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Band des Monats
Nils Frahm

Nils Frahm
© Markus Werner

Nils Frahm - Musiker, Komponist, Performer- schleppt weltweit sein Bühnen-Equipment von einem Ort zum nächsten und schafft Konzerterlebnisse ganz besonderer Art; bald auch in Frankreich!  Der in Hamburg geborene und mittlerweile im Berliner Funkhaus heimelig gewordene Künstler beeindruckt mit seinen über 30 veröffentlichten Solo- und Kollaborationsalben, entlockt seinem Piano Stücke zwischen Neoklassik und Elektronik und ist zugleich Komponist für Filmmusik, Initiator des „Piano Day“ und noch dazu...ein ganz humorvoller Typ.

Von Tara O'Sullivan

Trippeln mit Nils Frahm

Es sind Szenen, in denen wir zum Teil sehr wenig sehen, die Farben sind so gewählt, dass sie uns wenig ablenken. Auch wenn wir nicht immer alles in Klarheit wahrnehmen können, so erlaubt uns der Konzertfilm Tripping with Nils Frahm vielleicht doch eine höhere Konzentration in Bezug auf das, was wir hören.
Als Frahm in einem Zeit-Interview darauf aufmerksam gemacht wird, man sehe in seinem Film zeitweise auch gar nichts, erfreut sich der Künstler an dieser Sperrigkeit des Vieldeutigen; der Film wolle kein Erklärvideo sein, so Frahm: „Das ist doch das Schönste, dass man eben nicht das Gefühl hat, ah, das ist das Effektgerät, das ist das Ding, das ist jenes...Heute ist es oft zu einfach. Da machen sogar Newcomer so ein Selfievideoding: Das ist mein Studio, und das ist mein das, und das ist mein jenes...Nur weil Picasso gern mit dem Pinsel gemalt hat, hat er ja auch nicht gesagt, ich nehme diesen Pinsel mit diesen Borsten, ansonsten könnt ihr es vergessen mit dem Malen“. Die Aufnahmen sind nuanciert. Sie entstehen während der Corona-Zeit im Berliner Funkhaus. Ihr Lichtspiel wirkt in seiner Vielfalt an Schattierungen, Aufschichtungen und Umschwüngen wie ein Echo auf die Kompositionen Frahms, die sich ebenfalls durch ihre Ambivalenzen charakterisieren lassen. Oder: Als ein Ausflug ins Unbekannte. 

Das Spiel mit dem Unerwarteten

„Tripping“ als ein Trippeln oder auch Stolpern. Ein Motiv, dass uns in den Werken des Künstlers immer wieder in unterschiedlichen Formen begegnet, und uns selbst stolpern lässt. Es verursacht ein Innehalten. Überraschung. Ein Aufhorchen. Ob es nun die Einführung einer dissonanten Tonspannung ist, der plötzliche Anstieg der Lautstärke; Klobürsten, die das Piano traktieren, ein Lachen am Ende des Intros von Spaces oder die Stimme Robert de Niros, die uns in Winter Morning II entgegenbrummt; Frahm spielt mit dem Unerwarteten.
Ist es nicht genau das, was wir an der Musik, den Performances von Nils Frahm so faszinierend finden? Dass wir den größten Teil der Zeit eigentlich keine Ahnung davon haben, was der Künstler da in seiner Pianolandschaft eigentlich treibt; und trotzdem lässt er dabei Klangräume entstehen, die vereinnahmen. Musik ist hier zugleich die Lust am Experiment, die Freude an der Begegnung, ein Hörerlebnis. Eine Art Entdeckungsreise.

Die Freude an Begegnung

Doch nicht nur die Hörer*innen und Konzertbesucher*innen Frahms machen diese Erfahrung der Begegnung. Viele von seinen Arbeiten wachsen aus Gemeinsamkeit. Nicht selten werden andere Künstler*innen in Kollaborationsprojekte eingespannt. In Zusammenarbeit mit der Cellistin Anne Müller entsteht 2010 das Album 7fingers, sowie gemeinsame Kompositionen mit seinem Kollegen Peter Broderick (Hammers, 2021) oder Ólafur Arnalds, in Collaborative Works (2015). Im selben Jahr komponiert Frahm die Musik für den in einer einzigen Kameraeinstellung gedrehten Spielfilm Victoria von Sebastian Schipper, der den Deutschen Filmpreis für den „Besten Soundtrack“ erhält. Mit F.S.Blumm entstehen mehrfach gemeinsam erarbeitet Alben, zuletzt 2X1=4 (2021), in der sich der Künstler unter anderem in der Produktionsweise des Dub ausprobiert:
 

