Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Band des Monats
Östro 430

Die vier Musikerinnen von Östro 430, die sich an den Schultern halten
© Thomas Polajnar, Tapete Records

1979 gründeten vier energiegeladene junge Frauen aus Düsseldorf eine der ersten deutschen Frauen-Punkbands. Mit einem Saxophon, einem Keyboard, einem Bass und einem Schlagzeug bewaffnet brachten sie frischen Wind und ein protestierendes Grollen in die deutsche Musiklandschaft der 80er Jahre. Die vier Studentinnen trennten sich 1984. Fünfunddreißig Jahre später ist die Band jedoch wieder da. Im September 2023, anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Albums Punkrock nach Hausfrauenart, lassen Sie sich von unserer Band des Monats überraschen: Östro 430.

Von Marguerite Comoy

Abflug: Düsseldorf, 1979

Alles beginnt 1979 in Düsseldorf. Vier Studentinnen, Martina Weith, Bettina Flörchinger, Marita Welling und Monika Kellermann (die relativ schnell durch Olivia Casali ersetzt wurde) gründen die Punkband Östro 430. Östro steht natürlich für Östrogen, denn die Band besteht (zumindest anfangs) vor allem aus Frauen, was in der damals noch sehr männlich geprägten Punkwelt nicht selbstverständlich ist. Sie überraschen außerdem mit der Entscheidung, auf die E-Gitarre zu verzichten (warum auch nicht?) und stattdessen mit einem Saxophon, einem Keyboard, einem Bass und einem Schlagzeug vorlieb zu nehmen.
Ihren ersten Auftritt hatten sie bei Okie Dokie, einem Punkfestival, das von dem Fanzine Schmier in Neuss (Nordrhein-Westfalen) organisiert wurde. Inmitten von Bands wie KFC, EA80, die Clox, VD und ZK fielen Östro 430 auf, insbesondere der Musikgruppe Fehlfarben, die sie daraufhin auf ihre nächste Deutschlandtournee mitnehmen. Sehr schnell wird die Band über Nordrhein-Westfalen hinaus in der westdeutschen Punkszene bekannt: Sie werden sogar in der Bravo, dem Jugendmagazin der Bundesrepublik Deutschland schlechthin, erwähnt.
1980 veröffentlichten Östro 430 ihre ersten drei Lieder bei Schallmauer, einer lokalen Plattenfirma: Sexueller Notstand, Triebtäter und Too Cool.
Sexueller Notstand, ihr bekanntestes Lied, ist ein Hohn auf die Geschlechterrollen. Martina Weith beklagt sich darin über ihre sexuelle Frustration und verkörpert eine Frau mit selbstbewusstem, unersättlichem und scharfem Verlangen:


Sexueller Notstand: Lyrics

Sexueller Notstand,
was dir bleibt ist deine Hand
Komm nimm‘ dir ein paar Pornos
und pinn‘ sie an die Wand
 
Mit den Typen ist heut' nichts mehr los
Jedesmal die gleiche Pein
Sie ficken wie Kaninchen bloss
Und pennen nach'm Orgasmus ein
 
Sexueller Notstand,
was dir bleibt ist deine Hand
Komm nimm‘ dir ein paar Pornos
und pinn‘ sie an die Wand (2x)
 
Mit Frauen ist es auch nicht einfach
Ich steh' nicht nur auf Zärtlichkeit
Pass auf, dass ich mit dir nicht einschlaf
Wo ist der Mensch, der meine Geilheit teilt?
 
Sexueller Notstand,
was dir bleibt ist deine Hand
Komm nimm‘ dir ein paar Pornos
und pinn‘ sie an die Wand


Die Musikerinnen nehmen kein Blatt vor den Mund: Sie stehen zu ihrer aggressiven Rauheit. Es kommt vor, dass sie bei ihren Konzerten verspottet werden und ein grobes "Ausziehen, ausziehen!" zu hören bekommen, woraufhin Martina antwortet: "Kannst du haben! Aber erst zeigst du selbst mal, was du hast".

Nach ihrem Erfolg veröffentlichen Östro 430 1981 ihre erste EP bei Schallmauer-Records mit dem Titel Durch Dick und dünn, mit acht Liedern: Das Quietschende Bett, Sechzehn, Sexueller Notstand, Plastikwelt, S-Bahn, Ich halt mich raus, Idi Otto, Zu cool.
 
 
Nach der ersten EP verlassen Marita Welling und Olivia Casali die Band und werden von Gisela Hottenroth und Birgit Köster ersetzt. Das neue Quartett veröffentlicht 1982 die Single Vampir / Meerschweinchen (Schallmauer-Records) und 1983 ein erstes nennenswertes Album, eine Vinyl-LP mit dem Titel Weiber wie wir, ebenfalls bei Schallmauer-Records, welche 1983 leider Konkurs anmelden müssen. Weiber wie wir beinhaltete die letzten Klänge von Östro 430, die letzten bis 2023...

