Großvater Johannes Haag war ein Familienunternehmen, an dem alle beteiligt waren. Wie ihre Mutter trat auch Philomena Franz selbst schon in jungen Jahren auf. Sie erinnert sich an eine Csárdás-Nummer, die sie seit ihrem siebten Lebensjahr in ungarischer Tracht getanzt hatte. Ihr Großvater Johannes nannte sie insgeheim „die Zauberin“ und hielt sie für eine besonders begabte Sängerin. Die Truppe tourte auf kleinen Tourneen durch die deutschen Lande und führte Operetten und lustige Stücke mit dem beliebten „Zigeunerthema“ auf, hatte aber auch regelmäßige Auftritte in renommierten europäischen Sälen wie der Liederhalle Stuttgart, dem Wintergarten Berlin und dem Pariser Lido.

Die Familie war finanziell gut gestellt. Sie besaßen mehrere Zugpferde, lebten auf Reisen in teuren, extravaganten Planwagen und besaßen ein Backsteinhaus, in das sie sich außerhalb der Saison zurückzogen. Dennoch erzogen sie ihren Nachwuchs zu Bescheidenheit, gegenseitiger Solidarität und Respekt vor der Natur. Sie konnten alle lesen und schreiben, denn, so die Autorin, „wie hätten sie sonst Theaterrollen inszenieren können?“
Foto der Familie von Philomena Franz
Foto der Familie von Philomena Franz | © Famienarchiv von Philomena Franz

„Ich weiß nicht, warum"

Zweimal floh sie. Sie stand vor der Gaskammer und dem Krematorium und hat trotzdem überlebt. Sie wurde wiederholt bewusstlos geschlagen und verbrachte Tage und Wochen in einer Grube, dem so genannten Stehbunker. „Ich hatte immer wieder Glück, ich weiß nicht, warum“, erinnert sie sich. 

Es gibt jedoch einige Gründe. Ihr musikalisches Talent verschaffte Philomena Franz gewisse Vorteile: so ermöglichte es ihr, für eine Gruppe von Personen ausgewählt zu werden, die Heinrich Himmler bei seinem Besuch im Lager unterhalten sollte. Mehr als einmal scheint ihre unvergleichliche Schönheit sie gerettet zu haben. Wegen ihres langen dunklen Haars nannte sie einer der Wachmänner eine „eingeborene“ Schönheit, in Anspielung an den damaligen Kassenschlager Die Dschungelprinzessin (1936). Am wichtigsten waren jedoch vielleicht ihre Furchtlosigkeit und ihr Lebenswille.

Wer hasst, der verliert

Unmittelbar nach der Befreiung lernte Philomena ihren späteren Ehemann Franz kennen. Zusammen gründeten sie das Quartett The Sinti und begannen Jazz für amerikanische Soldaten zu spielen, die in Deutschland stationiert waren. Das Leben normalisierte sich langsam wieder, Kinder und gemeinsame Sorgen kamen. Die Autorin fiel jedoch bald in Phasen tiefer Depression, in denen sie beispielsweise keine Gardinen in den Fenstern duldete, um drohende Gefahren im Blick behalten zu können. Während einer ihrer Krankenhausaufenthalte in einer psychiatrischen Klinik in den 1970er-Jahren schrieb sie im Rahmen ihrer Therapie die erste Version ihres zukünftigen Buches. Mit Hilfe eines Freundes, des Nobelpreisträgers Heinrich Böll, vollendete sie es Anfang der 1980er-Jahre.

Zu dieser Zeit war in Deutschland der Kampf der überlebenden Sinti und Roma um eine offizielle Anerkennung ihrer Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime bereits im Gange. Wegen der angeblichen „Asozialität“ der Sinti und Roma dauerte dieser Prozess viele Jahre. Als der Sinti-Aktivist Romani Rose 1980 in der KZ-Gedenkstätte Dachau in einen Hungerstreik trat, der weltweite Aufmerksamkeit erregte, wurde die öffentliche Anerkennung des nationalsozialistischen Völkermords an Roma und Sinti in Deutschland endlich eingeleitet.

Während Romani Rose und seine Weggefährten auf politischer Ebene kämpften und Geschichte schrieben, konzentrierte sich Philomena Franz auf die Bildung von Kindern, um eine Wiederholung dieser schrecklichen Geschichte verhindern zu können. Bald nach dem Krieg begann sie, Schulen zu besuchen und ihre Geschichte in Diskussionsrunden zu erzählen. Ihre pädagogische Tätigkeit wurde wiederholt ausgezeichnet, beispielsweise mit dem Bundesverdienstkreuz (1995) oder dem Preis Frauen Europas - Deutschland 2001. Das Motto dieser außergewöhnlichen Frau ist christliche Liebe und Vergebung. Wie sie sagt, benutzt sie keine Waffen, sondern sucht Versöhnung.

Besondere tschechische Ausgabe

Das Originalmanuskript ist in zwei sehr unterschiedliche Teile gegliedert. Unter dem Titel Meine Kindheit ist der erste Teil ein nostalgischer Rückblick auf das traditionelle Leben der sogenannten Sinti, deutschsprachiger Roma, die weltweit als hervorragende Musiker bekannt sind. Im zweiten Teil, Mein Holocaust, beschreibt die Autorin die Härten des Krieges. Während sie im ersten Teil in der Vergangenheit schreibt und in einem ruhigen Tempo von diversen Familientreffen und Theateraufführungen berichtet, wechselt sie im zweiten Teil ins historische Präsens, um von ihrer Verhaftung und Verschleppung zu berichten. Sie schildert die Ereignisse in kurzen, knappen Sätzen, die zeigen, dass solche Erfahrungen nicht mit normaler Sprache erfasst werden können.

Gleichzeitig verzichtet sie in ihrem Buch nicht auf bildliche Sprache, und man kann sogar sagen, dass sie im Genre der Autobiografien von überlebenden Roma – wie wir sie von der Österreicherin Ceija Stojka, dem Deutschen Walter Winter oder der Schwedin Sofia Taikon kennen – eine der begabtesten literarischen Autorinnen ist.

Für die tschechische Ausgabe führte die Übersetzerin und Tsiganologin Eva Zdařilová ein umfangreiches Interview mit Philomena Franz, in dem die Autorin den relativ bruchstückhaften Text in einen breiten Kontext stellt. Diese Edition enthält auch seltene Familienfotos, die erstmals verwendet werden durften. Cover und Illustration wurden von Ladislava Gažiová, einer Künstlerin mit Roma-Wurzeln, gestaltet, und die Historikerin Renata Berkyová verfasste einen fundierten Text, der unter anderem die schriftlichen Zeugnisse über den Völkermord an den Sinti und Roma im böhmischen und mährischen Kontext reflektiert.
Philomena Franz, 2. Hälfte 1940er-Jahre
Philomena Franz, 2. Hälfte 1940er-Jahre | © Familienarchiv von Philomena Franz
 

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