Frahm ist ein Verwandlungskünstler. Er bekommt bereits früh Unterricht in klassischer Musik, der weitere Bildungsweg ist aber alles andere als klassisch: Er studiert drei Semester Musikwissenschaft in Hamburg, bevor er nach Berlin kommt, um sich auf die Prüfung für das Musikstudium vorzubereiten, das er schlussendlich nie antreten wird. Trotzdem gelingt es ihm, sich im Bereich der Musikproduktion zu verselbstständigen und mit 28 Jahren beginnt dann auch tatsächlich seine Karriere als freier Künstler.
Sein Stil ist wiedererkennbar, und zugleich wandelbar. Zwischen Neoklassik und Elektronik, die oft als Achsen von Frahms Musik beschrieben werden, entfalten sich ganz unterschiedliche Klangräume. In seinem Schaffenseifer treibt es den Künstler stets über Grenzen hinaus. Umso schwieriger ist es, Frahms Stil(e) zu charakterisieren. Aber diese Herausforderung ist zugleich auch Einladung, sich mit seiner Musik auseinanderzusetzen, sich von den Klangräumen umspielen zu lassen. Hier gibt es keinen Hintergrund. Vielmehr entsteht ein Raum, der umschließt.

Der Klangraum trägt viele Ebenen

„Music is everywhere… its noodeling in the background everywhere… we like music that can noodle in the background…”, bemerkt Frahm einst während eines Auftritts bei dem Sender KEXP. Nudeln: wer hat nicht schonmal beim Kochen einen Song angeschmissen, das Radio oder eine CD nebenbei laufen lassen. Mittlerweile gibt es sie in Unmengen auf Streaming-Plattformen wie Spotify, wild zusammengewürfelte Playlists, die uns der Anbieter zusammenstellt, oder durch einen Algorithmus erstellen lässt:  Cooking with Soul, Kitchen Swagger, Cocina con Pop, Classical Music for Gourmet Cooking...
Eigentlich könnten wir so ins Endlose gehen bei der Vielzahl an Songlisten, die uns hier angeboten werden. Musik wird immer als „Begleitung für“ etwas dargeboten. Das weiß auch Frahm, wenn er in einem Interview zu seinem neuen Album Music for Animals (2022) sagt, er fühle eine Frustration über diesen funktionalen Gebrauch von Musik heutzutage; über all jene Playlists mit Namen, die den Anfang „Musik für...“ tragen.  Musik müsse immer nützlich sein, so Frahm, eine sehr kunden- und konsumorientierte Einstellung, als habe Musik daneben keinerlei Berechtigung zu existieren.
Und wenn im Zuge dieser Funktionalisierung von Musik das Werk selbst nur noch eines ist, das im Hintergrund „herumnudelt“ und den Klangteppich bildet, auf dem sich unsere Aktivität entfaltet: Sollten wir uns dann nicht vielleicht die Frage stellen, wann wir das letzte Mal eigentlich wirklich zugehört haben? Vielleicht ist es genau jene Frage, die Frahm uns mit seiner Musik überhaupt erst wieder stellen lassen kann. Musik, die alles andere sein mag, aber definitiv keine Hintergrundmusik. Vielmehr Einladung, sich wieder in den Klangraum zu begeben. Einen Titel anzumachen und nichts anderes zu tun als zuhören. Nun liegt es nur noch an uns, dies zu versuchen:

Frahm ist gerade auf Tour und fünf seiner Konzerte werden in Frankreich stattfinden: Zwischen dem 14 und 18. November wird der Künstler in Roubaix, Nantes, Bordeaux, Lyon und Toulouse zu erleben sein.

Diskografie:

Alben
2009: Wintermusik 
2009: The Bells 
2010: 7fingers (Kollaboration mit Anne Müller)
2011: Felt 
2012: Screws (2012)
2013: Spaces (2013)
2015: Music For The Motion Picture Victoria 
2015: Collaborative Works (Kollaboration mit Ólafur Arnalds)
2020: Empty 
2021: Graz 
2021: 2X1=4 (Kollaboration mit F. S. Blumm)
2022: Music for Animals 

Band des Monats auf Spotify

Hände und Gitarre © Colourbox.com, ldutko Jeden Monat stellen wir euch eine Band oder eine*n Sänger*in aus einem deutschsprachigen Land vor – den Musikstilen sind keine Grenzen gesetzt. Mit dieser Playlist könnt ihr in die Musik der vorgestellten Künstler*innen hineinschnuppern.

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