Die Neue Deutsche Welle im Hintergrund

Man muss sich vor Augen halten, dass während dieser wenigen Jahre die Neue Deutsche Welle auf ihrem Höhepunkt war. Diese Musikrichtung, die Punk und New Wave mit deutschen Texten vermischte, feierte zu dieser Zeit ihre größten kommerziellen Erfolge. Zu den Titeln und Künstler*innen, die mit dem Begriff der Neuen Deutschen Welle in Verbindung gebracht werden, gehören Der Kommissar von Falco (1981, siehe unser Artikel über Falco), Da Da Da von Trio (1982), Major Tom (Völlig losgelöst) von Peter Schilling (1982) und 99 Luftballons von Nena (1983). Man kann darüber streiten, ob dieses Musikgenre, dessen Grundstruktur relativ schnell zerbröckelt, in sich stimmig ist. Oder ist es nur ein Sammelbegriff, ein Marketingetikett? Sicher ist, dass der Begriff kritisiert wird. Östro 430 gehört zu den Bands, die dem NDW-Etikett misstrauen und sich gar darüber lustig machen. Ironischerweise lösen sich Östro 430 und die Neue Deutsche Welle fast zur gleichen Zeit, das heißt um 1984, auf.

Danach setzen einige der Künstlerinnen ihre (musikalische) Karriere auf eigene Faust fort. Martina Weith singt unter anderem für einige Alben von Die Ärzte, Bettina Flörchinger hingegen wird Gynäkologin. Olivia Casali spielt eine Zeit lang für Fehlfarben.

Zurück in die Zukunft: Östro 430 wieder auf der Bühne

Zur selben Zeit, als die Hits der Neuen Deutschen Welle zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Revival erleben, sind Östro 430 im Jahr 2019 nun auch wieder da: Kurz vor der COVID-Pandemie beschließen die Sängerin und Saxophonistin Martina Weith sowie die Keyboarderin Bettina Flörchinger, eine Zusammenstellung ihrer Werke zu veröffentlichen. Zur Band gesellen sich die Bassistin Anja Peterssen und die Schlagzeugerin Sandy Black hinzu, aber die Pandemie verhindert, dass sie sofort wieder die Bühne betreten können. Ironischerweise erschien der Sampler unter dem Titel Keine Krise kann mich schocken nach einem anderen ihrer berühmten Stücke, in dem sie sich über die unverschämte Arroganz eines Vatertöchterchens lustig machen:

Keine Krise kann mich schocken: Lyrics
Ich trage nur Modellklamotten
Aus reiner Seide jedes Hemd
Für'n Studienplatz auf Papis Knete
Und dann geh' ich ins Management
 
Keine Krise kann mich schocken
Ich bin ein Kind aus reichem Haus
Und Leute, die sich krumm malochen
Die lach' ich nur ganz hämisch aus
 
Geh' ich mal wieder in die Breite
Leg' ich mich nur beim Doktor lang
Der schnippelt rum für ein paar Mille
Und ich wieder rank und schlank
 
Keine Krise kann mich schocken
Ich bin ein Kind aus reichem Haus
Und Leute, die sich krumm malochen
Die lach' ich nur ganz hämisch aus
 
Im Frühjahr fahr' ich Lamborghini
Wenn's kühler wird bloss GTI
Im Sommer fahr' ich zur Karibik
Im Winter in Arosa Ski
 
Keine Krise kann mich schocken
Ich bin ein Kind aus reichem Haus
Und Leute, die sich krumm malochen
Die lach' ich nur ganz hämisch aus
 
Sonst bin ich oft auf Formentera
Dort trifft sich ja die ganze Scene
Man hängt dort 'rum in Papis Villa
Und snieft in Massen Kokain
 
Keine Krise kann mich schocken
Ich bin ein Kind aus reichem Haus
Und Leute, die sich krumm malochen
Die lach' ich nur ganz hämisch aus
 
Keine Krise kann mich schocken
Ich bin ein Kind aus reichem Haus
Und Leute, die sich krumm malochen
Die lach' ich nur ganz hämisch aus


Im Jahr 2020 parodieren sie ihren Originaltext, um ihn an die düstere Situation der Pandemie anzupassen: Nichts schockiert sie, sie sind wieder da und weiterhin bereit, Musik zu machen. 2023 bringen sie deshalb ein neues Album heraus: Punkrock nach Hausfrauenart, das wir Ihnen wärmstens empfehlen!

Diskografie:

Alben
1981: Durch dick & dünn (12" EP, Schallmauer-Records)
1982: Vampir / Meerschweinchen (Single, Schallmauer-Records)
1983: Weiber wie wir (Album, Schallmauer-Records)
2020: Keine Krise kann mich schocken (Best of, Tapete Records)
2023: Punkrock nach Hausfrauenart (Tapete Records)

Band des Monats auf Spotify

Hände und Gitarre © Colourbox.com, ldutko Jeden Monat stellen wir euch eine Band oder eine*n Sänger*in aus einem deutschsprachigen Land vor – den Musikstilen sind keine Grenzen gesetzt. Mit dieser Playlist könnt ihr in die Musik der vorgestellten Künstler*innen hineinschnuppern.

Top